Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.02.2025 – 4 CS 24.2032
Titel:

Anforderungen an eine Beschwerdebegründung bei Vertretungszwang

Normenkette:
VwGO § 60 Abs. 1, § 67 Abs. 4, § 94
Leitsätze:
1. Eine Beschwerdebegründung genügt nur dann den Anforderungen des § 67 Abs. 4 VwGO, wenn der Prozessbevollmächtigte die Sichtung, Prüfung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs erkennbar vorgenommen hat. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Einzelanwalt ist verpflichtet, schon vor Eintritt eines Vertretungsfalls zumutbare Maßnahmen wie die Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen zu ergreifen, die sicherstellen, dass bei einem unerwarteten Ausfall etwa infolge Erkrankung oder Unfalls unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein abgeschlossenes Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht nach § 94 VwGO ausgesetzt werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erfolglose Beschwerde, Anforderungen an die Begründung bei Bestehen des Vertretungszwangs, Wiedereinsetzungsantrag, Unglücksfall in der Familie eines Einzelanwalts, Aussetzung des Verfahrens, Vertretungszwang, Wiedereinsetzung, Sorgfalt, Beschwerdebegründung, Sichtung, unaufschiebbare Prozesshandlungen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 15.11.2024 – AN 1 S 24.2363
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2852

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. November 2024 – AN 1 S 24.2363 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Verfahren über die Beschwerde gegen Ziffer 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
1. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. November 2024. Mit diesem Beschluss hat das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren betreffend die Verpflichtung, den Einbau eines digitalen Wasserzählers zu dulden, den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten der Antragstellerin am 18. November 2024 zugestellt.
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2. Mit Schriftsatz vom 29. November 2024 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts. Am 17. Dezember 2024 ging beim Verwaltungsgerichtshof ein Schriftsatz von diesem Tag ein, in dem der Bevollmächtigte ausführt, er mache sich „aus unabweisbaren Gründen … folgende Ausführungen der Beschwerdeführer vollinhaltlich zu eigen“, gefolgt von einem in Anführungszeichen gesetzten und kursiv gedruckten Text und dem Zusatz, er werde zu gegebener Zeit in Bezug auf die Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen und zur Begründung ergänzend vortragen.
3
3. Mit Verfügung vom 2. Januar 2025 fragte der Berichterstatter beim Bevollmächtigten der Antragstellerin nach, ob und gegebenenfalls bis wann die Beschwerde ergänzend begründet werde. In einem Schriftsatz vom 10. Januar 2025 hat der Bevollmächtigte die Beschwerde begründet und Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er ausgeführt, er sei aufgrund eines Unglücksfalls in seiner Familie ab dem 10. Dezember 2024 arbeitsunfähig gewesen. Dem Schriftsatz beigefügt ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung betreffend den Zeitraum vom 16. Dezember 2024 bis 13. Januar 2025.
II.
4
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als unzulässig zu verwerfen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingegangene Beschwerdebegründung genügt nicht den Anforderungen des § 67 Abs. 4 VwGO an eine ordnungsgemäße Vertretung (dazu a). Die nach Ablauf der Frist eingegangene Begründung kann nicht berücksichtigt werden; eine Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist scheidet aus (dazu b).
5
a) Die Beschwerdebegründung vom 17. Dezember 2024 ist zwar von einem nach § 67 Abs. 4 VwGO vertretungsberechtigten Rechtsanwalt (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO) unterschrieben worden. Dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 VwGO ist im Fall einer Rechtsmittelbegründung – hier nach § 146 Abs. 4 VwGO – aber nur dann genügt, wenn aus ihr hervorgeht, dass der Prozessbevollmächtigte die Sichtung, Prüfung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs vorgenommen hat (stRspr; vgl. nur BVerwG, B.v. 22.3.2012 – 5 B 11.12 – juris Rn. 2). Er muss die Gründe darlegen, aus denen die angegriffene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Nimmt ein Rechtsanwalt auf die Ausführungen eines Dritten offen Bezug und macht er sich diese zu eigen, so ist der Vertretungszwang nur beachtet, wenn die Sichtung, Prüfung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs erkennbar wird (vgl. BVerwG, B.v. 15.11.2019 – 5 B 18.19 – juris Rn. 6).
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Diesen Anforderungen ist offensichtlich nicht genügt. Die Beschwerdebegründung vom 17. Dezember 2024 beschränkt sich auf die in Anführungszeichen gesetzte Übernahme eines von einem Dritten verfassten Textes und die Angabe des Bevollmächtigten der Antragstellerin, er mache sich „aus unabweisbaren Gründen … folgende Ausführungen vollinhaltlich zu eigen“. Der Bevollmächtigte behauptet selbst nicht, die Ausführungen in dem übernommenen Text geprüft (und für zutreffend befunden) zu haben. Er hat dies offensichtlich auch nicht getan. Ansonsten hätte er – als mit dem (Verwaltungs-)Prozessrecht vertrauter Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht – wohl auch nicht das Fehlen richterlicher Unterschriften auf der vom Verwaltungsgericht übermittelten Entscheidung beanstandet.
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b) Die am 10. Januar 2025 und damit nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingegangene Beschwerdebegründung kann nicht berücksichtigt werden. Der Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin ist abzulehnen, weil nicht von einem unverschuldeten Fristversäumnis auszugehen ist.
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Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO). Der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 VwGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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Verschuldet i.S. des § 60 Abs. 1 VwGO ist ein Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt hat walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den Umständen zuzumuten ist; ein Beteiligter muss sich dabei nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. nur BVerwG, B.v. 29.11.2023 – 6 B 10.23 – juris Rn. 15).
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Die plötzliche Erkrankung eines als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten oder eine familiäre Notlage kann zwar grundsätzlich als unverschuldeter Hinderungsgrund für die Einhaltung der Frist anzusehen sein. Ein Einzelanwalt ist aber verpflichtet, schon vor Eintritt eines Vertretungsfalls zumutbare Maßnahmen wie die Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen ergreifen, die sicherstellen, dass bei einem unerwarteten Ausfall etwa infolge Erkrankung oder Unfalls unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (BVerwG, B.v. 29.11.2023 – 6 B 10.23 – juris Rn. 17 m.w.N.).
11
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat indes insbesondere im Schriftsatz vom 10. Januar 2025 keine Ausführungen dazu gemacht, dass er organisatorische Vorkehrungen für einen derartigen Fall getroffen hat. Er hat sich auch nicht dazu verhalten, weshalb es der Antragstellerin nicht möglich gewesen wäre, einen anderen Rechtsanwalt mit der Erstellung der Beschwerdebegründung zu beauftragen. Hierfür bestand nicht zuletzt deshalb Anlass, weil sich der im Schriftsatz vom 10. Januar 2025 erwähnte Unglücksfall in der Familie entweder am oder kurz vor dem 10. Dezember 2025 ereignet hat und davon ausgehend etwa eine Woche hierfür zur Verfügung stand.
12
Ergänzend merkt der Senat allerdings an, dass die Ausführungen im Schriftsatz vom 10. Januar 2025 die bisherige Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2022 – 4 CS 21.2254 – BayVBl 2022, 412 = juris; B.v. 4.9.2023 – 4 ZB 23.1056 – juris) und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (E.v. 26.4.2022 – Vf. 5-VII-19 – BayVBl 2022, 475 = juris) zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Einbaus digitaler Wasserzähler nicht durchgreifend in Frage stellen dürften.
13
2. Auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung des Verfahrens hat keinen Erfolg.
14
Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin auch insoweit Beschwerde eingelegt hat. In der Beschwerdeschrift vom 29. November 2024 hat sie ihre Beschwerde nicht auf die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Auf die Bitte um Klarstellung in der gerichtlichen Verfügung vom 2. Januar 2025, ob sich die Beschwerde auch gegen Ziffer 1 des angegriffenen Beschlusses richtet, hat sie nicht reagiert.
15
Dem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens kann jedenfalls deshalb nicht mehr entsprochen werden, weil das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Entscheidung über die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO abgeschlossen ist; ein abgeschlossenes Verfahren kann nicht nach bzw. entsprechend § 94 VwGO ausgesetzt werden.
16
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z.B. in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band II, unter § 163 VwGO). Bei der Festsetzung des Streitwerts ist die Beschwerde gegen die Ablehnung des Aussetzungsantrags nicht zu berücksichtigen; für die Zurückweisung der hiergegen gerichteten Beschwerde fällt eine Festgebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz) an.
17
Der Beschluss ist unanfechtbar.