Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.02.2025 – 24 CS 24.2030
Titel:

Unzuverlässigkeitsprognose, „reichsbürgertypische“ Ansichten, Einstellungen und Denkmuster, Vorliegen von Tatsachen, Beweislast, Einschätzung durch andere Behörden („Reichsbürger“), Verwertung von Äußerungen der älteren Vergangenheit, pensionierter Lehrer

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
WaffG § 5
WaffG § 45
Schlagworte:
Unzuverlässigkeitsprognose, „reichsbürgertypische“ Ansichten, Einstellungen und Denkmuster, Vorliegen von Tatsachen, Beweislast, Einschätzung durch andere Behörden („Reichsbürger“), Verwertung von Äußerungen der älteren Vergangenheit, pensionierter Lehrer
Vorinstanz:
VG Regensburg, Entscheidung vom 27.11.2024 – RN 4 S 24.2245
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2861

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Aufhebung der Nummer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. November 2024 – RN 4 S 24.2245 – wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 14.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse.
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Der Antragsteller ist Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse in Form von Waffenbesitzkarten und eines Kleinen Waffenscheins. Er verfügte außerdem über zwei Feuerwaffenpässe und eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis. In den Jahren 2016 bis 2019 und erneut 2024 hat er sich gegenüber verschiedenen öffentlichen Stellen in einer Weise geäußert, die die Polizei und schließlich – anlässlich eines Antrags auf Verlängerung seiner sprengstoffrechtlichen Erlaubnis – auch das Landratsamt … … … … als zuständige Waffenbehörde zur Annahme veranlasst haben, der Antragsteller sei als „Reichsbürger“ anzusehen.
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Mit Schreiben vom 8. Juli 2022 hat das Landratsamt deshalb den Antragsteller zu einem beabsichtigten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse angehört. Nach Eingang einer Äußerung wies das Landratsamt im September 2022 darauf hin, dass sich eine weitere Bearbeitung urlaubsbedingt verzögern werde.
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Am 2. Februar 2024 wurde der Antragsteller im Rahmen einer turnusmäßigen Überprüfung hinsichtlich seiner etwaigen weiteren Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ durch die Kriminalpolizei telefonisch befragt und erneut als „Reichsbürger“ eingestuft. Daraufhin widerrief nach nochmaliger Anhörung das Landratsamt mit Bescheid vom 30. August 2024 die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers (Nr. 1), lehnte seinen Antrag auf Verlängerung seiner sprengstoffrechtlichen Erlaubnis ab (Nr. 2), verpflichtete ihn, die Waffenbesitzkarten, den Kleinen Waffenschein und die europäischen Feuerwaffenpässe zurückzugeben (Nrn. 3, 4) sowie seine Waffen und die Munition nach näheren Vorgaben dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen (Nr. 5). Des Weiteren wurde die sofortige Vollziehung der Nummern 3 und 5 angeordnet (Nr. 6) und Zwangsgelder angedroht (Nrn. 7, 8). Das Landratsamt begründete seinen Bescheid damit, dass wegen des bisherigen Verhaltens des Antragstellers und seiner Einstufung als „Reichsbürger“ von seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit auszugehen sei.
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Der Antragsteller hat hiergegen am 23. September 2024 Klage (Az.: RN 4 K 24.2244) erhoben, über die nach Aktenlage noch nicht entschieden ist, und gleichzeitig einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Das Gericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 27. November 2024 – RN 4 S 24.2245 – wegen fehlender Zuverlässigkeit abgelehnt; beim Antragsteller lägen Umstände vor, die auf eine ideologische Nähe bzw. Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ schließen ließen.
6
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er beantragt,
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unter Abänderung des Beschlusses die Waffenbehörde des Antragsgegners anzuweisen, die [näher bezeichneten] Waffenbesitzkarten an den Antragsteller herauszugeben, und deren Nutzung beim Waffenbesitz vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu dulden, hilfsweise, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nummer 1 des angegriffenen Bescheides anzuordnen und gegen dessen Nummern 3 und 5 wiederherzustellen.
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung in formeller Hinsicht nicht den Begründungsanforderungen genüge. In materieller Hinsicht sei der Bescheid rechtswidrig, weil alleine aus dem Umstand, dass er nach polizeilicher Wertung dem Kreis der „Reichsbürger“ zuzuordnen sei, keine Prognose zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit getroffen werden könne; mit „Reichsbürger“ werde keine klar organisierten oder hinreichend strukturierte Personengruppe umschrieben. Seine daher maßgeblichen persönlichen Lebensumstände seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er sei als pensionierter …lehrer, langjähriger Sportschütze und erfahrener (Schützen-)Vereinsvorstand, vormaliges Mitglied eines … sowie Schießleiter im Umgang mit Waffen und den bestehenden Sicherheitsanforderungen bestens vertraut. Er habe in weit überdurchschnittlicher Weise über Jahrzehnte hinweg beständig Sicherheit im Umgang mit Schusswaffen gelernt, praktiziert und bei anderen überwacht. Wegen eines vereinsinternen Streits sei er 2016 von einem anderen Mitglied des Vereinsvorstands als „Reichsbürger“ diffamiert worden. Sein weit gestreutes Engagement, auch bei der Feuerwehr und im Naturschutz, belege seine Einbindung in Staat und Gesellschaft. Er sei nicht in eine „Szene“ hinein vernetzt, er gehöre keiner irgendwie gearteten Gruppierung von „Reichsbürgern“ an und agitiere nicht. Er habe nur verschiedene Dinge hinterfragt und sich dabei zum Teil aufgrund von fehlinterpretierten oder irreführenden Informationen aus dem Internet manchmal unsachlich geäußert.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen,
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und verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
A.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Die Prognose des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden (I.). Außerdem überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (II.).
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I. Der Antragsteller wendet sich im Kern seiner Beschwerde gegen die Annahme seiner Unzuverlässigkeit. Mit seinen erhobenen Rügen dringt er nicht durch.
15
1. Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes (WaffG) i.d.F. d. Bek. vom 11. Oktober 2002 (BGBl I S. 3970), vor Erlass des Bescheids zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 WaffG insbesondere der Fall, wenn sich der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses als unzuverlässig im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erweist.
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a) Die Zuverlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich prospektiv ausgerichtet und verlangt die Vornahme einer Prognose. Für diese ist insbesondere entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das nach § 5 WaffG prognoserelevante Verhalten begehen wird. Es bedarf keiner Gewissheit, sondern nur einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Im Rahmen der Prognose ist das Verhalten der Person in der Vergangenheit zu berücksichtigen; daneben ist aber auch jeder andere Umstand, der beurteilungsrelevant sein kann, mit einzubeziehen (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.495 – Rn. 21 f.; s. a. VGH BW, B.v. 19.3.2024 – 6 S 1171/23 – juris Rn. 7; VGH, B.v. 22.2.2024 – 6 S 221/24 – juris Rn. 16 f.).
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b) Ist auf Basis von Tatsachen die Annahme gerechtfertigt, dass eine Person „Reichsbürger“ bzw. der „Reichsbürgerszene“ zuzuordnen ist, so ist grundsätzlich zugleich die Annahme gerechtfertigt, dass diese Person als Erlaubnisinhaber insbesondere i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 11.8.2022 – 24 B 20.1363 – juris Rn. 17 ff.; B.v. 20.12.2021 – 24 ZB 20.1386 – juris Rn. 15; B.v. 8.12.2021 – 24 ZB 20.1495 – juris Rn. 13; VG Augsburg, GB v. 2.7.2024 – Au 8 K 22.1527 – juris Rn. 34 ff.; für § 41 Abs. 1 WaffG vgl. BayVGH, U.v. 23.9.2024 – 24 B 23.2139 – juris Rn. 24 f.).
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Es kommt hierfür nicht auf eine persönliche und konkrete organisatorische Verbindung des betroffenen Erlaubnisinhabers in eine „Reichsbürgerszene“ oder „Reichsbürgerbewegung“ hinein an. Mit „Reichsbürger“ bzw. der Nähe oder Zuordnung zur so bezeichneten Szene oder Bewegung wird das Vorliegen und Offenbaren von spezifischen Ansichten, Einstellungen und Denkmustern des Erlaubnisinhabers auf den Begriff gebracht, die – als Tatsachen – die Annahme rechtfertigen, dass er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die einschlägigen waffenrechtlichen Vorschriften namentlich in Situationen nicht einhalten wird, in denen er sich ungerecht oder rechtswidrig behandelt fühlt und gerade mit den staatlichen Autoritäten konfrontiert wird, deren Legitimation er schon dem Grunde nach nicht anerkennt.
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Ansichten, Einstellungen und Denkmuster im vorgenannten Sinne liegen typischerweise vor, wenn der Erlaubnisinhaber einen Staatsangehörigkeitsausweis beispielsweise unter Bezugnahme auf einen Bundesstaat des Deutschen Reiches oder des „RuStAG 1913“ beantragt, anderweitig die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bezweifelt, indem er etwa meint, Deutschland befinde sich noch immer im Krieg und sei mangels Friedensvertrags nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer besetzt, oder der Ansicht ist, dass die Bundesrepublik oder zumindest einzelne Behörden nur jeweils eine Firma seien, bei Streit mit Behörden lediglich privatrechtliche Regelungen gelten würden oder annimmt, dass das Deutsche Reich der letzte rechtmäßige Staat der Deutschen gewesen sei, dessen Handlungsfähigkeit durch „Austritt“ aus der Bundesrepublik oder durch das Erklären „individueller Souveränität“ wiederhergestellt werden müsse und könne (vgl. zu den unterschiedlichen Ausdrucksformen der heterogenen „Szene“ Caspar/Neubauer LKV 2024, 381 ff.; Rathje, APuZ 35-36/2021, 34 ff.).
20
Ob eine Person hiernach eine – ausreichend verfestigte – „Reichsbürger-Haltung“ zum Ausdruck gebracht hat und deshalb als waffenrechtlich unzuverlässig angesehen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Gerade weil die „Reichsbürgerbewegung“ sehr heterogen ist und keine klar organisierte oder hinreichend strukturierte Personengruppe darstellt, kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seinen prozessualen und außerprozessualen Verhaltensweisen und Einlassungen an (vgl. VGH, B.v. 22.2.2024 – 6 S 221/24 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 11.8.2022 – 24 B 20.1363 – juris Rn. 19; U. v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 15 f.).
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c) Die Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG muss ausweislich des Wortlauts auf Tatsachen beruhen, von deren Vorliegen die Waffenbehörde überzeugt ist bzw. sein darf.
22
aa) Einschlägige „reichsbürgertypische“ Äußerungen oder Verhaltensweisen des Erlaubnisinhabers bilden solche Tatsachen. Ihr Vorliegen muss aber nachgewiesen sein; bloße Gerüchte, Vermutungen oder vagen Anhaltspunkte genügen nicht (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 14 a.E.). Das für die Waffenbehörde maßgebliche Beweismaß ist das der Überzeugung. Weder ist absolute Gewissheit erforderlich noch die für eine gedachte strafrechtliche Verurteilung notwendige Überzeugungsgewissheit. Notwendig ist aber, dass die Umstände so erhärtet sind, dass an ihrem Vorliegen vernünftigerweise kein Zweifel besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 20 f. m.w.N.).
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bb) Vor diesem Hintergrund genügt eine polizei- oder verfassungsschutzbehördliche Einschätzung, dass ein Erlaubnisinhaber der „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist, für sich genommen nicht. Erst wenn nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Tatsachen – insbesondere aufgrund welcher schriftlicher oder mündlicher Äußerungen – es zu jener behördlichen Annahme gekommen ist, kann hierin eine Tatsache i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG liegen (vgl. VGH BW, B.v. 19.3.2024 – 6 S 1171/23 – Rn. 10; BayVGH, B.v. 30.1.2024 – 24 CS 23.1872 – juris Rn. 14; für die Aussage eines „Belastungszeugen“ BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 33 ff.).
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cc) In zeitlicher Hinsicht dürfen für die erforderliche Prognose als Tatsachen grundsätzlich alle inhaltlich relevanten Äußerungen oder Verhaltensweisen herangezogen werden. Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der waffenrechtlichen Prognosevorschrift besteht eine strikte zeitliche Grenze. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob durch eine Phase der „Unauffälligkeit“ eine Zäsurwirkung hinsichtlich einschlägiger Äußerungen und Verhaltensweise der älteren Vergangenheit eintritt oder ob diese – im Zusammenspiel mit aktuellen Auffälligkeiten – insgesamt Beleg für die Kontinuität der Haltung des Erlaubnisinhabers ist (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2022 – 24 B 22.317 – juris Rn. 23).
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2. Hinsichtlich des Antragstellers liegen ausreichend nachgewiesene Äußerungen vor, die in ihrer Gesamtschau die Annahme einer ausreichend verfestigten „Reichsbürger-Haltung“ und damit von waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigen (a). Die vom Antragsteller in seiner Beschwerde vorgetragenen Argumente sind nicht geeignet, diese Annahme in Frage zu stellen (b).
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a) Der Antragsteller hat umfassend und nachhaltig in der oben beschriebenen reichsbürgertypischen Argumentationsform die Verbindlichkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Legitimität öffentlicher Stellen in Abrede gestellt.
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aa) Die einschlägigen Aussagen des Antragstellers – zu ihren Inhalten sogleich – sind ausreichend nachgewiesen. Richtigerweise hat sich das Verwaltungsgericht in Wahrnehmung seiner Pflichten nach § 86 VwGO nicht mit der Einschätzung der Polizei begnügt, sondern die dort vorhandenen Unterlagen angefordert (vgl. zu den Aufklärungspflichten und -möglichkeiten der Waffenbehörde BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 35 ff.). Vorgelegt wurden daraufhin mehrere von der Behörde ausgefüllte, an die Polizei übermittelte Exemplare des Formulars „Mitteilung Reichsbürger“ (Mitteilung des … … vom 4.11.2016; Mitteilung des Direktors des Amtsgericht … vom 27.9.2019), ein Aktenvermerk der Polizei vom 7. Dezember 2016 zu einer persönlichen Befragung des Antragstellers, ein Schreiben des Antragstellers an das Amtsgericht … vom 17. April 2019 und eines an das Finanzamt … vom 5. Mai 2019 sowie ein Polizeivermerk anlässlich einer vom 2. Februar 2024 erfolgten „turnusmäßigen Überprüfung“ des Antragstellers.
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Zweifel an der Richtigkeit der in diesen Unterlagen enthaltenen Aussagen bestehen nicht. Das gilt nicht nur hinsichtlich der persönlichen Schreiben des Antragstellers, dessen Urheberschaft nicht in Frage gestellt wurde, sondern auch hinsichtlich der Vermerke und Formularberichte. Es ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass die dort mitgeteilten Beobachtungen unzutreffend sind. Das gilt entgegen der erhobenen Rüge insbesondere auch für den (wohl erst mit einigen Tagen Abstand zur Befragung vom 2. Februar 2024 erstellten) Polizeivermerk vom Februar, obwohl dieser keinen näheren Aufschluss über den Gesprächsverlauf und die Gesprächsdauer gibt, sondern nur eine knappe Zusammenfassung enthält. Eine ausführlichere Wiedergabe des Gesprächs ist nicht erforderlich, weil es für die Einordnung des Antragstellers als „Reichsbürger“ nicht auf einzelne Details seiner Formulierungen ankommt. Es ist ausreichend, wenn im Rahmen einer Gesamtbetrachtung deutlich wird, dass der Antragsteller erneut grundlegende Zweifel an der Geltung wesentlicher Elemente der deutschen Rechtsordnung geäußert und damit zu erkennen gegeben hat, dass seine früheren Äußerungen weiterhin Gültigkeit haben. Dies ist der Fall. Allein, dass die Fragen provokant gewesen sein sollen, genügt – bei Wahrunterstellung – nicht, um die Aussagekraft des Vermerks zu erschüttern.
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bb) Die hierdurch offenbarten Ansichten, Einstellungen und Denkmuster des Antragstellers sind offenkundig „reichsbürgertypisch“. Einer Einbeziehung der gegenüber der Polizei getroffenen Aussage eines früheren Vereinsvorstands bedarf es insoweit nicht; es kann offenbleiben, ob die Annahme des Antragstellers zutrifft, es habe sich um eine Diffamierung aus persönlichen Gründe gehandelt.
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Im vom Antragsteller eingereichten Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 2015 hat er im Feld „Geburtsstaat“ und im Feld „Wohnsitzstaat“ jeweils „Preußen [Deutschland als Ganzes]“ und im Feld „Angaben zum Erwerb meiner deutschen Staatsangehörigkeit“ unter „Sonstiges“: „Geburt (Abstammung) gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG („Stand: 22.07.19..“ – ...weitere Zahlen sind auf der Kopie nicht vorhanden) eingetragen. Bei den Angaben „M.“ und „P.“ im Feld „Meine Aufenthaltszeiten seit Geburt“ vermerkte er in der zugehörigen Spalte „Staat“ jeweils „Königreich Bayern“.
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Im April 2019 erklärte der Antragsteller in einem Schreiben an das Amtsgericht … anlässlich eines Zwangsvollstreckungsverfahrens (wohl wegen ausstehender Rundfunkbeiträge), dass „die Internetseite des Amtsgerichts (…) keinen Hauptgerichtsvollzieher mit Ihrem Namen“ kennt, dass der Bayerische Rundfunk und der Beitragsservice eine Firma sei und es an einem Vertragsverhältnis fehle. Im Mai 2019 äußerte der Antragsteller in einem an das Finanzamt adressierten Brief u.a., dass das Bayerische Landesamt für Steuern eine kommerzielle Firma sei, es aussehe, dass es keine Ämter gäbe, Deutschland keinen Friedensvertrag mit den Alliierten habe, die Haager Landkriegsordnung mit ihrem Plünderungsverbot nach wie vor in Kraft sei, die Bundesrepublik Deutschland ein rein privatrechtliches US-Unternehmen darstelle, und deshalb keine Pflicht zur Steuerabgabe erkennbar sei, er außerdem als Angehöriger dieses Landes nicht verpflichtet sei, Steuern zu zahlen, wenn er wisse, dass damit die Kriminalität gefördert werde und er nicht vorhabe, sich deshalb durch Steuerzahlung selbst strafbar zu machen. Außerdem forderte er alle seit 1990 bezahlten Steuern zurück und bezweifelte die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur Steuerabgabe ganz grundsätzlich. Einer „Reichsbürgermeldung“ des Direktors des Amtsgerichts … vom 27. September 2019 lässt sich entnehmen, dass der Antragsteller … … … … … … … … … …, die Geltung der Gesetze leugnete und das Amtsgericht als Firma bezeichnete.
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Am 2. Februar 2024 ist der Antragsteller im Rahmen einer turnusmäßigen Überprüfung der polizeilichen Einstufung als „Reichsbürger“ durch die Kriminalpolizei telefonisch befragt worden. Ausweislich des hierzu angelegten (mit einem Stempel vom 14. Februar 2024 versehenen) Vermerks habe der Antragsteller u.a. erklärt, er zahle unter Zwang Steuern, das Grundgesetz habe keine Gültigkeit mehr, weil im Jahr 1990 Art. 23 GG gestrichen worden sei; es gelte deshalb die Haager Landkriegsordnung, die besage, dass Menschen eines besetzten Landes nicht geplündert werden dürften. Außerdem sei das Einkommensteuergesetz nicht mehr gültig, da es 1934 von den Nazis erlassen und 1945 mit dem Kontrollratsgesetz aufgehoben worden sei.
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c) Die Einordnung der Haltung des Antragstellers als „reichsbürgertypisch“ wird nicht durch die in seiner Beschwerde vorgetragenen Einwände in Frage gestellt.
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Die einschlägigen Äußerungen des Antragstellers sind zeitlich und sachlich nicht allein deshalb als überholt anzusehen, weil in den Jahren 2020 bis 2023 keine vergleichbaren Äußerungen bekannt geworden sind oder weil er schriftlich am 15. August 2022 bestätigt hat, sich auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen. Die älteren und mit Vehemenz verfassten Schriften und getroffenen Aussagen des Antragstellers können in die Prognose nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG eingestellt werden, weil sie im Kontext der aktuellen Befragung durch die Polizei, deren Ergebnis im Vermerk vom 2. Februar 2024 ausreichend deutlich zusammengefasst ist, die Kontinuität der Haltung des Antragstellers verdeutlichen. Auch seine Bestätigung vom 15. August 2022 entkräftet das nicht, zumal Gehalt und Gestaltung wenig Authentizität erkennen lassen. Eine glaubhafte Distanzierung des Antragstellers von seinen früheren Äußerungen fehlt.
35
Die Zuordnung zur „Reichsbürgerbewegung“ wird auch nicht durch die vom Antragsteller vorgebrachte kleinteilige Analyse seiner Äußerungen oder durch den Verweis auf sein langjähriges Engagement in Vereinen in Frage gestellt. Es kommt insbesondere nicht darauf an, dass seine Äußerungen von der Meinungsfreiheit geschützt und rechtlich zulässig sein dürften. Eine Unzuverlässigkeitsprognose ist keine Sanktion, für die die Illegalität des herangezogenen Verhaltens entscheidend wäre, sondern eine Wahrscheinlichkeitsaussage über die Zukunft, die auf Basis von Geschehenem zu erfolgen hat, gleich ob dieses rechtlich zulässig oder unzulässig war. Entscheidend ist allein, ob das Geschehene inhaltlich die Prognose trägt. Dies ist angesichts der mit den Äußerungen offenbarten Ansichten, Einstellungen und Denkmustern ohne Weiteres der Fall. Folgerichtig ist es auch nicht entscheidend, ob und in welchem Umfang der Antragsteller die rundfunkrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „zu einer rechtlich weiträumig konstruierten Inanspruchnahme von Bürgern (…) antizipieren“ hätte können (vgl. Schriftsatz vom 23.12.2024, S. 13). Denn Anknüpfungspunkt für die Prognose ist nicht die etwaige Annahme des Antragstellers, nicht zur Beitragspflicht herangezogenen werden zu dürfen, sondern abermals seine im Rahmen der Abwehr einer seiner Meinung nach rechtswidrigen Beitragsforderung offenbarten Ansichten, Einstellungen und Denkmuster. Schließlich lassen sich die Äußerungen des Antragstellers bereits wegen des überdurchschnittlichen Bildungshorizonts des Antragstellers nicht als schlicht versehentliche, nur augenblickhafte Irreführung infolge der Lektüre einschlägiger Internetseiten erklären.
36
II. Ungeachtet des Vorstehenden hat die Beschwerde auch deshalb keinen Erfolg, weil bei der gebotenen Interessenabwägung die differenzierte gesetzgeberische Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 VwGO – hier in Verbindung mit § 45 Abs. 5 WaffG – einerseits und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO andererseits zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2017 – 2 BvR 2013/16 – Rn. 17). Sie führt dazu, dass das Vollzugsinteresse der Behörde das Suspensivinteresse des Antragstellers regelmäßig überwiegt, solange der Sofortvollzug für den Antragsteller nicht das herkömmliche und vom Gesetzgeber bereits berücksichtigte Maß an Belastung übersteigt. Für übermäßige Nachteile des Antragstellers ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Inmitten steht ausschließlich das gewöhnliche Interesse am weiteren Waffenbesitz und der Möglichkeit der entsprechenden Weiternutzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens.
37
III. Dieses öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug besteht auch für die bislang (vgl. aber nunmehr § 46 Abs. 6 WaffG) nicht vom gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug erfassten und mit der Widerrufsentscheidung verbundenen Nebenanordnung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG und § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG.
38
Die auf diese Nebenanordnungen bezogene Beschwerde hat auch nicht deshalb Erfolg, weil die Begründung der diese betreffenden behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. 6 des Bescheids unzulänglich wäre, wie der Antragsteller rügt. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt eine auf die Umstände des konkreten Falles bezogene Darlegung des besonderen Interesses gerade an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts. Die Vollziehbarkeitsanordnung muss insbesondere erkennen lassen, dass sich die Behörde des rechtlichen Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst ist. Allerdings kann in den Fällen der typischen Identität von Erlassinteresse und Vollziehungsinteresse – wie hier im Gefahrenabwehrrecht (vgl. Schoch in Schoch/ Schneider, Verwaltungsrecht, August 2024, § 80 VwGO Rn. 209 f.) – grundsätzlich dem Begründungserfordernis auch durch einen Verweis auf das Erlassinteresse Rechnung getragen werden (vgl. statt vieler Schoch, a.a.O., Rn. 247 f. m.w.N.).
39
Die vorliegende Begründung genügt diesen Anforderungen. Die Behörde verweist zutreffend auf die andernfalls bestehende Möglichkeit, sich als Waffenbesitzer zu legitimieren, obwohl der Antragsteller wegen der fehlenden aufschiebenden Wirkung seiner Klage hierzu gegenwärtig nicht legitimiert ist. Der Erlass der Sofortvollzugsanordnung hängt nicht davon ab, dass es Anhaltspunkte dafür bedürfte, der Antragsteller werde die Erlaubnisurkunden zur Legitimierung verwenden.
B.
40
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
C.
41
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5, 50.1. und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013. Für den Widerruf von Waffenbesitzkarten sind hiernach – unabhängig von der Anzahl der Karten – grundsätzlich 5.000,00 Euro zuzüglich 750,00 Euro für jede weitere Waffe anzusetzen (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.2023 – 6 B 37/22 – juris Rn. 7). Auszunehmen sind hiervon eingetragene wesentliche Teile von Schusswaffen (vgl. BayVGH, B.v. 29.1.2025 – 24 CS 24.1884 – Rn. 40). Der Antragsteller verfügt ausweislich des Bescheids über 15 Waffen (5.000 Euro + [14 x 750 Euro] = 15.500,00 Euro). Für den Widerruf des Kleinen Waffenscheins ist in der Hauptsache der Wert nach Nr. 50.1. des Streitwertkatalogs (7.500,00 Euro) anzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1695 – juris Rn. 33). Die beiden Europäischen Feuerwaffenpässe bleiben bei der Streitwertfestsetzung unberücksichtigt (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2011 – 21 CS 11.2310 – juris Rn. 12). Die waffenrechtlichen Nebenanordnungen sind hingegen ausnahmsweise bei der Streitwertfestsetzung (einmalig) mit dem Auffangwert anzusetzen, weil der Antragsteller ausdrücklich einen Antrag auf die Herausgabe der Urkunden gestellt hat (5.000,00 Euro).
42
Der Streitwert beträgt damit in der Hauptsache 28.000,00 Euro, der im Eilverfahren auf 14.000,00 Euro zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs). Da das Verwaltungsgericht einen Streitwert von 11.500,00 Euro festgesetzt hatte, ändert der Senat die Streitwertfestsetzung für das Verfahren im ersten Rechtszug nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
43
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).