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VGH München, Beschluss v. 24.02.2025 – 14 ZB 24.30827
Titel:

Verwaltungsgerichte, Gehörsverstoß, Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit, Verwaltungsgerichtsurteile, Verfahrensmangel, Aufklärungspflicht, Flüchtlingseigenschaft, Entscheidungserhebliches Vorbringen, Rechtliches Gehör, Entscheidungsgründe, Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, Angriffs- und Verteidigungsmittel, Zulassungsantrag, Berufungszulassungsverfahren, Abschiebungsverbot, Beweiswürdigung, Urteilsgründe, Streitgegenstand, Sachverhaltsaufklärung

Schlagworte:
Berufungszulassungsverfahren, Verfahrensmängel, rechtliches Gehör, Beweiswürdigung, Sachverhaltsaufklärung, grundsätzliche Bedeutung, Rechtskraft
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 10.04.2024 – AN 1 K 20.30443
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2831

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3, 6 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) sind nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen nicht vor.
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1. Die Berufung ist nicht wegen Verfahrensmängeln im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen.
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a) Ein Gehörsverstoß nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt.
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aa) Dies gilt zunächst, soweit der Kläger seinen Vortrag teilweise als nicht berücksichtigt rügt.
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(1) Soweit der Kläger kritisiert, sein Vortrag dazu, dass Studenten – wohl unter Folter – gegenüber den Behörden geäußert hätten, sein Café für die Planung eines Brandanschlags auf ein islamisches Zentrum genutzt zu haben, sei vollständig vom Gericht missachtet worden und es werde von diesem lediglich in einem Satz festgestellt, dass diese zusätzliche Information das harte Vorgehen des Regimes gegenüber dem Kläger nicht plausibler mache, zeigt er – abgesehen davon, dass nicht dargelegt wird, wann er diesen Vortrag gemacht hat – per se auf, dass das Gericht seinen Vortrag zur Kenntnis genommen, aber nur aus seiner Sicht falsch gewürdigt hat, was jedoch nicht dem Schutzbereich des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG unterfällt (stRspr, vgl. nur BVerfG, U.v. 7.7.1992 – 1 BvL 51/86 u.a. – BVerfGE 87, 1/32).
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(2) Auch soweit der Kläger beanstandet, seine Äußerung, dass die Studenten gelegentlich ihre Rucksäcke in seinem Café deponiert hätten (VG-Protokoll S. 14), sei nicht weiter thematisiert worden, obwohl dies jedoch ein Umstand sei, der bei Beobachtung für eine Verdächtigung durch das Regime hätte gesorgt haben können, wird ein Gehörsverstoß nicht dargelegt. Dies gilt schon deshalb, weil der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gebietet, das gesamte Vorbringen in den Urteilsgründen zu behandeln; es fehlt klägerseits jegliche Darlegung, dass sich dem Verwaltungsgericht ein Eingehen gerade auf diesen Vortrag in den Entscheidungsgründen hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 25.6.1992 – 3 C 16.90 – juris Rn. 37).
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(3) Soweit der Kläger im Rahmen seines Vortrags zu dem angeblichen Gehörsverstoß die Würdigung des vorgetragenen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht rügt, kann dies einen Gehörsverstoß nicht begründen.
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Selbst wenn sich die – in der Regel nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnende (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 – 10 B 19.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Nr. 67 Rn. 4 m.w.N.) – Beweiswürdigung ausnahmsweise wegen schwerer Mängel als verfahrensfehlerhaft erweist, liegt darin ein Gehörsverstoß nur bei spezifisch auf das rechtliche Gehör bezogenen Fehlern, etwa wenn bei einer Entscheidung ein aktenwidriger Vortrag zugrunde gelegt wird (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 30.85 – NJW 1988, 275) oder wenn sich das Gericht einer sachlichen Auseinandersetzung mit entscheidungserheblichem Vorbringen entzieht (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 3 B 40.14 u.a. – LKV 2015, 30 Rn. 4); Letzteres ist vorliegend nicht dargelegt. Vielmehr wird in der Antragsbegründung der Sache nach die Richtigkeit des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils als solche gerügt, die eine Berufungszulassung schon deshalb nicht begründen kann, weil § 78 Abs. 3 AsylG – im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 VwGO – einen Berufungszulassungsgrund „ernstlicher Zweifel‟ an der Richtigkeit der Entscheidung gerade nicht eröffnet.
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bb) Dies gilt weiter, soweit der Kläger einen Gehörsverstoß in einer mangelnden Sachverhaltsaufklärung sieht.
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Verstöße gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO gehören als solche nicht zu den Verfahrensmängeln, auf die der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG gestützt werden kann (SächsOVG, B.v. 16.6.2009 – A 3 A 310/07 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 12.1.2012 – 14 ZB 11.30140 – juris Rn. 4; B.v. 29.8.2017 – 11 ZB 17.31081 – juris Rn. 4 m.w.N.), insbesondere gehört die Aufklärungspflicht nicht zum Regelungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG, B.v. 18.2.1988 – 2 BvR 1324/87 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 19.10.1998 – 27 ZB 98.30836 – juris Rn. 4). Zwar kann sich ein Gehörsverstoß aus der prozessordnungswidrigen Ablehnung eines (förmlichen) Beweisantrags und aus dem Übergehen oder der Nichtumsetzung einer sich aufdrängenden Beweisanregung ergeben. Derartiges ist aber nicht vorgetragen, vielmehr wendet sich der Kläger auch hier gegen die Richtigkeit des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils.
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b) Auch die Rüge einer unzureichenden Begründung des Urteils im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO (i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) führt nicht zur Zulassung der Berufung.
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Der Kläger meint, es liege eine unzureichende Begründung der Verneinung des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor und führt dabei an, der Verweis auf die zweifelhaften Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft könne auch deshalb nicht greifen, weil dieser einen vollends anders strukturierten asylrechtlichen Anspruch darstelle und nicht nach Belieben auf aufenthaltsrechtliche Abschiebungsverbote ohne Weiteres übertragen werden könne.
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Nach diesem klägerischen Vortrag ist jedoch nicht feststellbar, dass die Entscheidungsgründe im Hinblick auf die Prüfung von Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind (BVerwG, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8.13 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 21.5.2015 – 11 ZB 15.50009 – juris Rn. 2 m.w.N.), wobei eine „Verworrenheit“ oder „Unverständlichkeit“ der Entscheidungsgründe klägerseits schon nicht behauptet wird und ein Übergehen „einzelner Ansprüche“ oder einzelner „selbständiger“ Angriffs- und Verteidigungsmittel (vgl. § 146 ZPO sowie BFH, U.v. 23.4.1998 a.a.O. Rn. 13; U.v. 7.11.2000 a.a.O. S. 159; U.v. 2.10.2001 – IX R 25/99 – BFH/NV 2002, 363; jeweils zum Asylrecht BVerwG, B.v. 5.6.1998 – 9 B 412.98 – NJW 1998, 3290; B.v. 9.6.2008 – 10 B 149.07 – BeckRS 2008, 36562 Rn. 5; B.v. 30.6.2009 – 10 B 69.08 – juris Rn. 2) nicht vorliegt.
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Denn das Verwaltungsgericht hat vorliegend hinsichtlich des Anspruchs auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht nur auf Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft, sondern im Übrigen auf die seiner Auffassung nach im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen (UA S. 17 unten), denen es sich gemäß § 77 Abs. 3 AsylG angeschlossen hat; hierzu verhält sich der Kläger nicht.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen.
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a) Eine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist, dass diese Frage sich als klärungsbedürftig, insbesondere nicht schon höchst- oder obergerichtlich geklärt und nicht direkt aus dem Gesetz zu beantworten erweist und dass ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 28.7.2010 – 14 ZB 09.422 – juris Rn. 8 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG im Hinblick auf § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren sowie deren (2.) Klärungsfähigkeit, (3.) Klärungsbedürftigkeit und (4.) allgemeine Bedeutung darlegen (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 23.1.2019 – 14 ZB 17.31930 – juris Rn. 2). Ist eine Frage so weit gefasst, dass sie sich einer allgemeinen Klärung entzieht, etwa weil es hierfür auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit (BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 8 ZB 17.31813 – juris Rn. 32).
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b) Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutend, wann stichhaltige Gründe vorlägen, die dagegensprächen, dass ein Kläger von dem in der Vergangenheit erlittenen Schaden erneut oder weiterhin bedroht werde.
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aa) Hierzu führt er u.a. aus, es sei angesichts der dem Kläger drohenden Schäden in seinem Herkunftsland zwingend erforderlich, dass für eine solche Feststellung ausreichend substantiierte Anhaltspunkte gegeben seien, wobei das Verwaltungsgericht Köln etwa eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung der türkischen Behörden gefordert habe, dass bei einer Rückführung die europäischen Mindeststandards eingehalten würden. Sodann benennt der Kläger einzelne ihn betreffende Vorkommnisse wie widerfahrene Folter, frühzeitige Haftentlassung, mögliche Verstöße des Klägers gegen die Haftentlassungsbedingungen wegen des Verlassens seines Herkunftslandes bzw. dessen Möglichkeit, das Herkunftsland zu verlassen.
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bb) Vorliegend fehlt es schon an einer Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage, weil die Fragestellung so weit gefasst ist, dass sie sich einer allgemeinen, vom jeweiligen Einzelfall losgelösten Klärung entzieht. Die Gründe, weshalb ein Kläger trotz eines in der Vergangenheit erlittenen Schadens nicht erneut oder weiterhin bedroht wird, sind vielfältig und gegebenenfalls in der jeweiligen Gesamtschau zu betrachten, sodass sie einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich sind, sondern einer Würdigung des jeweiligen Einzelfalls unterliegen.
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Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.