Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.02.2025 – 7 CE 24.10017
Titel:

Kapazitätsberechnung und Zulassungsgrenzen im Studiengang Psychologie

Normenketten:
BayHZG Art. 3 Abs. 3
HZV § 47
GG Art. 12 Abs. 1
VwGO § 123
Zulassungszahlsatzung der OFU § 1, § 5
Leitsätze:
1. Verfügbare Studienplätze zB aufgrund fehlerhafter Berechnung des Curriculareigenanteils, eines Studiengangs dürfen nicht durch Überbuchungen in anderen Studiengängen derselben Lehreinheit ausgeglichen werden, da dies die festgelegten Anteilsquoten rechtswidrig verändern würde und Art. 12 Abs. 1 GG widerspricht. (Rn. 12) (Rn. 10 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Prinzip der horizontalen Substituierung erlaubt ausnahmsweise eine Anpassung der Studienplatzkapazitäten, um das Freibleiben von Studienplätzen zu vermeiden, greift jedoch nicht im umgekehrten Fall einer Kapazitätserhöhung. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Teilzeitstudierende verursachen nur die Hälfte des Ausbildungsaufwands von Vollzeitstudierenden, weshalb eine Überbuchung im Teilzeitstudiengang nicht vorliegt, wenn die Kapazität nicht vollständig ausgeschöpft wird. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Psychologie, B.Sc., Festlegung von Anteilsquoten, Überbuchung in einem anderen Studiengang derselben Lehreinheit, Wintersemester 2024/2025;, horizontale Substituierung (nicht einschlägig), horizontale Substituierung, Kapazitätsermittlung, Überbuchung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 21.11.2024 – B 3 E 24.10008
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2855

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 21. November 2024 wird in den Ziffern I. und II. abgeändert.
II. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin zum Studium der Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) im ersten Fachsemester an der ... -Universität B. zum nächstmöglichen Zeitpunkt vorläufig zuzulassen.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) im ersten Fachsemester an der ... -Universität B. (im Folgenden OFU) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2024/2025.
2
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat den entsprechenden Antrag nach § 123 VwGO mit Beschluss vom 21. November 2024 abgelehnt, da im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) über die kapazitätswirksam vergebenen 87 Studienplätze hinaus kein weiterer Studienplatz im ersten Fachsemester zur Verfügung stehe, der von der Antragstellerin in Anspruch genommen werden könne.
3
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der vorliegenden Beschwerde. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sich aufgrund fehlerhafter Berechnung des Curriculareigenanteils im Hinblick auf das Wahlpflichtangebot ein Studienplatz mehr für den streitgegenständlichen Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) ergebe und eine diese zusätzliche Kapazität ausschöpfende Gegenrechnung mit überbuchten Studienplätzen aus anderen Studiengängen derselben Lehreinheit nicht zulässig sei.
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Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde. Er räumt zwar ein, dass die Kapazitätsermittlung fehlerhaft erfolgt sei, sich deswegen ein zusätzlicher Studienplatz im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) errechne (88 statt 87) und nur 87 dieser Studienplätze vergeben seien. Gleichwohl nimmt der Antragsgegner keine freie Kapazität für einen Studienplatz im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) an, da im zur selben Lehreinheit gehörenden Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) eine Überbuchung, nämlich über die vorhandenen zwei Studienplätze hinaus eine Einschreibung mehr stattgefunden habe.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
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Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die begehrte Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und die vorläufige Zulassung der Antragstellerin zum Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats steht neben den für das Wintersemester 2024/2025 im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) festgesetzten 87 Studienplätzen ein weiterer Studienplatz zur Verfügung (nachfolgend 1.), der an die Antragstellerin zu vergeben ist (nachfolgend 2.).
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1. Auf die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Rüge, für das Studienjahr 2024/2025 sei der Curriculareigenanteil fehlerhaft berechnet worden, hat der Antragsgegner eingeräumt, dass für den streitgegenständlichen Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) statt der in § 1 der Satzung über die Festsetzung der Zulassungszahlen der im Studienjahr 2024/2025 an der OFU als Studienanfängerinnen oder Studienanfänger sowie im höheren Fachsemester aufzunehmenden Bewerberinnen oder Bewerber (Zulassungszahlsatzung 2024/2025) vom 25. Juni 2024 festgesetzten 87 Studienplätze, rechnerisch richtig 88 Studienplätze zur Verfügung stehen. Unstreitig zwischen den Beteiligten ist, dass im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) im Wintersemester 2024/2025 (nur) 87 Studierende immatrikuliert sind. Demnach wurde im Wintersemester 2024/2025 ein Studienplatz im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) nicht besetzt.
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2. Dieser Studienplatz ist an die Antragstellerin zu vergeben. Mit dem Einwand, die nach Fehlerkorrektur ermittelte zusätzliche Kapazität im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) sei durch die Überbuchung im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) aufgezehrt, vermag der Antragsgegner nicht durchzudringen.
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a) Die vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren angeführte „Gegenrechnung“ ist bereits deshalb unzulässig, da sich die Hochschule damit in Widerspruch zu ihren festgelegten Anteilsquoten setzen würde.
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Wie die innerhalb einer Lehreinheit ermittelten Ausbildungskapazitäten auf die ihr zugeordneten Studiengänge verteilt werden, obliegt der Widmungsbefugnis des Staates (BVerwG, U.v. 15.12.1989 – 7 C 15.88 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 12.3.2007 – 7 CE 07.10003 – juris Rn. 11). Nach § 47 Abs. 1 der Hochschulzulassungsverordnung – HZV – vom 10. Februar 2020 (GVBl S. 87) werden dabei Anteilsquoten gebildet, mit denen das Verhältnis der jährlichen Aufnahmekapazität eines der Lehreinheit zugeordneten Studiengangs zur Summe der jährlichen Aufnahmekapazitäten aller der Lehreinheit zugeordneten Studiengänge bestimmt wird. Die daraus resultierende Zahl der zur Verfügung stehenden Studienplätze pro Studiengang der Lehreinheit wird in der Zulassungszahlsatzung verbindlich festgesetzt (vgl. Art. 3 des Bayerischen Hochschulzulassungsgesetzes – BayHZG – vom 9.5.2007 [GVBl S. 320]).
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Die zur Verfügung stehenden Studienplätze in einem Studiengang, die sich nach (richtiger) Kapazitätsermittlung unter Berücksichtigung der Anteilsquote ergeben, dürfen nicht mit Überbuchungen in anderen Studiengängen derselben Lehreinheit gegengerechnet werden. Denn mit einer solchen „Gegenrechnung“ würde sich die Hochschule in Widerspruch zu ihren festgelegten Anteilsquoten setzen und diese im faktischen Vollzug (nachträglich) rechtswidrig außer Kraft setzen bzw. abändern.
13
Dem Einwand des Antragsgegners, der zusätzlich im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) zur Verfügung stehende Studienplatz, der sich nach der richtigen Kapazitätsermittlung unter Anwendung der festgelegten Anteilsquote ergibt, müsse mit der im zur selben Lehreinheit gehörenden Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) erfolgten Überbuchung kapazitätsaufzehrend saldiert werden, kann daher nicht gefolgt werden. Denn dies hätte zur Folge, dass die von der OFU auf 0,4996 festgelegte Anteilsquote für den Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit), die rechnerisch richtig zu 88 Studienplätzen führt, faktisch zu Lasten der Studienplatzbewerber abgeändert würde, weil für diesen Studiengang dann tatsächlich nur noch 87 Studienplätze zur Verfügung stünden.
14
Soweit der Antragsgegner meint, die derselben Lehreinheit zugeordneten Studiengänge Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) und Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) seien hinsichtlich der Frage der Kapazitätserschöpfung als Einheit zu sehen, geht dieser Einwand schon deswegen fehl, weil für beide Studiengänge unterschiedliche Anteilsquoten an der Gesamtaufnahmekapazität der Lehreinheit zugrunde gelegt wurden (0,4996 für den Vollzeit- und 0,0115 für den Teilzeitstudiengang). Auch die Zulassungszahlsatzung geht im Übrigen betreffend das Studium der Psychologie – B.Sc. von zwei selbständigen Studiengängen, einmal in Voll- und einmal in Teilzeit aus.
15
Das Prinzip der horizontalen Substituierung führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach ist für Berechnungszwecke davon auszugehen, dass die Lehrangebote von Lehrpersonen innerhalb einer Lehreinheit grundsätzlich untereinander austauschbar sind (BVerwG, U.v. 15.12.1989 – 7 C 15.88 – juris Rn. 11). Dieses Prinzip erlaubt zu Gunsten der Studienplatzbewerber ausnahmsweise eine Durchbrechung der staatlichen Widmungsbefugnis bzw. der Anteilsquotenfestsetzung, wenn dies unerlässlich ist, um ein mit dem Kapazitätserschöpfungsgebot unvereinbares Ergebnis, nämlich das Freibleiben von Studienplätzen zu vermeiden (BVerwG, U.v. 15.12.1989 – 7 C 15.88 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 11.2.2021 – 7 CE 20.10047 u.a. – juris Rn. 10 f.). Unter Berücksichtigung des jeweiligen Curriculareigenanteils erhöhen freie Kapazitäten in anderen Studiengängen derselben Lehreinheit – ggf. nach Saldierung mit Überbuchungen aus weiteren Studiengängen – die Anzahl der Studienplätze in dem Studiengang, in dem über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus keine Kapazität mehr vorhanden ist, zugunsten der hierauf bezogenen Studienplatzbewerber (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.2.2021 – 7 CE 20.10047 u.a. – juris Rn. 14 sowie § 5 der Zulassungszahlsatzung der OFU). Der Zweck der horizontalen Substituierung, dem aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten Kapazitätserschöpfungsgebot Rechnung zu tragen, greift nicht für den vorliegenden umgekehrten Fall, bei dem die korrigierte Kapazitätsberechnung einen zusätzlichen Studienplatz in dem begehrten Studiengang, hier Psychologie – B.Sc. (Vollzeit), ergibt. Die errechnete freie Kapazität zu Lasten der Studienplatzbewerber mit Überbuchungen in anderen Studiengängen derselben Lehreinheit zu saldieren, ist weder im Hinblick auf die in der Zulassungszahlsatzung festgesetzten Anteilsquoten zulässig noch mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar (ebenso OVG Hamburg, B.v. 13.6.2019 – 3 Nc 1/19 – juris Rn. 9).
16
b) Schließlich verfängt die vom Antragsgegner vorgenommene kapazitätsaufzehrende „Gegenrechnung“ mit der von ihm angenommenen Überbuchung im Studium Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) auch deshalb nicht, weil im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) tatsächlich keine Überbuchung vorliegt.
17
Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 3 BayHZG wird die Zulassungszahl auf der Grundlage der jährlichen Aufnahmekapazität festgesetzt. Den in der Zulassungszahlsatzung für das Studienjahr 2024/2025 festgesetzten Studienplätzen für die Studiengänge Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) und Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) liegen zwar unterschiedliche Anteilsquoten zugrunde. Die für den Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) festgesetzte Zahl der Studienplätze wurde jedoch mit demselben Curricularanteil (3,4299) berechnet wie die Zahl der für den Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) festgesetzten. Damit hat der Antragsgegner in Bezug auf die jährliche Aufnahmekapazität keinen Unterschied zwischen Psychologiestudierenden im Voll- und im Teilzeitstudium gemacht. Die Studierenden im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) fragen aber im maßgeblichen Zeitraum nicht die gleiche Lehre nach bzw. verursachen nicht den gleichen Ausbildungsaufwand wie die Studierenden im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Vollzeit). Zwar ist die Lehrnachfrage bzw. der Ausbildungsaufwand bei Teilzeit- und Vollzeitstudierenden bezogen auf die jeweilige Gesamtdauer der beiden Studiengänge identisch. Da jedoch die Regelstudienzeit des Studiengangs Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) auf die doppelte Semesterzahl der Regelstudienzeit des Studiengangs Psychologie – B.Sc. (Vollzeit) verlängert ist (vgl. § 4 Abs. 2 der Ordnung für das Teilzeitstudium in Bachelor- und Masterstudiengängen der ... -Universität B. vom 7.8.2023), ist die Lehrnachfrage von bzw. der Ausbildungsaufwand bei Teilzeitstudierenden (und damit der Curricularanteil) im Studienjahr – als dem nach Art. 3 Abs. 3 Satz 3 BayHZG zur Ermittlung der Aufnahmekapazität maßgeblichen Bezugszeitraum – geringer. Teilzeitstudierende fragen im selben Zeitraum im Vergleich zu Vollzeitstudierenden lediglich die Hälfte (0,5) des Ausbildungsaufwands nach. Da der Antragsgegner seiner Kapazitätsberechnung für den Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) denselben Curricularanteil zugrunde gelegt hat wie für den Vollzeitstudiengang, wird die vorhandene Ausbildungskapazität im Teilzeitstudiengang mit den in der Zulassungszahlsatzung festgesetzten zwei Studienplätzen nicht vollständig ausgeschöpft. Um dem Kapazitätserschöpfungsprinzip auch insoweit ausreichend Rechnung zu tragen, hätte der Antragsgegner zum Wintersemester 2024/2025, als dem einzigen Zeitpunkt, zudem der Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) begonnen werden kann, statt der drei tatsächlich immatrikulierten Teilzeitstudierenden einen weiteren Teilzeitstudienplatz vergeben müssen (4 x 0,5 = 2). Da dies unterblieben ist, liegt im Studiengang Psychologie – B.Sc. (Teilzeit) keine Über-, sondern eine Unterbuchung (um 0,5) vor. Eine kapazitätsaufzehrende Gegenrechnung scheidet daher auch aus diesem Grund aus.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.