Titel:
Asyleilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Bulgarien (Sekundärmigration)
Normenketten:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36 Abs. 3 S. 1
ZPO § 222 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine Krankheit greift als Entschuldigungsgrund für die Versäumung einer Rechtsmittelfrist nur dann durch, wenn diese so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfang zu informieren. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer Zwischenverfügung (Hängebeschluss/Schiebebeschluss) besteht nicht, wenn das Gericht bereits (endgültig) über den Eilantrag entscheiden konnte und entschieden hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die, Abschiebungsandrohung bei Sekundärmigration, Versäumung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Behauptete Handlungsunfähigkeit im Zeitraum des Fristlaufes, Krankheit als Wiedereinsetzungsgrund, Asyleilverfahren, Unzulässigkeit, Fristversäumnis, Wiedereinsetzung, Erkrankung, Handlungsunfähigkeit, Abschiebungsandrohung, Bulgarien, Sekundärmigration, Hängebeschluss, Rechtsschutzbedürfnis
Fundstelle:
BeckRS 2025, 28425
Tenor
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsandrohung nach Bulgarien.
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Die Antragsteller sind syrische Staatsangehörige mit arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie reisten am 17.06.2025 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 08.07.2025 Asylanträge.
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Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens teilten die bulgarischen Behörden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit, dass dem Antragsteller zu 1 bereits am 25.04.2022 und der Antragstellerin zu 2 am 04.04.2024 in Bulgarien jeweils subsidiärer Schutz gewährt wurde.
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Mit Bescheid vom 28.07.2025 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2). Den Antragstellern wurde die Abschiebung nach Bulgarien angedroht (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).
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Gegen den Bescheid vom 28.07.2025 erhob die Bevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 06.08.2025 Klage (Az. B 7 K 25.31693). Ferner beantragt sie mit Schriftsatz vom 25.08.2025, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 26.08.2025,
- 1.
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die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die im Bescheid des BAMF vom 28.07.2025 verfügte Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
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den Antragstellern wegen Versäumung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren,
- 3.
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hilfsweise im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO der Antragsgegnerin vorläufig zu untersagen, die Abschiebungsandrohung zu vollziehen, bis über den Eilantrag entschieden ist.
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Zur Begründung wurde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin zu 2 sei schwer erkrankt. Nach ärztlichem Attest vom 18.08.2025 leide sie an einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome mit akuten Suizidgedanken sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Hinzu trete ein akuter Harnwegsinfekt, Verdacht auf Anämie, Asthma bronchiale, Adipositas Grad II und eine schlafbezogene Atemstörung. Das Attest stelle ausdrücklich eine erhebliche Suizidgefahr fest und bestätige die Notwendigkeit engmaschiger psychiatrischer und internistischer Behandlung. Eine Abschiebung führe mit hoher Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Verschlechterung herbei. Auch der Antragsteller zu 1 sei unmittelbar davon betroffen. Beide Antragsteller lebten als Ehepaar in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine Trennung der Antragsteller oder die gemeinsame Abschiebung in den Zielstaat würde die Erkrankung der Antragstellerin zu 2 verschärfen und den Antragsteller zu 1 als Bezugsperson massiv beeinträchtigen. Zudem bestünden konkrete Bedrohungen gegen die Antragsteller durch ein Mitglied einer bulgarischen Bande, die sie in Bulgarien mit Forderungen und Drohungen überzogen habe. Diese Bedrohungslage verstärke die Unzumutbarkeit der Abschiebung.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei statthaft und begründet. Den Antragstellern sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren. Die einwöchige Frist des § 36 Abs. 3 AsylG habe nicht gewahrt werden können, da die Antragstellerin zu 2 krankheitsbedingt akut handlungsunfähig gewesen sei. Das ärztliche Attest vom 18.08.2025 bestätige eine schwere depressive Episode mit akuter Suizidalität sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Daneben lägen erhebliche somatische Erkrankungen vor. Eine solche Situation stelle einen unverschuldeten Hinderungsgrund dar, der die Wiedereinsetzung zwingend gebiete. Die Nachholung des Antrags sei unverzüglich erfolgt. Aufgrund ihrer psychischen Belastung sei die Antragstellerin zu 2 der Überzeugung gewesen, einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits gestellt zu haben. Dies habe sie ihrer Bevollmächtigten in diesem Sinne auch mitgeteilt. Der Ehemann sei ebenfalls faktisch von der Handlungsfähigkeit betroffen gewesen. Das Fristversäumnis dürfe daher nicht zu ihren Lasten gehen. Unter Berücksichtigung aller Umstände – akute Gesundheitsgefahren, familiäre Bindungen und konkrete Bedrohungslage in Bulgarien – überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragsteller bei weitem das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Effektiver Rechtsschutz gebiete daher die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
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Mit Schriftsatz vom 01.09.2025 beantragt das Bundesamt für die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
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Der Antrag sei bereits unzulässig, da dieser nicht fristgerecht gestellt worden sei. Die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe könnten hierbei nicht überzeugen. Es sei ist nicht ersichtlich, wieso es den Antragstellern krankheitsbedingt unzumutbar gewesen sein solle, den Antrag zu stellen, während es gleichzeitig möglich gewesen sei, fristgerecht Klage zu erheben. Im Übrigen bezog sich die Antragsgegnerin zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen. Die Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens wurde beigezogen.
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Die Anträge im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bleiben vollumfänglich ohne Erfolg.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 3 des Bescheids vom 28.07.2025 ist mangels Wahrung der Antragsfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bereits unzulässig.
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a) Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung bei Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. § 35 AsylG) innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu stellen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 28.07.2025, der unter Ziffer 3 die Abschiebungsandrohung enthält, wurde den Antragstellern ausweislich der Bundesamtsakte am 01.08.2025 zugestellt. Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG zur Stellung eines Eilantrags gegen die Abschiebungsandrohung endete daher mit Ablauf des 08.08.2025 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Diese wurde nicht gewahrt. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass fristwahrend Klage in der Hauptsache erhoben wurde, da in der vorliegenden Konstellation die Stellung des Eilantrags ausdrücklich einer eigenen und originären Fristbindung unterliegt. Dem Klageschriftsatz vom 06.08.2025 lassen sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass seinerzeit auch ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (mit-)eingeleitet werden sollte.
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b) Den Antragstellern ist im Hinblick auf die versäumte Antragsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
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Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ungeachtet der weiteren Voraussetzungen des § 60 VwGO scheitert eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits daran, dass die Fristversäumung nicht unverschuldet gewesen ist. Die Bevollmächtigte beruft sich insoweit auf eine „Handlungsunfähigkeit“ der Antragsteller infolge Krankheit der Antragstellerin zu 2. Eine Krankheit greift als Entschuldigungsgrund für die Versäumung einer Rechtsmittelfrist jedoch nur dann durch, wenn diese so schwer war, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, selbst zu handeln, sondern auch außerstande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfang zu informieren (BVerwG, B. v. 27.9.1993 – 4 NB 35/93 – juris; BayVGH, B.v. 21.2.2022 – 24 ZB 21.1917 – juris). Vorliegend ist jedoch nicht annähernd glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin zu 2 so schwer erkrankt war, dass sie im maßgeblichen Zeitraum nach den insoweit zu stellenden hohen Anforderungen in rechtlichen Angelegenheiten handlungsunfähig gewesen ist (vgl. hierzu: BVerwG, B.v. 22.7.2008 – 5 B 50/08 -juris). Dies gilt erst recht für den Antragsteller zu 1, für den eine „faktische Handlungsunfähigkeit“ infolge der Situation der Antragstellerin zu 2 nur substanzlos behauptet wird. Insbesondere kann aus dem vorgelegten „Befundbericht“ des Medizinischen Dienstes in der AEO – welcher nicht einmal ein fachärztliches Attest ist – nicht einmal ansatzweise geschlossen werden, dass Handlungsunfähigkeit der Antragstellerin zu 2 im Rechtssinne vorgelegen hat. Den Antragstellern war es vielmehr sogar möglich, innerhalb der Wochenfrist einen Rechtsanwalt zu kontaktieren, unter Bescheidsvorlage die Situation zu schildern und ein gerichtliches Verfahren einleiten zu lassen. Eine der Stellung eines Eilantrags entgegenstehende Handlungsunfähigkeit der Antragsteller liegt daher ersichtlich nicht vor.
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Selbst wenn der jetzige Vortrag zutreffen sollte – in der Klageschrift wurde jedoch mit keinem Wort auf einen (angeblich) bereits anhängigen Eilantrag hingewiesen – dass die Antragsteller gegenüber der Prozessbevollmächtigten damals erklärt hätten, schon persönlich einen Eilantrag gestellt zu haben, kann dahinstehen, ob ein „Eigenverschulden“ der Antragsteller infolge „Fehlinformation“ oder eine etwaige Vernachlässigung anwaltlicher Sorgfaltspflichten, die den Antragstellern zuzurechnen ist (vgl. § 85 Abs. 2 ZPO), vorliegt. Jedenfalls war die Versäumung der Antragsfrist nicht unverschuldet im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO. Gerade in der vorliegenden (komplexen) Situation eines „Drittstaatenbescheids“ müsste es sich – insbesondere bei rechtsunkundigen Klägern, die noch dazu angeblich überlastet/überfordert sind bzw. erscheinen – für einen Prozessbevollmächtigten aufdrängen, sich Gewissheit zu verschaffen, ob die behauptete persönliche Antragstellung tatsächlich erfolgt. Insoweit wäre es ein Leichtes gewesen, diese Aussage zu überprüfen. Dies hätte durch einen einfachen Anruf bei Gericht geklärt werden können. Im Zweifelsfall hätte auch die nochmalige Stellung eines Eilantrags, die angesichts der Gerichtskostenfreiheit im Asylverfahren keine nennenswerten Nachteile für die Antragsteller nach sich gezogen hätte, mit der Klageerhebung erfolgen können bzw. müssen.
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2. Der „Hilfsantrag“, der als Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung zu verstehen ist, ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Einer Zwischenverfügung („Hängebeschluss“/“Schiebebeschluss“) bedarf es vorliegend nicht, da das Gericht bereits (endgültig) über den Eilantrag entscheiden konnte und vorstehend auch entschieden hat.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).