Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 27.10.2025 – 12 Qs 33/25
Titel:

Anfangsverdacht der Anstiftung zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Normenketten:
StGB § 26, § 278
StPO § 102
IfSG § 20
Leitsätze:
Zum Anfangsverdacht gegen Eltern, die einen Arzt veranlasst haben sollen, im Impfpass ihres Kindes eine tatsächlich nicht durchgeführte Masernimpfung einzutragen. (Rn. 5 – 11)
Es kann ein Anfangsverdacht wegen Anstiftung zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse gegen Eltern bestehen, die die angebliche Durchführung einer Masernschutzimpfung von einem Arzt, gegen den wegen derartiger Handlungen ein Verdacht besteht, in den Impfausweis ihres einjährigen Kindes eintragen ließen und hierfür ohne plausiblen Grund zweimal eine Wegstrecke von einfach 90 km auf sich nahmen. (Rn. 5 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, Anstiftung, Anfangsverdacht, Arzt, Eltern, Impfung, Masern, Impfausweis
Vorinstanz:
AG Nürnberg vom -- – 59 Gs 6397/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 28299

Tenor

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten der Beschwerde.

Gründe

I.
1
Die GenStA Nürnberg führt gegen den Arzt Dr. …, der eine Praxis in … betreibt, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Er soll wiederholt in v.a. für Kleinkinder ausgestellten Impfpässen Impfungen bestätigt haben, die er tatsächlich nicht durchgeführt habe. In diesem Zusammenhang geriet auch die hiesige Beschwerdeführerin, die Mutter einer am 08.05.2022 geborenen Tochter, in den Verdacht, den Arzt dazu angestiftet zu haben, im Impfpass ihres Kindes eine tatsächlich nicht durchgeführte Masernimpfung mit den Daten 22.02.2024 und 09.04.2024 einzutragen. Dies soll sie getan haben, um den Impfpass später etwa im Kindergarten der Tochter vorlegen zu können.
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Daher ließ die GenStA aufgrund Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Nürnberg vom 03.06.2025 am 08.07.2025 bei der Beschwerdeführerin eine Wohnungsdurchsuchung durchführen. Der Impfpass der Tochter wurde dabei als Beweismittel sichergestellt.
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Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Durchsuchungsbeschluss und verlangt die Herausgabe des Impfpasses.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet und war demgemäß zu verwerfen.
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1. Die Beschwerde ist gegen die abgeschlossene Wohnungsdurchsuchung statthaft und kann mit dem Rechtsschutzziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme geführt werden (vgl. Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 105 Rn. 15 m.w.N.). Die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchsuchung gem. §§ 102, 105 StPO waren gegeben.
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a) Es lagen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 – 2 BvR 1483/19, juris Rn. 17) für Haupttat (§ 278 StGB) und Anstiftung hierzu (§ 26 StGB) vor.
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aa) Hinsichtlich des mutmaßlichen Haupttäters Dr. … ergibt sich aus der gegen ihn geführten Akte ein hinreichend klares Bild – im Sinne der niedrigen Hürden eines Anfangsverdachts – dahin, dass er in erheblichem Umfang Impfungen bescheinigte, die tatsächlich nicht von ihm durchgeführt worden sind. Dafür sprechen zunächst die Mitteilungen der Landratsämter X., Y. und Z. Diese berichten unabhängig voneinander und in der Sache übereinstimmend über Eltern aus ihrem jeweiligen Gebiet, die eine Impfung ablehnten oder für ihre Kinder (von den Behörden nicht akzeptierte) Impfunfähigkeitsbescheinigungen vorlegten. Als den Kindern mangels Impfnachweises Betretungsverbote für Kindertageseinrichtungen und den Eltern Bußgelder drohten oder bereits verhängt wurden, legten die Eltern jedoch plötzlich Impfpässe vor, in denen die zuvor abgelehnten Impfungen vom beschuldigten Arzt bescheinigt waren. Weiterhin liegen zwei Berichte eines nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (noeP) vor, der beschreibt, wie ihm der beschuldigte Arzt am 10.03.2025 und am 07.04.2025 jeweils eine tatsächlich nicht vorgenommene Impfung mit kombiniertem MMR(Masern, Mumps, Röteln)-Impfstoff in den Impfpass eintrug. In anderem Zusammenhang berichtete, aktenkundige Äußerungen des beschuldigten Arztes lassen darauf schließen, dass er Impfungen gegenüber eine kritische bis ablehnende Stellung einnimmt. Insgesamt hat der beschuldigte Arzt gleichwohl bei 620 Patienten Impfungen mit MMR-Impfstoff abgerechnet, die fast ausschließlich bei Minderjährigen erfolgt sein sollen, obwohl er kein Kinder-, sondern Allgemeinarzt ist.
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bb) Es bestand auch der Anfangsverdacht hinsichtlich einer Anstiftung des Arztes durch die Beschuldigte.
9
Für die Tochter der Beschuldigten wurden zwei Impfungen mit MMR-Impfstoff mit den Daten 22.02.2024 und 09.04.2024 durch den beschuldigten Arzt bestätigt. Seine Praxis ist rund 90 km vom Wohnort der Beschuldigten und ihres Kindes entfernt, die einfache Fahrt dauert mit dem Pkw laut ... rund 1 Stunde 20 Minuten, was für beide Impfungen allein einen Fahraufwand von mindestens 5 Stunden 20 Minuten (je zwei Hin- und Rückfahrten) bedeutet hätte. Für die Durchführung einer schlichten Impfung, wenn sie denn tatsächlich stattgefunden hätte und die beim örtlichen Hausarzt in wenigen Minuten erledigt wäre, wäre der Aufwand schlicht unverständlich. Ob für die Fahrt zur Praxis private Gründe vorgelegen haben können, die die Verteidigerin gegenüber dem Vorsitzenden der Beschwerdekammer telefonisch nur angedeutet (Besuch der Großmutter?), aber nicht weiter ausgeführt hat, ist unerheblich, weil dieser Gesichtspunkt dem Ermittlungsrichter bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses nicht vorlag (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.09.2010 – 2 BvR 2561/08, juris Rn. 28).
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Hinzu kommt, dass dem unerklärlichen Aufwand ein deutliches Motiv der Beschuldigten gegenübersteht, das Risiko der Straftat auf sich zu nehmen. Die geltende Gesetzeslage bedingt nämlich, dass auch für impfkritisch eingestellte Eltern ein starker Anreiz besteht, für das eigene Kind einen Impfnachweis zu besitzen. So müssen seit 01.03.2020 (vgl. Art. 4 Masernschutzgesetz vom 10.02.2020, BGBl. I, S. 148) Personen, die in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden und die nach dem 31.12.1970 geboren sind, entweder ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder ab der Vollendung des ersten Lebensjahres eine Immunität gegen Masern aufweisen (§ 20 Abs. 8 IfSG). Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 IfSG sind u.a. Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte bzw. Schulen. Ausreichender Impfschutz gegen Masern besteht, wenn ab der Vollendung des ersten Lebensjahres mindestens eine Schutzimpfung und ab der Vollendung des zweiten Lebensjahres mindestens zwei Schutzimpfungen gegen Masern bei der betroffenen Person durchgeführt wurden (§ 20 Abs. 8 Satz 2 IfSG). Der Nachweis ist über die Vorlage einer Impfdokumentation zu führen (§ 20 Abs. 9 IfSG). Mit anderen Worten laufen Eltern Gefahr, die Kinderbetreuung etwa in Kindergärten nicht in Anspruch nehmen zu können, sollte ihr Kind nicht geimpft sein. Die Ausstellung eines Impfnachweises bei gleichzeitiger Nichtimpfung kann von ihnen dann als ein Ausweg aus dem Zielkonflikt wahrgenommen werden.
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cc) Bei wertender Zusammenschau all dessen kann sich der beschuldigte Arzt nach alldem gem. § 278 StGB strafbar gemacht haben (vgl. BGH, Beschluss vom 11.09.2024 – 4 StR 75/24, juris Rn. 24 ff.; LK-StGB/Zieschang, 13. Aufl, § 277 Rn. 13 m.w.N.; Fischer/Lutz, StGB, 72. Aufl., § 277 Rn. 3), die Beschuldigte ihrerseits wegen Anstiftung hierzu, weil erst ihre Ansprache den lediglich allgemein tatgeneigten Arzt zur konkreten Tat bestimmt haben kann (vgl. Kammer, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 12 Qs 34/22, juris Rn. 15).
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b) Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung im Hinblick auf den gegebenen Tatverdacht hegt die Kammer nach Lage des Falles nicht.
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2. Über die Herausgabe des Impfausweises kann die Kammer im Rahmen der Beschwerde nicht entscheiden, weil eine beschwerdefähige Beschlagnahme aus der Akte nicht zu erkennen ist. Dem Sicherstellungsprotokoll ist vielmehr der Eintrag zu entnehmen, die Beschuldigte sei mit der Sicherstellung einverstanden gewesen. Sollte das nunmehr anders gesehen werden, kann die Beschuldigte dies gegenüber der GenStA vorbringen.
III.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.