Inhalt

VGH München, Urteil v. 11.02.2025 – 15 N 23.400
Titel:

Normenkontrolle, Gliederung eines Dorfgebiets, Immissionen aus Landwirtschaft, Abwägungsmangel

Normenkette:
VwGO § 47 .
Schlagworte:
Normenkontrolle, Gliederung eines Dorfgebiets, Immissionen aus Landwirtschaft, Abwägungsmangel
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2837

Tenor

I. Die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“, bekannt gemacht am 28. Februar 2022, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ der Antragsgegnerin.
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Mit Beschluss vom 19. Mai 2015 leitete die Antragsgegnerin das Verfahren zur 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ aus dem Jahr 2005 in der Fassung der 1. Änderung vom 15. Februar 2007 ein. Ziel der Planung ist eine wirtschaftlichere Gestaltung der Erschließungsanlagen, insbesondere auch im Hinblick auf eine mögliche Erschließung des Baugebiets in einzelnen Bauabschnitten. Zudem sollen mit der Planänderung die Notwendigkeit bisher vorgesehener öffentlicher Hebeeinrichtungen zur Beseitigung anfallenden Abwassers entfallen und sich durch die neue Wegeführung Synergieeffekte hinsichtlich künftiger Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ergeben. Die im bisherigen Plan getroffenen Festlegungen sollen grundsätzlich überarbeitet und den aktuellen Bedürfnissen angepasst werden. Im Baugebiet soll durch entsprechende Abstufung der Übergang vom allgemeinen Wohngebiet im Westen hin zum bestehenden Dorfgebiet im Osten geschaffen werden.
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Das ca. 104.000 m2 große Plangebiet liegt westlich des Ortskernes und ist im östlichen Bereich bereits nahezu vollständig bebaut. Im Süden grenzt der Geltungsbereich an vorhandene Bebauung; westlich schließen sich land- und forstwirtschaftliche Flächen an. In nördlicher Richtung bestehen Gewerbeflächen sowie ein Friedhof. Bislang unbebaute Flächen werden überwiegend landwirtschaftlich genutzt. Der Bebauungsplan setzt im westlichen und südwestlichen Teil ein allgemeines Wohngebiet und nach Osten drei Dorfgebiete („MD1“ – „MD3“) fest, wobei in den Dorfgebieten „MD1“ und „MD2“ die Errichtung von Stallungen ausgeschlossen ist.
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Die Antragstellerin betreibt auf mehreren Grundstücken im Norden des Plangebiets, für die teilweise „MD1“ und teilweise „MD3“ festgesetzt wird, einen Pensionspferdebetrieb. Die Grundstücke stehen im Eigentum der Antragsteller im Normenkontrollverfahren 15 N 23.388 und sind teilweise mit landwirtschaftlichen Gebäuden bebaut oder werden als Koppelflächen genutzt.
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Die Antragsgegnerin führte in den Jahren 2015 bis 2021 mehrere Öffentlichkeitsbeteiligungen durch; die letzte Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgte vom 12. August 2021 bis 17. September 2021. Am 14. Oktober 2021 beschloss der Gemeinderat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Stellungnahmen und Einwendungen sowie den Bebauungsplan als Satzung. Die Planurkunde wurde am 14. Oktober 2021, die Satzung und textlichen Festsetzungen am 15. Oktober 2021 ausgefertigt. Der Bebauungsplan wurde im amtlichen Mitteilungsblatt der Antragsgegnerin „März 2022“, erschienen am 28. Februar 2022, bekannt gemacht.
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Mit Schreiben vom 27. Februar 2023 rügte die Antragstellerin mehrere formelle Fehler und erhob mit Schreiben vom gleichen Tag Normenkontrollantrag. Ihre Antragsbefugnis leitet sie aus der Betroffenheit in abwägungserheblichen Belangen her.
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Die Antragstellerin macht formelle Fehler des Bebauungsplans geltend, weil die letzte Auslegung nahezu vollständig in den bayerischen Schulferien stattgefunden habe und deshalb eine längere Auslegung erforderlich gewesen wäre. Zudem sei eine Begrenzung der Uhrzeit für die Erhebung von Einwendungen unzulässig. Die Bekanntmachung der Öffentlichkeitsbeteiligung sei fehlerhaft, weil diese keine Hinweise auf vorhandene umweltrelevante Gutachten enthalten habe. Auch sei keine geordnete Zusammenfassung umweltrelevanter Belange nach Themenblöcken erfolgt und eine bloße Auflistung nicht ausreichend. Schließlich sei die Festsetzung für ihre Zuwegung in der beschlossenen Fassung gegenüber der ausgelegten Fassung geändert worden, was einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung bedurft hätte.
8
Mit der Festsetzung der Dorfgebiete „MD1“ und „MD2“ liege ein Etikettenschwindel vor, da nicht ersichtlich sei, dass dort überhaupt landwirtschaftliche Hofstellen vorhanden seien. Schließlich beabsichtigte die Antragsgegnerin ausschließlich Wohnbebauung, was auch in dem Ausschluss der Errichtung von Stallungen zum Ausdruck komme. Dieser Ausschluss stelle einen Widerspruch zum Gebietstyp dar, da reine Ackerbaubetriebe im Ortsbereich nicht vorhanden seien. Der Bebauungsplan sei auch mangels Realisierbarkeit auf den von ihr genutzten Flächen nicht erforderlich, da die Eigentümer keine Wohnbauflächen wünschten solange der Pferdehof betrieben werde. Schließlich sei auch kein Bedarf für 86 Parzellen Wohnbebauung ersichtlich; Angebot und Nachfrage seien nicht belegt und im Ortsteil stünden mehrere Wohnbauparzellen leer. Da die Flächen überwiegend in privater Hand lägen, sei eine Veräußerung an Zuzugswillige nicht gesichert.
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Die textliche Festsetzung Nr. 17 betreffend die Errichtung einer dichten Hecke sei unbestimmt, da unklar sei, was zur Erfüllung der Verpflichtung konkret zu errichten sei. Aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Motivation der Festsetzung müssten Mindestanforderungen an Höhe und Ausführung festgesetzt sein. Auch das Alternativkonzept der textlichen Festsetzung sei unbestimmt und abwägungsfehlerhaft. Die Pflanzverpflichtung im Bereich der Zufahrt zu ihrem Betrieb sei unklar, insbesondere im Hinblick auf die Alternative und die räumliche Ausdehnung.
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Der Bebauungsplan leide an erheblichen Abwägungsmängeln. So habe keine Bestandsermittlung landwirtschaftlicher Betriebe stattgefunden, obwohl die Festsetzung eines Dorfgebietes das Vorhandensein einer aktiv betriebenen Hofstelle voraussetze. Es sei aber nicht ersichtlich, dass in den Dorfgebieten „MD1“ und „MD2“ Hofstellen vorhanden seien. Aufgrund der deutlichen Ablehnung der Planung durch die Grundstückseigentümer hätte ein Verzicht auf die Festsetzungen betreffend deren Grundstücke geprüft werden müssen. Die Antragstellerin sei durch die Planung erheblichen Betriebseinschränkungen und Erschwernissen unterworfen. So seien Pferdekoppeln mit Pflanzgeboten überplant und kleinparzellierte Flächen westlich des Betriebes von der Hofstelle abgeschnitten. Die festgesetzte Hecke führe zu einer erheblichen Verschattung der Koppelflächen und die Planung berücksichtige die Leitlinien der Pferdehaltung und das Tierwohl nicht angemessen. Südlich der Reithalle befinde sich eine genehmigte Rundbogenhalle, die mit einem Pflanzstreifen überplant sei. Die Festsetzung der Hecke sei unzumutbar und erfolge allein aufgrund der Planungsabsicht der Antragsgegnerin; eine Abstimmung der Abstandsflächenvorschriften mit der Heckenhöhe sei nicht erfolgt. Unklar sei auch, welche Pflanzen geeignet seien und ob die Fläche im Falle der Alternative versiegelt werden dürfe, was Auswirkungen auf den Umweltbericht und die Ausgleichsflächenberechnung habe. Insgesamt seien die Einwendungen der Antragstellerin nur pauschal unter Bezugnahme auf die Behandlung der Einwendungen des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten behandelt worden, obwohl diese nicht identisch gewesen seien. Abwägungsfehler ergäben sich aus der Festsetzung von Wohnbebauung in unmittelbarer Nähe zu einem bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb und der fehlenden Einholung eines Immissionsgutachtens.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 28. Februar 2022, für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragstellerin sei nicht antragsbefugt, da bereits der Bebauungsplan „Steinäcker“ in der Fassung der 1. Änderung teilweise Wohnbebauung für die von der Antragstellerin genutzten Parzellen festgesetzt habe, so dass sich keine qualitative Änderung ergebe. Auch die Hecke sei bereits im 1. Änderungsbebauungsplan enthalten und zudem mittels Nebenbestimmung in den Baugenehmigungen vom 12. April 2006 und vom 6. November 2008 angeordnet worden; der Bebauungsplan entspreche daher der geltenden Rechtslage. Allein durch die festgesetzte Verbesserung der Wasser- und Abwasserbeseitigung in dem geplanten Gebiet könnte die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt sein. Die Rundbogenhalle sei baurechtlich nicht genehmigt und aus Brandschutzgründen zu beseitigen, weshalb die Antragstellerin nicht schutzwürdig sei.
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Die Auslegung in der Ferienzeit sei unbedenklich und unerheblich. Die Beschränkung der Einsichtnahme auf die üblichen Dienststunden mit Publikumsverkehr führe zu keinen unvertretbaren Erschwernissen. Die Antragsgegnerin habe sich auf die Auslegung der wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen beschränken dürfen und insoweit einen Ermessensspielraum.
17
Die 2. Änderung des Bebauungsplans sei im Hinblick auf die wirtschaftlichere Gestaltung der Erschließungsanlagen erforderlich und nehme Rücksicht auf vorhandene land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Dazu sei ein abgestufter Übergang vom allgemeinen Wohngebiet im Westen zu dem bestehenden Dorfgebiet im Osten erfolgt. Neben dem landwirtschaftlichen Betrieb der Antragstellerin befinde sich in nordöstlicher Richtung des Plangebiets ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Milchviehhaltung. Der Bedarf ergebe sich aus mehreren Voranfragen, die im Rahmen der Begründung angeführt worden seien. Eine Unbestimmtheit der textlichen Festsetzung Nr. 17 sei nicht ersichtlich, da diese auf entsprechenden Forderungen des Landratsamtes ... beruhe. Es sei auch klar und deutlich erkennbar, welche alternative Möglichkeit der Errichtung bestehe. Der Bebauungsplan sei auch nicht abwägungsfehlerhaft, da ein abgestufter Übergang Ziel der Planung sei und die beanstandeten Parzellen der Antragstellerin bereits vor der 2. Änderung als Wohnbauflächen festgesetzt waren. Eine Herausnahme dieser Flächen hätte erhebliche Einschnitte in die Rechte der Grundstückseigentümer zur Folge gehabt. Für die Antragstellerin ergäben sich auch keine erheblichen Einschränkungen, da die Hecke bereits mit Baugenehmigungsbescheiden vom 12. April 2006 und vom 6. November 2008 angeordnet worden sei und die einzig genehmigte Koppelfläche nicht weiter tangiert werde. Baurechtswidriges Verhalten der Antragstellerin führe zu keiner schützenswerten Rechtsposition.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Planaufstellungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Normenkontrollantrag ist begründet. Die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“, bekannt gemacht am 28. Februar 2022, leidet an Fehlern, die zu deren Gesamtunwirksamkeit führen.
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1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.
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Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. An die Geltendmachung einer – möglichen – Rechtsverletzung sind keine höheren Anforderungen zu stellen als an die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Ausreichend ist, wenn der jeweilige Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht verletzt wird. Ist im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan der Betroffene nicht Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange nach § 1 Abs. 7 BauGB folgen. In diesem Fall hat ein Antragsteller aufzuzeigen, dass seine aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) folgenden Rechte verletzt sein können. Das setzt voraus, dass die Planung einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers berührt. Abwägungserheblich sind private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An Letzterem fehlt es etwa bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BayVGH, U.v. 27.6.2024 – 15 N 22.2613 – juris Rn. 13).
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Danach ist die Antragstellerin antragsbefugt, da sie sich auf die Berücksichtigung abwägungserheblicher Belange ihres emittierenden Betriebes gegenüber heranrückender Wohnbebauung sowie die Betroffenheit von immissionsschutzrechtlichen Festsetzungen berufen kann. Sie ist zwar nicht Eigentümerin im Plangebiet belegener Grundstücke, das aus dem Gesellschaftsvertrag folgende Interesse der Gesellschaft an einer gemeinsamen Grundstücksbewirtschaftung als eigener Belang der Gesellschaft ist jedoch nach § 1 Abs. 7 BauGB abwägungsrelevant und begründet die Antragsbefugnis (vgl. VGH BW, U.v. 8.5.2012 – 8 S 1739/10 – juris Rn. 45). Hierbei kommt es auch nicht darauf an, ob Festsetzungen der 2. Änderung für die Antragstellerin günstiger sind. Denn die Frage des Vorliegens einer Rechtsverletzung und damit der Antragsbefugnis kann nicht auf der Grundlage eines Vergleichs der bisherigen mit der durch den angefochtenen Bebauungsplan geschaffenen Rechtslage verneint werden (BVerwG, B.v. 27.9.2021 – 4 BN 17.21 – juris Rn. 6).
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Die Antragstellerin hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis für das Normenkontrollverfahren. Zwar führt die mit dem Antrag verbundene Feststellung der Unwirksamkeit der angefochtenen 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ zu der rechtlichen Folge, dass es bei den Festsetzungen des Ursprungsbebauungsplans „Steinäcker“ in der Fassung der 1. Änderung vom 15. Februar 2007 bleibt; daraus folgt jedoch nicht ohne Weiteres, dass die Entscheidung im Normenkontrollverfahren für die Antragstellerin wertlos wäre (vgl. OVG NW, U.v. 26.8.2016 – 7 D 6/15.NE – juris Rn. 42). Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann; es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt (BVerwG, B.v. 29.9.2015 – 4 BN 25.15 – juris Rn. 6). Insbesondere im Hinblick auf die Abwägung der Belange der Antragstellerin in Bezug auf die von ihr ausgeübte Grundstücksnutzung sowie die damit verbundenen immissionsschutzrechtlichen Festsetzungen, genügt es, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass bei Unwirksamkeit der angefochtenen Planung die Gemeinde möglicherweise einen Bebauungsplan mit günstigeren Festsetzungen aufstellen wird (vgl. BVerwG, B.v. 29.9.2015 a.a.O. Rn. 7). Dies auch, weil jedenfalls die Interessen der Gemeinde an einer wirtschaftlicheren Gestaltung der Erschließungsanlagen sowie einer Anpassung des Ursprungs-Bebauungsplans an aktuelle Bedürfnisse (vgl. Begründung Nr. 3, S. 4) nach wie vor bestehen bleiben dürften und die Günstigkeit von Festsetzungen vom individuellen Nutzungsinteresse der Antragstellerin abhängt, welches unterschiedlich sein und vom Senat nicht abschließend beurteilt werden kann (vgl. HessVGH, U.v. 3.11.2022 – 4 C 2933/19.N – juris Rn. 27 f.).
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2. Der Normenkontrollantrag ist begründet.
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Es kann offenbleiben, ob die von der Antragstellerin gerügten formellen Aspekte fristgerecht i.S.d. § 215 BauGB gerügt wurden und auch tatsächlich zur Unwirksamkeit des angefochtenen Bebauungsplans führen würden, da die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“, bekannt gemacht am 28. Februar 2022, jedenfalls an materiell-rechtlichen Fehlern leidet, die zu deren Gesamtunwirksamkeit führen.
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a) Die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ verstößt im Hinblick auf die Gliederung des festgesetzten Dorfgebiets gegen das Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit.
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Nach § 1 Abs. 3 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Eine städtebauliche Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist nicht nur für den Bebauungsplan im Ganzen, sondern auch für jede Einzelfestsetzung zu verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – juris Rn. 17). Dabei ist ihnen ein Planungsermessen eingeräumt, das neben dem „Wie“ auch das „Ob“ und „Wann“ der planerischen Gestaltung umfasst. Grundsätzlich bleibt es der Einschätzung der Gemeinde überlassen, ob sie einen Bebauungsplan aufstellt, ändert oder aufhebt. (vgl. BayVGH, U.v. 17.12.2024 – 15 N 23.1106 – juris Rn. 18; U.v. 11.3.2024 – 15 N 23.83 – juris Rn. 21). Was im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich maßgeblich nach der jeweiligen planerischen Konzeption. Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (BVerwG, U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – juris Rn. 10 f. m.w.N.; BayVGH, U.v. 24.6.2020 – 15 N 19.442 – juris Rn. 23 m.w.N.).
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Für die Erforderlichkeit der Planung i.S. von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist entscheidend, ob die Planung zu einer städtebaulichen Entwicklung und Ordnung beiträgt. In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Für die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung ist demgegenüber das Abwägungsgebot maßgeblich, das gemäß § 1 Abs. 7 BauGB darauf gerichtet ist, die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen und unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen zu vermeiden (BVerwG, U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – juris Rn. 12 m.w.N.). Einem Bebauungsplan oder einzelnen seiner Festsetzungen fehlt die Erforderlichkeit, wenn die verfolgten Ziele verfehlt werden, insbesondere wenn das planerische Ziel, Entwicklungen, die bereits im Gange sind, in geordnete Bahnen zu lenken oder einer sich für die Zukunft abzeichnenden Bedarfslage gerecht zu werden, nicht erreicht werden kann, wenn also etwa der Verwirklichung des Bebauungsplans auf unabsehbare Zeit rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 BN 15.99 – juris Rn. 4 f.; U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 13.12.2021 – 15 N 20.1649 – juris Rn. 26). Gemessen hieran fehlt der 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ die planerische Rechtfertigung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB zwar nicht in Bezug auf die behauptete fehlende Realisierungsmöglichkeit der Planung mangels Umsetzungswillens der Antragsteller (vgl. BVerwG, B.v. 13.6.2023 – 4 BN 33.22 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 13.12.2021 – 15 N 20.1649 – juris Rn. 30 m.w.N.) oder den behaupteten fehlenden Bedarf an Wohngrundstücken (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – juris Rn. 33; BayVGH, U.v. 13.12.2021 a.a.O. Rn. 28), aber in Bezug auf die Gliederung des festgesetzten Dorfgebiets.
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Die Antragsgegnerin hat mit der 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ neben einem allgemeinen Wohngebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO) – ein Dorfgebiet nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO, gegliedert in „MD1“, „MD2“ und „MD3“ festgesetzt. Dabei ist im „MD1“ und „MD2“ jeweils die Errichtung von Stallungen ausgeschlossen (B. Nr. 3 der textlichen Festsetzungen). Sie beabsichtigt damit, durch eine entsprechende Abstufung den Übergang von einem allgemeinen Wohngebiet im Westen hin zum bestehenden Dorfgebiet im Osten unter entsprechender Rücksichtnahme auf den vorhandenen Bestand land- und forstwirtschaftlicher Anlagen und Betriebe zu schaffen (Begründung Nr. 3, S. 4). Eine derartige Gliederung unter Ausschluss von Arten von Betrieben und Anlagen ist grundsätzlich möglich (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.2020 – 9 N 17.2367 – juris Rn. 20 ff.), erfordert jedoch die Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Dorfgebiets im gesamten Gebiet (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.1989 – 4 NB 32.89 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 NE 13.2508 – juris Rn. 12).
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Die allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets besteht in der Unterbringung von Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetriebe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO); zugleich verlangt § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, dass auf die Belange land- und forstwirtschaftlicher Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeit vorrangig Rücksicht zu nehmen ist. Der Gebietscharakter eines Dorfgebiets wird damit von einem Nebeneinander von Landwirtschaft und Wohnnutzung sowie den weiteren gewerblichen Einrichtungen geprägt und weist daher den typischen Charakter eines gemischten Baugebiets auf (BVerwG, B.v. 4.12.1995 – 4 B 258.95 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 NE 13.2508 – juris Rn. 13). Diese allgemeine Zweckbestimmung des Dorfgebiets ist nur dann gewahrt und eine entsprechende Festsetzung rechtmäßig, wenn auf diesen Flächen die für dieses Baugebiet auch wesensbestimmenden Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe in einer für die Prägung des Gebiets hinreichenden Zahl und Größe vorhanden sind oder dort untergebracht werden können (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2023 – 4 CN 7.21 – juris Rn. 7; VGH BW, U.v. 20.1.2022 – 8 S 2898/19 – juris Rn. 81). An entsprechenden Feststellungen hierzu mangelt es dem angefochtenen Bebauungsplan.
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Zwar dürfte der Antragsgegnerin aus den Stellungnahmen verschiedener Einwendungsführer – u.a. der Antragsteller – sowie aufgrund ihrer Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten das Vorhandensein landwirtschaftlicher Betriebsstellen bekannt sein (vgl. auch E. Hinweise Nr. 22 Abs. 1 und 3 der textlichen Festsetzungen). Eine Bestandsaufnahme o.ä. findet sich in den Planunterlagen jedoch nicht. Es bleibt daher insbesondere unklar, ob bzw. wie die festgesetzten Dorfgebietsflächen, insbesondere im Hinblick auf die festgesetzten Einschränkungen, von den vorhandenen oder neuen landwirtschaftlichen Betrieben überhaupt sinnvoll genutzt werden können. Ferner bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür und wurden auch nicht ermittelt, ob die vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe geeignet sind, allen Flächen im festgesetzten Dorfgebiet eine entsprechende Prägung zu geben (vgl. HambOVG, U.v. 15.10.2020 – 2 E 7/18.N – juris Rn. 40). Hierzu hätte auch deshalb Anlass bestanden, da die Ursprungsplanung in der Fassung der 1. Änderung im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses schon 15 Jahre zurücklag, so dass mit einer Änderung betrieblicher Strukturen gerechnet werden kann. Im Hinblick auf den Ausschluss von Stallungen im „MD1“ und „MD2“ bleibt zudem unklar, ob dort eine lebensfähige Landwirtschaft ohne Tierhaltung wirtschaftlich betrieben werden kann, wie groß die für landwirtschaftliche Produktion zur Verfügung stehenden und zu den landwirtschaftlichen Betrieben gehörenden Flächen sind und ob sie als Grundlage für eine (neue) zukunftsfähige Landwirtschaft ausreichen, die für eine Prägung des Dorfgebiets im oben dargestellten Sinn geeignet ist. Allein die theoretische Möglichkeit, dass sich im „MD1“ oder „MD2“ ein neuer Betrieb ansiedeln könnte, dürfte noch nicht ausreichen, um die für den Gebietstypus erforderliche prägende Wirkung zu entfalten (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 NE 13.2508 – juris Rn. 14). Die mangelnde Ermittlung der Prägung der als Dorfgebiet festgesetzten Flächen durch vorhandene landwirtschaftliche Betriebe begründet den Verdacht, dass die Festsetzungen, insbesondere in Bezug auf „MD1“ und „MD2“ ausschließlich auf immissionsschutzrechtlichen Überlegungen beruhen, um die Schutzwürdigkeit (insbesondere im „MD1“ mit zunehmender Entfernung vom „MD3“ und den dort bestehenden Betrieben) einer auf diesen Flächen möglichen Wohnbebauung zu minimieren (vgl. BayVGH, U.v. 5.3.2001 – 15 N 99.600 – juris Rn. 31; U.v. 19.6.2008 – 1 N 06.2548 – juris Rn. 22). Die vorhandene Parzellierung sowie insbesondere die Festsetzungen im stark an das allgemeine Wohngebiet angenäherten „MD1“ zum Maß der baulichen Nutzung sprechen zudem eher dafür, dass die Antragsgegnerin hier gar keine landwirtschaftliche Nutzung anstrebt. Weder den getroffenen Festsetzungen in ihrer Gesamtheit noch dem in die Planung einbezogenen baulichen Bestand, der zudem nicht hinreichend ermittelt wurde, dem Planaufstellungsverfahren oder der Begründung des Bebauungsplans ist ein hinreichender Anhaltspunkt zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin mit der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung als Dorfgebiet entsprechend der allgemeinen Zweckbestimmung eines derartigen Gebietstyps neben dem Wohnen unmittelbar und gegenwärtig auch die Landwirtschaft als weitere Hauptnutzungsart fördern wollte (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.1995 – 14 N 94.1158 – juris Rn. 43). Auch die konkrete Ausgestaltung und die immissionschutzrechtlichen Festsetzungen, insbesondere betreffend das Betriebsgrundstück der Antragstellerin mit dem Pensionspferdebetrieb, deuten eher auf eine Einschränkung vorhandener, denn auf eine sinnvolle Entwicklung oder Ansiedelung landwirtschaftlicher Betriebe hin (vgl. BayVGH, U.v. 26.5.2023 – 9 N 19.699 – juris Rn. 40).
32
Bei der fehlenden Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB handelt es sich um einen Fehler, der von den Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 f. BauGB nicht erfasst ist. Dieser Fehler führt zur Gesamtunwirksamkeit der 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“, da das gesamte Planungskonzept berührt ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2017 – 4 C 8.16 – juris Rn. 11; VGH BW, U.v. 20.1.2022 – 8 S 2898/19 – juris Rn. 84).
33
b) Der angefochtene Bebauungsplan leidet in Bezug auf die textliche Festsetzung Nr. 10 Abs. 3 i.V.m. Nr. 17 an einem Bestimmtheitsmangel.
34
Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplans Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Der planenden Gemeinde steht es dabei frei, zu entscheiden, welcher Mittel sie sich bedient, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen. Sie hat die Wahl zwischen zeichnerischer Festsetzung und textlicher Beschreibung; sie kann auch beide Elemente kombinieren. Entscheidend ist nur, dass hinreichend klar ist, welche Regelungen mit welchem Inhalt normative Geltung beanspruchen. Die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit fehlt nicht schon dann, wenn die Festsetzung der Auslegung bedarf. Es ist ausreichend, wenn der Inhalt des Bebauungsplans durch Auslegung ermittelt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2024 – 15 N 24.1048 – juris Rn. 19; U.v. 26.9.2022 – 15 N 21.3023 – juris Rn. 43 m.w.N.).
35
Hier setzt der Bebauungsplan in Nr. 17 der textlichen Festsetzungen auf der Parzelle 74, auf der ein Betriebsgebäude der Antragstellerin steht, zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen eine Abschirmmaßnahme in Form einer 10 m breiten, dichten Hecke fest, die durch den Eigentümer der betroffenen Flurstücke zu errichten und dauerhaft zu erhalten und zu pflegen ist; die Höhe dieser Schutzeinrichtung orientiert sich an den immissionsschutzrechtlichen Erfordernissen und wird auf max. 3 m begrenzt. Alternativ ist eine 2 m hohe, geschlossene Zaunwand mit entsprechendem Heckenvorsatz durch den Eigentümer der Parzelle 74 zu errichten und dauerhaft zu erhalten; der Bereich zwischen der Zaunwand und den angrenzenden Grundstücken wird als private Grünfläche festgesetzt.
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Soweit sich die Höhe der Hecke an den immissionsschutzfachlichen Erfordernissen orientiert und auf max. 3 m begrenzt wird, ergibt sich hieraus noch keine Unbestimmtheit. Denn der Bebauungsplan setzt hier nur die Mindestanforderungen fest und es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Konfliktverlagerung auf das nachgelagerte Genehmigungsverfahren nicht möglich wäre (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 15 NE 23.1455 – juris Rn. 50).
37
Die textliche Festsetzung Nr. 17 ist jedoch in Bezug auf die Handlungszuständigkeit widersprüchlich, da die Errichtung der Hecke durch den „Eigentümer der betroffenen Flurstücke“ zu erfolgen hat, während die alternative Zaunwand durch den Eigentümer der Parzelle 74 zu erfolgen hat. Hieraus ergeben sich u.U. unterschiedliche Handlungsverpflichtete. Denn es ist nicht ersichtlich, ob das emittierende Grundstück oder die von Immissionen betroffenen Grundstücke gemeint sind. Zudem kann eine immissionsschutzrechtliche Betroffenheit über die unmittelbaren Nachbargrundstücke hinausgehen (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2011 – 14 CS 11.263 – juris Rn. 29), so dass auch deswegen mehrere unterschiedliche Grundstückseigentümer erfasst sein könnten.
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Unbestimmt ist zudem die Festsetzung einer „dichten Hecke“. Im Hinblick auf die angeführte Rechtsgrundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB und die Abschirmmaßnahme zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen ergibt sich weder aus der Festsetzung noch der Begründung des Bebauungsplans, welche immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an die „Dichtigkeit“ der Hecke zu stellen sind und welche Immissionen (Geruch, Lärm, Stäube, etc.), die ggf. unterschiedliche Anforderungen nach sich ziehen, hierdurch abgehalten werden sollen. Da die Festsetzung offensichtlich immissionsschutzrechtlichen Anforderungen dienen soll (vgl. auch textliche Festsetzung Nr. 18, die Stellungnahmen des Landratsamts vom 18.6.2015, 20.11.2015, 24.10.2016, 17.12.2018, 21.3.2019 und 9.8.2021 sowie die Abwägungen vom 12.9.2016, 14.2.2019 und 14.10.2021), muss für den Normadressaten eindeutig erkennbar sein, in welchem Umfang er Immissionen zu vermeiden hat (vgl. OVG NW, U.v. 20.3.2002 – 10a D 48/99.NE – juris Rn. 3, 5). Die Festsetzung beschränkt sich hier auch nicht auf eine reine Flächenfestsetzung, sondern gibt bezüglich der Ausgestaltung (Hecke/Zaun, Breite und Höhe) zusätzlich Umsetzungsdetails vor, die mit der Verwendung des Begriffes „dicht“ in Bezug auf die Art der Emissionen und die notwendigen Anforderungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen unbestimmt bleiben.
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c) Die 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“ leidet zudem an beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten in Bezug auf die Belange der Landwirtschaft und den Immissionsschutz, die zur Gesamtunwirksamkeit des angefochtenen Bebauungsplans führen.
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Nach § 2 Abs. 3 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten. Die Vorschrift verlangt, dass allen abwägungsrelevanten Belangen mit der erforderlichen Ermittlungstiefe nachgegangen wird und die so ermittelten Belange zutreffend gewichtet werden. Ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass die für die konkrete Planungsentscheidung bedeutsamen Belange in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt und bewertet werden müssen, bevor sie gemäß § 1 Abs. 7 BauGB rechtmäßig abgewogen werden können (vgl. BayVGH, U.v. U.v. 13.12.2021 – 15 N 20.1649 – juris Rn. 41 m.w.N.). Ergänzend bestimmt § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, dass eine Verletzung des § 2 Abs. 3 BauGB als Verfahrensverstoß (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 4 BN 38.13 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 18.1.2017 – 15 N 14.2033 – juris Rn. 36) nur beachtlich ist, wenn die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist.
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Grundsätzlich sind Immissionskonflikte im Rahmen der Bauleitplanung zu lösen, hierfür relevante Parameter zu ermitteln und zu bewerten und anschließend abzuwägen. Das Trennungsgebot gem. § 50 BImSchG sieht dabei vor, dass bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf immissionsempfindliche respektive ausschließlich dem Wohnen dienenden Gebiete soweit wie möglich vermieden werden. § 50 BImSchG stellt keine abschließenden, zwingenden rechtlichen Hürden für die Bauleitplanung dar, sondern formuliert eine Abwägungsdirektive. Die planende Gemeinde – hier die Antragsgegnerin – hat auch mit Blick auf § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2, Abs. 6 Nr. 7 Buchst. c und e BauGB im Rahmen der Abwägung der Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2021 – 15 N 20.1649 – juris Rn. 42 m.w.N.; BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 CN 3.11 – juris Rn. 29). Maßgebend ist dabei, dass die Gemeinde durch planerische Maßnahmen – soweit wie möglich – dafür sorgt, dass entstehende schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. § 3 BImSchG nicht hervorgerufen werden können (vgl. BVerwG, B.v. 7.7.2004 – 4 BN 16.04 – juris Rn. 7). Dem hat die Antragsgegnerin durch eine Abstufung in Bezug auf den Übergang vom allgemeinen Wohngebiet im Westen hin zum bestehenden Dorfgebiet im Osten (vgl. Nr. 3 der Begründung) versucht, Rechnung zu tragen und zudem immissionsschutzrechtliche Festsetzungen, insbesondere in Bezug auf das Betriebsgrundstück der Antragstellerin auf Parzelle 74, getroffen.
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Zu den immissionsschutzrechtlich relevanten Festsetzungen – sowohl in Bezug auf die Gliederung des Dorfgebiets mit Ausschluss von Stallungen im „MD1“ und „MD2“ gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 1 und § 5 BauNVO (Nr. 3 der textlichen Festsetzungen) als auch in Bezug auf den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB (Nr. 17 der textlichen Festsetzungen) – enthält die Begründung keinerlei vertiefte Ausführungen, obwohl diese nicht den ursprünglichen Festsetzungen des Ursprungsbebauungsplans in der Fassung der 1. Änderung vom 15. Juli 2007 entsprechen und zudem über 15 Jahre alt sind. Eine Übernahme, insbesondere der immissionsschutzrechtlichen Festsetzungen aufgrund der Ausführungen des Landratsamts, diese seien (auch) Gegenstand erteilter Baugenehmigungen, greift ohne weitere Ermittlung der Notwendigkeit und aktueller Anforderungen (vgl. die Abwägungsbeschlüsse v. 23.3.2016 Nr. 3.1.1, v. 6.4.2017 Nr. 3.3.1 und v. 14.2.2019 Nr. 3.3.1) zu kurz. Den Plan-, Planaufstellungs- und Verfahrensunterlagen lassen sich keinerlei Ermittlungen zur aktuellen Situation und Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe, deren Umfang sowie deren betrieblichen Bedürfnissen entnehmen. Dies betrifft sowohl das bestehende Dorfgebiet im Osten als auch die für eine eingeschränkte landwirtschaftliche Nutzung vorgesehenen Grundstücke im Bereich „MD1“ und „MD2“. Wie bereits im Rahmen der Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ausgeführt (s.o.), hat die Antragsgegnerin nicht ermittelt, ob und inwieweit die vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe in der Lage sind, den im Dorfgebiet liegenden Flächen eine entsprechende Prägung zu geben (vgl. HambOVG, U.v. 15.10.2020 – 2 E 7/18.N – juris Rn. 40). Gleiches gilt für die Frage, ob auf den unter Ausschluss von Stallungen festgesetzten Dorfgebietsflächen eine landwirtschaftliche Nutzung realisierbar ist oder welche landwirtschaftlichen Betriebe sich hier ansiedeln bzw. welche landwirtschaftlichen Nutzungen hier ausgeübt werden sollen (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 NE 13.2508 – juris Rn. 14).
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Dieser Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB ist gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des BauGB für die Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans unter anderem nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist. Dass die Ermittlung landwirtschaftlicher Betriebe und Immissionen im Hinblick auf die o.g. Abstufung des Dorfgebiets und die Festsetzung immissionsschutzrechtlicher Festsetzungen abwägungserheblich war, ergibt sich aus den obigen Ausführungen; sie betreffen damit auch „wesentliche Punkte“ gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Der Mangel bei der Ermittlung und Bewertung dieser Belange ist offensichtlich, denn er beruht auf objektiven Umständen und ist ohne Ausforschung der Mitglieder des Gemeinderats der Antragsgegnerin über deren Planvorstellungen für den Rechtsanwender erkennbar (vgl. BayVGH, U.v. 27.6.2019 – 9 N 12.2648 – juris Rn. 23).
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Der Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB ist auf das Abwägungsergebnis auch von Einfluss gewesen, weil nach den festzustellenden Umständen die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre. Eine solche konkrete Möglichkeit besteht immer dann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder naheliegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel im Abwägungsvorgang von Einfluss auf das Abwägungsergebnis sein kann (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 4 B 21/15 – juris Rn. 10). Dies ist hier anzunehmen, da sich den Planunterlagen entnehmen lässt, dass die Antragsgegnerin gerade eine verträgliche Abstufung vom allgemeinen Wohngebiet hin zum bestehenden Dorfgebiet erreichen wollte (vgl. Planbegründung Nr. 3), ohne allerdings die Belange der landwirtschaftlichen Betriebe einschließlich deren Entwicklungsmöglichkeiten im Planumgriff zu ermitteln und zu bewerten. Im Hinblick darauf besteht auch die konkrete Möglichkeit, dass die Antragsgegnerin in Kenntnis des Ermittlungsdefizits in Bezug auf die Gliederung des Dorfgebiets und die immissionsschutzrechtlichen Festsetzungen anders geplant hätte (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2016 – 4 B 21.15 – juris Rn. 10).
45
Die Antragsteller haben die Verletzung von § 2 Abs. 3 BauGB zumindest mit dem Hinweis, es fehle an der Einholung eines Immissionsschutzgutachtens der Sache nach im Rügeschreiben vom 27. Februar 2023 geltend gemacht. Damit ist der Abwägungsmangel auch nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB unbeachtlich geworden.
46
Der Abwägungsmangel führt ebenfalls zur Gesamtunwirksamkeit der 2. Änderung des Bebauungsplans „Steinäcker“, da das Plankonzept insgesamt berührt ist. Die Unwirksamkeit eines Teils eines Bebauungsplans hat nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den ungültigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB bewirken können und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.2007 – 4 BN 44.07 – juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.1650 – juris Rn. 38). Dies ist hier angesichts des planerischen Konzepts und der Planungsziele (vgl. Begründung Nr. 3) nicht der Fall.
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Auf die weiteren von der Antragstellerin geltend gemachten Fehler kommt es mithin nicht an.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
49
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § § 708 ff. ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
51
Der Antragsgegner muss die Nummer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).