Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.02.2025 – 2 CS 25.290
Titel:

Aufschiebende Wirkung einer baurechtlichen Klage bei Fehler in Bezug auf die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB – Flüchtlingsunterbringung

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 1, § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 246 Abs. 11, Abs. 15,
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 S. 2
BauNVO § 8
BayBO Art. 64 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB iVm § 246 Abs. 15 BauGB tritt nicht ein, wenn das Ersuchen der Genehmigungsbehörde eine fehlerhafte Fristsetzung enthält, die bei der Gemeinde einen Irrtum über die maßgebliche Einvernehmensfrist hervorruft. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frist für die Erklärung über das gemeindliche Einvernehmen richtet sich bei einem Bauantrag, der eine Anlage zur Unterbringung von Flüchtlingen umfasst, nach § 246 Abs. 15 BauGB, auch wenn der Antrag weitere Teilvorhaben enthält, die nicht der Flüchtlingsunterbringung dienen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Baugenehmigung, die ohne das erforderliche gemeindliche Einvernehmen erteilt wurde, ist aufzuheben, da die Missachtung des Einvernehmenserfordernisses zur Aufhebung der Genehmigung führt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fiktion des gemeindlichen Einvernehmens, ordnungsgemäßes Ersuchen, fehlerhafte Fristangabe, Anfechtungsklage, aufschiebende Wirkung, Bauantrag, Baugenehmigung, Bebauungsplan, Beschwerde, Einvernehmensfiktion, Ermessensentscheidung, Erteilung einer Baugenehmigung, Festsetzungen, Flüchtlingswohnheim, gemeindliches Einvernehmen, Genehmigung, Planungshoheit, soziale Zwecke, summarische Prüfung, Veränderungssperre, Versorgung, Vorhaben, vorläufiger Rechtsschutz
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 29.01.2025 – Au 4 S 24.3165
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2847

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Januar 2025 wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 12. Dezember 2024 angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Erteilung einer Baugenehmigung ohne Ersetzung ihres gemeindlichen Einvernehmens.
2
Mit digital beim Landratsamt O. eingereichten Bauantrag vom 5. November 2024 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für das Bauvorhaben „Nutzungsänderung von Verkaufs- und Büroräumen zum Flüchtlingswohnheim (29a/b), Nachträgliche Genehmigung des Einbaus einer Zwischendecke und Einbau von Räumen in das DG (29a), Nutzungsänderung Betriebswohnung im 1.OG zu Büro und nachträgliche Genehmigung Anbau Abstellraum im OG (31)“ auf den Grundstücken FlNrn. … und … der Gemarkung F.
3
Die Vorhabengrundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „. … … … …“ der Antragstellerin. Dieser setzt im Bereich der Vorhabengrundstücke ein Gewerbegebiet gemäß § 8 BauNVO fest und bestimmt in § 2 Nr. 1.3.2. lit d) der textlichen Festsetzungen, dass Anlagen für soziale Zwecke darin ausnahmsweise zulässig sind.
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Am 6. November 2024 stellte das Landratsamt der Antragstellerin die Antragsunterlagen digital zur Verfügung und bat um Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zum 7. Januar 2025 mit dem Hinweis darauf, dass das gemeindliche Einvernehmen gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gelte, wenn es nicht innerhalb der o.g. Frist verweigert werde.
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Am 3. Dezember 2024 beschloss der Planungs-, Bau-, Umwelt und Verkehrsausschuss (im Folgenden: Bauausschuss) der Antragstellerin, das gemeindliche Einvernehmen nicht zu erteilen, fasste einen Aufstellungsbeschluss zur Änderung des Bebauungsplans und beschloss zur Sicherung der Planung den Erlass einer Veränderungssperre. Aus dem Protokollauszug der Ausschusssitzung geht hervor, dass die Antragstellerin die vom Landratsamt angegebene Frist bis zum 7. Januar 2025 für die maßgebliche Einvernehmensfrist hielt. Nach ihrem Vortrag im gerichtlichen Verfahren war vor Abgabe der Erklärung gegenüber dem Landratsamt eine vorherige Befassung des Stadtrates mit dem Vorgang in der Sitzung am 17. Dezember 2024 vorgesehen.
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Mit Schreiben vom 10. Dezember 2024 erklärten die Beigeladenen die Rücknahme des Bauantrages hinsichtlich des das Gebäude H. straße … betreffenden Vorhabenteils.
7
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2024 erteilte das Landratsamt den Beigeladenen eine Baugenehmigung zur „Nutzungsänderung von Verkaufs- und Büroräumen zum Flüchtlingswohnheim (29a/b)“. Der Baugenehmigungsbescheid enthält eine auf § 31 Abs. 1 i.V.m. § 246 Abs. 11 BauGB gestützte Ausnahmeerteilung. Das gemeindliche Einvernehmen gelte als erteilt, da es nicht innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist des § 246 Abs. 15 BauGB verweigert worden sei.
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Am 19. Dezember 2024 wurde die Veränderungssperre bekannt gemacht. Am 20. Dezember 2024 verweigerte die Antragstellerin gegenüber dem Landratsamt das Einvernehmen.
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Die Antragstellerin erhob Klage und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung derselben. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. Januar 2025 abgelehnt. Die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. § 246 Abs. 15 BauGB sei eingetreten. Die gesetzliche Frist des § 246 Abs. 15 BauGB stehe nicht zur Disposition der Beteiligten. Dass zum Zeitpunkt der Zuleitung der Bauantragsunterlagen an die Antragstellerin auch das Teilvorhaben „Nutzungsänderung Betriebswohnung im 1.OG zu Büro und nachträgliche Genehmigung Anbau Abstellraum im OG (31)“ antragsgegenständlich gewesen sei, führe nicht zur Anwendung der Zweimonatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB für das Gesamtvorhaben, da der eindeutige Schwerpunkt des ursprünglichen Gesamtvorhabens in der „Nutzungsänderung von Verkaufs- und Büroräumen zum Flüchtlingswohnheim (29a/b)“ liege. Der Vorhabensteil „Nutzungsänderung Betriebswohnung im 1.OG zu Büro und nachträgliche Genehmigung Anbau Abstellraum im OG (31)“ werde daher in Bezug auf die geltende Einvernehmensfrist „mitgezogen“ und sei mithin ebenfalls nach der verkürzten Frist des § 246 Abs. 15 BauGB zu bewerten. Dass das Landratsamt im Anschreiben an die Antragstellerin vom 6. November 2024 unter Verweis auf § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB den 7. Januar 2025 als Fristende angegeben habe, sei unerheblich. Von einer Standortgemeinde könne die Bestimmung der jeweils geltenden Fristlänge zur Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen unabhängig von den Angaben der Genehmigungsbehörde erwartet werden.
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Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie macht unter anderem geltend, die maßgebliche Einvernehmensfrist richte sich vorliegend nicht nach § 246 Abs. 15 BauGB, sondern nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB, da Gegenstand des Bauantrags vom 5. November 2024 nicht nur eine Anlage zur Flüchtlingsunterbringung im Sinne von § 246 Abs. 15 BauGB gewesen sei, sondern auch das Teilvorhaben „Nutzungsänderung Betriebswohnung im 1.OG zu Büro und nachträgliche Genehmigung Anbau Abstellraum im OG (31)“, das keinen funktionalen Bezug zur Unterbringung von Flüchtlingen habe. Jedenfalls aber sei die erfolgte Fristsetzung des Landratsamts als Selbstbindung dahingehend zu werten, nicht vor Ablauf des 7. Januars 2025 über den Bauantrag zu entscheiden.
11
Der Antragsgegner verteidigt den angegriffenen Beschluss. Bei dem Schreiben vom 6. November 2024 habe es sich um eine automatisierte Beteiligung gehandelt, weshalb darin die Zweimonatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB hinterlegt gewesen sei. Die verkürzte Frist des § 246 Abs. 15 BauGB sei der Antragstellerin aus anderen Verfahren bekannt. Die Vorschrift sei hier anwendbar, da es sich um ein Verfahren zur Genehmigung von baulichen Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienten, handele. Daran ändere auch der ursprünglich antragsgegenständliche und vom Umfang deutlich untergeordnete Vorhabensteil „Nutzungsänderung Betriebswohnung im 1.OG zu Büro und nachträgliche Genehmigung Anbau Abstellraum im OG (31)“ nichts, zumal für dieses Vorhaben ein Einvernehmen der Gemeinde nicht erforderlich gewesen sei, da es den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche. Die Antragstellerin habe daher nicht davon ausgehen können, dass vorliegend eine Zweimonatsfrist gelten solle.
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Die Beigeladenen stellten keinen Antrag und äußerten sich nicht zur Sache.
13
Im Übrigen wird auf die Sachverhaltsdarstellung des angegriffenen Beschlusses und die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist in Ansehung des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) begründet.
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1. Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eines Nachbarn oder der Standortgemeinde die nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und § 212a Abs. 1 BauGB zunächst ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung anordnen, wobei es insoweit inhaltlich eine eigene Ermessensentscheidung trifft, die sich in erster Linie an den Hauptsacheerfolgsaussichten orientiert.
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Im hier zu entscheidenden Fall wird die Hauptsacheklage nach Ansicht des Senats entgegen der Meinung des Erstgerichts voraussichtlich Erfolg haben, da die Fiktion der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens bei summarischer Prüfung nicht eingetreten ist und das gemeindliche Einvernehmen nicht ersetzt wurde. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerwG, B.v. 23.2.2018 – 1 VR 11.17 – juris Rn. 15) verletzt die mit der Klage angegriffene Baugenehmigung die Antragstellerin voraussichtlich in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens dient der Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verankerten gemeindlichen Planungshoheit (vgl. BVerwG, B.v. 11.8.2008 – 4 B 25.08 – juris Rn. 5). Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuchs, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit in Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beteiligt wird (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – juris Rn. 5). Entspricht ein zulässiges Vorhaben nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde, kann diese den Maßstab für die Zulässigkeitsprüfung durch Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans neu definieren und planungssichernde Maßnahmen ergreifen.
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Das Einvernehmen der Gemeinde gilt gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert wird; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht dabei die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Nach § 246 Abs. 15 BauGB gilt in Verfahren zur Genehmigung von baulichen Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 das Einvernehmen abweichend von § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt, wenn es nicht innerhalb eines Monats verweigert wird.
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a) Vorliegend war das Einvernehmen der Antragstellerin gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderlich, da die genehmigte „Nutzungsänderung von Verkaufs- und Büroräumen zum Flüchtlingswohnheim (29a/b)“ der Zulassung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 i.V.m. § 246 Abs. 11 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplan „. … … … …“ bedarf. Der Bebauungsplan weist im Bereich der Vorhabengrundstücke ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO aus und bestimmt in § 2 Nr. 1.3.2. lit d) der textlichen Festsetzungen, dass Anlagen für soziale Zwecke darin ausnahmsweise zulässig sind. Nach § 246 Abs. 11 BauGB gilt, soweit in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 8 der BauNVO Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können, die Vorschrift des § 31 Abs. 1 BauGB mit der Maßgabe, dass Anlagen für soziale Zwecke, die der Unterbringung und weiteren Versorgung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden dienen, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 in der Regel zugelassen werden sollen.
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b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin richtete sich die Frist für die Erklärung über das gemeindliche Einvernehmen bei summarischer Prüfung vorliegend nicht nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB, sondern nach der Sondervorschrift des § 246 Abs. 15 BauGB. Zwar beinhaltete der Bauantrag vom 5. November 2024 auch das nicht der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienende Teilvorhaben „Nutzungsänderung Betriebswohnung im 1.OG zu Büro und nachträgliche Genehmigung Anbau Abstellraum im OG (31)“, das die Beigeladenen später mit Schreiben vom 10. Dezember 2024 zurückzogen. Für dieses Teilvorhaben hätte jedoch – für sich genommen – kein Einvernehmenserfordernis nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestanden, da sich seine Zulässigkeit nicht nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB, sondern nach § 30 Abs. 1 BauGB beurteilt hätte. Nachdem ein Einvernehmenserfordernis zu dem ursprünglichen Gesamtvorhaben somit nur deshalb bestand, weil dieses eine der Unterbringung von Flüchtlingen dienende Anlage im Sinne von § 246 Abs. 15 BauGB umfasste, richtete sich die maßgebliche Einvernehmensfrist hier – unabhängig von der späteren Teilrücknahme des Bauantrags – bei summarischer Prüfung nach § 246 Abs. 15 BauGB. Ob die Vorschrift auch dann Anwendung findet, wenn ein Gesamtvorhaben neben einer der Unterbringung von Flüchtlingen dienenden Anlage im Sinne von § 246 Abs. 15 BauGB noch weitere (untergeordnete) Teilvorhaben beinhaltet, die nicht der Unterbringung von Flüchtlingen dienen und für sich betrachtet ein Einvernehmenserfordernis nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB begründen, bedarf keiner Entscheidung.
21
c) Innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist des § 246 Abs. 15 BauGB wurde zwar durch den Bauausschuss der Antragstellerin, der nach der Geschäftsordnung des Stadtrates der Antragstellerin als ständiger, beschließender Ausschuss für die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zuständig ist, am 3. Dezember 2024 der Beschluss gefasst, das gemeindliche Einvernehmen nicht zu erteilen. Die Übermittlung der Einvernehmensversagung an das Landratsamt erfolgte jedoch erst am 20. Dezember 2024, da die Antragstellerin – wie aus dem Beschlussauszug über die Ausschusssitzung vom 3. Dezember 2024 hervorgeht – die vom Landratsamt angegebene Frist bis zum 7. Januar 2025 für maßgeblich hielt und eine vorherige Befassung des Stadtrates mit dem Vorgang in der Sitzung vom 17. Dezember 2024 vorgesehen war. Als empfangsbedürftige Willenserklärung wird die Versagung des Einvernehmens nach § 31 VwVfG i.V.m. § 130 BGB erst in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie der Genehmigungsbehörde zugeht (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.2020 – 4 C 1/19 – juris Rn. 19).
22
d) Eine Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. 246 Abs. 15 BauGB ist bei summarischer Prüfung vorliegend gleichwohl nicht eingetreten, da es an einem ordnungsgemäßen Ersuchen des Landratsamtes im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB fehlt.
23
Da § 246 Abs. 15 BauGB hinsichtlich des Fristbeginns keine (abweichende) Regelung trifft, richtet sich dieser nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB. Vorliegend bedurfte es zur Auslösung der verkürzten Monatsfrist des § 246 Abs. 15 BauGB nach § 36 Abs. 2 Satz 2 1.HS BauGB eines an die Antragstellerin gerichteten Ersuchens des Landratsamts, da der Bauantrag gem. § 8 Satz 1 DBauV in der bis zum 31. Dezember 2024 geltenden Fassung abweichend von Art. 64 Abs. 1 BayBO in der bis zum 31. Dezember 2024 geltenden Fassung bei der Bauaufsichtsbehörde einzureichen war.
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Ein ordnungsgemäßes Ersuchen im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB muss in Anbetracht der weitreichenden Folgen der Zustimmungsfiktion aus Gründen der Rechtssicherheit eindeutig als solches formuliert sein; maßgeblich ist insoweit der Empfängerhorizont der Gemeinde. Diese muss erkennen können, dass und in welcher Hinsicht die gegebenenfalls eine Fiktionswirkung auslösende Frist in Gang gesetzt wird (vgl. OVG NW, U.v. 9.5.2014 – 8 A 432/12 – juris Rn. 70). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben stellt das Schreiben des Landratsamts vom 6. November 2024, in dem die Antragstellerin um Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zum 7. Januar 2025 gebeten wurde mit dem Hinweis darauf, dass das gemeindliche Einvernehmen gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gelte, wenn es nicht innerhalb der o.g. Frist verweigert werde, kein ordnungsgemäßes Ersuchen dar. Denn die erfolgte „Setzung“ einer Zweimonatsfrist nach § 36 Abs. 2 Abs. 2 BauGB statt der tatsächlich einschlägigen Monatsfrist des § 246 Abs. 15 BauGB erzeugte bei der Antragstellerin einen Irrtum über die maßgebliche Einvernehmensfrist, der dazu führte, das die Antragstellerin die am 3. Dezember 2024 vom Bauausschuss beschlossene Versagung des gemeindlichen Einvernehmens dem Landratsamt erst am 20. Dezember 2024 – nach einer Befassung des Stadtrates mit dem Vorgang in der Sitzung am 17. Dezember 2024 und Inkrafttreten der Veränderungssperre am 19. Dezember 2024 – mitteilte. Nach Auffassung des Senats war die fehlerhafte „Fristsetzung“ im Ersuchen des Landratsamts nach den Umständen des vorliegenden Falles – anders als etwa in dem dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2020 (4 C 1.19 – juris Rn. 14) zugrunde liegenden Sachverhalt – bei summarischer Prüfung auch objektiv geeignet, bei der Antragstellerin einen entsprechenden Irrtum über die maßgebliche Einvernehmensfrist hervorzurufen, nachdem es sich bei der Zweimonatsfrist nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB um den Regelfall der Einvernehmensfrist handelt und hinzukommt, dass der Bauantrag vom 5. November 2024 nicht nur eine Anlage zur Flüchtlingsunterbringung im Sinne von § 246 Abs. 15 BauGB, sondern noch ein weiteres, nicht der Flüchtlingsunterbringung dienendes Teilvorhaben beinhaltete, auch wenn letzteres tatsächlich nicht einer Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen bedurfte. Vor diesem Hintergrund kann sich hier die Genehmigungsbehörde, der auch die Rechts- und Fachaufsicht über die Gemeinde obliegt, nicht darauf berufen, die Gemeinde hätte die fehlerhafte Rechtsauffassung der Genehmigungsbehörde erkennen und die Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen binnen Monatsfrist herbeiführen und übermitteln müssen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Interessen der Bauherren, die in Bezug auf die Auslösung der Frist für eine etwaige fiktive Einvernehmenserteilung nach der Gesetzeslage stets davon abhängig sind, dass die Genehmigungsbehörde ein ordnungsgemäßes Ersuchen an die Gemeinde richtet. Nachdem es an einem ordnungsgemäßen Ersuchen fehlt, kommt es nicht darauf an, dass die gesetzlichen Einvernehmensfristen grundsätzlich nicht disponibel sind.
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e) Da das gemeindliche Einvernehmen damit nicht als ersetzt gilt und – da die Genehmigungsbehörde zu Unrecht vom Eintritt der Einvernehmensfiktion ausgegangen ist – auch nicht ersetzt wurde, wurde die Baugenehmigung ohne das erforderliche gemeindliche Einvernehmen erteilt. Allein die Verletzung oder Missachtung des gesetzlich gewährleisteten Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen führt zur Aufhebung der Baugenehmigung; einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Rechtslage bedarf es nicht (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 4 C 1.14 – juris 17; B.v. 25.8.2014 – 4 B 20.14 – juris Rn. 4; B.v. 11.8.2008 – 4 B 25.08 – juris Rn. 6).
26
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich daher keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf 52 Abs. 1 VwGO i.V.m. den Nrn. 1.5 und 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
28
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).