Titel:
Tabak zum oralen Gebrauch, Anforderungen an die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, Kein identisches Erlass- und Vollzugsinteresse bei Verstoß gegen § 11 TabakerzG, Fristsetzung von „24 Stunden nach Zustellung“ bei Zustellung durch Postzustellungsurkunde unbestimmt
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 3
TabakerzG § 11
TabakerzG § 29
RL 2014/40/EU Art. 2 Nr. 8
VwZVG Art. 36 Abs. 1 S. 2
BGB § 187 Abs. 1
Schlagworte:
Tabak zum oralen Gebrauch, Anforderungen an die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung, Kein identisches Erlass- und Vollzugsinteresse bei Verstoß gegen § 11 TabakerzG, Fristsetzung von „24 Stunden nach Zustellung“ bei Zustellung durch Postzustellungsurkunde unbestimmt
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29089
Tenor
I. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung von Ziffer I. des Bescheides des Landratsamts ... vom 27. Mai 2025 in Ziffer III. des Bescheides wird aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer IV. des Bescheides wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten über die sofortige Vollziehbarkeit einer zwangsgeldbewehrten Rücknahmeverpflichtung für Tabakerzeugnisse.
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Die Antragstellerin ist im Handelsregister … unter der Registriernummer HRB … registriert. Laut Gewerbeanmeldung vom 23. September 2024 betreibt die Antragstellerin seit dem 1. Oktober 2024 einen „Großhandel mit Fertigwaren (Kondome, Plüschtiere, Stofftiere, Feuerzeuge, E-Zigaretten usw.), insbesondere zum Vertrieb an Tankstellen – kein Kundenverkehr vor Ort (46.90.3)“.
3
Aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des Veterinäramtes und Lebensmittelüberwachung … wurden die Geschäftsführer der Antragstellerin am 4. November 2024 durch den Antragsgegner mündlich auf das Verbot des Inverkehrbringens von Tabak zum oralen Gebrauch gemäß § 11 des Gesetzes über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse – Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG) hingewiesen und dass ein etwaiger Verstoß einen Straftatbestand darstelle.
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Mit E-Mail vom 8. Januar 2025 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass für verschiedene von der Antragstellerin vertriebene Produkte, unter anderem „… … … … … … … …“, ein Verkehrsverbot vorliege und bat um Mitteilung, ob die Antragstellerin einen Verkaufsstopp sowie eine Rücknahme bei allen Abnehmern der letzten 12 Monate freiwillig einleiten werde. Ansonsten müsste dies kostenpflichtig behördlich angeordnet werden. Eine Reaktion hierauf ist nicht aktenkundig.
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Am 14. Mai 2025 wurde der Antragsgegner von der Landeshauptstadt München darüber informiert, dass bei einer Vor-Ort-Kontrolle festgestellt wurde, dass die Antragstellerin am 25. April 2025 die …Tankstelle in der A* …straße … in … … mit 20 Dosen „… … … …“ beliefert habe. Auf dem Lieferschein wurden die Produkte als „Aktion Set 1“ ausgewiesen. Der Inhaber der Tankstelle sei von der Antragstellerin darauf hingewiesen worden, dass dies nicht anders geschrieben werden könne, da die Antragstellerin schon einmal „20.000 EUR Strafe bezahlen musste […]“. Der Inhaber sei auch gebeten worden, den Lieferschein nicht auszuhändigen und auch nicht anzugeben, dass er die Ware von der Antragstellerin erhalten habe. Er solle sagen, dass es sich um Restbestände aus seinem Keller handele.
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Am 14. und 15. Mai 2025 versuchte der Antragsgegner jeweils erfolglos, die Lagerräume der Antragstellerin in … zu kontrollieren.
7
Mit E-Mail vom 19. Mai 2025 an die Antragstellerin und deren Geschäftsführer wies der Antragsgegner darauf hin, dass diese beschuldigt werden, entgegen § 11 TabakerzG Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch in den Verkehr gebracht zu haben, dass dies eine Straftat darstelle, stellte verschiedene Fragen zu der Lieferung an die Tankstelle in … und belehrte die Adressaten über ihre Rechte als Beschuldigte.
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Mit per E-Mail versandten Schreiben vom 21. Mai 2025 mit dem Betreff „Rücknahme des Produktes ‚ … … … …‘, Anhörung gemäß Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz“ wies der Antragsgegner die Antragstellerin und deren Geschäftsführer darauf hin, dass es sich bei dem Produkt „… … … …“ um Tabak zum oralen Gebrauch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG i. V. m. Art. 2 Nr. 8 RL 2014/40/EU handele und dass es gemäß § 11 TabakerzG verboten sei, Tabak zum oralen Gebrauch in den Verkehr zu bringen. Die Antragstellerin wurde unter Fristsetzung bis zum folgenden Tag gebeten mitzuteilen, ob sie eine freiwillige Rücknahme einleiten werde, und diesbezüglich verschiedene Daten zu übermitteln. Der Antragsgegner informierte darüber, dass er anderenfalls beabsichtige, gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 5 TabakerzG eine kostenpflichtige Anordnung der Rücknahme zu erlassen, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Reaktion hierauf ist nicht aktenkundig.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. Mai 2025, zugestellt per Postzustellungsurkunde am 30. Mai 2025, verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin unter Ziffer I.1. des Tenors, für das Produkt „… … … …“, das diese seit dem 1. Oktober 2024 verkauft habe, eine Rücknahme durchzuführen. Mit Ziffer I.2. des Tenors wurde die Antragstellerin verpflichtet, dem Landratsamt ... folgende Nachweise vorzulegen: Kundenliste aller gewerblichen Abnehmer und privaten Abnehmer (jeweils in einem sortierbaren Excel-Format), letzte 3 Lieferscheine des Produktes von den Lieferanten der Antragstellerin, Muster des Rücknahmeschreibens und Nachweise über die Versendung an die Abnehmer sowie vorhandene Warenbestände bei der Antragstellerin. Mit Ziffer II. des Tenors wurde als Vollzugstermin „innerhalb von 24 Stunden nach Zustellung des Bescheides“ bestimmt. Mit Ziffer III. des Bescheides wurde die sofortige Vollziehung für die Auflagen der Ziffer I. des Bescheides angeordnet. Unter Ziffer IV. des Bescheides wurden Zwangsgelder angedroht, und zwar unter Ziffer IV.1. in Höhe von 3.000,00 EUR bei Nichteinhaltung der Verpflichtung aus Ziffer I.1. und unter IV.2. in Höhe von 3.000,00 EUR bei Nichteinhaltung der Verpflichtung aus Ziffer I.2. Mit den Ziffern V. und VI. des Bescheides wurden der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auferlegt und eine Gebühr in Höhe von 641,50 EUR festgesetzt. Die Auslagen betragen 36,69 EUR.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde im streitgegenständlichem Bescheid wie folgt begründet:
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„Die Anordnung der sofortigen Vollziehung für die Ziffer I stützt sich auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung und liegt konkret im öffentlichen Interesse.
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Unter konkreter Abwägung der konkret betroffenen Interessen im vorliegenden Fall erweist sich das öffentliche Interesse an effektiver und unverzüglicher Abwehr von Gefahren für die öffentliche Gesundheit durch den Vertrieb verbotener Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch, zugleich an der Lauterkeit des Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt, sowie an der Integrität der Rechtsordnung insgesamt als überwiegend.
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Bei objektiver ex-ante-Betrachtung ist aus Sicht der hier handelnden Behörde davon auszugehen, dass seitens der Adressatin ein strafbarer Verstoß gegen § 11, § 34 Abs. 1 Nr. 4 lit. c) TabakerzG vorliegt. Im Rahmen des präventiven Gefahrenabwehrrechts – anders als im Strafprozessrecht – sprechen hier das bisherige Schweigen und das Unterlassen unverzüglicher Mitwirkung durch die Geschäftsführer nicht gegen die Annahme eines strafbaren Verhaltens. Im Sinne effektiver Gefahrenabwehr verstärkt dieses mögliche Selbstschutzverhalten vielmehr die Annahme, dass sich mit dem strafrechtlich bewehrten Verstoß gegen § 11 TabakerzG bereits eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verwirklicht hat.
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Indem die Adressatin, konkret entgegen § 11 TabakerzG verbotene Produkte in Verkehr bringt, handelt sie auch unlauter im Sinne der §§ 3a, 3 UWG. Unlauter in diesem Sinne handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Ausweislich der für den Vollzug des Tabakerzeugnisgesetzes maßgeblichen RICHTLINIE 2014/40/EU vom 3 April 2014 (zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der RL 2001/37/EG), sowie der VERORDNUNG (EU) 2019/1020 vom 20. Juni 2019 (über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten sowie zur Änderung der RL 2004/42/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011) dienen die Vorgaben des TabakerzG nicht nur dem öffentlichen Gesundheitsschutz, sondern auch dem Schutz der Verbraucher und anderer Wirtschaftsteilnehmer und Mitbewerber am europäischen Binnenmarkt. Dieser Aspekt verleiht der konkreten Gefahr und der Verletzung der Integrität der Rechtsordnung durch das Verhalten der Adressatin im vorliegenden Fall besonderes Gewicht. Zugleich verstärkt dies die Dringlichkeit einer sofortigen Unterbindung jener rechtswidrigen geschäftlichen Verhaltensweisen.
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Auch unter Berücksichtigung dessen, dass seitens der Adressatin trotz mehrmaliger Gelegenheit keinerlei Tatsachenvortrag zur Entlastung vom konkret tatsachenbasierten Vorwurf strafbaren Verhaltens erfolgte, besteht hiesigen Erachtens kein konkret schutzbedürftiges Interesse, zu Lasten des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes, sowie entgegen der Vorgaben eines lauteren Wettbewerbs die Vollziehbarkeit der konkret gefahrenabwehrenden Anordnungen aufzuschieben bis zum Ablauf der gesetzlichen Rechtsbehelfsfrist oder bis zum rechtskräftigen Abschluss verwaltungsgerichtlicher Hauptsacheverfahren.
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Ein schutzwürdiges Interesse der Adressaten daran, gemäß § 11 TabakerzG verbotene Produkte bis zu einer möglichen verwaltungsgerichtlichen Beurteilung des konkret vorliegenden Falles weiterhin im Verkehr zu halten kann konkret auch deshalb nicht anerkannt werden, weil man dort seit 08.01.2025 in Kenntnis über die Illegalität des Inverkehrbringens von „… … …“ als Tabakerzeugnis i. S. v. § 11 TabakerzG ist – wie bereits vorstehend (zum Sachverhalt) erläutert. Ein überwiegendes Interesse der Adressatin an ihrer freien wirtschaftlichen Entfaltung und freien Berufsausübung kann deshalb im konkreten Fall nicht angenommen werden.
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Der effektive Vollzug der § 29 Abs. 2 Nr. 5 und § 11 TabakerzG folgt vernünftigen Gründen des Allgemeinwohls, während das – wider besseren Wissens – gesetzlich verbotene Inverkehrbringen und -Halten bestimmter Produkte keinen Vertrauensschutz im Rahmen der wirtschaftlichen Handlungs- oder der beruflichen Ausübungsfreiheit genießen kann.“
18
Dem streitgegenständlichen Bescheid lag als Anlage ein Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 4. März 2021 bei. Nach diesem Gutachten ist das Produkt „… … … … …“ unter Berücksichtigung der Zusammensetzung, Konsistenz, Darreichungsform und Freisetzung der wesentlichen Inhaltsstoffe nicht zum Kauen, sondern im Wesentlichen zum Lutschen bestimmt. Es könne daher nicht als „zum Kauen bestimmt“ i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG i.V.m. Art. 2 Nr. 8 RL 2014/40/EU bzw. als „Kautabak“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG i.V.m. Art. 2 Nr. 6 RL 2014/40/EU eingestuft werden. Bei der vorliegenden Probe des Produkts handele es sich um „Tabak zum oralen Gebrauch“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG i.V.m. Art. 2 Nr. 8 RL 2014/40/EU.
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Gegen den Bescheid vom 27. Mai 2025 erhob die Antragstellerin am 5. Juni 2025 Klage zum Verwaltungsgericht München, über welche noch nicht entschieden ist (M 26a K 25.3421). Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Juni 2025 beantragt die Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 27. Mai 2025 wiederherzustellen.
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Zur Begründung des Antrags wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht den sich aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Anforderungen genüge. Es sei nicht dargelegt worden, inwiefern das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Einzelfall über das öffentliche Interesse hinausgehe, dass die Untersagung selbst rechtfertige. Zudem bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeanordnung nach § 29 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG. Hier sei der Marktüberwachungsbehörde ein Auswahlermessen eingeräumt. Aus dem Bescheid ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, warum die Behörde gerade eine Rücknahmeanordnung und keine andere weniger einschneidende Maßnahme erlassen habe. Aus dem Bescheid ergebe sich auch nicht, ob ein „ernstes Risiko“ im Sinne von § 29 Abs. 4 TabakerzG bzw. im Sinne von Art. 3 Nr. 20 VO 2019/2020 vorliege, was vor Erlass einer Rücknahmeanordnung zu prüfen gewesen wäre. Der Anordnung nach Ziffer I.2. des Bescheides stehe das Auskunftsverweigerungsrecht aus § 32 Abs. 3 TabakerzG entgegen, sodass erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Teils der Anordnung bestünden. Zudem ließen sich dem Bescheid keinerlei Ausführungen zu der Notwendigkeit der sofortigen Vollziehung dieses Teils der Anordnung entnehmen, worauf es jedoch nicht mehr ankomme.
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Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2025 beantragt der Antragsgegner,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antragsgegner übermittelt als Anlage des Schriftsatzes ein Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 13. Mai 2025 zur Verkehrsfähigkeit des Produkts „… … … … … … … … …“, wonach es sich hierbei um „Tabak zum oralen Gebrauch“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG i. V. m. Art. 2 Nr. 8 RL 2014/40/EU handele. Zur Begründung der Antragsablehnung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiege, weil die Hauptsacheklage bei summarischer Prüfung keinen Erfolg hätte, weil der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig sei und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze. Die Begründung der Sofortvollzugsanordnung entspreche den Anforderungen von § 80 Abs. 3 VwGO. Unter konkreter Abwägung der konkret betroffenen Interessen im vorliegenden Fall erweise sich das öffentliche Interesse an effektiver und unverzüglicher Abwehr von Gefahren für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz durch den Vertrieb verbotener Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch, zugleich an der Lauterkeit des Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt, sowie an der Integrität der Rechtsordnung insgesamt als überwiegend. Es sei davon auszugehen, dass seitens der Antragstellerin ein strafbarer Verstoß gegen § 11, § 34 Abs. 1 Nr. 4 c) TabakerzG vorliege. Der im Strafprozessrecht relevante Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ könne im konkreten Fall nicht den effektiven Vollzug sicherheitsrechtlicher Anordnungen hindern. Die Antragstellerin handele auch unlauter im Sinne der §§ 3a, 3 UWG, was die Dringlichkeit einer sofortigen Unterbindung der rechtswidrigen geschäftlichen Verhaltensweise verstärke. Ein schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin daran, gemäß § 11 TabakerzG verbotene Produkte bis zu einer möglichen verwaltungsgerichtlichen Beurteilung vorläufig weiterhin im Verkehr zu halten, könne auch deshalb nicht anerkannt werden, weil die Antragstellerin seit dem 8. Januar 2025 Kenntnis über die Illegalität des Inverkehrbringens von „… … … habe. Die Antragstellerin habe trotz Hinweis auf das Vorliegen einer vorsätzlichen Straftat nicht davor zurückgeschreckt, das verbotene Produkt in Verkehr zu bringen. Aufgrund des bisherigen Verhaltens der Antragstellerin könne lediglich bei der Anordnung des Sofortvollzugs zur Rücknahme die von dem Produkt ausgehenden Gesundheitsgefährdungen unterbunden und eine Gefahrenabwehr im öffentlichen Interesse gewährleistet werden. Die Rücknahmeanordnung auf Grundlage des § 29 Abs. 2 Nr. 5 TabakerzG sei als das relativ mildeste Mittel anzusehen, nachdem das LGL die Einordnung als verbotenes Erzeugnis im Sinne von § 11 TabakerzG bereits festgestellt habe und die Antragstellerin eine freiwillige Rücknahme nicht veranlassen wollte. Diese Norm erlaube eine ermessensabhängige Rücknahmeanordnung auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen von § 29 Abs. 4 TabakerzG. Ungeachtet dessen sei für das streitgegenständliche Produkt auch ein ernstes Risiko im Sinne von § 29 Abs. 4 TabakerzG anzunehmen. Die Antragstellerin sei mit E-Mail vom 19. Mai 2025 über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 32 Satz 4 TabakerzG belehrt worden. Nach § 32 Satz 2 TabakerzG bestehe jedoch für die nach § 3 TabakerzG Verpflichteten eine Auskunftsverpflichtung.
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Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
26
Der Antrag hat Erfolg.
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1. Das Gericht legt den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen, nach §§ 122, 88 VwGO dahingehend aus, dass hinsichtlich der Anordnungen in Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheides vom 27. Mai 2025 die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt werden soll, während hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen in Ziffer IV. die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet werden soll.
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Der so verstandene Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Er ist statthaft, weil es sich bei den Regelungen in Ziffer I. der angegriffenen Verfügung um Verwaltungsakte handelt, für die der Antragsgegner gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet hat, und weil bezüglich der Zwangsgeldandrohungen in Ziffer IV. der angegriffenen Verfügung Rechtsbehelfen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) keine aufschiebende Wirkung zukommt.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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2.1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 der streitgegenständlichen Verfügung entspricht nicht den Anforderungen an die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO und ist bereits aus diesem Grund aufzuheben (vgl. BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 2.8.2022 – 20 CS 22.1540 -beckonline Rn. 3; BayVGH, B.v. 6.9.2021 – 20 CS 20.2344 – beckonline Rn. 2).
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2.1.1. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen, wenn sie dessen sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Umsetzung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes (Erlassinteresse) ein besonderes Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung und die Befugnis der Behörde, einen Verwaltungsakt auch schon vor Eintritt der Bestandskraft mit Zwangsmitteln durchzusetzen, zu rechtfertigen vermag (BayVGH, B.v. 2.8.2022 – 20 CS 22.1540 -beckonline Rn. 4). Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen erfordert. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist dabei nicht bereits dann Genüge getan, wenn überhaupt eine solche gegeben wird; es bedarf vielmehr einer schlüssigen, auf den konkreten Einzelfall bezogenen und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, B. v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 6). Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hingegen nicht an, da diese Vorschrift eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung normiert (BayVGH, B. v. 7.3.2022 – 20 CS 22.307 – beckonline Rn. 3; B. v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1436 – beckonline Rn. 20). Formelhafte, also für beliebige Fallgestaltungen passende Wendungen, formblattmäßige oder pauschale Argumentationsmuster sowie die bloße Wiederholung des Gesetzestextes reichen nicht aus, da daraus nicht erkenntlich wird, ob und aus welchen Gründen die Behörde vom Vorliegen eines Ausnahmefalls ausgegangen ist, der ein Abweichen vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigen kann (BayVGH, B.v. 2.8.2022 – 20 CS 22.1540 – beckonline Rn. 4 m.w.N.).
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2.1.2. Diesen Anforderungen genügt die Begründung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung nicht.
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a) Die Begründung lässt bereits nicht erkennen, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung überhaupt bewusst gewesen ist. So wird in der Begründung insbesondere mit keinem Wort erwähnt, dass es sich bei der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage um den vom nationalen Gesetzgeber im Tabakrecht vorgesehenen Regelfall handelt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das TabakerzG im Gegensatz zu den lebensmittelrechtlichen Vorschriften (§ 39 Abs. 7 LFGB) für keine der nach § 29 TabakerzG möglichen Maßnahmen einen gesetzlich angeordneten Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorsieht, auch nicht bei Vorliegen eines ernsten Risikos (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2022 – 20 CS 22.1540 – beckonline Rn. 7, Hessischer VGH, B.v. 21.8.2025 – 8 B 1257/24 – beckonline Rn. 9). Gemäß § 29 Abs. 4 Satz 1 TabakerzG ist dabei mit ernstem Risiko ein über die typischen Gefahren des Konsums der Erzeugnisse hinausgehendes Risiko insbesondere für die Sicherheit und Gesundheit von Personen gemeint.
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b) Darüber hinaus wird in der Begründung ein über das ohnehin bestehende Erlassinteresse im Einzelfall hinausgehendes besonderes Vollzugsinteresse nicht dargetan. Soweit der Antragsgegner bei der Anordnung des Sofortvollzugs mit den typischen Folgen eines Verstoßes gegen das in § 11 TabakerzG geregelte Verbot argumentiert, verkennt er, dass allein diese Gefahren nach der grundsätzlichen Wertung des nationalen Gesetzgebers gerade nicht zur Begründung eines besonderen Vollzugsinteresses im Einzelfall taugen. Jeder Verstoß gegen § 11 TabakerzG erfüllt nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 c) TabakerzG den Tatbestand einer Strafnorm und stellt unlauteres Handeln im Sinne von §§ 3, 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) dar. Da der Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 4 c) TabakerzG generell nur durch vorsätzliches Handeln verwirklicht werden kann (vgl. § 35 Abs. 1 TabakerzG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 EGStGB i.V.m. § 15 StGB) ist schließlich auch die Argumentation, dass die Antragstellerin in Kenntnis der Illegalität des Inverkehrbringens gehandelt habe, nicht zur Begründung eines Vollzugsinteresses im konkreten Einzelfall geeignet.
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c) Die Anforderungen an die Begründung des Sofortvollzugs reduzieren sich dabei auch nicht ausnahmsweise aufgrund des mit der Anordnung des Sofortvollzugs verfolgten Gesetzeszwecks, wenn der Gesetzeszweck ohne Anordnung des Sofortvollzugs überhaupt nicht erreichbar ist. In solchen Fällen des identischen Erlass- und Vollzugsinteresses kommt es in erster Linie auf den Rang der durch die Anordnung zu schützenden Rechtsgüter an. Je gewichtiger die potentiell gefährdeten Rechtsgüter und je geringer die Einflussmöglichkeiten auf die Schadensquelle sind, desto niedriger sind die Anforderungen an eine Begründung für den konkreten Einzelfall zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2022 – 20 CS 22.1540 – beckonline Rn. 6; Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 46). Hier ist jedoch Zurückhaltung geboten, weil die Exekutive hierbei letztlich eine legislative Fehlleistung korrigieren würde, was nur bei zwingenden Gründen, regelmäßig zum Schutz elementarer Grundrechte anderer, zulässig sein kann (Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 46).
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass der Gesetzeszweck des § 11 TabakerzG, also die Verhinderung des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch, ohne Anordnung des Sofortvollzugs einer angeordneten Rücknahme nach § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 TabakerzG überhaupt nicht erreichbar sein soll. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein Verstoß gegen § 11 TabakerzG einen Straftatbestand erfüllt und damit unabhängig vom Sofortvollzug sowohl für die Antragstellerin als auch für deren Mitbewerber ein Anreiz zur Befolgung des Verbots besteht. Darüber hinaus dürfte ein weiterer Anreiz zur Befolgung des Verbots aus § 11 TabakerzG darin liegen, dass gemäß § 36 TabakerzG Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach § 34 TabakerzG bezieht, eingezogen werden können. Auch die umfangreichen Betretens-, Besichtigungs- und Prüfbefugnisse der Marktüberwachungsbehörden nach § 31 TabakerzG und die dementsprechenden Duldungs- und Mitwirkungspflichten der verantwortlichen Personen nach § 32 TabakerzG sprechen dagegen, dass der Zweck des § 11 TabakerzG nur mit der Anordnung eines Sofortvollzugs für Maßnahmen nach § 29 TabakerzG erfüllt werden könnte. Zum anderen ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der nationale Gesetzgeber möglichen Verstößen gegen § 11 TabakerzG im Vergleich zu Verstößen gegen andere Vorschriften des TabakerzG keine besondere Gewichtigkeit beigemessen hat (a.A. VG München, B.v. 18.9.2025 – M 26b S 25.2235 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 24 f.). In der umfangreichen Auflistung der Straftatbestände in § 34 TabakerzG sind Verstöße gegen § 11 TabakerzG weder von den geschützten Rechtsgütern noch vom möglichen Strafrahmen her besonders geregelt. Es bleibt daher auch bezüglich § 11 TabakerzG bei der allgemeinen Feststellung, dass das TabakerzG überwiegend gesundheitspräventive Zwecke unter Hinnahme der Gesundheitsschädlichkeit des Tabakkonsums verfolgt und damit lediglich mittelbar dem Gesundheitsschutz dient, indem der Konsum von Tabakerzeugnissen weder gefördert noch erleichtert werden soll (BayVGH, B.v. 2.8.2022 – 20 CS 22.1540 – beckonline Rn. 7 unter Verweis auf BT-Drs. 18/7218 S. 31 und 33 und BR-Drs. 221/17 S. 8 und Art. 1 der RL 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014; vgl. auch VGH Kassel, B. v. 21.8.2025 – 8 B 1257/24 – beckonline Rn. 9-11 bezüglich eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 2 Nr. 3 TabakerzG i.V.m. § 4 TabakerzV).
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2.1.3. Durch die isolierte Aufhebung der Vollziehungsanordnung ist dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin Rechnung getragen. Denn die Aufhebung der Vollziehungsanordnung in Ziffer III des Bescheides bewirkt, dass die von der Antragstellerin erhobene (Anfechtungs-)Klage gegen Ziffer I des Bescheids vom 27. Mai 2025 nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO von Gesetzes wegen (wieder) aufschiebende Wirkung zukommt. Der vom Gericht getroffene Ausspruch bleibt auch nicht hinter der von der Antragstellerin begehrten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zurück. Ihr Rechtsschutzziel hat sie hinsichtlich Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids vollumfänglich erreicht. Die (bloße) Aufhebung der Vollziehungsanordnung im Fall eines Verstoßes gegen die formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bringt lediglich (klarstellend) den – auf die Erfüllung der der Behörde obliegenden Begründungspflicht – begrenzten gerichtlichen Prüfungsumfang und die daher eingeschränkte Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung zum Ausdruck (VG Würzburg, B.v. 29.07.2022 – W 8 S 22.1151 – beckonline Rn. 34, BayVGH, B.v. 9.3.2018 – 11 CS 18.300 – beckonline Rn. 7).
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2.1.4. Das Gericht weist ergänzend darauf hin, dass mit dem Vorstehenden keine Aussage zu den zwischen den Beteiligten strittigen materiell-rechtlichen Fragen getroffen wird und dass die Behörde durch die Entscheidung nicht daran gehindert ist, die sofortige Vollziehung mit zureichender Begründung, die den Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht, erneut anzuordnen (vgl. BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26.01 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 6.9.2021 – 20 CS 20.2344 – beckonline Rn. 6).
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2.2. Der Antrag ist auch bezüglich der Ziffer IV. i.V.m. Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheides begründet.
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Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage – wie hier – entgegen dem in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthaltenen Grundsatz keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Das Gericht trifft dabei im Rahmen einer summarischen Prüfung der sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen, überwiegen. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
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Nach diesen Maßstäben fällt die Abwägung zulasten des Antragsgegners aus, da die Hauptsacheklage bezüglich der Ziffer IV. des streitgegenständlichen Bescheides aller Voraussicht nach Erfolg haben wird. Die in der Hauptsache zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 VwGO) gegen die Zwangsgeldandrohungen erhobene Anfechtungsklage erweist sich bezüglich der Ziffer IV. des Bescheides aller Voraussicht nach als begründet, da der angefochtene Verwaltungsakt insoweit rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist bei der schriftlichen Androhung eines Zwangsmittels für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Dabei ist die Fristbestimmung schon wegen der Beugefunktion des Zwangsgeldes zwingend erforderlich. Dies gilt auch für Anordnungen, die aufgrund gesetzlicher Ge- oder Verbote erlassen werden. Letztlich sprechen auch Gründe des effektiven Rechtsschutzes dafür (Giehl/Adolph/Fabisch Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand 53. AL März 2024, Art. 36 VwZVG Rn. 19). Eine von einer Behörde gesetzte Frist muss angemessen und eindeutig sein. Das ergibt sich aus dem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abgeleiteten Gebot einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung und dem sich ebenfalls daraus ergebenden Grundsatz von Treu und Glauben. Gerade in Fristfragen muss für den Bürger klar erkennbar sein, was er zu tun hat, um einen Rechtsverlust zu vermeiden. Unklarheiten bei der Festlegung behördlicher Fristen gehen zulasten der Behörde (BeckOK VwVfG/Michler, 68. Ed. 1.7.2025, VwVfG § 31 Rn. 15 m.w.N.).
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Dem wird die vom Antragsgegner in Ziffer IV. in Verbindung mit Ziffer II. gesetzte Frist von „24 Stunden nach Zustellung“ nicht gerecht. Diese Fristsetzung ist unbestimmt, was nach dem oben angeführten Maßstab zur Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohungen führt. Für die Antragstellerin war nicht erkennbar, wann die im streitgegenständliche Bescheid gesetzte Frist ablief. Der streitgegenständliche Bescheid wurde durch Einlegen in den Briefkasten mit Postzustellungsurkunde zugestellt, in welcher lediglich das Zustelldatum (30. Mai 2025), nicht jedoch die Uhrzeit der Zustellung bzw. die Uhrzeit des Einlegens in den Briefkasten vermerkt wurde. Damit ist nicht erkennbar, wann die 24-Stunden-Frist begonnen und wann sie geendet hat. Stundenfristen werden zwar allgemein für zulässig erachtet. Für ihre Berechnung gilt im Regelfall der Grundsatz der Naturalkomputation, d.h. die Berechnung erfolgt von Moment zu Moment (vgl. BeckOK BGB/Henrich/Dobberthien, 75. Ed. 1.8.2025, BGB § 187 Rn. 9; MüKoBGB/Grothe, 10. Aufl. 2025, BGB § 187 Rn. 8). Eine solche Natural-Berechnung ist hier aufgrund der nicht bekannten Uhrzeit der Zustellung jedoch nicht möglich. Eine „geltungserhaltende“ Auslegung der gesetzten 24-Stunden-Frist im Wege der sogenannten Zivilkomputation dahingehend, dass die Frist gemäß § 187 Abs. 1 BGB erst am 31. Mai 2025 um 0:00 Uhr begonnen hätte, kommt vorliegend nicht in Betracht. Dies wäre zum einen nicht mit dem Wortlaut des Bescheides vereinbar, der ausdrücklich auf den Vorgang bzw. Zeitpunkt der Zustellung abstellt. Zum anderen würde eine solche Auslegung auch dem objektiv erkennbaren Willen des Antragsgegners widersprechen, der offensichtlich davon ausging, dass die Frist bereits irgendwann im Tagesverlauf des 31. Mai 2025 und nicht erst am 31. Mai 2025 um 24:00 Uhr ablaufen würde. Anderenfalls hätte es nämlich nahegelegen, eine Formulierung wie „bis einen Tag nach Zustellung“ o.ä. zu verwenden. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben und dem Gebot der rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung kommt eine „geltungserhaltende“ Auslegung dahingehend, dass die gesetzte Frist jedenfalls spätestens am 31. Mai 2025 um 24:00 Uhr abgelaufen gewesen sein muss, nicht in Betracht. Ein nachvollziehbares Interesse der Behörde, die Fristsetzung – wie hier geschehen – nach vollen 24 Stunden statt nach vollen Tagen bzw. einem vollen Tag auszusprechen, ist nach der Verfahrenshistorie für das Gericht nicht ersichtlich. Umgekehrt muss die Antragstellerin die hiermit verbundene Unsicherheit, ob die Frist bereits im Tagesverlauf des 31. Mai 2025 abgelaufen und das Zwangsgeld damit fällig geworden ist oder ob bis zum 31. Mai 2025 um 24:00 Uhr noch erfolgreich Bemühungen zur Erfüllung der Verpflichtung unternommen werden können, nicht hinnehmen.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nrn. 1.5 Satz 1 und Nr. 1.7.2 Satz 1 und 1.7.2 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit., so dass im Eilverfahren die Hälfte der insgesamt angedrohten Zwangsgelder in Höhe von 6.000,00 Euro anzusetzen ist (vgl. auch BayVGH, B. v. 16.3.2017 – 9 C 17.324 – beckonline).