Titel:
Wohngeld, Missbräuchliche Inanspruchnahme, Erhebliches Vermögen, Schonvermögen, Inflationszuschlag (verneint), Allgemeiner Zuschlag wegen Alters oder Schwerbehinderung (verneint)
Normenketten:
WoGG § 1 Abs. 1
WoGG § 21 Nr. 3
Teil A Nr. 21.37 Abs. 1 WoGVwV
Teil A Nr. 21.36 S. 1 WoGVwV
Schlagworte:
Wohngeld, Missbräuchliche Inanspruchnahme, Erhebliches Vermögen, Schonvermögen, Inflationszuschlag (verneint), Allgemeiner Zuschlag wegen Alters oder Schwerbehinderung (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29087
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Wohngeld in Form des Mietzuschusses für den Zeitraum von 1. März 2023 bis 31. Dezember 2024.
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Der 1949 geborene, ledige Kläger bewohnt allein eine ca. 66 m² große Wohnung in der K. Straße 2, … …, für die er eine Gesamtmiete von 766 EUR, hiervon 71 EUR für Heizung und Warmwasser und 105 EUR sonstige Nebenkosten, bezahlt.
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In seinem Erstantrag vom 18. März 2023 gab der Kläger als Einnahmen seine Altersrente in Höhe von 1.277,38 EUR brutto/1.132,40 EUR netto an. Zudem gab er an, über ein Geldvermögen in Höhe von ca. 80.000 EUR als Sichteinlage auf seinem Girokonto zu verfügen sowie ein Auto (Mazda Demio, 1,5 l Benzin, Baujahr 2002), das er 2019 mit über 100.000 km gebraucht für 2.250 EUR erworben habe, zu besitzen.
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Die Deutsche Rentenversicherung ... teilte der Beklagten auf deren Anfrage hin unter dem 6. Juli 2023 mit, es lägen nicht mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten vor.
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Die Beklagte führte am 26. März 2024 eine intern gebliebene Bedarfsrechnung durch, wonach sich ohne Wohngeld bei 80-prozentigem Regelbedarfssatz eine Unterdeckung von 55,20 EUR ergebe.
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Mit Bescheid vom 10. Mai 2024 lehnte die Beklagte den Antrag auf Wohngeld für die Zeit ab dem 1. März 2023 ab, weil dieser aufgrund der Höhe des Vermögens des Klägers missbräuchlich im Sinne von § 21 Nr. 3 Wohngeldgesetz (WoGG) sei. Gemäß Nr. 21.37 Abs. 1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Wohngeldgesetzes (Wohngeld-Verwaltungsvorschrift – WoGVwV) sei in der Regel von erheblichem Vermögen i.S.v. § 21 Nr. 3 WoGG auszugehen, wenn das verwertbare Vermögen bei einem zu berücksichtigenden Haushaltsmitglied 60.000 EUR übersteige. Dies sei hier der Fall. Der Kläger habe ca. 80.000 EUR Geldvermögen, dieses sei verwertbar und die Verwertung ihm zumutbar.
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Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 20. Mai 2024 Widerspruch. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Januar 2011 – Az. 21 K 431.10 (juris) – aus, wegen der Inflation sei der Freibetrag anzupassen. Dies handhabe der Gesetzgeber auch bei anderen sozialhilferechtlichen Freibeträgen so, etwa bei § 20 Abs. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ausgehend von den Teuerungsraten, die das Statistische Bundesamt veröffentliche, ergebe sich für 2009 ein Freibetrag von rund 80.000 EUR. Für Steuerpflichtige, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten, sei wegen der Gesetzgebungsgeschichte von § 21 Nr. 3 WoGG sogar von einem Freibetrag in Höhe von 110.000 EUR auszugehen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2024 wies die Regierung von Unterfranken den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Gesetzgeber habe bei § 21 Nr. 3 WoGG darauf verzichtet, eine konkrete Wertgrenze zu statuieren. Stattdessen habe er den unbestimmten Rechtsbegriff „erhebliches Vermögen“ eingeführt. Dieser werde in Nr. 21.37 Abs. 1 WoGVwV ausgefüllt, was von der Rechtsprechung anerkannt werde, solange den dort genannten Größen nicht die Bedeutung einer starren Vermögensuntergrenze mit Bindungswirkung beigemessen werde. Hier sei es aber gerechtfertigt, sich an den vorgegebenen Summen zu orientieren. Der vom Kläger angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin, welcher das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 28. März 2013 – Az. OVG 6 B 4.11 (juris) – gefolgt sei, sei das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 18. April 2013 – Az. 5 C 21/12 (juris) – entgegengetreten und der Annahme eines „Inflationszuschlags“ nicht gefolgt.
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Hierauf erhob der Kläger am 7. August 2024 Klage (sinngemäß) mit dem Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Mai 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 2024 zu verpflichten, ihm ab 1. März 2023 Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Zur Begründung wiederholte er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Zudem werde das Problem des „Inflationszuschlags“ in dem von der Widerspruchsbehörde zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 18.4.2013, Az. 5 C 21/12, s.o.) gar nicht diskutiert. Seit dem Jahr 2009 seien die Lebenshaltungskosten weiter stark angestiegen, so dass ein weiteres Beharren auf der Freigrenze von 60.000 EUR eine grobe Verletzung des Sozialstaatsprinzips darstelle. Seit seiner Wohngeldantragstellung vor 15 Monaten sei sein Vermögen auf 68.500 EUR geschrumpft.
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Mit Schriftsatz vom 4. September 2024 beantragte die Beklagte,
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In der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2024 erklärte der Kläger, er habe am 31. Januar 2025 einen weiteren Antrag auf Wohngeld als Mietzuschuss für die Zeit ab 1. Januar 2025 gestellt. Sein Vermögen betrage inzwischen rund 56.000 EUR. Hiervon entnehme er rund 800 bis 1.000 EUR monatlich zur Deckung seiner Lebenshaltungskosten. Einen alters- oder gesundheitsbedingten Mehrbedarf sehe er für sich nicht. Er meinte schließlich, man könne wegen des Verbots des argumentums ex silentio aus der Untätigkeit des Wohngeldgesetzgebers im Hinblick auf den Begriff erheblichen Vermögens in § 21 Nr. 3 WoGG nicht schließen, dieser sei mit der Rechtslage und der Anwendungspraxis einverstanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2025 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2024 und der diesen Bescheid bestätigende Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 8. Juli 2024 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf Wohngeld in Form des Mietzuschusses für die Zeit von 1. März 2023 bis 31. Dezember 2024 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Die Beklagte hat die Ablehnung des Wohngeldantrags ausschließlich auf § 21 Nr. 3 WoGG gestützt, sodass allein streitentscheidend die Frage ist, ob der Kläger über erhebliches Vermögen im Sinne dieser Norm verfügt.
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1.1. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Ausfüllung sich die Beklagte an Teil A Nr. 21.37 Abs. 1 WoGVwV orientiert hat. An diese aufgrund von Art. 85 Abs. 2 GG von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Verwaltungsvorschrift, die der einheitlichen Rechtsanwendung im Wohngeldrecht dient, ist das Gericht nicht gebunden.
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Nach der insoweit gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist gegen die Festlegung eines Geldwertes durch Verwaltungsvorschrift nichts einzuwenden, solange es sich hierbei um einen Orientierungswert ohne starre Bindungswirkung handelt (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 5 C 21/12 – juris Rn. 14). Diesen Anforderungen genügt Teil A Nr. 21.37 Abs. 1 i.V.m. Nr. 21.36 Satz 1 WoGVwV. Nach Nr. 21.36 Satz 1 WoGVwV sollen „die Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls“ maßgeblich sein; Nr. 21.37 Abs. 1 WoGVwV sagt, erhebliches Vermögen im Sinne des § 21 Nr. 3 WoGG sei „in der Regel“ vorhanden, wenn die Summe des verwertbaren Vermögens die dort nachfolgend genannten Beträge übersteigt. Jedenfalls die Widerspruchsbehörde hat sich ausdrücklich mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Korrektur des Freibetrags im vorliegenden Einzelfall geboten erscheint (Seite 5 des Widerspruchsbescheids). Dass dies im Ablehnungsbescheid der Beklagten nicht ausdrücklich diskutiert wurde, erscheint plausibel, da der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt keine Umstände vorgetragen hatte, weshalb in seinem Fall andere Beträge herangezogen werden müssten.
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1.2. Obschon das Gericht an diesen Wert nicht gebunden ist, sieht es keine Veranlassung, einen anderen Wert heranzuziehen.
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1.2.1. Der Wert in Nr. 21.37 Abs. 1 Nr. 1 WoGVwV ist angelehnt an die frühere Regelung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 WoGG 1980, einer Vorgängernorm von § 21 Nr. 3 WoGG. Danach wurde kein Wohngeld gewährt, wenn ein zum Haushalt rechnendes Familienmitglied vermögenssteuerpflichtig war. Dies war gemäß § 6 Vermögenssteuergesetz (VStG) in seiner letzten Neufassung von 1993 (G.v. 23.6.1993 – BGBl I 1993 S. 944), geplantes Inkrafttreten zum 1.1.1995, der Fall bei einem Vermögen von 120.000 DM, bei zusammenveranlagten Ehegatten das Doppelte, für jedes im Haushalt lebende Kind 120.000 DM und 50.000 DM zusätzlich, wenn der Steuerpflichtige das 60. Lebensjahr vollendet hatte oder voraussichtlich mindestens für drei Jahre einen Grad der Behinderung von 100 hat. Der Verordnungsgeber hat dabei die 120.000 DM in 60.000 EUR umgerechnet und erkennt für jede weitere Person, ob Kind oder Ehegatte, einen Betrag von 30.000 EUR an. Einen Zuschlag wegen Alters oder Schwerbehinderung sieht die WoGVwV nicht ausdrücklich vor, verlangt aber, auf die Umstände des Einzelfalls abzuheben und die Summen nur als Orientierungsgrößen zu verstehen (s.o.).
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Soweit das Verwaltungsgericht Berlin in seiner früheren Rechtsprechung (VG Berlin, U.v. 18.1.2011 – 21 K 431.10 – juris Rn. 29) für eine Hochrechnung der Orientierungswerte in Nr. 21.37 Abs. 1 Nr. 1 WoGVwV auf Basis der Inflationsrate des Statistischen Bundesamts (damals auf 80.000 EUR) eintrat, ließ das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit offen, führte jedoch als obiter dictum aus, eine inflationsbedingte Hochrechnung erscheine sachgerecht (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 28.3.2012 – OVG 6 B 4.11 – juris Rn. 17). Das Bundesverwaltungsgericht ist dem weder entgegengetreten – wie die Beklagte und die Widerspruchsbehörde meinen – noch gefolgt (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 5 C 21/12 – juris Rn. 30f.). Es hat sich mit der Frage einer inflationsbedingten Hochrechnung der Freibeträge mangels Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall ausdrücklich nicht befasst und hierzu keine Stellung genommen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat an seiner Rechtsprechung weiter auch nicht festgehalten (VG Berlin, U.v. 24.1.2023 – 21 K 64/22 – juris Rn. 21; U.v. 10.12.2024 – 21 K 298/23 – juris Rn. 26). Weder das Bundesverwaltungsgericht noch der Gesetzgeber hätten die Hochrechnung aus dem Urteil vom 18. Januar 2011 – 21 K 431.10 (s.o.) – aufgegriffen, obgleich beide ausreichend Gelegenheit hierzu gehabt hätten. Insbesondere der Gesetzgeber habe seitdem das Wohngeldrecht wiederholt geändert, ohne an § 21 Nr. 3 WoGG oder dessen Ausfüllung durch die WoGVwV zu rütteln. Zudem habe der Gesetzgeber mit dem Bürgergeldgesetz vom 16. Dezember 2022 (Zwölftes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) – BGBl I S. 2328) erstmals eine ausdrückliche gesetzliche Regelung getroffen, wonach von erheblichem Vermögen auszugehen sei ab 40.000 EUR für den Antragsteller und 15.000 EUR für jede weitere Person (§ 12 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 SGB II). Das Wohngeld sei mittlerweile wie das Bürgergeld eine Leistung mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2019 – 5 C 2.18 – juris Rn. 36). Es könne daher kein Wille des Gesetzgebers in Richtung einer Anpassung des Grenzwerts nach oben erkannt werden.
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1.2.2. Historisch nimmt der Begriff des erheblichen Vermögens im Wohngeldgesetz seit 1970 Bezug auf die Freibeträge des Vermögensteuergesetzes. Die Absicht des Gesetzgebers lag seinerzeit in einer Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit, die darin gesehen wurde, Wohngeld künftig immer dann zu versagen, wenn der Antragsteller oder ein zu seinem Haushalt rechnendes Familienmitglied vermögenssteuerpflichtig ist (BT-Drs. 6/1116 S. 33). Insofern ist dem Kläger zuzugeben, dass sich die Freibeträge im Wohngeldrecht so lange automatisch miterhöht haben, solange das Vermögensteuergesetz in Kraft war (zuletzt geplant zum 1.1.1995 durch G.v. 23.6.1993 – BGBl I S. 944, s.o.). Allerdings blieb dem Wohngeldgesetzgeber das Schicksal des Vermögensteuergesetzes (BVerfG, B.v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91 – BStBl II S. 655) nicht verborgen. Er strich in der Nachfolgenorm § 18 Abs. 1 Nr. 6 WoGG 2000 den Verweis auf die Vermögensteuerpflichtigkeit aufgrund des Wegfalls dieses Tatbestands, wollte damit aber ausdrücklich keine Änderung der materiellen Rechtslage herbeiführen (BT-Drs. 14/1523 S. 186). Gleiches gilt für die Einführung der aktuellen Regelung in § 21 Nr. 3 Hs. 2 WoGG. In BT-Drs. 16/6543 S. 118 setzte sich der historische Gesetzgeber mit dem Problem auseinander, dass trotz Außerkrafttretens von § 6 VStG eine Inanspruchnahme von Wohngeld bei Vorhandensein von erheblichem Vermögen auch künftig ausgeschlossen sein sollte, und führt hierzu aus: „Der Hinweis auf die Freibeträge nach § 6 des Vermögensteuergesetzes, das bereits außer Kraft getreten ist, kann dann nicht mehr überzeugend herangezogen werden, insbesondere weil das Vermögen der antragstellenden Person für die Gewährung von Wohngeld grundsätzlich unberücksichtigt bleibt. Mit der Anfügung der „insbesondere“-Regelung wird klargestellt, dass erhebliches Vermögen ein Regelbeispiel für eine missbräuchliche Inanspruchnahme der staatlichen Leistung „Wohngeld“ ist. Sie dient damit der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und erleichtert der Verwaltungspraxis den Vollzug des Gesetzes, indem die Ablehnung wegen erheblichen Vermögens unter Hinweis auf die gesetzliche Regelung eine höhere Legitimität gegenüber der antragstellenden Person sowie der Judikative verschafft. Die Ablehnung des Wohngeldanspruchs wegen nicht unbeträchtlichen Vermögens entspricht auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Wohngeld dient der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Dieser Intention des Gesetzgebers entspricht, dass der antragstellenden Person zugemutet werden kann, die finanziellen Verpflichtungen aus Miete und Belastung aus einem vorhandenen erheblichen Vermögen zu bestreiten.“ Der Gesetzgeber brachte damit zum Ausdruck, dass der Bezug von Wohngeld bei Vorhandensein von erheblichem Vermögen auch weiterhin ausgeschlossen sein sollte. Er hat erkannt, dass er hierbei nicht mehr auf § 6 VStG verweisen konnte, da die Norm außer Kraft getreten war, hat es aber unterlassen, seinen Überlegungen einen anderen Betrag, als den in § 6 VStG genannten, beizufügen. Es kann hieraus nichts anderes geschlossen werden, als dass er den Freibetrag nicht erhöhen wollte.
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Diese Annahme wird weiter dadurch gestützt, dass der Wohngeldgesetzgeber gerade in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Änderungen am Wohngeldrecht vorgenommen hat, die allesamt zur Verbesserung der Rechtsstellung von Wohngeldempfängern beizutragen bestimmt waren. Insbesondere durch das Gesetz zur Erhöhung des Wohngeldes und zur Änderung anderer Vorschriften (Wohngeld-Plus-Gesetz) vom 5. Dezember 2022 (BGBl I S. 2160) wurde der Kreis der Wohngeldberechtigten erheblich ausgeweitet und das durchschnittliche Wohngeld deutlich erhöht. Hätte der Gesetzgeber an der bisherigen Auslegung des Begriffs „erhebliche Vermögen“ in § 21 Nr. 3 WoGG etwas ändern wollen, so wäre zu erwarten gewesen, dass er dies in diesem Zuge ebenfalls tut. Es hätte ihm freigestanden, den Begriff des erheblichen Vermögens in § 21 Nr. 3 WoGG legal zu definieren und in konkreten Zahlen zu bemessen. Hierbei hätte der Gesetzgeber das Problem der Inflation – das er bei der Erhöhung des Wohngeldanspruchs erkannt hat – sogar für die Zukunft mit Hilfe einer dynamischen, auf einen amtlichen Index abhebenden Gleitklausel beheben können. Schließlich hätte er zusätzliche Freibeträge für verschiedene Lebensphasen oder -umstände, etwa das Alter oder einen bestimmten Grad der Behinderung, festlegen können, wie der Kläger dies befürwortet. Auch wenn aus einem bloßen Schweigen oder Nichthandeln grundsätzlich keine Willensbekundung abgeleitet werden kann, ist in diesem Fall doch festzustellen, dass der Gesetzgeber, obwohl er das Problem der Geldentwertung kennt und nicht zuletzt deshalb umfangreiche Anpassungen des Wohngeldrechts vornimmt, die aus Sicht der Wohngeldempfänger eine deutliche Verbesserung darstellen, und obwohl ihm aus der jüngeren Rechtsprechung heraus bekannt ist, dass es eine rechtswissenschaftliche Diskussion um die Freibeträge, die in der Praxis bei § 21 Nr. 3 WoGG Anwendung finden, gibt, diese nicht angepasst hat.
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Aus dieser längerfristigen und jüngeren Genese der aktuellen Rechtslage kann aus Sicht des Gerichts nichts anderes geschlossen werden, als dass es eben keinen gesetzgeberischen Willen zu einer Anpassung dieser Freibeträge gab, zumal der Gesetzgeber seinen Willen, eine bestehende Rechtslage nicht zu ändern, stets nur durch schlichtes Nichthandeln ausdrückt und nicht durch einen Beschluss, mit dem er feststellt, er wolle die Rechtslage beibehalten. Entgegen der Meinung des Klägers ist das argumentum ex silentio hier kein unzulässiges Scheinargument, weil aus dem dargestellten Gesamtzusammenhang heraus eine (anderweitige) Willensbekundung des Gesetzgebers sicher zu erwarten gewesen wäre.
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1.2.3. Dieses Verständnis des Begriffs „erheblichen Vermögens“ im wohngeldrechtlichen Sinne ergibt sich nach Auffassung des Gerichts auch aus § 1 Abs. 1 WoGG selbst. Hiernach soll Wohngeld der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens dienen. „Erhebliches Vermögen“ gemäß § 21 Nr. 3 WoGG kann in diesem Lichte nur ein Vermögen sein, das so groß ist, dass eine Wohngeldgewährung zur Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens nicht mehr notwendig ist, sondern – da es sich beim Wohngeld um öffentliche Mittel handelt, die von den anderen Mitgliedern der Gesellschaft erwirtschaftet werden müssen – unbillig wäre. Aus diesem Grund scheint zwar einerseits ein Rückgriff auf die bürgergeldrechtliche Regelung zu Vermögensgrenzen (vgl. hierzu VG Berlin, U.v. 24.1.2023 – 21 K 64/22 – juris Rn. 21; U.v. 10.12.2024 – 21 K 298/23 – juris Rn. 26) als zu gering, da jemand, der Erwerbseinkommen hat und zusätzlich Wohngeld bezieht, auch im Hinblick auf sein Schonvermögen besser stehen muss als ein Bürgergeldbezieher. Ein inflationsbereinigter Freibetrag von ca. 108.000 EUR, der sich ergibt, wenn man die Kaufkraft des Freibetrags von 120.000 DM im Jahr 1993 als letzter gesetzlicher Regelung des § 6 VStG in EUR umrechnet und auf das Jahr 2024 als letztem Jahr, für das hierzu statistische Daten vorliegen, hochrechnet (Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex: Deutschland, Jahre 1991 bis 2024, Code: 61111-0001, abgerufen unter https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/61111/table/61111-0001, zuletzt am 7.10.2025), steht aber nach dem heutigen Verständnis und der heutigen Rechtslage im Wohngeldrecht als Leistung mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2019 – 5 C 2.18 – juris Rn. 36) einem Wohngeldbezug als unbillig im Weg. Aus dieser Summe kann selbst bei risikoloser Anlage und ohne Kapitalverzehr eine nicht unerhebliche Summe an Kapitalerträgen erwirtschaftet werden, die eine Inanspruchnahme einer Sozialleistung unbillig erscheinen lässt. Abschließend berücksichtigt das Gericht, dass nach den Erhebungen der Deutschen Bundesbank der Median der Nettovermögen in Deutschland 2023 bei nominal 103.200 EUR lag (Deutsche Bundesbank, Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2023, Monatsbericht – April 2025, Schaubild 2.1 mit Textteil 1, veröffentlicht am 10.4.2025, zuletzt abgerufen unter https://publikationen.bundesbank.de/publikationen-de/berichte-studien/monatsberichte/monatsbericht-april-2025-954594?article=vermoegen-und-finanzen-privater-haushalte-in-deutschland-ergebnisse-der-vermoegensbefragung-2023 -954598 am 8.10.2025). Würde man also den hochgerechneten, inflationsbereinigten Betrag von 108.000 EUR (s.o.) als wohngeldrechtlichen Freibetrag anerkennen, so würde eine Sozialleistung zumindest auch an die wohlhabendere Hälfte der Bevölkerung ausgekehrt. Dies kann vor dem Hintergrund, dass Sozialleistungen von der breiten Masse der Bevölkerung erwirtschaftet und sodann einigen wenigen zur Verfügung gestellt werden sollen, kein auf Dauer tragfähiger Zustand sein und liegt dem gesetzgeberischen Nichthandeln (s.o.) womöglich ökonomisch zu Grunde.
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1.3. Schließlich erscheint eine Abweichung von den Orientierungswerten in Teil A Nr. 21.37 Abs. 1 Nr. 1 WoGVwV auch im Einzelfall nicht angezeigt, da der Kläger weder im Verfahren noch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung einen individuellen Mehrbedarf für seine Lebensführung geltend gemacht hat. Das Gericht schließt sich insoweit nicht – wie vom Kläger begehrt – der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen an, welches die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin versteht, die weitergeltenden Wertungen aus § 6 VStG a.F. erforderten die Berücksichtigung eines Zuschlags von 50.000 DM umgerechnet in Euro bei Alter oder Schwerbehinderung. Zwar ist zuzugeben, dass Ältere keine (so leichten) Möglichkeiten mehr haben, Vermögen (wieder) aufzubauen. Jedoch entspricht es gerade dem Regelfall, ein zum Zweck der Altersversorgung angespartes Vermögen im Alter nach und nach zu verbrauchen. Gerade zu diesem Zweck wurde es angespart. Soweit individuelle Umstände die Anerkennung eines höheren Freibetrags gebieten, ist dies schon nach dem Wortlaut von Teil A Nr. 21.37 Abs. 1 i.V.m. Nr. 21.36 Satz 1 WoGVwV zu berücksichtigen (s.o.).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wobei Gerichtskosten nicht erhoben werden (§ 188 Satz 2 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.