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VG München, Urteil v. 23.09.2025 – M 8 K 20.45
Titel:

Fehlende Klagebefugnis, Fehlende Verfügungsbefugnis über die streitgegenständliche Wohnung in einem zweckentfremdungsrechtlichen Verfahren, Zweckentfremdungsgenehmigung, Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Verfügungsberechtigten (verneint), Negativattest

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2
ZeS § 1 Abs. 2 ZeS. i.V.m. § 3
ZeS. § 4 Abs. 1
ZeS. § 5 Abs. 1, Abs. 2
ZeS. § 6 Abs. 2 S. 1
ZeS. § 10
Leitsätze:
1.  Die Zustimmung der Beteiligten zum schriftlichen Verfahren ermöglicht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 101 Abs. 2 VwGO.  (redaktioneller Leitsatz)
2.  Eine Verpflichtungsklage ist unzulässig, wenn der Kläger keine Verfügungsberechtigung über den Wohnraum besitzt und somit keine Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.  (redaktioneller Leitsatz)
3.  Ein schutzwürdiges Interesse an der Zweckentfremdungsgenehmigung setzt voraus, dass ohne die Genehmigung die bestehende Existenzgrundlage verloren geht, nicht aber die Erweiterung der Einkommensmöglichkeiten. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlende Klagebefugnis, Fehlende Verfügungsbefugnis über die streitgegenständliche Wohnung in einem zweckentfremdungsrechtlichen Verfahren, Zweckentfremdungsgenehmigung, Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Verfügungsberechtigten (verneint), Negativattest
Fundstellen:
BeckRS 2025, 29109
FDMietR 2025, 029109

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung sowie eines Negativattests.
2
Mit „Wohnungs-Mietvertrag“ vom … Juni 2018 mietete der Kläger die Wohnung B. straße 14, 2. Stock links in M. ab … Juni 2018 an. Die Einheit war mit Baugenehmigung vom … Januar 1993 (PlanNr. …*) als Wohnraum genehmigt worden. In der Folge nutzte der Kläger die Wohnung nach eigenen Angaben während beruflich bedingter Aufenthalte in M. als Wohnstatt und als Büro seiner Arbeitgeberin „… … GmbH“ (nach eigenen Angaben unter 50%) sowie zu Zwecken der Fremdbeherbergung (Vermietung über das Portal „Airbnb“). Darüber hinaus wurde die Wohnung auch durch einen Gesellschafter der „… … GmbH“ genutzt. Der Kläger meldete in der streitgegenständlichen Wohnung keinen Wohnsitz an.
3
Am … / … September 2018 beantragte der Kläger die Erteilung eines „Negativattests“ zur teilweisen Vermietung über „Airbnb“ über acht Wochen Nutzung pro Jahr hinaus. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, dass die Wohnung der Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz diene, da er durch Vermietung über „Airbnb“ seinen Lebensunterhalt (nicht nur, aber wesentlich) sichern könne. Er befinde sich in Privatinsolvenz. Dem Antrag beigefügt war eine Vereinbarung zwischen dem Kläger und der „… … GmbH“ vom … August 2018, wonach sich das Gehalt des Klägers aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung mindere. Er sei allerdings berechtigt, die von ihm genutzte Wohnung in der B. straße 14 anderweitig zu nutzen. Die so generierten Einkünfte würden seinem Gehalt zugerechnet.
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Mit Schreiben vom … Juli 2019 wies die Beklagte darauf hin, dass der Antrag keine Aussicht auf Erfolg habe und unvollständig sei. Der Kläger ergänzte daraufhin seinen Antrag mit E-Mail vom … August 2019 u.a. dahingehend, dass er in Teilzeit (ca. 40%) für die „… … GmbH“ tätig sei. Damit erziele er 800,- EUR Einkünfte, weitere 450,- EUR erziele er nach Abzug der Mietkosten für die teilweise Weitervermietung der Wohnung (über „Airbnb“). Bei einem Ortstermin am ... Oktober 2019 stellte die Beklagte fest, dass Klingelschild, Wohnungstür und Briefkasten der streitgegenständlichen Wohnung mit „… … GmbH“ (bzw. „MMJ GmbH“) beschriftet waren.
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Mit Bescheid vom … November 2019, dem Kläger zugestellt am ... Dezember 2019, lehnte die Beklagte den Antrag vom … August 2018 (gemeint: September) auf Erteilung einer Genehmigung zur zweckfremden Nutzung als Ferienwohnung bzw. zur kurzzeitigen Vermietung ab (Nr. 1). Weiterhin lehnte sie den Antrag vom … August 2018 (gemeint: September) auf Erteilung eines Negativattests ab (Nr. 2). Auf den Bescheid und seine Begründung wird verwiesen.
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Am … Dezember 2019 hörte die Beklagte den Eigentümer/Vermieter der streitgegenständlichen Wohnung zum möglichen Erlass einer zwangsgeldbewehrten Anordnung an. Daraufhin beendete der Vermieter das Mietverhältnis mit dem Kläger zum … Dezember 2019. Am ... Februar 2020 wurde die streitgegenständliche Wohnung auf unbestimmte Zeit an Dritte zu Wohnzwecken vermietet.
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Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2020, eingegangen bei Gericht am 3. Januar 2020 erhob der Kläger Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht „wegen Ablehnung des Antrags zur zweckfremden Nutzung zur kurzzeitigen Nutzung der Wohnung B. straße 14 vom …08.2018“. In der Klageschrift bat der Kläger zunächst „um antragskonforme Aufhebung des Bescheids des Amtes für Wohnen und Migration“. Mit Schreiben vom 21. März 2022 führte er weiter aus, dass sein Klageziel ein „korrekter Bescheid“ sei.
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Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
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Es bestehe weiterhin eine Verfügungsbefugnis des Klägers hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnung. Das Mietverhältnis über die Wohnung sei nicht gekündigt, sondern mit sofortiger Wirkung beendet worden. Der Vermieter der Wohnung habe danach lediglich befristete Mietverhältnisse mit Dritten abgeschlossen. Es bestehe zwischen dem Kläger und dem Vermieter der Wohnung Einigkeit, dass das Mietverhältnis wiederaufleben solle, sobald der „korrigierte Bescheid“ vorliege und der Kläger verwaltungsrechtliche Probleme sicher ausschließen könne. Die zweckfremde Nutzung sei für den nur teilzeitbeschäftigten Kläger erforderlich, um seine wirtschaftliche Existenz zu sichern. Aus beruflichen Gründen müsse er regelmäßig in M. persönlich anwesend sein. Die streitgegenständliche Wohnung sei angemietet worden, um dem Kläger dies zu ermöglichen, sowie um zusätzlich ein existenzsicherndes Gehalt zu erwirtschaften.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Klage sei schon unzulässig. Es sei nicht erkennbar, inwiefern der Kläger angesichts der zwischenzeitlichen Nutzungsaufgabe durch ihn und der Vermietung der Wohnung an Dritte zu Wohnzwecken noch über ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage verfüge.
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Zudem sei ein überwiegendes privates Interesse des Klägers im Sinne von § 5 Abs. 2 ZeS nicht hinreichend nachgewiesen. Insbesondere sei nicht hinreichend dargelegt, dass durch die Versagung der Genehmigung dem Kläger eine unausweichliche Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 ZeS drohe. Das Verhältnis zwischen dem geringen Einkommen und dem hohen Mietpreis lege nahe, dass die Anmietung der Wohnung überwiegend zum Zwecke der Erzielung von Einnahmen durch die betriebene Fremdenbeherbergung diene. Auch sei nicht hinreichend dargelegt, inwieweit die Anmietung der Wohnung zur Ausübung der teilzeitigen Tätigkeit des Klägers erforderlich sei, sodass die mit der Anmietung einhergehende finanzielle Belastung des Klägers unausweichlich sei. Der Kläger habe ferner nicht konkret dargelegt, in welchem zeitlichen Umfang und in welcher zeitlichen Verteilung er in M. anwesend sein müsse.
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Mit Beschluss vom 22. Dezember 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2020 hat die Beklagte einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 17. Juni 2024 sein Einverständnis zu einer Entscheidung „im schriftlichen Vorverfahren“ erklärt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Entscheidung über die Klage konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten schriftsätzlich ihr Einverständnis zum Übergang in das schriftliche Verfahren erteilt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
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2. Die Klage ist bereits unzulässig, wäre überdies aber auch unbegründet.
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2.1 Die Klage richtet sich bei verständiger Würdigung des Klagebegehrens gemäß § 88 VwGO auf positive Verbescheidung des Antrags auf Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung und eines Negativattests vom … September 2018. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21. März 2022 seinen Klagevortrag dahingehend konkretisiert, dass sein Klageziel ein „korrekter Bescheid“ sei. Daraus lässt sich schließen, dass sein Klagebegehren nicht ausschließlich auf die Anfechtung des Bescheids der Beklagten vom … November 2019 gerichtet ist, sondern darüber hinaus auch die Verpflichtung zur positiven Verbescheidung seines Antrags vom … … September 2018 beinhaltet.
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2.2 Dem Kläger fehlt hierfür jedoch die gemäß § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger durch die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt wird. Das ist dann der Fall, wenn der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt möglicherweise einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes hat. Denn nur wenn der Kläger einen subjektiven Anspruch geltend machen kann, impliziert die Unterlassung oder Versagung seitens der Behörde die Möglichkeit der Rechtsverletzung (vgl. Wahl/Schütz in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 47. EL Februar 2025, § 42 Rn. 71).
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2.2.1 Entscheidend ist, dass der Kläger in tatsächlicher Hinsicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört (vgl. Wahl/Schütz in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 47. EL Februar 2025, § 42 Rn. 53). Der Kläger muss also substantiiert behaupten, dass er einen Anspruch auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakts (hier der Zweckentfremdungsgenehmigung) hat. Das Gericht hat dementsprechend zu prüfen, ob es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass gerade der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.
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2.2.2 Vorliegend ist jedoch ausgeschlossen, dass der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, da er hinsichtlich des betroffenen Wohnraums nicht verfügungsberechtigt ist. Nach § 5 Abs. 1 ZeS darf Wohnraum nach § 1 Abs. 2 ZeS i.V.m. § 3 ZeS nur mit Genehmigung der Vollzugsbehörden anderen als Wohnzwecken zugeführt werden. Hierbei handelt es sich um ein repressives Verbot einer bestimmten Nutzung einer Wohnung mit Befreiungsvorbehalt (vgl. BayVGH, U.v. 31.5.2010 – 12 B 09.2484 – juris Rn. 32; BayVGH, B.v. 24.3.2021 – 12 ZB 19.369 – juris Rn. 28). Eine Zweckentfremdung liegt dann vor, wenn Wohnraum durch den Verfügungsberechtigten und / oder den Mieter anderen als Wohnzwecken zugeführt wird, § 4 Abs. 1 ZeS. Gemäß § 5 Abs. 2 ZeS ist die Genehmigung zur Zweckentfremdung zu erteilen, wenn vorrangige öffentliche Interessen oder schutzwürdige private Interessen das Interesse an der Erhaltung des betroffenen Wohnraums überwiegen. Überwiegende schutzwürdige private Interessen sind gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 ZeS insbesondere bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Verfügungsberechtigten gegeben, können sich aber etwa auch aus dem Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben (BayVGH, B.v. 24.3.2021 – 12 ZB 19.369 – juris Rn. 26).
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Der Kläger war weder zum Zeitpunkt der Klageerhebung (3. Januar 2020) noch zu einem späteren Zeitpunkt Verfügungsberechtigter, Mieter oder Besitzer der Wohnung. Er verfügte (und verfügt weiterhin) nicht über ein dingliches oder obligatorisches Recht an und / oder zur Nutzung der Wohnung, da der Mietvertrag zum … Dezember 2019 beendet worden war. Daher kommt ihm ein Anspruch auf Zweckentfremdungsgenehmigung nicht zu. Die (unsubstantiiert) vorgetragene Möglichkeit, in der Zukunft wieder einen Mietvertrag über die Wohnung abzuschließen, ändert daran nichts, zumal die streitgegenständliche Wohnung unbefristet an Dritte weitervermietet wurde.
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Aus den gleichen Gründen scheidet auch die Erteilung eines Negativattests, § 10 ZeS, aus.
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2.3 Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet.
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2.3.1 Der Kläger macht geltend, ohne die Zweckentfremdungsgenehmigung in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet zu sein. Ein schutzwürdiges berechtigtes Interesse an der Zweckentfremdung von Wohnraum zur beruflichen oder gewerblichen Nutzung ist allerdings nur dann anzuerkennen, wenn ohne die begehrte Ausnahme die bisher innegehabte Existenzgrundlage infolge des Verbots verlorenginge (BVerwG, U.v. 22.4.1994 – 8 C 29/92 – NJW 1995, 542).
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Vorliegend verhält es sich jedoch so, dass der Kläger die Zweckentfremdungsgenehmigung nicht begehrt, um seine bisher innegehabte Existenzgrundlage beizubehalten. Vielmehr geht es ihm darum, seine Rechtsposition zu erweitern, indem er durch Zweckentfremdung von Wohnraum seine Einkünfte steigert. Nach seinem Nutzungskonzept (bzw. Geschäftsmodell) soll die streitgegenständliche Wohnung nicht als eigene „Heimstatt im Alltag“ genutzt werden, sondern vielmehr gewerblich als Büro für seine Arbeitgeberin („… … GmbH“), sowie als „Ersatz“ für eine sonst erforderliche anderweitige Unterkunft (etwa Hotel/Pension) während seiner beruflich bedingten Aufenthaltszeiten in M. und darüber hinaus zu Zwecken der Fremdbeherbergung. Der gewerbliche Charakter der Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung wird auch durch die Vereinbarung zwischen dem Kläger und der „… … GmbH“ vom … August 2018 untermauert. Auch die Feststellungen der Beklagten stützen dies. So wies das Klingelschild der Wohnung ausschließlich die „… … GmbH“ aus; der Kläger selbst war zu keinem Zeitpunkt dort gemeldet.
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2.3.2 Die Erteilung eines Negativattests kommt ebenfalls nicht in Betracht. Auf Antrag ist ein Negativattest bei Maßnahmen, für die eine Genehmigung nicht erforderlich ist, weil Wohnraum nicht vorhanden ist, auszustellen, § 10 ZeS. Bei der (bauaufsichtlich als Wohnung genehmigten) streitgegenständlichen Wohnung handelt es sich jedoch unstreitig um Wohnraum im Sinne der ZeS, sodass die Erteilung eines Negativattests nicht in Betracht kommt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.