Inhalt

VGH München, Urteil v. 12.02.2025 – 4 B 24.1148
Titel:

Keine Grundstücksstörung durch Wasserversorgungsleitung als Scheinbestandteil iSd § 95 BGB

Normenketten:
AVBWasserV § 10 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 35 Abs. 1
BGB § 94, § 95, § 903 S. 1, § 905, § 1004
Leitsätze:
Das Eigentum an einem Grundstück wird durch das leitungsgebundene Durchleiten von Trinkwasser durch das Grundstück nicht gestört, wenn die Leitung wegen ihrer Eigenschaft als Scheinbestandteil gem. § 95 BGB im Eigentum eines Dritten steht. (Rn. 13)
1. Ein im Grundbuch eingetragenes Geh- und Fahrtrecht berechtigt nicht zur Verlegung von Wasserversorgungsleitungen auf dem belasteten Grundstück. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Wasserversorgungsleitung, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grundstück verbunden ist, stellt einen Scheinbestandteil dar und bleibt im Eigentum des Verlegers. (Rn. 13, 14 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stilllegung einer Wasserversorgungsleitung, Aktivlegitimation, Versorgungsleitung als Scheinbestandteil, Wasserversorgungsleitung, Stilllegungsanspruch, Trinkwasserversorgung, Wegerecht, Geh- und Fahrtrecht, Grundbuch, Sonderrechtsfähigkeit, Scheinbestandteil, Ver- und Entsorgungsleitungen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 18.07.2023 – RN 8 K 19.1581
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2851

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. Juli 2023 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Stilllegung einer in seinem Grundstück liegenden Wasserversorgungsleitung.
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Er ist Eigentümer des Grundstücks mit der FlNr. 943/2 der Gemarkung R. in der beklagten Gemeinde. Durch dieses Grundstück verläuft eine von der Beklagten im Jahr 1992 errichtete Wasserleitung zur Erschließung des Grundstücks mit der Flurstücknummer 943/1. Im Grundbuch sind bezüglich des genannten Grundstücks keine Rechte der Beklagten eingetragen.
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Auf seine mit Schreiben vom 23. Juli 2019 erhobene und während des Verfahrens auf die Stilllegung der Wasserleitung beschränkte Klage hin verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 18. Juli 2023, die Benutzung der auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. 943/2 verlaufenden Wasserleitung zu unterlassen. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch sei § 1004 Abs. 1 BGB. Die Benutzung der Wasserleitung erfolge zur Wasserversorgung des Grundstücks mit der Fl.Nr. 943/1 und stelle eine schlicht-hoheitliche Tätigkeit dar, weil sie der Erfüllung einer der Beklagten obliegenden öffentlichen Aufgabe nach Art. 57 Abs. 2 Satz 1 GO diene. Im Durchleiten von Wasser liege eine Einwirkung auf das Grundstück, die zu dulden der Eigentümer nicht verpflichtet sei. Ein Grundstückseigentümer sei zur Duldung der Inanspruchnahme seines Grundstücks zum Zweck der Durchleitung von Wasser nur verpflichtet, wenn und solange er dies schuldrechtlich gestatte oder ein entsprechendes dingliches Recht bestellt habe oder im Wege eines wasserrechtlichen Zwangsrechts hierzu angehalten werde. Der Kläger sei nicht gehindert gewesen, seine ggf. konkludent erteilte Zustimmung zu widerrufen. Weder aus der gesetzlichen Verpflichtung einer Gemeinde, in ihrem Gemeindegebiet eine ausreichende Trinkwasserversorgung sicherzustellen, noch aus einem satzungsrechtlich begründeten Anschlussrecht ergebe sich eine Verpflichtung des Grundstückseigentümers, sein Grundstück zum Durchleiten des von der öffentlichen Versorgungseinrichtung gelieferten Wassers zur Verfügung zu stellen. Auf ein etwaiges Notwegerecht gem. § 917 Abs. 1 BGB könne eine Duldungsverpflichtung schon deshalb nicht gestützt werden, weil auch dieses nicht zur Benutzung im Wege der Selbsthilfe berechtige; ein Vollstreckungstitel liege nicht vor. Auch das zugunsten des Nachbargrundstücks eingeräumte Geh- und Fahrtrecht habe keine Duldungsverpflichtung hinsichtlich der Wasserleitung zum Gegenstand. Der Anspruch sei auch nicht verjährt. Das Grundeigentum des Klägers werde durch die unerlaubte Benutzung der Leitung verletzt, da mit dem Durchleiten von Wasser gegen seinen Willen auf das Grundstück eingewirkt werde. Da es sich hierbei um ein Dauerverhalten handele, mit dem die Beklagte das Eigentumsrecht des Klägers ohne zeitliche Zäsur fortlaufend verletze, könne die Verjährung des entsprechenden Unterlassungsanspruchs nicht beginnen, solange der Eingriff andauere. Der Anspruch sei auch nicht verwirkt. Der Kläger habe kein Verhalten gezeigt, das einen Vertrauenstatbestand habe begründen können.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Berufung. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats schließe ein im Grundbuch eingetragenes Geh- und Fahrrecht eine rechtliche Durchquerung des Vorderliegergrundstücks mit einer Wasserversorgungsleitung oder mit einem Entwässerungskanal mit ein. Außerdem habe der Kläger den Bauantrag unterschrieben, der zur Verlegung der Leitung auf seinem Grundstück geführt habe. Nur wegen der Erteilung der Baugenehmigung habe der Kläger das Grundstück überhaupt verkaufen können. Der Kläger habe von der Verlegung der Leitung Kenntnis gehabt und diese geduldet.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. Juli 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der nicht anwaltlich vertretene Kläger verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.
I.
10
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Stilllegung der durch sein Grundstück verlaufenden Wasserversorgungsleitung, so dass die Klage unter Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Urteils abzuweisen war.
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1. Dies ergibt sich zwar nicht schon aus dem im Grundbuch eingetragenen Geh- und Fahrtrecht. Der Senat hält insoweit an der in seinem Beschluss vom 28. August 2008 (4 ZB 08.1071 – juris Rn. 10) geäußerten Rechtsansicht, ein im Grundbuch eingetragenes Geh- und Fahrtrecht schließe eine rechtliche Durchquerung des Vorderliegergrundstücks mit einer Wasserversorgungsleitung oder einem Entwässerungskanal sowie deren dauerhafte Belassung mit ein (BayVGH, B.v. 28.8.2008 – 4 ZB 08.1071 – juris Rn. 10; vgl. schon BayVGH, U.v. 11.3.1996 – 23 B 93.3254), nicht fest. Ein Wegerecht berechtigt nur zu der damit eingeräumten Nutzungsmöglichkeit des belasteten Grundstücks, nicht zu der Verlegung von Leitungen (vgl. BGH, U.v. 26.1.2018 – V ZR 47/17 – NJW-RR 2018, 913 Rn. 15). Das Verwaltungsgericht ist der im Beschluss vom 28. August 2008 geäußerten Rechtsansicht daher zu Recht nicht gefolgt (so auch VG München, U.v. 23.4.2024 – M 1 K 21.6 – juris Rn. 37).
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Die seinerzeit geäußerte Rechtsansicht beruhte auf einem Missverständnis einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (U.v. 31.10.1980 – V ZR 157/79 – NJW 1981, 573), der einen Unterlassungsanspruch eines Inhabers eines Geh- und Fahrtrechts gem. § 905 Satz 2 BGB lediglich deshalb ablehnte, weil im konkreten Fall keine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts durch die geplante Untertunnelung ersichtlich war. Ihr konnte keine Aussage dahingehend entnommen, auch der Grundstückeigentümer sei insoweit in seinem Eigentumsgrundrecht beschränkt. Für die Verlegung einer Rohrleitung bis zu drei Meter Tiefe geht der Senat (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 4 CE 18.2597 – NVwZ-RR 2019, 833 Rn. 13; U.v. 5.10.2009 – 4 B 08.2877 – BayVBl 2010, 629 Rn. 25) umgekehrt davon aus, dass typischerweise die Interessen des Grundstückseigentümers beeinträchtigt und ein Abwehranspruch daher nicht nach § 905 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird sogar angenommen, dass eine Einwirkung in 13 Meter Tiefe nicht durch § 905 Satz 2 ausgeschlossen wird (BGH, U.v. 1.2.1982 – III ZR 93/80 – BGHZ 83, 61 juris Rn. 20).
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2. Ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB setzt allerdings voraus, dass der Kläger durch die weitere Nutzung der Wasserversorgungsleitung in Form der Durchleitung in seinem Eigentumsrecht gestört wäre. Dies ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil die Leitung nicht in seinem Eigentum, sondern im Eigentum der Beklagten steht. Bei der Wasserversorgungsleitung handelt es sich nicht um einen wesentlichen Bestandteil des Grundstücks gem. § 94 BGB, sondern um einen Scheinbestandteil gem. § 95 Abs. 1 BGB, der zur Sonderrechtsfähigkeit der Wasserversorgungsleitung führt. Dies setzt nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB voraus, dass die Wasserversorgungsleitung nur „zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden“ verbunden wurde.
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a) Für die Beantwortung der Frage, ob eine Sache i.S. des § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden ist, ist der innere Wille des Einfügenden entscheidend, wenn er mit dem nach außen in Erscheinung tretenden Sachverhalt im Einklang steht (BGH, U.v. 20.9.1968 – V ZR 55/66 – NJW 1968, 2231 f.; U.v. 04.07.1984 – VIII ZR 270/83 – BGHZ 92, 70). Verbindet ein schuldrechtlich Berechtigter eine Sache mit dem ihm nicht gehörenden Grundstück, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass er dabei nur in seinem eigenen Interesse handelt und nicht zugleich in der Absicht, die Sache nach Beendigung des Vertragsverhältnisses dem Grundstückseigentümer zufallen zu lassen, also dafür, dass die Verbindung nur vorübergehend – für die Dauer des Vertragsverhältnisses – hergestellt ist (BGH, U.v. 22.10.2021 – V ZR 69/20 – BGHZ 231, 310 Rn. 8 m.w.N.). Von einer dauerhaften Verbindung ist in diesen Fällen nur dann auszugehen, wenn sich aus den Vereinbarungen der Parteien oder aus den sonstigen Umständen ergibt, dass der Erbauer bei der Errichtung den Willen hat, das Bauwerk bei Beendigung des Vertragsverhältnisses in das Eigentum seines Vertragspartners übergehen zu lassen (vgl. BGH, U.v. 15.5.1998 – V ZR 83/97 – juris Rn. 14).
15
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze stuft der Bundesgerichtshof auch Ver- und Entsorgungsleitungen in ständiger Rechtsprechung regelmäßig als Scheinbestandteile ein (BGH, U.v. 21.12.1956 – V ZR 245/55 – BGHZ 23, 57 juris Rn. 2; U.v. 31.10.1986 – V ZR 168/85 – juris Rn. 20; U.v. 2.12.2005 – V ZR 35/05 – juris Rn. 16). Auch der Umstand, dass der Scheinbestandteil beim Entfernen aus den Grundstücken zerstört werden, soll nichts an dem vorübergehenden Zweck der Verbindung ändern (vgl. Albrecht/Pöhl in Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 5. Auflage 2021, § 10 Rn. 120 f. m.w.N.). Diese Rechtsprechung ist kritisiert worden, da der wirtschaftliche Wert der Sache mit ihrer Trennung verbraucht sei (vgl. Pieper in Staudinger, BGB, Stand: 16.3.2024, § 95 Rn. 12). Dabei wird übersehen, dass der Bundesgerichtshof in diesen Fällen den Willen zur vorübergehenden Verbindung auch dann annimmt, wenn der schuldrechtlich Berechtigte dadurch „nur“ eine Besserstellung des Grundstückseigentümers verhindern will. Denn auch diese Verhandlungsposition kann werthaltig sein.
16
c) Nach den tatsächlichen, von den Parteien auch im Berufungsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen wurde die Rohrleitung im Jahr 1992 von der Beklagten errichtet. Der Kläger war als Verkäufer des Grundstücks und als im Baugenehmigungsverfahren beteiligter Nachbar nicht nur über die geplante Verlegung informiert, sondern er hatte an der Verlegung ein wirtschaftliches Eigeninteresse. Der Senat hat daher keinen Zweifel, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Errichtung davon ausging, zu der Verlegung berechtigt zu sein, und dass dies außerdem mit dem nach außen in Erscheinung tretenden Sachverhalt im Einklang steht. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch § 10 Abs. 3 Satz 1 AVBWasserV, nach dem Hausanschlüsse, definiert als Verbindung des Verteilungsnetzes mit der Kundenanlage (§ 10 Abs. 1 AVBWasserV), vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen im Eigentum des Wasserversorgungsunternehmens stehen. Entgegenstehende satzungsrechtliche Vorschriften sind nach § 35 Abs. 1 AVBWasserV unwirksam. Nach der Rechtsprechung des BGH soll die Regelung zwar primär nur die (technische) Verantwortlichkeit des Wasserversorgungsunternehmens sicherstellen (BGH, U.v. 1.2.2007 – III ZR 289/06 – NJW-RR 2007, 823 Rn. 20). Die Regelung bildet aber ein weiteres Indiz für die Vermutung, dass die Beklagte als örtlicher Wasserversorger bei der Verlegung nicht in der Absicht handelte, die Leitung dem Grundstückseigentümer zufallen zu lassen.
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e) Damit ist vorliegend davon auszugehen, dass die Wasserversorgungsleitung im Eigentum der Beklagten steht. Der Leitungseigentümer darf wiederum das ihm gehörende Verbindungsrohr, solange es als Scheinbestandteil im Grundstück verbleibt, kraft seiner eigenen Eigentümerbefugnisse (§ 903 Satz 1 BGB) zum Durchleiten von Flüssigkeiten benutzen, ohne dass hierin ein (zusätzlicher) Eingriff in das fremde Grundeigentum zu sehen wäre (BayVGH, U.v. 29.11.2013 – 4 B 13.1166 – BayVBl 2014, 607 Rn. 33 sowie BayVGH, U.v. 5.10.2009 – 4 B 08.2877 – BayVBl 2010, 629 Rn. 32). Endet also mit anderen Worten das klägerische (Grundstücks-)Eigentum an dem Leitungsrohr, kann sein Eigentum durch die rohrgeführte Durchleitung von Wasser nicht beeinträchtigt sein.
18
Die Klage war daher unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.
II.
19
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus § 708 i.V.m. § 711 ZPO.
III.
20
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund i.S.v. § 132 VwGO vorliegt.