Inhalt

LG München I, Endurteil v. 27.05.2025 – 16 HK O 6067/25
Titel:

einstweiliger Rechtsschutz, Verfügungsanspruch, Verfügungsgrund, Dringlichkeit, Selbstwiderlegung, Abberufung, Berufung

Schlagworte:
einstweiliger Rechtsschutz, Verfügungsanspruch, Verfügungsgrund, Dringlichkeit, Selbstwiderlegung, Abberufung, Berufung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 27.10.2025 – 7 U 1723/25 e
Fundstelle:
BeckRS 2025, 29077

Tenor

I. Die einstweilige Verfügung vom 13.05.2025 wird aufgehoben und die Anträge der Antragstellerinnen werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfügungsverfahrens einschließlich der Kosten, die durch die Hinterlegung der Schutzschrift entstanden sind, tragen die Antragstellerinnen.

Tatbestand

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Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits sind unmittelbar oder mittelbar verbunden über Geschäftsbeziehungen in der bestehenden …. Diese ist führend auf dem Gebiet der Leukämieerforschung und -behandlung. Die Antragstellerin zu 2) sowie die beiden Antragsgegner sind die persönlichen Köpfe der …, die diese aufgebaut und durch ihren Einsatz entscheidend zum Erfolg geführt haben. Die Unternehmensgruppe besteht aus insgesamt 4 Gesellschaften: der Antragstellerin zu 1), …, der … und der …. Die 3 Geschäftspartner (Antragstellerin zu 2 und die beiden Antragsgegner) arbeiteten im April 2024 ein gemeinsames Konzept zur Planung der Zukunftsfähigkeit der Unternehmensgruppe (auch ohne die Beteiligung der 3 Gründungspartner) aus. Im Zuge dieses Prozesses kam es zu einem Zerwürfnis der 3 Geschäftspartner; hierbei zwischen der Antragstellerin zu 1) auf der einen Seite und den beiden Antragsgegnern auf der anderen Seite. Im Zuge dessen wurde das Landgericht München II im letzten halben Jahr mit zahlreichen Rechtsstreitigkeiten der Unternehmensgruppe befasst.
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Kern des hiesigen Rechtsstreites ist eine Gesellschafterversammlung am 27.03.2025, in der nach Auffassung der Antragstellerinnen die beiden Antragsgegner von der Geschäftsführung der Antragstellerin zu 1) wirksam abberufen worden sind. Die Antragsgegner hingegen sind der Auffassung weiterhin – auf Grund der Unwirksamkeit der Abberufung – an der Geschäftsführung der Antragstellerin zu 1) beteiligt zu sein. Die gesellschaftliche Beteiligung der Antragsstellerin zu 2) und der Antragsgegner an der Antragstellerin zu 1) ist dergestalt ausgeformt, dass 2/3 den Antragsgegnern zustehen, und 1/3 der Antragstellerin zu 1).
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Die Antragstellerinnen sind der Meinung, dass in der Gesellschafterversammlung vom 27.03.2025 eine wirksame Abberufung der Antragsgegner von der Geschäftsführung der Antragstellerin zu 1) erfolgte. Die Antragstellerinnen sind insofern der Auffassung, dass die Antragsgegner von vornherein bei den Abstimmungen kein Stimmrecht hatten, da mit Bezug auf die zugrundeliegenden Gesellschaftsverträge das Vorliegen wichtiger Gründe in den Personen der Antragsgegner gegeben war. Insofern besaßen diese kein Stimmrecht nach Auffassung der Antragstellerinnen und wurde wirksam von der Geschäftsführung abberufen. Wegen der Einzelheiten des umfangreichen Sachvortrages der Parteien wird auf die jeweiligen Schriftsätze verwiesen. Hierbei ist zwischen den Parteien nicht nur die Frage der materiellen Berechtigung der Abberufung, sondern auch der formellen Berechtigung der Abberufung inkl. des Ablaufes der Gesellschafterversammlung vom 27.03.2025 streitig.
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Nach Auffassung der Antragsgegner wurden diese nicht wirksam im Rahmen der Gesellschafterversammlung vom 27.03.2025 von der Geschäftsführung abberufen und entfalteten deshalb – nach ihrer Auffassung zu Recht – weiterhin auch nach dem 27.03.2025 Tätigkeiten im Rahmen der Geschäftsführung der Antragstellerin zu 1).
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Mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 12.05.2025 begehren die Antragstellerinnen eine sofortige Untersagung der von den Antragsgegner entfalteten Geschäftsführertätigkeiten sowie weitere inhaltlich damit zusammenhängende Anträge auf Ermöglichung einer reibungslosen alleinigen Geschäftsführung durch die Antragstellerin zu 2). Auf die konkreten Anträge der Antragstellerinnen im Schriftsatz vom 12.05.2025 (Bl. 2/3 d.A.) wird insofern in vollem Umfang Bezug genommen.
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Der am 13.05.2025 eingegangene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde dem zuständigen Richter mit dem Vermerk vorgelegt, dass keine Schutzschrift bestehe (vgl. Bl. 1 d.A.). Der Vorsitzende Richter der 16. Handelskammer hat daraufhin am 13.05.2025 ohne mündliche Verhandlung wegen Dringlichkeit gemäß § 937 II ZPO den Anträgen im Rahmen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung in vollem Umfang stattgegeben (vgl. Bl. 120 ff. d.A.). Hiergegen haben die Antragsgegner mit Schriftsatz vom 14.05.2025 (Bl. 127 ff. d.A.) wirksam Widerspruch eingelegt und auf das Vorlegen einer bereits am 27.03.2025 hinterlegten Schutzschrift verwiesen (vgl. Bl. 128 d.A.). Hierdurch gelangten dem entscheidenden Richter erstmal am 14.05.2025 das Vorliegen einer Schutzschrift im vorliegenden Fall zur Kenntnis.
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Das Gericht hat sodann mit Beschluss vom 14.05.2025 die Vollziehung der einstweiligen Verfügung einstweilen bis zur Entscheidung über den Widerspruch eingestellt (vgl. 208 ff. d.A.). Es wurde sodann unmittelbar Verhandlung über den Widerspruch für den 27.05.2025 anberaumt.
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Die Antragstellerinnen beantragt zuletzt zu erkennen:
I. Die einstweilige Verfügung vom 13.05.2025 bleibt aufrechterhalten mit der Maßgabe der Konkrektisierung des Datums der Abberufung der Antragsgegner in Ziffern 1./2. (27.3.2025).
II. Die Verfügungsbeklagten tragen die weiteren Kosten des Verfahrens.
III. Der Beschluss über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung des Landgerichts München I vom 14.05.2025 ist hiermit aufgehoben.
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Die Verfügungsbeklagten beantragen zuletzt zu erkennen:
I. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 13.05.2025 wird aufgehoben und die Anträge der Antragstellerinnen werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfügungsverfahrens einschließlich der Kosten, die durch die Hinterlegung der Schutzschrift entstanden sind, tragen die Antragstellerinnen.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen.

Entscheidungsgründe

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Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hin auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen; dies führte zu ihrer Aufhebung und zur Zurückweisung der Anträge der Verfügungsklägerinnen:
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Gemäß §§ 935, 940 ZPO dürfen die vorliegenden Regelungen im einstweiligen Rechtsschutz nur zu Gunsten der Verfügungsklägerinnen getroffen werden, wenn sowohl ein sogenannter Verfügungsanspruch (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 44. Auflage, u. § 935 Rn. 5) als auch ein Verfügungsgrund (vgl. Thomas/Putzo a.a.O. Rn. 6) vorliegen.
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Nach Anhörung der Verfügungsbeklagten, Berücksichtigung der Schutzschrift und aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung vom 27.05.2025 heraus steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass im vorliegenden Fall – unabhängig von der Frage des Bestehens des Verfügungsanspruchs – kein Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO im vorliegenden Verfahren vorliegt:
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Im Hinblick auf die gravierenden Vorteile die eine schnelle Titel-Erlangung im einstweiligen Rechtsschutz nach sich ziehen kann (unter Zurückstellung des Klageweges) sind besonders hohe Anforderungen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes zu stellen:
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Insbesondere muss ein besonders dringliches Bedürfnis zur vorläufigen Untersagung der Geschäftsführung und Vertretung der Antragstellerin zu 1) durch die Verfügungsbeklagten dargetan werden:
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Hierbei müssen sozusagen irreversible Beschädigungen zu befürchten sein, sofern nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Maßnahmen getroffen werden:
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Nach Auffassung des Gerichts liegen diese Voraussetzungen aus mehreren Gründen im vorliegenden Fall nicht vor:
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1. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die zwischen den Parteien streitige Abberufung der Verfügungskläger bereits in einer Gesellschafterversammlung vom 27.03.2025 stattfand und die Verfügungsbeklagten bereits unmittelbar im Anschluss und auch im Rahmen der Gesellschafterversammlung klargestellt haben, dass nach ihrer Auffassung weiterhin eine Berichtigung ihrerseits zur Geschäftsführung besteht und auch vor dem Hintergrund, dass sie diese in unmittelbarer Folge auch weiter ausgeführt haben, liegt ein sogenannter Fall der „Selbstwiderlegung der Dringlichkeit“ vor, die den sogenannten Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935/940 ZPO nach ganz herrschender Meinung tatbestandlich entfallen lässt:
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Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit kommt dann in Betracht, wenn die Antragstellerpartei in Kenntnis aller Umstände zu lange Zeit mit der Stellung des Verfügungsantrages zuwartet (vgl. Zöller, ZPO, 35. Auflage, § 935 Rn. 12 mit weiteren Nachweisen). Für das (dringlichkeitsschädliche Verhalten) gibt es zwar keine feste Frist, welche von der Rechtsprechung für alle Fälle unabänderlich anerkannt ist, jedoch geht die Tendenz dahin, dass das Zuwarten von über einem Monat in der Regel dringlichkeitsschädlich ist:
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Im vorliegenden Fall ist auch die streitgegenständliche Gesellschafterversammlung am 27.03.2025 und das auch danach entfaltete Geschäftsführerverhalten der Verfügungsbeklagten abzustellen. Aus dem gesamten Akteninhalt ersichtlich und zwischen den Parteien unstreitig haben die Verfügungsbeklagten von vornherein geltend gemacht, nach ihrer Auffassung nicht wirksam von der Geschäftsführung abberufen worden zu sein und haben entsprechend dieser Rechtsansicht sofort auch weitere Tätigkeiten im Rahmen der Geschäftsführung entfaltete. Auch zeigt der Umstand, dass bereits am 27.03.2025 eine Schutzschrift gegen die hiesigen Verfügungsanträge hinterlegt worden ist, das zwischen den Parteien von vornherein Streit über die Frage der Berechtigung zur Geschäftsführung bestand.
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Die von den Verfügungsklägerinnen im Rahmen der Verfügungsanträge vom 12.05.2025 monierten Handlungen der Antragsgegner waren aktenkundig der den Verfügungsklägerinnen bereits seit jedenfalls über einem Monat bekannt. Vor diesem Hintergrund wäre die Beantragung des Erlasses einer einstweiligen Verfügung durch die Verfügungsklägerinnen schon seit langer Zeit geboten gewesen, um das Vorliegen einer besonderen Dringlichkeit zu unterstreichen.
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Das Gericht übersieht hierbei nicht, dass ein Güteversuch, wie er am 8.4.25 stattgefunden und nachfolgend außergerichtlich fortgeführt wurde, grundsätzlich nicht „dringlichkeitsschädlich“ ist.
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Gleichwohl war zu berücksichtigen, dass vor dem entscheidenden Richter im Gerichtstermin am 8.4.25 klägerseits auf die Notwendigkeit der Wahrung anderweitiger Fristen (Anfechtung von Gesellschaftsbeschlüssen) vorsorglich hingewiesen und deren Einhaltung angekündigt wurde, nicht jedoch zumindest eine kurze Erwähnung bzgl. einer im hiesigen Verfahren beabsichtigen Antragsstellung erfolgte. Dies wäre nach Ansicht des Gerichts geboten gewesen.
24
2. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerinnen können sich diese im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht auf den von der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz berufen, dass das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 38 II GmbH-Gesetz zugleich die Dringlichkeit einer einstweiligen Regelung indiziere (vgl. hierzu BGHZ 86, 177, 183 sowie OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 1505). Dies deshalb, da im vorliegenden Rechtsstreit die Sonderkonstellation vorliegt, dass beide Parteien davon ausgehen, dass jeweils bei der anderen Seite schwerwiegende Entlassungsgründe im Sinne von § 38 II GmbH-Gesetz gegeben sind (wenn auch in z.T.: unterschiedlichen Gesellschaften der …):
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Aus Gründe der Waffengleichheit kann sich somit nicht einseitig die Verfügungsklägerseite auf diese Rechtsprechung berufen. Der einstweilige Rechtsschutz stellt sich unter diesem Gesichtspunkt nicht als probates Mittel zur Herbeiführung eines Zustandes da, der das (allgemein anerkannte) Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache berücksichtigt.
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3. Gleiches gilt für die Annahme einer Dringlichkeit auf Grund der Rechtsscheinwirkung des § 15 HGB (vgl. hierzu BGH NJW 1983, 938, 939). Auch hier kann die Verfügungsbeklagtenseite in gleicher Weise wie die Verfügungsklägerseite die Gefahr einer falschen Rechtsscheinwirkung nach § 15 HGB für sich ins Feld führen. Insofern sind auch die Verfügungsbeklagten der Auffassung, dass wichtige Gründe in der Person der Verfügungsklägerin zu 2) für die Nichtfortführung derer Geschäftsführertätigkeit gegeben ist.
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4. Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass seitens des Gerichts auch Bedenken gegen die vorläufige Wirksamkeit der Abberufungsbeschlüsse der Antragsgegner bestehen auf Grund des ausgeübten Widerspruchsrechtes nach § 5 Ziff. 16 S. 2 der Satzung der Antragstellerin zu 1). Die Holding Gesellschaften der Antragsgegner haben gemäß § 5 Ziff. 16 der Satzung der Antragstellerin zu 1) (vgl. Anlagenkonvolut ASt 11) Widersprüche ausgeübt. Im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 22.01.2025 bestehen insofern Bedenken gegen die vorläufige Wirksamkeit der Abberufung der Antragsgegner. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend, da bereits aus dem oben ausgeführten Gesichtspunkten heraus (vgl. Ziff. 1-4) zur Überzeugung des Gerichts kein Verfügungsgrund im Sinne der § 935, 940 ZPO gegeben ist.
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Die einstweilige Verfügung vom 13.05.2025 war deshalb auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hin aufzuheben und die Anträge der Verfügungsklägerinnen insgesamt abzuweisen.
29
Gemäß § 91 ZPO hatten konsequenterweise die Verfügungsklägerinnen die Kosten des Rechtsstreits inklusive der durch die Hinterlegung der Schutzschutz entstandenen Kosten zu tragen.
30
Die Entscheidung ist gemäß § 708 Nr. 6 ZPO ohne gesonderten Ausspruch vorläufig vollstreckbar.