Titel:
Ausweisung, Mehrfache Verurteilungen wegen Betäubungsmittelhandels, Erneute Straffälligkeit während Maßregelvollzugs, Erledigterklärung der Therapie, Familiäre Bindungen (deutsche Kinder und Lebensgefährtin), Faktischer Inländer (verneint), Divergenz (verneint)
Normenketten:
AufenthG §§ 53 ff.
GG Art. 6
GR-Charta Art. 7
GR-Charta Art. 24
AEUV Art. 20
EMRK Art. 8
Schlagworte:
Ausweisung, Mehrfache Verurteilungen wegen Betäubungsmittelhandels, Erneute Straffälligkeit während Maßregelvollzugs, Erledigterklärung der Therapie, Familiäre Bindungen (deutsche Kinder und Lebensgefährtin), Faktischer Inländer (verneint), Divergenz (verneint)
Vorinstanz:
VG Ansbach, Entscheidung vom 08.11.2022 – AN 5 K 22.1545
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2844
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2022 weiter, mit dem insbesondere die Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland verfügt wurde (Ziffer 1 des Bescheides), ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet wurde (Ziffer 2), welches auf die Dauer von acht Jahren ab dem Verlassen des Bundesgebietes befristet wurde (Ziffer 3), sowie die Abschiebung des Klägers aus der Haft insbesondere nach Kuba angedroht (Ziffer 4) bzw. für den Fall der Unmöglichkeit der Abschiebung aus der Haft und des Nichteinhaltens der Ausreisefrist die Abschiebung des Klägers insbesondere nach Kuba angedroht wurde (Ziffer 5).
2
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
3
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; dazu nachfolgend 1.1) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO; dazu nachfolgend 1.2), deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor.
4
1.1 Die Berufung ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
5
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
6
1.1.1 Die Angriffe des Klägers gegen die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts greifen weder in tatsächlicher (1.1.1.1) noch in rechtlicher Hinsicht (1.1.1.2) durch, noch rügt der Kläger mit Erfolg einen diesbezüglichen Aufklärungsmangel (1.1.1.3).
7
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Gefahrenprognose konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen werde. Anlass für die Ausweisung sei die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht N. am 13. Mai 2020 wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen zu 7 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe (dem lag zu Grunde, dass der Kläger gemeinsam mit anderen zweimal ca. fünf Kilogramm Marihuana in H. ankaufte, um es in E. zu verkaufen, sowie bei sieben Gelegenheiten insbesondere mit Kokain handelte bzw. es anbot). Ausgehend davon, dass gerade bei Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte wie Betäubungsmitteldelikten an den Grad der Wiederholungswahrscheinlichkeit regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen seien, gehe der Beklagte zutreffend von einer Wiederholungsgefahr aus. Bei den abgeurteilten Betäubungsmitteldelikten handele es sich um zum Teil um sehr schwerwiegende Straftaten, die typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft seien. Dies gelte insbesondere für den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln, der regelmäßig mit einer hohen kriminellen Energie verbunden sei und in besonders schwerwiegender Weise Gesundheit und Leben anderer Menschen gefährde. Auch dass der Kläger die Anlassstraftaten während laufender einschlägiger Bewährung begangen habe und im Maßregelvollzug nunmehr erneut wegen des Verdachts, kilogrammweise mit Betäubungsmitteln gehandelt zu haben, festgenommen worden sei, belege die Wiederholungsgefahr.
8
1.1.1.1 Dem Einwand des Klägers, diese Gefahrenprognose sei nicht mehr tragfähig, da der gegen ihn erlassene Haftbefehl mittlerweile aufgehoben worden sei und er sich wieder in der Maßregelvollzugseinrichtung zur Behandlung im Rahmen des § 64 StGB befinde, ist nicht zu folgen. Die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts wird weder durch die Aufhebung des gegen den Kläger ergangenen Haftbefehls in Frage gestellt, noch ergibt sich aus der weiteren Entwicklung des Klägers bis zum für die Gefahrenprognose maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine zur Zulassung der Berufung führende, erhebliche Tatsachenänderung:
9
Die Aufhebung des Haftbefehls durch Beschluss des Amtsgerichts vom 8. Dezember 2022 führt nicht dazu, dass die Gefahrenprognose auf unzutreffenden Tatsachen beruht. Zum einen handelt es sich insoweit um eine selbständige Begründungserwägung des Verwaltungsgerichts, das die Gefahrenprognose (in erster Linie) daneben auf die abgeurteilten Straftaten gestützt hat. Zum anderen steht die mittlerweile erfolgte Aufhebung des Haftbefehls vom 30. August 2022 der Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schadenseintritts an einem geschützten Rechtsgut nicht entgegen. Zwar wurde der Kläger aufgrund der Aufhebung des Haftbefehls in den Maßregelvollzug zurückverlegt, wobei die bisher bewilligten Lockerungen ruhten und der weitere Maßregelvollzug in der geschlossenen Abteilung des Bezirksklinikums bzw. (ab 14.6.2023) aus Sicherheitsgründen in der Forensischen Klinik S. erfolgte. Die strafrechtlichen Ermittlungen in dieser Sache dauerten jedoch an (vgl. Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 8.2.2023) und führten zu der – wegen nachfolgender Einstellung des Verfahrens in der Berufungsinstanz gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung vom 13. Mai 2024 wirkungslos gewordenen – Verurteilung durch das Amtsgericht M. vom 27. April 2023 zu drei Monaten Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana, Kokain). Dem lag zugrunde, dass der Kläger am 9. November 2022 gegen 10:00 Uhr in seinem Haftraum in der JVA 8,10 Gramm Haschisch und 0,8 g Kokain in dem Wissen aufbewahrt habe, dass er nicht über die dazu erforderliche Erlaubnis verfügt habe. Es kann offenbleiben, ob dieser vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt trotz der im Nachgang erfolgten Einstellung des diesbezüglichen Strafverfahrens im Rahmen der Gefahrenprognose verwertet werden kann. Dafür sprechen das Geständnis des Klägers und die damit übereinstimmenden Aussagen der beiden Zeugen in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht M., durch welche der Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK dürfte einer Verwertung der Ermittlungsergebnisse im verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffend die Ausweisung nicht entgegenstehen, da die Einstellung des Strafverfahrens im Hinblick auf eine anderweitige Verurteilung nach § 154 Abs. 2 StPO nicht aus Rechtsgründen oder wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts erfolgt (vgl. insoweit § 170 Abs. 2 StPO). Voraussetzung der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ist vielmehr, dass die im eingestellten Verfahren zu erwartende Ahndung neben der rechtskräftigen anderweitigen Verurteilung nicht beträchtlich ins Gewicht fällt (§ 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO, vgl. Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 154 Rn. 23). Die Einstellung erfolgt jedoch auf der Grundlage einer tatsachenfundierten Sachverhaltsermittlung (vgl. Teßmer in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 154 Rn. 5). Es ist den Verwaltungsgerichten im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht verwehrt, die im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und (gegebenenfalls) im strafgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel einer eigenständigen Überprüfung etwa im Hinblick darauf zu unterziehen, ob sich daraus hinreichende Schlussfolgerungen für das Vorliegen der Voraussetzungen der verwaltungsrechtlichen Eingriffsgrundlage (hier der §§ 53 ff. AufenthG) ergeben (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – juris Rn. 21). Letztlich kann die Frage der Verwertbarkeit dieses Sachverhaltes aber offenbleiben, da er durch das weitere Geschehen überholt wurde, welches die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts bestätigt:
10
Am 27. Juli 2023 erging erneut ein Haftbefehl gegen den Kläger, der sich ab diesem Zeitpunkt wieder in Untersuchungshaft befand. Mit Urteil des Landgerichts N. vom 13. Mai 2024 wurde der Kläger sodann wegen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Kläger im Zeitraum zwischen dem 4. August 2022 und dem 13. August 2022 – mithin während des Maßregelvollzugs aufgrund der Verurteilung vom 13. Mai 2020 – mit einem nicht identifizierten Chatpartner über einen Messenger-Dienst Ankauf von 10 Kilogramm Marihuana, zunächst gegen eine Anzahlung von 25.000 €, vereinbarte. Die Entgegennahme des Cannabis sowie die Leistung der Anzahlung sollten über einen Kurier des Klägers am 13. August 2022 gegen 18:30 Uhr erfolgen. Aus nicht näher aufklärbaren Umständen kam der Kurier des Klägers nicht zum vereinbarten Treffpunkt, weshalb nicht näher bekannte Dritte am vereinbarten Übergabeort das Cannabis für den Kläger entgegennahmen und für diesen bunkerten (wobei sich nach der Übergabe herausstellte, dass durch den Kurier des Chatpartners fälschlicherweise nur 5 Kilogramm Marihuana statt der vereinbarten 10 Kilogramm übergeben wurden). Das Cannabis mit jeweils einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5% THC wurde anschließend durch den Kläger gewinnbringend weiterverkauft. Zugunsten des Klägers wurden sein – wenn auch spätes – Geständnis gewertet sowie der Umstand, dass dieser sich mit der formlosen Einziehung des sichergestellten Bargeldes sowie der sichergestellten Gegenstände einverstanden erklärt hatte. Weiter wurde gesehen, dass es sich bei Marihuana nicht mehr um Betäubungsmittel handelt, sondern um Cannabis, dessen Besitz in geringen Mengen aufgrund der geringeren Gefährlichkeit vom Gesetzgeber straflos gestellt wurde. Zudem wurden die lange Verfahrensdauer und das Hin und Her zwischen Untersuchungshaft und Unterbringung berücksichtigt. Zu Lasten des Klägers wurde jedoch gewertet, dass er mit erheblichen Mengen an Marihuana Handel getrieben hatte und zudem mehrfach und einschlägig wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestraft war. Dabei wurde insbesondere die enorme Rückfallgeschwindigkeit berücksichtigt und hervorgehoben, dass der Kläger im Rahmen der – in der vorausgehenden Verurteilung verhängten – Unterbringung nach § 64 StGB die erste Gelegenheit während seiner Ausgangszeiten nutzte, um wieder in alte Lebensmuster zurückzufallen.
11
Eine Unterbringung in einer Therapieeinrichtung wurde mangels Erfolgsaussicht nicht angeordnet, wobei das Landgericht (im Anschluss an das Sachverständigengutachten) davon ausging, dass kein symptomatischer Zusammenhang zwischen der Tat und dem möglicherweise vorliegenden Hang bestehe, weil die Tat nicht überwiegend auf den Hang zurückgehe. Aus dem in diesem Strafverfahren vom Landgericht N. eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 22. Januar 2024 geht hervor, dass die (mit Urteil des Landgerichts vom 13.5.2024 abgeurteilten) Taten nicht überwiegend auf der Abhängigkeit des Klägers beruhten. Angesichts der sehr hohen Erwerbsmengen sei es eher fernliegend, dass ein signifikanter Anteil zum Eigenkonsum verwendet worden sei. Die Erfolgsaussichten einer neuerlichen Unterbringung gemäß § 64 StGB bewertete die Sachverständige negativ, da der Kläger die Taten während der Unterbringung gemäß § 64 StGB verübt habe, was für eine nach wie vor bestehende „Verhaftung an deliktnahe Strukturen“ und gegen ein Abstinenzbestreben und eine Veränderungsbereitschaft des Klägers spreche. Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 4. Juli 2024 wurde daraufhin die im Urteil des Landgerichts N. vom 13. Mai 2020 angeordnete Unterbringung mangels tatsächlicher Anhaltspunkte für einen hinreichend wahrscheinlichen Therapieerfolg im Sinne des § 64 Abs. 2 StGB für erledigt erklärt. Der Umstand, dass der im Strafverfahren aus dem Jahr 2020 gerichtlich bestellte Sachverständige die Therapieaussichten des Klägers anders beurteilt hatte, steht dem nicht entgegen. Denn das neuerliche Gutachten vom 22. Januar 2024 berücksichtigt den zwischenzeitlichen Verlauf des Maßregelvollzugs sowie die erneute Straffälligkeit des Klägers und beruht damit auf einer aktuelleren und breiteren Tatsachenbasis.
12
Die im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats seit der Anlassverurteilung vom 13. Mai 2020 aufgetretenen weiteren strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers, seine (gutachterlich festgestellte) mangelnde Veränderungsbereitschaft sowie die daraus resultierenden mangelnden Erfolgsaussichten einer weiteren Therapie stützen somit die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Es ist geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit einer rechtskräftigen Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn strafgerichtliche Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder die Ausländerbehörden oder Verwaltungsgerichte über bessere Erkenntnismöglichkeiten als die Strafgerichte verfügen (BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 26.2.2024 – 10 ZB 23.2346 – juris Rn. 9; B.v. 2.5.2022 – 10 CS 21.1706 – juris Rn. 5; B.v. 10.6.2020 – 10 CS 20.840 – juris Rn. 6; B.v. 10.4.2019 – 19 ZB 17.1535 – juris Rn. 17). Vorliegend sind die den genannten straf- und strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte aufgrund der Beweisaufnahme und der darauf beruhenden rechtskräftigen Feststellungen der Strafgerichte hinreichend aufgeklärt. Ein weiterer Ermittlungsbedarf wird vom Kläger nicht aufgezeigt und drängt sich auch nicht auf.
13
Es lässt sich somit im Einklang mit dem eingeschränkten Zweck des Berufungszulassungsverfahrens zuverlässig feststellen, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden hat und die angestrebte Berufung deshalb keinen Erfolg haben wird (vgl. VGH BW, B.v. 10.12.2024 – 12 S 2237/22 – juris Rn. 3 mit Verweis auf BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 34; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 7). Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf es deshalb keiner Berufungszulassung zum Zweck weiterer Sachverhaltsaufklärung. Eine Vorverlagerung der auf der Basis neuer entscheidungsrelevanter tatsächlicher Umstände zu treffenden Prognose- und Abwägungsentscheidung in das Berufungszulassungsverfahren und eine damit einhergehende Verkürzung des Rechtsschutzes steht entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht zu befürchten (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 37; BayVGH, B.v. 1.12.2022 – 19 ZB 22.1538 – juris Rn. 46; VGH BW, B.v. 10.12.2024 – 12 S 2237/22 – juris Rn. 21 ff.).
14
1.1.1.2 In rechtlicher Hinsicht rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe sich bei seiner Gefahrenprognose von der Überlegung leiten lassen, dass es „Fallgruppen“ gäbe, bei denen an den Grad der Wiederholungswahrscheinlichkeit geringe Anforderungen zu stellen seien. Diese Auffassung sei mit dem Gesetzeswortlaut nicht in Einklang zu bringen. Das Ausweisungsrecht kenne gerade keine indizierte Gefahr, sondern verlange in jedem Einzelfall eine vollumfängliche individuelle Gefahrenprognose. Das Verwaltungsgericht zeige nicht auf, auf welches Verhalten des Klägers sich die Gefahrenprognose gründe. Rechtsfehlerhaft sei es zudem, die Wiederholungsgefahr mit der Begehung von Straftaten zu begründen, die nicht abgeurteilt worden seien. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts folge die Wiederholungsgefahr nicht aus dem Urteil des Landgerichts N. vom 13. Mai 2020, da die letzte Tat vom 29. Mai 2019 knapp vier Jahre zurückliege. Die Wiederholungsgefahr folge auch nicht etwa aus der Suchterkrankung. Das Verwaltungsgericht habe keine Tatsachenaufklärung durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens vorgenommen, obwohl es von dem Fortbestand einer psychischen Erkrankung ausgehe. Das Landgericht habe im Rahmen der Entscheidung über den Maßregelvollzug sachverständig festgestellt, dass konkrete Erfolgsaussichten hinsichtlich der Behandlung der Suchterkrankung vorlägen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Behandlung nicht regulär und erfolgreich abschließen werde, habe das Verwaltungsgericht nicht (fest-)gestellt. Ein Austauschen der Begründung durch Alternativtatsachen, für die bisher auch nichts vorgetragen worden sei und die nicht ersichtlich seien, komme im Berufungszulassungsverfahren auch nicht in Betracht. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Behandlung erfolgreich abgeschlossen werde und auch dann erst eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug erfolge und die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werde.
15
Diesen Rügen vermag der Senat sich nicht anzuschließen.
16
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Da jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde liegt, sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 16; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 16; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 6.9.1974 – 1 C 17.73 – juris Rn. 23; U.v. 17.3.1981 – 1 C 74.76 – juris Rn. 29; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – juris Rn. 41). Die Annahme einer Wiederholungsgefahr scheidet nicht erst dann aus, wenn eine an naturwissenschaftlichen Erkenntnismaßstäben orientierte Gewissheit gegeben ist, dass der Ausländer nicht mehr straffällig wird, sondern bereits dann, wenn bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht (mehr) in Rechnung zu stellen sind, d.h. das von dem Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht (BVerwG, U.v. 17.10.1984 – 1 B 61.84 – juris Rn. 7; VGH BW, U.v. 2.1.2023 – 12 S 1841/22 – juris Rn. 45 m.w.N.).
17
Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht sich bei seiner Gefahrenprognose von den dargestellten Maßstäben entfernt hätte. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Gefahrenprognose konkret mit dem Verhalten des Klägers begründet. Darüber hinaus gehend hat das Verwaltungsgericht auch die weiteren Entwicklungen nach den abgeurteilten Straftaten, insbesondere nach der Verurteilung, in den Blick genommen. Trotz der vom Kläger beanstandeten Formulierung, es seien „bei Fallgruppen besonders schwerer und schädlicher Delikte wie Betäubungsmitteldelikten“ an den Grad der Wiederholungswahrscheinlichkeit regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen, geht aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht hervor, dass das Verwaltungsgericht die Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Gefahrenprognose nicht berücksichtigt und die Taten des Klägers unreflektiert einer „Fallgruppe“ zugeordnet hätte. Vielmehr setzt sich das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Prognoseentscheidung ausführlich mit den maßgeblichen Umständen des Einzelfalles auseinander (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 12). Ausgehend von dem Grundsatz, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist („gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“), nimmt das Verwaltungsgericht zu Recht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadens an überragend wichtigen Rechtsgütern und damit eine Wiederholungsgefahr an:
18
In Übereinstimmung mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann im Falle des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass das vom Kläger ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht. Auch insoweit sind die Einzelumstände maßgeblich, da ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen darf (vgl. BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 23; B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19). Der Kläger hat in der Vergangenheit mehrfach, auch während laufender Bewährung sowie laufenden Maßregelvollzugs, Betäubungsmitteldelikte begangen. Anlass für die Ausweisung waren die Verurteilungen in den Strafurteilen des Amtsgerichts E. vom 7. März 2017 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – wobei die Strafaussetzung zur Bewährung infolge der nachfolgenden Verurteilung widerrufen wurde – sowie des Landgerichts N. (Urteil vom 13.5.2020) zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen. Während des laufenden Ausweisungsverfahrens wurde der Kläger erneut einschlägig auffällig. Das Landgericht N. verurteilte den Kläger am 13. Mai 2024 wegen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. In der Folge ist, wie ausgeführt, die sachverständig beratene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts im Beschluss vom 4. Juli 2024 in Anbetracht der zwischenzeitlich begangenen Straftaten des Klägers davon ausgegangen, dass die (im Urteil des Landgerichts N. vom 13.5.2020 angeordnete) Unterbringung keinen hinreichend wahrscheinlichen Therapieerfolg im Sinne des § 64 Abs. 2 StGB verspricht, und hat die Maßnahme deshalb für erledigt erklärt. Entgegen der Annahme des Klägers ist somit gerade nicht davon auszugehen, dass die Therapie erfolgreich abgeschlossen werden wird. Es kann nach den Gesamtumständen nicht auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung des Klägers geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).
19
Zu Recht geht das Verwaltungsgericht des Weiteren davon aus, dass die festgestellte hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden (durch das Verhalten des Klägers) auch gewichtige Rechtsgüter betrifft.
20
Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (vgl. Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Die Folgen des Betäubungsmittelkonsums, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH und des EGMR; BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-149/09, „Tsakouridis“ NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldelikts – wie vorliegend – in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (EGMR, U.v. 30.11.1999 – Nr. 3437-97, „Baghli“ – NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 – Nr. 52853/99‚ “Yilmaz“ – NJW 2004, 2147; vgl. OVG NRW, B.v. 17.3.2005 – 18 B 445.05 – juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 19 ZB 20.2139 – juris Rn. 32; B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8).
21
1.1.1.3 Die klägerische Rüge, das Verwaltungsgericht habe es nicht für geboten angesehen, durch ein Sachverständigengutachten aufzuklären, ob sich aus seiner „angeblich unbehandelten Suchterkrankung“ eine Wiederholungsgefahr ergebe, greift ebenfalls nicht durch. Indem der Kläger sinngemäß rügt, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, macht er einen Verfahrensmangel geltend. Dies kann im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur geschehen, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zur Zulassung führen würde (vgl. HessVGH, B.v. 1.11.2012 – 7 A 1256/11.Z – juris Rn. 9 m.w.N.; VGH BW, B.v. 17.2.2009 – 10 S 3156/08 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 11.5.2021 – 10 ZB 20.2326 – juris Rn. 20; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 124 Rn. 26g). Dies ist hier indes nicht der Fall:
22
Eine Beweiserhebung durch förmlichen Beweisantrag wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom anwaltlich vertretenen Kläger nicht beantragt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen hierfür nicht (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2006 – 4 BN 30.06 – juris). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 – 6 B 47.10 – juris Rn. 12). Das Unterlassen eines Beweisantrags ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Dies ist aber vorliegend nicht der Fall.
23
Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 36; B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5).
24
1.1.2 Da beim Kläger somit von einer weiterhin bestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen ist, kann dahinstehen, ob auch generalpräventive Gründe, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, die Ausweisung stützen.
25
1.1.3 Nicht zu beanstanden ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angenommen, dass die streitgegenständliche Ausweisung auch im Hinblick auf die wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK verhältnismäßig ist.
26
Das Verwaltungsgericht hat aufgrund der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht N. vom 13. Mai 2020 wegen Drogendelikten zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe vertypte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG angenommen. Dem stünden vertypte besonders schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (aufgrund seiner Niederlassungserlaubnis und seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet) sowie nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (aufgrund der unstreitig schützenswerten Vater-Kind-Beziehung) gegenüber. In der Gesamtabwägung sei die Ausweisung jedoch weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG (nicht abschließend) aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet und trotz seiner (bereits im Jugendlichenalter erworbenen) Niederlassungserlaubnis sei dem Kläger eine soziale und wirtschaftliche Integration nicht gelungen. Massiv gegen den Kläger sprächen dessen nicht erfolgreich therapiertes Suchtproblem und die Tatsache, dass er mehrfach und erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, zum ersten Mal bereits im Alter von 14 Jahren, und wiederholt sowie in der Summe lange Zeit in Haft gewesen sei. Trotz einer ausländerrechtlichen Verwarnung sowie trotz Haftverbüßung und laufender Bewährung habe er die Anlasstaten begangen. Der Kläger sei nicht bereit, die deutsche Rechtsordnung zu akzeptieren und sich in diese einzufügen. Zuletzt sei seine Therapie im Maßregelvollzug abgebrochen worden, weil er aufgrund des dringenden Verdachtes neuer einschlägiger Straftaten festgenommen worden sei. Zwar dürfe nicht verkannt werden, dass der Erziehungsbeitrag eines Vaters grundsätzlich nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder Dritter ersetzt werden könne. Dennoch erscheine die Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Zwar habe der Kläger bis zu seinem Auszug im November 2016 mit den Kindern und deren Mutter zusammengelebt und auch im Maßregelvollzug habe ein (im Zuge der Lockerungen intensivierter) Kontakt bestanden, wenngleich noch in reduziertem Umfang. Darüber hinaus sei der Kontakt nach der Trennung der Eltern Ende 2016 und danach auch jedenfalls aufgrund der Haftaufenthalte des Klägers stark eingeschränkt gewesen. Seit seiner Inhaftierung in der JVA M. ab dem 21. September 2022 bestehe gar kein Kontakt mit den Kindern mehr. Da der Kläger nunmehr voraussichtlich zumindest die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts N. vom 13. Mai 2020 verbüßen müsse, werde ein Kontakt auch in den nächsten Jahren nur sehr eingeschränkt stattfinden können. Die Trennung des Klägers von seinen in den Jahren 2014 und 2016 geborenen Kindern sei ihm auch insofern zumutbar, als diese ausschließlich Konsequenz seines kriminellen Verhaltens sei, von dem ihn auch die Kinder nicht abgehalten hätten. Aufgrund der vom Kläger ausgehenden, sehr hohen Gefahr sehr schwerwiegender Drogenstraftaten sei der Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht der Ehe und Familie aus Gründen der Gefahrenabwehr notwendig und erforderlich. Dem Kläger sei insofern zuzumuten, den Kontakt zu seinen Kindern über Fernkommunikationsmittel, Briefkontakt und Besuche in seinem Heimatland aufrechtzuerhalten. Im Übrigen sei es dem Kläger zumutbar, sich in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit er habe und in dem er bis zu seinem zehnten Lebensjahr mit seiner Mutter gelebt habe, zu integrieren. Es sei davon auszugehen, dass er die spanische Sprache zu diesem Zeitpunkt altersentsprechend beherrscht habe und dass er auch danach über seine Mutter mit der dortigen Sprache und Kultur in Kontakt gewesen sei, sodass er sich ohne schwerwiegende Probleme in die dortigen Lebensverhältnisse werde einfügen können. Im Rahmen der Gesamtabwägung überwiege damit – insbesondere aufgrund der langjährigen Delinquenz des Klägers und der Schwere der von ihm zu erwartenden Straftaten – das öffentliche Interesse an seiner Ausreise.
27
Die dagegen vom Kläger vorgebrachten Einwände tatsächlicher (1.1.3.1) und rechtlicher Art (1.1.3.2) greifen nicht durch.
28
1.1.3.1 Der Kläger rügt, der Beklagte sei zwar von einer schützenswerten Vater-Kind-Beziehung des Klägers zu seinen beiden minderjährigen Kindern deutscher Staatsangehörigkeit ausgegangen, habe die Ausweisung aber dennoch wegen der Anlassverurteilung und des mittlerweile erlassenen Haftbefehls verfügt. Das Verwaltungsgericht sei tragend davon ausgegangen, dass der Kläger im Maßregelvollzug wegen des Verdachts, kilogrammweise mit Betäubungsmitteln gehandelt zu haben, festgenommen worden sei. Der Haftbefehl sei aber mittlerweile aufgehoben worden, weshalb die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger nunmehr voraussichtlich die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts N. vom 13. Mai 2022 verbüßen müsse und der Kontakt zu den Kindern in den nächsten Jahren nur sehr eingeschränkt stattfinden könne, nicht mehr zutreffe.
29
Auch insoweit trägt der vorliegende, aufgrund der rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen feststehende Sachverhalt – auch angesichts der gegenüber den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eingetretenen Veränderungen – weiterhin die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen. Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf es somit keiner Berufungszulassung zum Zweck weiterer Sachverhaltsaufklärung (vgl. dazu BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 27; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 37). Zwar wurde der Kläger nach der erstinstanzlichen Entscheidung, wie ausgeführt, aufgrund der Aufhebung des Haftbefehls in den Maßregelvollzug zurückverlegt, allerdings in die geschlossene Abteilung. Am 14. Juni 2023 wurde er sodann aus Sicherheitsgründen in die Einrichtung in S. verlegt. Schon aufgrund dieser gegenüber den vorherigen Lockerungen wieder deutlich restriktiveren Bedingungen des Maßregelvollzugs und der – infolge der Verlegung – größeren Entfernung zum Wohnort der Familienangehörigen des Klägers musste die Intensität des Kontaktes zu seinen Kindern abnehmen. Dies gilt erst Recht im Hinblick darauf, dass sich der Kläger ab dem 27. Juli 2023 erneut zunächst in Untersuchungshaft in der JVA A. und seit dem Eintritt der Rechtskraft der weiteren Verurteilung vom 13. Mai 2024 wieder im Strafvollzug in der JVA M. befand. Der bisher angeordnete Maßregelvollzug ist erledigt, ein weiterer wurde nicht angeordnet. Somit trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass ein Kontakt des Klägers mit seinen Kindern auch in den nächsten Jahren aufgrund der Haftverbüßung nur sehr eingeschränkt werde stattfinden können, nach wie vor zu.
30
Weiter trägt der Kläger (erstmals im Zulassungsverfahren) vor, seine im Jahr 2016 geborene Tochter leide an einer Autoimmunerkrankung mit rheumatischen Fieberschüben. Auf die Trennung von ihrem Vater reagiere sie mit Rückfällen. Nach wiederholten Schüben im Mai 2021 (hierzu wurden ein Arztbericht vom 16.11.2021 – Bl. 94 der VGH-Akte – sowie Aufzeichnungen der Mutter des Kindes – Bl. 155/156 der VGH-Akte – vorgelegt) sei das Kind im Anschluss nach Stabilisierung mehrmonatig symptomfrei gewesen und habe im zeitlichen Zusammenhang mit der Inhaftierung wieder einen Schub erlitten. Die Vermeidung psychischer Stressoren sei daher essentiell und eine langjährige Unterbrechung des persönlichen Kontakts zum Vater stelle eine unmittelbare Kindeswohlgefährdung dar.
31
Dieser Vortrag rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass die Ausweisung aufgrund einer Gefährdung des im Rahmen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK zu berücksichtigenden Kindeswohls unverhältnismäßig und damit rechtswidrig wäre. Mit seinem Hinweis, dass seine Tochter infolge seiner Inhaftierung einen Rückfall erlitten habe, macht der Kläger keinen kausalen Zusammenhang der Fieberschübe mit Trennungserlebnissen glaubhaft. Auch aus dem vorgelegten Arztbericht vom 16. November 2021 (über eine Verlaufskontrolle vom 25.5.2021) geht kein solcher Kausalzusammenhang hervor, zumal (nach damaligem Stand) etwa alle vier Wochen Fieberepisoden auftraten. Erst Recht geht der Arztbericht nicht auf die gesundheitlichen Folgen einer möglichen Aufenthaltsbeendigung des Klägers für das Kind ein. Des Weiteren befindet sich der Kläger seit 27. Juli 2023 wieder durchgehend in Haft, womit für seine Tochter eine seit nunmehr über eineinhalb Jahren bestehende Veränderung der familiären Situation eingetreten ist. Fachärztliche Stellungnahmen zum aktuellen Gesundheitszustand der Tochter wurden jedoch nicht vorgelegt.
32
1.1.3.2 Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ist auch in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
33
Der Kläger rügt (im Wesentlichen), das Verwaltungsgericht habe weder die Folgen der Ausweisung für die Lebensgefährtin und die Kinder angemessen berücksichtigt, noch die Verhältnismäßigkeit ausreichend geprüft. Er sei als Kind nach Deutschland zusammen mit seiner Mutter im Wege des Familiennachzugs zu deren Ehemann eingereist (der Vater sei bereits verstorben, als der Kläger neun Jahre alt gewesen sei). Aus der Ehe mit dem Stiefvater sei die 2007 geborene (Halb-)Schwester des Klägers hervorgegangen, die deutsche Staatsangehörige sei und in Deutschland lebe, ebenso wie Mutter und Stiefvater. Der Kläger habe im Inland die Schule besucht und einen Schulabschluss erworben. Er habe eine Ausbildung angetreten und versucht, die Prüfungen zu bestehen. Weiterhin habe er viele Jahre gearbeitet, er habe eine eigene Familie (eine deutsche Lebensgefährtin und zwei minderjährige Kinder), zu denen eine enge Bindung bestehe. Der Kläger habe keinerlei Bindungen in sein Herkunftsland, konkrete Integrationsfaktoren habe das Verwaltungsgericht nicht eingestellt. Er habe dort weder eine Arbeitsstelle noch eine Wohnung. Ebenso wenig sei es den Kindern zumutbar, die Union zu verlassen. Auch sie seien deutsche Staatsangehörige und hätten nie an anderer Stelle gelebt. Die Ausweisung führe dazu, dass die Familienangehörigen des Klägers zur Aufrechterhaltung der persönlichen Beziehung und der direkten Kontakte das Gebiet der Union verlassen müssten und auf ein Leben im Ausland verwiesen würden. Dies verstoße jedoch gegen Art. 20 AEUV.
34
Dem ist jedoch nicht zu folgen. Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet die Abwägung der inmitten stehenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch das Verwaltungsgericht unter Beachtung des Art. 20 AEUV und des Art. 24 GR-Charta sowie der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK – auch in Anbetracht der zwischenzeitlich eingetretenen tatsächlichen Veränderungen – keinen Bedenken:
35
1.1.3.2.1 Ein Ausländer kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Eine schematische und allein in den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28.16 – juris Rn. 39). Der Gesetzgeber hat im Ausweisungsrecht in differenzierter Weise die Schutzwürdigkeit familiärer Bindungen ausdrücklich berücksichtigt und ihnen normativ verschieden gewichtete Bleibeinteressen zugeordnet (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG). Die Katalogisierung schließt es aber nicht aus, dass andere, nicht ausdrücklich in § 55 Abs. 1 AufenthG benannte Interessen und Umstände bei der zu treffenden Abwägungsentscheidung jeweils mit einem Gewicht einzustellen sein können, das einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse entsprechen kann (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49; BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 15; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 24; Bauer in Bergmann/Dienelt/Bauer, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 55 Rn. 5).
36
Gemessen daran nimmt das Verwaltungsgericht zu Recht an, dass der Kläger durch die vorliegenden rechtskräftigen Verurteilungen vom 13. Mai 2020 (u.a. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten) und 13. Mai 2024 (u.a. wegen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten) besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 1b AufenthG verwirklicht hat (sodass es auf die weiteren Straftaten des Klägers und dadurch verwirklichte Ausweisungsinteressen nicht entscheidend ankommt). Dem stellt das Verwaltungsgericht zutreffend ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (wegen der dem Kläger erteilten Niederlassungserlaubnis) gegenüber. Dem gegenüber kann der Kläger kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beanspruchen, da dieses den tatsächlichen Besitz, also die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 13 f. zur Aufenthaltserlaubnis; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.12.2024, § 55 AufenthG Rn. 18; Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.10.2024, § 55 AufenthG Rn. 21). Eine Niederlassungserlaubnis kann aber insoweit nicht mit einer Aufenthaltserlaubnis gleichgesetzt werden. Hierfür besteht auch im Falle des Klägers kein Bedürfnis, da der Gesetzgeber in dem vertypten Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Falle des Innehabens einer Niederlassungserlaubnis (die nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG grundsätzlich den mindestens fünfjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt) – welches beim Kläger vorliegt – bereits der mit einer Aufenthaltsbeendigung verbundenen Härte ausreichend Rechnung trägt, wie sie auch beim Kläger aufgrund seiner Einreise als Minderjähriger und der daraus resultierenden Aufenthaltsdauer sowie rechtlichen Aufenthaltsverfestigung vorliegt, ohne dass es einer nochmaligen Berücksichtigung im Einzelfall (als unbenanntes besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse) bedürfte.
37
Des Weiteren kann offenbleiben, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats über den Berufungszulassungsantrag noch das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG in Anspruch nehmen kann, obwohl der Kläger sich seit 27. Juli 2023 wieder in Haft befindet. Soweit die entsprechenden Einwendungen des Klägers darauf gestützt sind, dass dieser sich (nach Aufhebung des Haftbefehls vom 30.8.2022) wieder im Maßregelvollzug befinde, welcher eine Intensivierung der Vater-Kind-Kontakte ermögliche, können diese Einwendungen in Anbetracht des (im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung) veränderten Sachverhaltes nicht durchgreifen. In Anbetracht der noch andauernden Inhaftierung dürften die Kontakte des Klägers mit den beiden minderjährigen Kindern (mit der Mutter der Kinder soll zwar nach deren Angaben in der mündlichen Verhandlung wieder eine Beziehung bestehen, aber keine Ehe bzw. Lebenspartnerschaft im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) auch bei entsprechenden Besuchs- und Umgangsmöglichkeiten kaum die Intensität einer vom familiären Lebensgemeinschaft erreichen, sondern gelegentliche, wenn auch regelmäßige Kontakte nach der Art einer Begegnungsgemeinschaft darstellen.
38
Selbst wenn aber von einer familiären Lebensgemeinschaft auszugehen sein sollte, hat das Verwaltungsgericht – das unter den im Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehenden tatsächlichen Umständen von einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG ausgegangen ist – in der Gesamtabwägung aufgrund der wiederholten, schwerwiegenden Straftaten des Klägers gegen besonders bedeutende Rechtsgüter und der nachfolgenden Verurteilungen zu teilweise langjährigen Freiheitsstrafen zu Recht den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen den Vorrang eingeräumt. Dabei hat das Verwaltungsgericht zutreffend das Sorgerecht des Klägers sowie das Recht seiner Kinder auf Umgang mit ihrem Vater nach Art. 6 Abs. 2 GG in die Abwägung eingestellt, diesen Rechtspositionen aber in der Gesamtabwägung keinen Vorrang eingeräumt. Der Kläger liegt falsch, wenn er meint, das Bestehen einer familiären Bindung, wie sie der Gesetzgeber in dem vertypten besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG vor Augen hatte, schließe eine Aufenthaltsbeendigung auch bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die vertypten Bleibeinteressen die betroffenen verfassungsrechtlich (sowie unions- und konventionsrechtlich) geschützten privaten Belange abstrakt abschließend gewichtet, dabei aber den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 1 AufenthG ein ebenso hohes Gewicht beigemessen. Stehen sich derartige gleich gewichtige Interessen – wie im vorliegenden Fall – gegenüber, so bedarf es somit einer Abwägung im Einzelfall. Dabei sind die wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 GG sowie des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen, ohne dass ihnen ein absoluter Vorrang zukäme.
39
Zwar verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12; B.v. 17.4.2024 – 2 BvR 244/24 – juris Rn. 22). Zwar drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück, wenn eine schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind besteht diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden kann, etwa weil das Kind – wie die Kinder des Klägers – deutscher Staatsangehöriger ist und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter – die vorliegend ebenfalls deutsche Staatsangehörige ist – das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2022 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 22 m.w.N.). Eine Ausweisung des ausländischen Vaters bleibt jedoch bei besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen, die bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse überwiegen, zulässig (vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.12.2024, § 55 AufenthG Rn. 40).
40
Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf die sehr hohe Gefahr sehr schwerwiegender Drogenstraftaten hingewiesen, die vom Kläger ausgeht, und in Anbetracht dessen zutreffend angenommen, dass der Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht des Klägers aus Art. 6 GG aus Gründen der Gefahrenabwehr und aus den dargestellten überragenden öffentlichen Interessen notwendig und erforderlich ist. Es hat den Eingriff in die Grundrechte des Klägers auch als angemessen (und damit als verhältnismäßig im engeren Sinne) angesehen, weil es diesem zumutbar sei, den Kontakt zu seinen Kindern über Fernkommunikationsmittel, Briefkontakt und Besuche in seinem Heimatland aufrechtzuerhalten. Mit Blick auf das Recht der Kinder auf Umgang mit ihrem Vater aus Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK ist noch auszuführen, dass auch den Kindern eine entsprechende Einschränkung des Kontaktes zumutbar ist. Zwar werden die Gelegenheiten des persönlichen Umgangs mit ihrem Vater infolge der Aufenthaltsbeendigung auch unter Berücksichtigung der ohnehin schon bestehenden haftbedingten Einschränkungen noch einmal reduziert sein. Andererseits sind die 2014 und 2016 geborenen Kinder mittlerweile in einem Alter, in welchem ihnen die Umstände des nur eingeschränkten Kontaktes zu ihrem Vater altersgerecht verständlich gemacht werden können. Auch sieht der Senat durchaus die vom Kläger ausführlich geschilderten Erschwernisse, welche mit einem Besuch beim Vater in dessen weit entferntem Herkunftsland verbunden wären. Gleichwohl erscheinen diese Belastungen in Anbetracht des im Falle des Klägers sehr gewichtigen besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses als noch zumutbar. Dem Einwand des Klägers, Schulferien dienten nicht ausschließlich dem Verreisen, sondern neben Zeiten für Lerntätigkeit auch dazu, altersgerechte Freizeitgestaltung außerhalb des innerfamiliären Kontextes wahrzunehmen, da dies zu der normalen Entwicklung eines Kindes bzw. Jugendlichen gehöre, kann damit begegnet werden, dass Besuche im Herkunftsland realistischer Weise kaum die gesamten Schulferien abdecken werden. Insofern wird den Kindern sowohl für Freizeitgestaltung beispielsweise mit Freundinnen, Freunden oder bei Jugendfreizeiten als auch für das Wiederholen des Lernstoffs genügen Zeit verbleiben. Mit fortgeschrittenem Alter wird es den Kindern auch leichter fallen, den Wechsel zwischen Kontakten über Fernkommunikationsmittel und gelegentlichen persönlichen Besuchen zu akzeptieren, zumal ihnen Besuche im Herkunftsland des Klägers auch die Möglichkeit geben, eine andere Kultur kennen zu lernen. Nicht ausgeschlossen ist des Weiteren, dass derartige Besuche bei Bedarf finanziell gefördert werden können. In der Gesamtbetrachtung steht somit dem durchaus gewichtigen Eingriff in das Umgangsrecht der Kinder mit ihrem Vater das erhebliche öffentliche Ausweisungsinteresse infolge der langjährigen, wiederholten und schwerwiegenden Betäubungsmittelkriminalität des Klägers und der damit verbundenen Gefährdungen gewichtiger Rechtsgüter gegenüber, welches – gerade mit Blick auf seine gefahrenabwehrende Funktion – im Falle eines Verbleibs des Klägers im Bundesgebiet weitgehend unberücksichtigt bliebe.
41
1.1.3.2.2 Soweit der Kläger vortragen lässt, seine Kinder hätten einen Anspruch aus Art. 24 Abs. 3 GR-Charta auf persönlichen Umgang mit beiden Elternteilen und der Staat sei nicht befugt, diesen zu beschränken, verkennt er, dass ein unbedingter Vorrang des Kindeswohls vor entgegenstehenden öffentlichen Interessen weder Art. 7 noch 24 GR-Charta entnommen werden kann (BVerwG, B.v. 21.7.2015 – 1 B 26/15 – juris Rn. 5). Die GR-Charta erkennt zwar in ihrem Art. 7 GR-Charta, der in Verbindung mit der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 24 Abs. 2 GR-Charta und unter Beachtung des in deren Art. 24 Abs. 3 niedergelegten Erfordernisses zu lesen ist (EuGH, U.v. 27.6.2006 – C-540/03 – juris Rn. 58; U.v. 6.12.2012 – C-356/11 u.a. – juris Rn. 76), das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens an. Da aber das Recht nach Art. 7 und 24 GR-Charta den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entspricht (vgl. Art. 52 Abs. 3 GR-Charta sowie BVerwG, B.v. 21.7.2015 – 1 B 26/15 – juris Rn. 5 m.w.N.), ist – entsprechend der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK – ein angemessener Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herbeizuführen (EuGH, U.v. 27.6.2006 – C-540/03 – juris Rn. 54, 59). Art. 7 und 24 GR-Charta ist somit die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen wie Art. 8 Abs. 1 EMRK (BVerwG, B.v. 21.7.2015 – 1 B 26/15 – juris Rn. 5 m.w.N.). Einen derartigen angemessenen Ausgleich hat das Verwaltungsgericht vorgenommen, indem es die genannten Belange der minderjährigen Kinder des Klägers in die Gesamtabwägung eingestellt, im Ergebnis jedoch den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen den Vorrang eingeräumt hat. Insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen auch in Bezug auf Art. 24 Abs. 2 GR-Charta.
42
1.1.3.2.3 Eine Verletzung des Kernbereichs der Unionsbürgerschaft der Kinder des Klägers nach Art. 20 AEUV liegt nicht vor. Ein Aufenthaltsrecht sui generis, also eigener Art, eines drittstaatsangehörigen Elternteiles eines Unionsbürgers aus Art. 20 AEUV – und demzufolge ein rechtliches Hindernis für die Aufenthaltsbeendigung – kann nach der Rechtsprechung des EuGH nur „ausnahmsweise“ oder bei „Vorliegen ganz besondere(r) Sachverhalte“ erfolgen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 35 m.V.a. EuGH, U.v. 15.11.2011 – Dereci, C-256/11 – juris Rn. 67; U.v. 8.11.2012 – Iida, C-40/11 – juris Rn. 71; U.v. 8.5.2018 – K.A., C-82/16 – juris Rn. 51). Verhindert werden soll dadurch nur eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen oder sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 35; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 34). Gegen eine rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit spricht etwa die Tatsache, dass ein minderjähriger Unionsbürger – wie hier – mit einem sorgeberechtigten Elternteil zusammenlebt, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (bzw. über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und berechtigt ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen). Allerdings ist es möglich, dass dessen ungeachtet eine so große affektive Abhängigkeit des Kindes von dem nicht aufenthaltsberechtigten Elternteil besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 35). Einer solchen Feststellung muss die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Kindeswohls zugrunde liegen, insbesondere des Alters des Kindes, seiner körperlichen und emotionalen Entwicklung, des Grades seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 35 m.V.a. EuGH, U.v. 10.5.2017 – Chavez-Vilchez, C-133/15 – juris Rn. 71; BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 15.12 – juris Rn. 32 ff.). Bei dieser Prüfung ist auch die Dauer einer zu erwartenden Trennung des Kindes vom drittstaatsangehörigen Elternteil zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 35 m.V.a. EuGH, U.v. 8.5.2018 – C-82/16 – juris Rn. 56 und 58).
43
Insoweit ist vorliegend zwar zu berücksichtigen, dass die Kinder des Klägers mit diesem jedenfalls vor seiner Inhaftierung und während des Maßregelvollzugs regelmäßigen Umgang hatten, dieser gemeinsam mit der Mutter der Kinder personensorgeberechtigt ist, insbesondere die Tochter – wie vorgetragen – affektiv besonders an ihrem Vater zu hängen scheint und die zu erwartende Trennung (mindestens) auf die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots, mithin auf einen mehrjährigen Zeitraum (acht Jahre) angelegt ist. Andererseits leben die Kinder bei der Mutter (mit deutscher Staatsangehörigkeit), der es – wie der Kläger selbst vortragen lässt – nicht zumutbar ist, in das Herkunftsland des Klägers überzusiedeln. Auch sind die Kinder mit ihren gesamten sozialen Kontakten und Lebensumständen im Bundesgebiet verwurzelt. Es ist daher nicht anzunehmen, dass diese sich infolge der Ausweisung ihres Vaters gezwungen sähen, mit diesem – unter Inkaufnahme der Trennung von der Mutter – in dessen Herkunftsland (außerhalb der EU) zu ziehen und somit das Unionsgebiet als Ganzes zu verlassen. Vielmehr sprechen die Gesamtumstände deutlich dafür, dass die Kinder bei ihrer Mutter im Bundesgebiet bleiben werden.
44
1.1.3.2.4 Soweit der Kläger schließlich eine Beweiserhebung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der behaupteten Kindeswohlgefährdung durch die Trennung von Vater und Kindern vermisst, legt er auch diesbezüglich keinen Verfahrensmangel dar. Eine – über die vom Verwaltungsgericht eigeninitiativ durchgeführte informatorische Anhörung der Mutter der Kinder in der mündlichen Verhandlung hinausgehende – Beweisaufnahme hat der Kläger nicht beantragt; sie musste sich dem Verwaltungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus gesehen auch nicht aufdrängen. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 – 6 B 47.10 – juris Rn. 12).
45
1.1.3.2.5 Zu Recht verneint das Verwaltungsgericht des Weiteren auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK durch die Ausweisung und nimmt auch insoweit ein Überwiegen des (durch die – wie dargelegt – besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen begründeten) öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung an, weshalb die Ausweisung auch geeignet, erforderlich und angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) bzw. im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist. Es handelt sich bei dem Kläger schon nicht um einen „faktischen Inländer“. Die Eigenschaft eines sogenannten „faktischen Inländers“ (BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 16) kommt solchen Personen zu, die tiefgreifend in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats integriert sind („Verwurzelung“) und gleichzeitig den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats entfremdet sind („Entwurzelung“), die daher faktisch zum Inländer geworden sind und die nur noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 87 m.w.N.; BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 21). Beide Elemente müssen kumulativ vorliegen.
46
Auch für sog. „faktische Inländer“ besteht kein generelles Ausweisungsverbot (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19; BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 16 f.; EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, 46410/99 – juris Rn. 57). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener (oder wie der Kläger als Minderjährige eingereister) Ausländer ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (BVerfG, B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – juris Rn. 24).
47
Für den Grad der Verwurzelung eines Ausländers sind insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, sein rechtlicher Aufenthaltsstatus, das Ausmaß der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration und die Rechtsstreue seines Verhaltens in der Vergangenheit von Relevanz (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 90). Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Grad der Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet gering ist. Dieser hat im Bundesgebiet zwar annähernd zwei Drittel seiner bisherigen Lebenszeit verbracht, eine Lebensgefährtin gefunden und zwei Kinder gezeugt – zu denen ein persönlicher Kontakt besteht – sowie einen qualifizierten Hauptschulabschluss erworben. Dem gegenüber kann der Kläger keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen, war zwischen wechselnden Beschäftigungsverhältnissen immer wieder arbeitslos, ist nach gescheiterter Therapie noch immer drogenabhängig und hat wiederholt sowie teilweise während der Bewährungszeit bzw. im Maßregelvollzug erhebliche Straftaten gegen bedeutende Rechtsgüter begangen, wegen denen er zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt wurde. Von einer „tiefgreifenden“ Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland kann nicht die Rede sein. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts kann insoweit verwiesen werden; erhebliche Veränderungen der tatsächlichen Umstände zugunsten des Klägers haben sich insoweit nicht ergeben. Vielmehr bestätigt der Kläger durch seine erneute (gravierende) Straffälligkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und durch seine gescheiterte Therapie die Einschätzung, dass es ihm an Rechtstreue sowie sozialer und wirtschaftlicher Integration fehlt.
48
Fehlt es somit an einer tiefgreifenden Integration im Aufenthaltsstaat, kommt es auf eine Entwurzelung nicht mehr an. Auch wenn der Kläger danach nicht als „faktischer Inländer“ anzusehen ist, ist gleichwohl zu berücksichtigen, dass der Vollzug der Ausweisung für ihn einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellt, was im Rahmen der Abwägung der Bleibe- und Ausweisungsinteressen angemessen und in einem auf die Erfassung seiner individuellen Lebensverhältnisse angelegten Prüfprogramm zu würdigen ist (BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 30). In die Prüfung der Zumutbarkeit der Rückkehr des Ausländers ist unter anderem einzustellen, ob er Kenntnisse der Landessprache hat. Dieser Umstand ist bei der Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung „wesentlich zu berücksichtigen“ (vgl. BVerfG, B.v. 2.7.2024 – 2 BvR 678/24 – juris Rn. 8 m.w.N.).
49
Insoweit hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass es dem Kläger zumutbar sei, sich in dem Land seiner Staatsangehörigkeit, in dem er bis zu seinem zehnten Lebensjahr mit seiner Mutter gelebt habe, zu integrieren, da davon auszugehen sei, dass er die spanische Sprache zu diesem Zeitpunkt altersentsprechend beherrscht habe und dass er auch danach über seine Mutter mit der dortigen Sprache und Kultur in Kontakt gewesen sei. Im Ergebnis nimmt das Verwaltungsgericht an, der Kläger werde sich deshalb ohne große Probleme in die dortigen Lebensverhältnisse einfügen können. Dem schließt sich der Senat an. Der Kläger ist bei einer Spanisch sprechenden Mutter aufgewachsen. Abgesehen davon ist er im Alter von zehn Jahren in das Bundesgebiet eingereist, er war somit in seinem Herkunftsland bereits schulpflichtig und hat bis dahin in einer Spanisch sprechenden Umgebung gelebt, weshalb er die spanische Sprache altersgemäß beherrschen und auch mit der Kultur seines Herkunftslandes altersgemäß vertraut gewesen sein musste. Zwar ist zu sehen, dass der Kläger seit seiner Einreise in einer Deutsch sprechenden Umgebung lebt, insbesondere hat er hier die Schule besucht und einen qualifizierten Hauptschulabschluss absolviert. Des Weiteren dürfte in der Familie seines Stiefvaters zu einem großen Anteil Deutsch gesprochen worden sein, wenngleich nicht angenommen werden kann, dass der Kläger mit seiner Mutter kein Spanisch mehr gesprochen hat. Maßgeblich ist jedoch, dass der Kläger über Grundkenntnisse der spanischen Sprache verfügt, auf die er aufbauen kann. Der Kläger wird damit nicht zur Kommunikation mit seinen Mitmenschen im Herkunftsland und zur Sicherung seines Lebensunterhaltes schlechterdings auf digitale Technologien, insbesondere Smartphones bzw. Übersetzungsprogramme angewiesen sein (vgl. dazu BVerfG, B.v. 2.7.2024 – 2 BvR 678/24 – juris Rn. 9). Diese Annahmen des Verwaltungsgerichts stellt der Kläger nicht substantiiert in Frage. Dass der Kläger nie mehr in sein Herkunftsland gereist, sein Vater verstorben und seine Mutter durch diesen Opfer gravierender Gewalt geworden ist, die der Kläger – wie er vorträgt – miterleben musste, führt nicht dazu, dass ihm die Rückkehr in sein Herkunftsland unzumutbar wäre. Auch ohne verwandtschaftliche Kontakte ist es einem erwachsenen Menschen mit entsprechenden Sprachkenntnissen möglich, sich in einer neuen, auch kulturell anderen Umgebung zurecht zu finden und neue soziale Kontakte aufzubauen. Dazu ist es auch nicht erforderlich, dass der Kläger in die räumliche Nähe seines früheren Heimatortes zieht. Somit steht der geringen Integration des Klägers im Bundesgebiet und der Notwendigkeit, aber auch Zumutbarkeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft seines Herkunftslandes das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse gegenüber, welchem das Verwaltungsgericht zu Recht den Vorrang eingeräumt hat.
50
1.1.3.2.6 Der Vortrag des Klägers, seine väterliche Familie sei in schwerwiegende Auseinandersetzungen – teils mit Schusswaffengebrauch – involviert, weshalb jegliche Reise des Klägers in sein Herkunftsland wegen der Gefahr von Racheaktionen nicht in Betracht gekommen sei, führt nicht zu einem im Rahmen der Ausweisung zu berücksichtigenden Bleibeinteresse. Die geltend gemachte zielstaatsbezogene Gefahr für sein Leben bzw. seine Gesundheit unterliegt – sofern sie in Anbetracht der seit der Ausreise des Klägers vergangenen Zeit überhaupt noch bestehen sollte – der Prüfungskompetenz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. In die Abwägung der widerstreitenden Interessen nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind nur solche zielstaatsbezogenen Umstände einzubeziehen, die nicht der Prüfung durch das Bundesamt in einem Asylverfahren vorbehalten sind. Der Auszuweisende hat weder ein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt noch einen Anspruch auf Doppelprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 34; U.v. 16.12.2021 – 1 C 60.20 – juris Rn. 53; U.v. 26.2.2019 – 1 C 30.17 – juris Rn. 22).
51
1.1.4 Die Einwendungen des Klägers gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots greifen ebenfalls nicht durch.
52
Der Kläger rügt, der Beklagte habe nicht dargelegt, weshalb auf der ersten Stufe eine Fernhaltefrist von neun Jahren erforderlich sein solle. Das Vorgehen des Verwaltungsgerichts sei rechtsfehlerhaft, weil dieses zunächst hätte prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Fernhaltung vorliegen und diese für neun Jahre (erste Stufe) erforderlich sei und auch hätte darlegen müssen, weshalb gefahrenabwehrrechtlich eine Fernhaltung von neun Jahren prognostisch erforderlich sei. Soweit der Beklagte meine, es sei die Zeitspanne zu berücksichtigen, über die sich die Straftaten hinweggezogen hätten, sei dies kein taugliches Kriterium. Die Behörde lasse sich von der Vorstellung leiten, dass der Strafvollzug überhaupt keine Wirkungen habe, was der Gesetzgeber jedoch gegenteilig werte und von der Behörde hinzunehmen sei. Da aber bereits die Einwirkung durch den Straf- und Maßregelvollzug und die Ausweisungsverfügung und Aufenthaltsbeendigung als solche nach Auffassung des Gesetzgebers verhaltenssteuernde Wirkung hätten und der beabsichtige Eingriff aufgrund des Privat- und Familienlebens des Klägers ganz besonders einschneidend sei, bestehe kein Anhaltspunkt für die Notwendigkeit einer Fernhaltung über neun Jahre. Sei schon die Frist auf erster Stufe rechtsfehlerhaft bestimmt, sei diese auch auf zweiter Stufe nicht verhältnismäßig. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei zudem festzustellen, dass die Auswirkungen der Dauer der Frist auf die Beziehung zu der Lebensgefährtin und den Kindern nicht ansatzweise ausreichend berücksichtigt worden sei und eine Reduzierung um ein Jahr keinesfalls ausreichend sei. Die Behörde habe auch – anders als das Verwaltungsgericht meine – keine vollständige Ermessensentscheidung vorgenommen, so dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliege und der Bescheid daher insoweit zur Neuverbescheidung aufgehoben werden hätte müssen. Die Behörde habe das Ermessen in der mündlichen Verhandlung nicht erneuert und daher gewichtige Umstände nicht eingestellt. Dies folge bereits daraus, dass die Behörde in ihrem Bescheid von anderen Tatsachen ausgegangen sei. Der Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung sei keine Ermessenserneuerung zu entnehmen, vielmehr betreffe sie die Frage der Ausweisungsverfügung als solcher und die Frage einer Bewährungsduldung.
53
Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 GR-Charta und Art. 8 EMRK gemessen und gegebenenfalls relativiert werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16 – juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 25.8.2014 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56).
54
Gemessen daran begegnet die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Befristungsentscheidung der Beklagten ermessensfehlerfrei getroffen worden sei, keinen rechtlichen Bedenken.
55
Die Beklagte hat im ersten Schritt angesichts der von dem Kläger begangenen Straftaten eine Wiedereinreisesperre von mindestens neun Jahren für notwendig erachtet und die Frist sodann im zweiten Schritt aufgrund der langen Aufenthaltszeit des Klägers im Bundesgebiet und seiner Einreise als Minderjähriger die Sperrwirkung auf acht Jahre festgesetzt. Hierzu hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, Ermessensfehler seien insoweit nicht ersichtlich. Der Beklagte habe das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck herausgearbeitet und sei beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Befristung von acht Jahren angemessen sei. Entgegen der Auffassung des Klägers ist dies nicht zu beanstanden.
56
Das Verwaltungsgericht hat, wie die Beklagte, bereits mit Bezug auf die Ziffer 1 des Bescheides (Ausweisung) den Ausweisungsgrund, die Wiederholungsgefahr sowie das Gewicht der bestehenden besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen herausgearbeitet. Insofern bedurfte es keiner – angesichts der gleichlaufenden, gefahrenabwehrenden Zielrichtung von Ausweisung und Einreise- und Aufenthaltsverbot und des insoweit identischen Prüfprogramms auch unnötigen, weil lediglich selbstvergewissernden – ausdrücklichen Wiederholung dieser Prüfung mit Blick auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Maßgeblich ist, dass die Beklagte im ersten Schritt eine Frist von neun Jahren als angemessen und ausreichend erachtet hat, um dem Gewicht des Ausweisungsinteresses und dem Zweck der Fernhaltung des Klägers vom Bundesgebiet zur Gefahrenabwehr gerecht zu werden, und das Verwaltungsgericht diese Einschätzung nicht als ermessensfehlerhaft angesehen hat. Dagegen ist nichts zu erinnern. Wie ausgeführt, geht von dem Kläger angesichts seiner wiederholten und schwerwiegenden Straffälligkeit im Bereich der Betäubungsmitteldelikte, seiner nicht therapierten Drogensucht und seiner mangelnden wirtschaftlichen und sozialen Integration im Bundesgebiet eine erhebliche Gefahr eines erneuten Schadenseintritts für bedeutende Rechtsgüter der Allgemeinheit aus, weshalb eine Fernhaltefrist von neun Jahren zum Zweck der Gefahrenabwehr im ersten Schritt geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dass das Verwaltungsgericht insoweit einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hätte, trifft nicht zu. Vielmehr bestätigt der weitere Geschehensablauf nach dem erstinstanzlichen Urteil (erneuter Rückfall während des Maßregelvollzugs, erneute Verurteilung wegen Drogenhandels zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe, Erledigung des Maßregelvollzugs mangels Erfolgsaussicht), wie ausgeführt, die Gefahrenprognose in aller Deutlichkeit.
57
Im zweiten Schritt hat der Beklagte sodann die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Berücksichtigung der langen Aufenthaltszeit des Klägers im Bundesgebiet und seiner Einreise als Minderjähriger auf acht Jahre festgesetzt. Da die Bleibeinteressen des Klägers und in diesem Zusammenhang insbesondere die familiären Belange Gegenstand der Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen waren und sowohl der Beklagte (in der mündlichen Verhandlung) als auch das Verwaltungsgericht den familiären Belangen – auf der Basis der Sachlage im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung – das Gewicht eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG beigelegt haben, kann keine Rede davon sein, dass die entsprechenden Belange nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Ermessensentscheidung bzw. deren verwaltungsgerichtliche Überprüfung eingeflossen wären. Wie ausgeführt, hat das Verwaltungsgericht – auch vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung des Sachverhalts nach der erstinstanzlichen Entscheidung – im Ergebnis zu Recht die familiären Belange sowie die weiteren Bleibeinteressen des Klägers gegenüber den besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen zurücktreten lassen. Auch liegt keine Verletzung der Rechte der minderjährigen Kinder aus Art. 20 AEUV und Art. 24 GR-Charta sowie kein unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Art. 7 GR-Charta, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange des Klägers und dritter Personen vor. Der Kontakt des Klägers zu seinen Angehörigen während der Sperrfrist kann – wie dargelegt – über Fernkommunikationsmittel sowie im Rahmen von Besuchen auch persönlich aufrechterhalten werden, wobei auch die Möglichkeit einer Betretenserlaubnis in Betracht zu ziehen ist. Vor diesem Hintergrund wäre es entgegen der Meinung des Klägers nicht angemessen, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr im Rahmen der Befristung deutlich hinter den durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot betroffenen privaten Belangen zurücktreten zu lassen. Folglich erscheint die festgesetzte Frist von acht Jahren noch nicht als unangemessen.
58
1.2 Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
59
Eine Divergenz ist gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15.03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten tragenden Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris Rn. 10 m.w.N.).
60
Der Kläger rügt eine Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Seine Rügen sind jedoch nicht mehr entscheidungserheblich (1.2.1) bzw. greifen inhaltlich nicht durch (1.2.2).
61
1.2.1 Der Kläger sieht eine Divergenz von verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung darin, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass „bei Straftaten, die ihre (Mit-)Ursache in einer Suchtmittelproblematik haben, von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange eine entsprechende Therapie nicht abgeschlossen ist und sich der Betreffende nach Therapieende nicht hinreichend in Freiheit bewährt hat“ (UA S. 13 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 11.3.2020 – 10 ZB 19.777 – juris Rn. 9). Der Kläger rügt in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht verkenne, dass zu prüfen sei, ob eine nicht unerhebliche Verminderung der Wiederholungsgefahr vorliege. Die von dem Verwaltungsgericht (angeblich) angenommene, aus der Anlasstat herrührende zwingende Wiederholungsgefahr schließe eine individuelle Prognose aus. Diese Rüge ist nicht mehr entscheidungserheblich. Da die als Maßregel angeordnete Therapiemaßnahme im Fall des Klägers nunmehr – auf der Grundlage sachverständiger Begutachtung des Klägers im Strafverfahren – mangels Erfolgsaussicht für erledigt erklärt wurde, käme es auf die behauptete Abweichung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts von verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung im Übrigen nicht mehr an.
62
1.2.2 Des Weiteren verweist der Kläger zur Begründung der geltend gemachten Divergenz auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu sog. faktischen Inländern (vgl. BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 18 ff.; B.v. 24.8.2020 – 2 BvR 640/20 – juris Rn. 23 ff.; B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 20 ff.). Demnach sei bei der Ausweisung hier geborener beziehungsweise als Kleinkinder nach Deutschland gekommener Ausländer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Erforderlich sei daher eine auf den konkreten Einzelfall bezogene individuelle Gefahrenprognose unter Berücksichtigung aktueller Tatsachen, die die Gefahr entfallen ließen oder nicht unerheblich vermindern könnten, und zwar nicht nur unionsrechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich und konventionsrechtlich. Von diesen Rechtssätzen divergiere der Rechtssatz „des Verwaltungsgerichtshofs“. Das Verwaltungsgericht gehe im Falle einer Straftat, die ihre (Mit-) Ursache in einer Betäubungsmittelabhängigkeit habe, stets und ohne weiteres von einer Wiederholungsgefahr aus, die noch nicht einmal durch den Abschluss der Therapie widerlegt werden könne, sondern noch eine Bewährung nach Therapieende verlange, was eine schematische Gesetzesanwendung darstelle, die das Bundesverfassungsgericht wiederholt als Abwägungsverstoß benannt habe.
63
Die gerügte Divergenz liegt jedoch nicht vor. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auf die der Kläger zunächst Bezug nimmt, geht von dem Stufensystem der §§ 45 ff. AuslG 1990 bzw. §§ 53 ff. AufenthG 2005 aus und stellt hierzu klar, dass auch bei Anwendung des Stufensystems die Umstände des Einzelfalls zu prüfen sind, da nur diese Prüfung sicherstellen kann, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des betroffenen Ausländers gewahrt bleibt, wobei die Maßstäbe, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 EMRK gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gelten, auch hier heranzuziehen sind (BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 18 f.). Dem gegenüber verlangt das – im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung wie auch im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung – geltende Ausweisungsrecht im Rahmen der Abwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteressen auf der Tatbestandsebene nach § 53 Abs. 1 AufenthG die Berücksichtigung der konkreten Lebenssituation des Ausländers (vgl. die nicht abschließende Nennung von Abwägungsgesichtspunkten in § 53 Abs. 2 AufenthG). Eine entsprechende Abwägung hat das Verwaltungsgericht hier, wie ausgeführt, in nicht zu beanstandender Weise vorgenommen.
64
Soweit das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme auf Verfassungs-, Unions- und Konventionsrecht „eine auf den konkreten Einzelfall bezogene individuelle Gefahrenprognose unter Berücksichtigung aktueller Tatsachen, die die Gefahr entfallen lassen oder nicht unerheblich vermindern können“, verlangt (vgl. BVerfG, B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – juris Rn. 24; B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 24), hat das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers keinen Rechtssatz aufgestellt, der dazu in Widerspruch stände. Auch kann eine Abweichung von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht festgestellt werden. Denn das Verwaltungsgericht hat – wie unter 1.1.2 aufgezeigt – die Gefahrenprognose anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles vorgenommen, wobei es die vom Kläger im Zeitpunkt seiner Entscheidung begonnene, jedoch durch die Untersuchungshaft ab 30. August 2022 unterbrochene Therapie im Maßregelvollzug, aber auch den im Falle eines Rückfalls drohenden Schaden an bedeutenden Rechtsgütern der Allgemeinheit in die Gefahrenprognose eingestellt (UA S. 14), ist aber zu einem von der Auffassung des Klägers abweichenden Ergebnis gekommen. Dies stellt jedoch keine Divergenz dar.
65
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
66
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 2 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
67
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).