Titel:
Prozesskostenhilfe, Entziehung der Fahrerlaubnis, Einnahme von Medizinalcannabis, unzureichende Darlegung der Voraussetzungen des Arzneimittelprivilegs
Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.4, 9.6
BtMG § 13 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 24 Abs. 1, 26 Abs. 1
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Entziehung der Fahrerlaubnis, Einnahme von Medizinalcannabis, unzureichende Darlegung der Voraussetzungen des Arzneimittelprivilegs
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 03.06.2024 – Au 7 K 23.99
Fundstelle:
BeckRS 2025, 2827
Tenor
In Abänderung der Antragsablehnung durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. Juni 2024 wird dem Kläger für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden oder gegebenenfalls vom Gericht zu bestimmenden Rechtsanwalts bewilligt, soweit sich die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins richtet.
Gründe
1
Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Entziehung der ihm am 17. März und 22. November 2005 erteilten Fahrerlaubnis der Klassen B und A.
2
Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Neu-Ulm vom 22. Oktober 2015 wurde er wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) zu einer Geldstrafe verurteilt. Dem lag zugrunde, dass er zwischen dem 9. Februar und 12. Juni 2014 mehrmals sog. Kräutermischungen (Wirkstoff AKB-48F) im Internet bestellt hatte.
3
Im Rahmen einer nachfolgenden Fahreignungsüberprüfung legte der Kläger ein positives ärztliches Gutachten einer amtlichen Begutachtungsstelle vom 15. September 2016 zu den Fragen vor, ob er Betäubungsmittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme und/oder eine psychische Störung (Depression) habe, die die Fahreignung nach Anlage 4 zur FeV in Frage stelle, ob er in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden, und ob er Medikamente oder psychoaktiv wirkende Stoffe einnehme, die die Fahreignung ausschlössen. Im Rahmen der Begutachtung hatte der Kläger u.a. angegeben, zuletzt 1998/99 insgesamt ca. sechs- bis achtmal Cannabis konsumiert zu haben; seither habe er keine Drogen mehr konsumiert. Die „Kräutermischungen“ habe er für einen Nachbarn bestellt, ohne zu wissen, dass es sich hierbei um verbotene Substanzen handele; er habe diese auch nie probiert.
4
Mit Schreiben vom 10. März 2022 übermittelte die Polizeiinspektion ... der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts ... einen Bericht, wonach gegen den Kläger aufgrund einer Anzeige seines Bruders wegen illegalen Handelns mit Cannabis ermittelt werde. Der Kläger habe u.a. angegeben, dass er Cannabis ärztlich verschrieben bekomme und dieses von der Krankenkasse bezahlt werde, sowie ärztliche Rezepte vom 5. Januar und 18. Februar 2022 (Cannabisblüten unzerkleinert, „5-6 x 0,2 g = 1,2 g/Tag, nach schriftlicher Anweisung“) vorgelegt. Mit Verfügung vom 17. März 2022 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein.
5
Auf Anforderung legte der Kläger dem Landratsamt eine unterzeichnete Selbstauskunft über die Einnahme von Medizinalcannabis vom 7. April 2022 vor, wonach er das verschriebene Cannabis mit einem Vaporisator nach Bedarf einnehme (siehe Rezept), sowie einen von seiner behandelnden Ärztin unterzeichneten, an die Krankenkasse gerichteten Antrag auf Kostenübernahme eines Wechsels von Tilray THC 10: GBD 10 auf Cannabisblüten vom 25. Februar 2021, in dem folgende Diagnosen aufgeführt waren:
6
- Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren – F45.41
7
- Chronischer unbeeinflussbarer Schmerz – R52.1
8
- Sonstiger und nicht näher bezeichneter mechanischer Ileus – K56.6
9
- Sonstige Reaktionen auf schwere Belastung – F43.8
10
- Anhaltende somatoforme Schmerzstörung – F45.40
11
- Kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen – F61
12
- Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung eines Arzneimittels oder einer
14
- Depressive Episode, nicht näher bezeichnet – F32.9
15
- Posttraumatische Belastungsstörung – F43.1
16
Zur Begründung führte die Ärztin aus, dass man beim Kläger Dronabinolölige Lösung (THC-Extrakt) und Tilray bzw. Vertanical THC 10: CBD 10 und zuletzt Vertanical THC 50 und CBD 50 getestet habe. Es habe sich zunächst eine Wirkung gezeigt. Jedoch habe die Dosis erhöht werden müssen. Insbesondere bei Schmerzattacken sei dies oral nur schwierig zu handhaben und nicht schnell wirksam. Es würden nun Cannabisblüten über einen Vaporisator versucht. Dies flute schneller an und müsse bei extremen Bauchkrämpfen (Magen-Darm-Krämpfen) nicht oral eingenommen werden. Die Tagesdosierung liege bei ca. 3-4 x 0,5 g. Man werde dies vorsichtig titrieren und unterschiedliche Blüten-Zusammensetzungen testen. Zunächst werde man eine Indica- und im Verlauf eine Sativa- oder Hybridsorte testen. Auch der Anteil von THC und CBD müsse in unterschiedlicher Konzentration versucht werden. An der Gesamtsituation habe sich nichts verändert. Diese könne den bereits vorliegenden Cannabisextrakt-Genehmigungen entnommen werden. Ferner legte der Kläger einen Ausdruck der ihn behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 7. April 2022 vor. Dort waren als Karteieinträge folgende Diagnosen vermerkt:
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- 26.6.2017 DD Chronisches Schmerzsyndrom (R52.2+G)
18
- 30.9.2020 DD Myogelose der Schulter-Nacken-Muskulatur (M62.81+G)
19
- 30.9.2020 DD Chronische Schmerzstörung mit somat. und psych. Faktoren (F45.41 +G)
20
- 8.3.2022 DD Verwachsungsbauch (K66.0+G)
21
- 7.4.2022 DD Intestinale Adhäsionen [Briden] mit Ileus (K56.5+G)
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Unter Bezugnahme auf das multimorbide und komplexe Krankheitsbild forderte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 6. Mai 2022 auf der Grundlage von § 11 Abs. 2 FeV auf, zur Klärung von Fahreignungszweifeln bis zum 20. Juli 2022 ein ärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu den Fragen vorzulegen, ob er trotz des Vorliegens von Erkrankungen (verschiedene chronische Schmerzen sowie neurologische und psychische Krankheiten), die nach den Nr. 6 und 7 der Anlage 4 zur FeV bzw. nach der Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV nicht gelistet seien, aber die Fahreignung aufgrund der offenkundig erforderlichen Betäubungsmittelindikation in Frage stellten, in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklassen A1, A2, A, B, AM, L) gerecht zu werden, ob eine ausreichende Adhärenz vorliege sowie Beschränkungen und/oder Auflagen und ggf. Nachuntersuchungen erforderlich seien. Aufgrund der diagnostizierten Erkrankungen, welche aufgrund ihrer Schwere Grunderkrankungen für den regelmäßigen Konsum von Cannabis darstellten, verstärkten sich die Fahreignungszweifel so erheblich, dass das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde aus § 11 Abs. 2 FeV auf „nahezu Null“ geschrumpft sei. Es werde daher nach Abwägung der Gesamtumstände ein ärztliches Gutachten zum Nachweis der Fahreignung angeordnet.
23
Am 9. Juni 2022 erhob der Kläger Klage gegen die Kostenfestsetzung in der Gutachtensanordnung vom 6. Mai 2022 zum Verwaltungsgericht Augsburg.
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Nachdem er kein Gutachten vorgelegt hatte, entzog ihm das Landratsamt ... nach Anhörung mit Bescheid vom 20. Dezember 2022 gestützt auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A2, A, B, AM und L und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, den Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 5. Januar 2023, beim Landratsamt abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis an.
25
Am 20. Januar 2023 erhob der Kläger gegen diesen Bescheid Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg und beantragte Prozesskostenhilfe. Er kündigte an, danach eine Klagebegründung durch einen Fachanwalt einzureichen.
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Mit Beschluss vom 3. Juni 2024 bewilligte das Verwaltungsgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden oder ggf. vom Gericht zu bestimmenden Rechtsanwalts, soweit er sich mit seiner Klage gegen die Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 20. Dezember 2022 wende, und lehnte den Antrag im Übrigen ab, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ganz überwiegend keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Nach Aktenlage spreche alles dafür, dass die streitgegenständliche Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins rechtmäßig seien. Nicht rechtmäßig sei hingegen die Zwangsgeldandrohung. Die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids sei zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier der Zustellung des Bescheids am 21. Dezember 2022, zu beurteilen. Die zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Regelungen zur Teillegalisierung von Cannabis seien daher nicht relevant. Die mangelnde Fahreignung des Klägers habe zum maßgeblichen Zeitpunkt im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV festgestanden, da die medizinische Indikation der Verordnung von Medizinalcannabis wohl nicht hinreichend nachgewiesen gewesen sei. Auf die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vom 6. Mai 2022 komme es damit nicht an. Unerheblich sei, dass sich der angegriffene Bescheid auf § 11 Abs. 8 FeV stütze. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig sei, richte sich regelmäßig nach dem Recht, das geeignet sei, seinen Spruch zu tragen. Wann die Verschreibung von Cannabis indiziert sei, ergebe sich aus § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG. Danach dürfe es ärztlich nur verschrieben werden, wenn seine Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet, d.h. geeignet und erforderlich sei. Die Anwendung sei insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden könne. Dementsprechend sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Betäubungsmittelverschreibung ultima ratio sei. Die Fahrerlaubnisbehörde, die von Amts wegen zu ermitteln habe, ob die Voraussetzungen der Sonderregelung der Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV für psychoaktiv wirkende Arzneimittel erfüllt seien, könne eine schlüssige Darlegung und die Vorlage nachvollziehbarer Unterlagen verlangen. Unter Berücksichtigung der hierzu geltenden Grundsätze sei eine medizinische Indikation der Verordnung von Medizinalcannabis zum maßgeblichen Zeitpunkt wohl nicht schlüssig durch Vorlage nachvollziehbarer ärztlicher Dokumente nachgewiesen gewesen. Im maßgeblichen, auf die behördliche Anforderung vom 23. März 2022 hin durch den Kläger vorgelegten Dokument der das Medizinalcannabis verschreibenden Ärztin vom 25. Februar 2021 finde sich keine schlüssige und nachvollziehbare Begründung der Erforderlichkeit der Therapie mit Medizinalcannabis im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG. Insbesondere fehle eine schriftliche Auseinandersetzung mit alternativ in Betracht kommenden Therapiemaßnahmen (z.B. nicht unter das BtMG fallenden Schmerzmitteln, einer Änderung der Lebensweise, physiotherapeutischen Behandlungen oder einer Psycho- oder Verhaltenstherapie), in der schlüssig und nachvollziehbar dargelegt werde, dass diese im Fall des Klägers sämtlich erfolglos versucht worden oder nicht geeignet seien. Unabhängig davon wäre das genannte Dokument veraltet und zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr geeignet gewesen, eine beim Kläger bestehende medizinische Indikation einer Therapie mit Medizinalcannabis zu belegen. Soweit die Ärztin darauf verweise, dass sich an der Gesamtsituation des Klägers nichts verändert habe und diese den bereits vorliegenden Cannabisextrakt-Genehmigungen entnommen werden könne, führe dies ebenfalls nicht weiter. Es sei Aufgabe des Klägers, der sich auf die Sondervorschrift der Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV berufe, dem Landratsamt schlüssige und nachvollziehbare ärztliche Dokumente vorzulegen, die aus sich heraus verständlich die medizinische Indikation der Therapie mit Medizinalcannabis belegten. Ein ärztlicher Verweis auf andernorts durchgeführte Genehmigungsverfahren sei insoweit unbehelflich, da dem Landratsamt dann keine eigene Prüfung der Begründung der Cannabismedikation anhand ihrer objektiven Grundlagen auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit ermöglicht werde, zumal unklar sei, ob der Prüfungsmaßstab der in Bezug genommenen anderen Stellen (z.B. Bundesopiumstelle, Krankenkasse) im Rahmen der dort durchgeführten Genehmigungsverfahren mit dem Prüfungsmaßstab der sicherheitsrechtlich tätigen Fahrerlaubnisbehörde vollumfänglich identisch sei. Daher führe auch die ärztliche Stellungnahme des MDK ... vom 3. Dezember 2018 von vornherein nicht weiter, zumal sie die ihre Einschätzung nicht näher begründe, sodass dem Landratsamt keine Prüfung auf Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit ermöglicht werde. Die Stellungnahme des MDK ... vom 3. Dezember 2018 führe auch deshalb nicht weiter, weil die medizinische Indikation der Therapie mit Medizinalcannabis zum Zeitpunkt des 21. Dezember 2022 maßgeblich und das Dokument zu diesem Zeitpunkt bereits etwa vier Jahre alt gewesen sei und daher keine belastbaren Aussagen mehr zum Gesundheitszustand des Klägers habe treffen können. Es spreche auch vieles dafür, dass das Landratsamt bereits zum Zeitpunkt der Gutachtensanordnung am 6. Mai 2022 berechtigt gewesen wäre, dem Kläger unmittelbar gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen, da die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands aus Nr. 9.4 und Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG auf die behördliche Anforderung vom 23. März 2022 hin nicht durch Vorlage aussagekräftiger Dokumente der Medizinalcannabis verschreibenden Ärztin hinreichend substantiiert worden seien. In deren Dokument vom 25. Februar 2021 sei weder das Vorliegen des Ultima-Ratio-Grundsatzes behauptet noch hierfür eine zumindest rudimentäre, aus sich heraus verständliche medizinische Begründung gegeben worden. Eine Gutachtensanforderung hätte insoweit wohl unterbleiben können. Da die behördliche Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlich nicht zu beanstanden sei, bestünden auch hinsichtlich der hieran anknüpfenden Ablieferungspflicht keine Bedenken (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV). Allerdings habe die beabsichtigte Rechtsverfolgung gegen die Zwangsgeldandrohung hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil das Landratsamt ausdrücklich nur die Entziehung der Fahrerlaubnis, nicht jedoch auch die Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins für sofort vollziehbar erklärt habe. Prozesskostenhilfe sei grundsätzlich auch dann zu bewilligen, wenn sich der davon betroffene Teil auf die spätere Kostenentscheidung (hier wohl wegen § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs) nicht auswirke. In einem solchen Fall sei ein Teilstreitwert zu bestimmen. Der Kläger sei so zu stellen, als ob er den Rechtsstreit nur im Umfang der Teilbewilligung führe. Davon ausgehend sei es bei einem Gesamtstreitwert von 10.000,00 EUR (Nr. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs 2013) angemessen, dem Kläger Prozesskostenhilfe auf der Basis eines Teilstreitwerts in Höhe von 250,00 EUR (Hälfte des angedrohten Zwangsgelds, vgl. Nr. 1.7.1 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013) zu bewilligen.
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Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Beschwerde mit der Begründung eingelegt, der Verdacht, gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verstoßen, sei während der Hausdurchsuchung durch die Polizeidirektion ... am 10. März 2022 entkräftet worden. Er habe mitgeteilt, er sei Cannabispatient und habe das letzte Cannabisrezept sowie eine Jahresabrechnung 2021 mit einer genauen Auflistung der Mengen und der Zeitpunkte vorgelegt, wann die Rezepte eingelöst worden seien. Daraus sei ersichtlich gewesen, dass kein Missbrauch bestanden habe. Während dieser Maßnahmen habe er keinen Rechtsbeistand gehabt. Obwohl das Ermittlungsverfahren mit der Entscheidung vom 17. März 2022 gleich eingestellt worden sei, habe er sich die Frage gestellt, ob dies alles rechtens gewesen sei. Obwohl seine Unschuld bewiesen sei, gehe die Fahrerlaubnisbehörde weiter gegen ihn vor. Mit dem Schreiben vom 23. März 2022 habe ihn das Landratsamt aufgefordert, ein aktuelles Betäubungsmittelrezept, eine aktuelle Dosieranweisung bzw. Einnahmeverordnung, ein ärztliches Attest über bestehende Erkrankungen und einen Fragebogen bis zum 8. April 2022 einzureichen. Eine Verlängerung, weil er bei seiner Schmerztherapeutin keinen Termin bekommen habe, habe das Landratsamt abgelehnt. Auf die Gutachtensanordnung vom 6. Mai 2022 hin habe er daran erinnert, dass im Jahr 2016 schon ein Gutachten eingeholt worden sei. Als er im Jahr 2015 in der Psychiatrie behandelt worden sei, habe die Polizei wegen vier Onlinebestellungen ermittelt. Wegen dieser Vorkommnisse habe er 2016 ein Gutachten beibringen müssen. Bei einem Telefonat am 31. Mai 2022 habe er mitgeteilt, dass nicht mehr aktuelle Diagnosen aufgelistet worden seien, da er keine Opiate mehr einnehme. Zu Unrecht werde unterstellt, dass er sich noch in einer Einstellungsphase befinde. Das an die Krankenkasse gerichtete Schreiben mit der geforderten Aussage, dass die Blüten zum Inhalieren verschrieben worden seien, stamme vom 25. Februar 2021 und sei zu diesem Zeitpunkt 15 Monate alt gewesen. Während der Einstellungsphase habe er die ehrenamtliche Tätigkeit bei den Donau-Iller Werkstätten eingestellt, weil er kein Auto mehr habe bewegen dürfen. Zu Beginn der Therapie Ende 2018 bis Mitte 2020 sei er nicht gefahren, obwohl es ärztlich nur die ersten neun bis zwölf Wochen untersagt gewesen sei. Erst kurz vor Aufnahme der ehrenamtlichen Tätigkeit bei den Donau-Iller Werkstätten 2020 habe er wieder am Verkehr teilgenommen. Aus der Stellungnahme des MDK ... vom 3. Dezember 2018 ergebe sich, wegen welcher schwerwiegenden Erkrankung man ihm das Cannabis genehmigt habe und wie sich die Symptomatik verbessern könne. Auch aus dem Verlaufsbericht seiner Ärztin vom 24. Januar 2019 ergebe sich eine leichte Verbesserung der Symptomatik. Migräne habe er schon seit der Schulzeit. Seine neuropathischen Schmerzen seien durch einen Vitamin-B12- und Folsäuremangel verursacht und würden durch Zugabe der fehlenden Vitamine behandelt. Hierbei handle es sich nicht um eine schwerwiegende Erkrankung, die zur Fahruntauglichkeit führe. Dies seien Begleiterscheinungen seiner Darmerkrankung. Die rezidivierende depressive Episode, die durch den hohen Leidensdruck ausgelöst werde, hätte sich seit der Umstellung auf Cannabis verbessert und nicht verschlechtert. Es würden keine Medikamente diesbezüglich eingenommen. Es gebe zwei unabhängige Gutachten, die das Sozialgericht Augsburg 2019 in Auftrag gegeben habe. Er könne ein neurologisches Gutachten vorgelegen, das ihm keine gesundheitlichen Einschränkungen attestiere, und ein viszeralchirurgisches Fachgutachten, das eine teilweise Einschränkung wegen des Verwachsungsbauchs bescheinige. Aus dem Gutachten sei auch ersichtlich, dass der Zustand seit 2008 gleichbleibend und keine Verschlechterung der Symptomatik gegeben sei, die eine erneute ärztliche Begutachtung rechtfertigen würde. Erst die Gesetzesänderung im Jahr 2017 habe diese Therapie eröffnet, die seine Schmerztherapeutin zur Behandlung seines Verwachsungsbauchs für erfolgversprechend halte. Die Nebenwirkungen der Opiate würden wegfallen. Trotz dieser Informationen habe das Landratsamt ... auf einem ärztlichen Gutachten bestanden. Bei einer Teilerwerbsfähigkeitsrente von 460,- EUR, die mit Bürgergeld aufgestockt werde, sei es ihm nicht möglich, die 940,- EUR aufzubringen, die ein neuerliches Gutachten kosten würde. Ohne Führerschein könne auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht wieder Fuß fassen. Wegen dieser Problematik habe er gemeinsam mit seiner Schmerztherapeutin am 11. Juli 2024 beschlossen, dass er wieder auf das Medikament Temgesic umstelle. Ein entsprechendes ärztliches Schreiben wurde vorgelegt. Es frage sich, ob die Mitteilung der Polizeidirektion ... an das Landratsamt ... überhaupt rechtens sei, da er zuhause in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt worden sei und die Angaben nicht freiwillig gewesen seien. Wegen der polizeilichen Maßnahmen habe ihm das Gericht Schadensersatz zugesprochen. An diese Information sei die Polizei nicht wegen einer Verkehrskontrolle gekommen oder durch die Begehung einer Straftat, sondern durch einen Eingriff in seine Privatsphäre. In den letzten zehn Jahren habe es keine einzige Verkehrsauffälligkeit gegeben, die die Zweifel an seiner Fahreignung stütze. Durch die Gesetzesänderung im April 2024 falle THC nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz und trotzdem wolle man ihn rückwirkend verurteilen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
29
Die zulässige Beschwerde, mit der der Kläger seinen in erster Instanz überwiegend erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins weiterverfolgt, ist begründet.
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Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
31
Der Kläger hat belegt, dass er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung auch nicht zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
32
Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügt es regelmäßig, dass die Erfolgsaussichten offen sind oder es entscheidungserheblich auf schwierige Rechtsfragen ankommt, die höchstrichterlich noch nicht geklärt sind (vgl. BVerfG, B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u.a. – BVerfGE 81, 347 = juris Rn. 28 ff.). Hinreichende Erfolgsaussichten liegen allerdings dann nicht vor, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist oder konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 1 BvR 1450/00 – NJW-RR 2002, 1069 = juris Rn. 12; B.v. 29.9.2004 – 1 BvR 1281/04 – NJW-RR 2005, 140 = juris Rn. 14). Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (BVerfG, B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 11 ff.).
33
Hieran gemessen sind die Erfolgsaussichten offen.
34
1. Das Verwaltungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Indikation einer Behandlung des Klägers mit Medizinalcannabis im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Entziehungsbescheids am 20. Dezember 2022 nicht hinreichend belegt war.
35
Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Anfechtung einer Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach ständiger Rechtsprechung der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; U.v. 30.8.2023 – 3 C 15.22 – NJW 2024, 1361 Rn. 8 m.w.N.).
36
Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei ärztlich verordneter Einnahme von Medizinalcannabis richtete sich nach Nr. 9 der Anlage 4 zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498). Danach entfiel bei Einnahme von ärztlich verordnetem Cannabis die Fahreignung grundsätzlich nicht schon wegen regelmäßigen Cannabiskonsums (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV a.F.), wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne von Nr. 3.14.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) in der Fassung vom 17. Februar 2021 (Vkbl S. 198) handelte. Insoweit definierten Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV a.F. speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch psychoaktiver Arzneimittel resultieren (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – ZfSch 2019, 414 Rn. 23 m.w.N.). Sollte eine Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzte dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet war (Schubert/Huetten/ Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 303), das medizinische Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wurde, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen waren, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufwies, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigte, und nicht zu erwarten war, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt war, am Straßenverkehr teilnehmen würde (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2024 – 11 CS 24.70 – juris Rn. 20 m.w.N.; B.v. 22.8.2022 – 11 CS 22.1202 – juris Rn. 25; Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien – StAB – zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, https://www.dgvp-verkehrspsychologie.de/wp-content/uploads/2018/08/ Handlungsempfehlung-_Cannabismedikation_v2_Stand -15.08.2018.pdf).
37
Wann die Verschreibung von Medizinalcannabis, das im maßgeblichen Zeitpunkt nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG zu den verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln gehörte, zu medizinischen Zwecken indiziert war, ergab sich u.a. aus § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG. Danach durfte es ärztlich nur verschrieben werden, wenn seine Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BtmG), was insbesondere dann nicht der Fall war, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtmG). Kamen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet waren, wie eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegender Arzneimittel, war diesen der Vorrang zu geben. Dementsprechend hatte der Arzt in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Betäubungsmittelverschreibung ultima ratio ist (vgl. BVerwG, B.v. 8.1.2025 – 3 B 2.24 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 5.1.2024 – 11 CS 23.1818 – juris Rn. 13; B.v. 3.7.2023 – 11 C 23.363 – juris Rn. 23 f.; B.v. 22.8.2022 a.a.O. Rn. 26; B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris Rn. 23; VGH BW, U.v. 27.9.2023 – 13 S 517/23 – juris Rn. 35, Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. 2022, § 13 Rn. 20 ff.; Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien, a.a.O. S. 440/441).
38
Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht auf die im Krankenversicherungsrecht geltenden Anforderungen an eine zu beachtende ärztliche Einschätzung (vgl. BSG, U.v. 10.11.2022 – B 1 KR 28/21 R – BSGE 135, 89 Rn. 24 ff.) abgestellt und festgestellt, dass die Indikation der Behandlung mit Medizinalcannabis in den vorliegenden Unterlagen nicht so begründet ist, dass die objektiven Grundlagen der ärztlichen Einschätzung nachgeprüft oder nachvollzogen werden können. Nach der gutachtlichen ärztlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 3. Dezember 2018 im Rahmen der Prüfung eines Versorgungsanspruchs gemäß § 31 Abs. 6 SGB V kann der Kläger nicht auf sinnvolle, zugelassene Behandlungsalternativen verwiesen werden. Aufgrund der schweren Grunderkrankung bestünden Kontraindikationen zur Anwendung verschiedener Medikamente. Damit wird jedoch das Ergebnis der ärztlichen Prüfung lediglich kurz zusammengefasst. Der Grund für die Verordnung von Medizinalcannabis (die wegen der schweren Darmerkrankung zu vermeidenden Nebenwirkungen anderer Medikamente) wurde zwar genannt; dies entspricht jedoch noch keiner plausiblen Darlegung. Dem Kostenübernahmeantrag der den Kläger behandelnden Ärztin anlässlich des Wechsels von Tilray THC10: CBD10 auf Cannabisblüten vom 25. Februar 2021 lassen sich nur nachvollziehbare Angaben zur Verwendung eines Vaporisators entnehmen, nicht aber zur Frage der Indikation.
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Zutreffend ist das Verwaltungsgericht ferner davon ausgegangen, dass der Kläger zur Mitwirkung an der Aufklärung dieser Fragen verpflichtet ist. Es gehört zu den Mitwirkungspflichten des Fahrerlaubnisinhabers, hinreichend darzulegen und zu belegen, dass die Voraussetzungen des Arzneimittelprivilegs gemäß Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV bei ihm erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2023 a.a.O. Rn. 22, 24; B.v. 22.8.2022 a.a.O. Rn. 30).
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2. Allerdings stand bis zur Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nicht hinreichend fest, dass die Behandlung mit Medizinalcannabis nicht als ultima ratio indiziert war und dass der Kläger keine Belege für diese Indikation beibringen konnte und/ oder wollte. Das Landratsamt hatte bis zum Erlass des auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Entziehungsbescheids hierzu noch nicht selbst ermittelt und keinen entsprechenden Nachweis verlangt. Mit Schreiben vom 23. März 2022 hatte es ein aktuelles Betäubungsmittelrezept, eine aktuelle Dosierungsanweisung bzw. Einnahmeverordnung und ein ärztliches Attest über die der Verordnung zugrundeliegende Erkrankung sowie eine Selbstauskunft über die Einnahme von Medizinalcannabis gefordert, die der Kläger vorgelegt hat. Als medizinischer und rechtliche Laie durfte er davon ausgehen, dass er damit seiner Mitwirkungspflicht bzw. -last genügt hatte, und – sofern ihm das überhaupt bewusst war – davon, dass mit der ärztlichen Stellungnahme des MDK vom 3. Dezember 2018, die trotz der geltenden Begründungspflicht immerhin zur Übernahme der Therapiekosten durch seine Krankenkasse geführt hatte, und mit der Kostenübernahmeantrag der ihn behandelnden Ärztin vom 25. Februar 2021 die Frage nach der Indikation der Verschreibung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BtmG auch für die Fahreignungsprüfung ausreichend beantwortet war.
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Inhaltlich wird die Mitwirkungspflicht bzw. -last durch die Sphäre und den Erkenntnisbereich des Beteiligten begrenzt (Kallerhoff/Fellenberg Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 24 Rn. 28, § 26 Rn. 51). Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in der Lage war, die medizinischen Unterlagen auf ihre rechtliche Relevanz hin zu beurteilen und die behördliche Bewertung der Nachweise zu antizipieren. Außerdem bestimmt die Behörde nach Art. 24 Abs. 1 Satz 2, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG Art und Umfang der Ermittlungen und bedient sich dabei der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Die Beteiligten sollen zwar nach Art. 26 Abs. 2 BayVwVfG bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben. Das können sie jedoch nur leisten, wenn ihnen die Behörde mitteilt, dass und ggf. aus welchen Gründen die von ihnen vorgelegten Unterlagen ungenügend sind. Eine entsprechende Mitteilung und die Aufforderung, unzureichende Belege zu ergänzen, ist auch Ausfluss der allgemeinen Fürsorgepflicht nach Art. 25 Abs. 1 BayVwVfG. Danach soll die Behörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind, und – soweit erforderlich – Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten erteilen.
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Zwar unterliegt Cannabis mit Wirkung zum 1. April 2024 nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz (vgl. Art. 3 Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften [Cannabisgesetz – CanG] vom 27.3.2024 [BGBl I Nr. 109, S. 1], Art. 15 CanG), womit auch die Anforderungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG entfallen sind. Da der Gesetzgeber dem Vorschlag des Bundesrats, eine dem § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG entsprechende Klausel in § 3 MedCanG aufzunehmen (vgl. BT-Drs. 20/8704, S. 187) nicht gefolgt ist, gilt das „ultima-ratio-Prinzip“ nicht mehr (vgl. BVerwG, B.v. 8.1.2025 a.a.O. Rn. 18. f.). Wie ausgeführt kommt es hier jedoch auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 20. Dezember 2022 an. In einem Klageverfahren wäre daher ggf. zu ermitteln, ob die Behandlung des Klägers mit Medizinalcannabis im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids ultima ratio war. Hinsichtlich der die Versagung der Prozesskostenhilfe tragenden Begründung ist somit von einem offenen Verfahrensausgang auszugehen.
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3. Darüber hinaus erscheint auch die für das Verwaltungsgericht nicht mehr entscheidungserhebliche und daher erstinstanzlich nicht näher geprüfte Frage offen, ob die Beibringungsanordnung vom 6. Mai 2022 rechtmäßig war, sodass ggf. die Schlussfolgerung aus § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht mehr gerechtfertigt gewesen sein könnte. Insoweit wird das Ausgangsgericht zu prüfen haben, ob die mit Medizinalcannabis behandelten Erkrankungen Zweifel an der Fahreignung rechtfertigen, wobei die Darmerkrankung des Klägers für das Landratsamt offenbar keine Rolle gespielt hat. Soll Cannabis zur Behandlung mehrerer Erkrankungen eingesetzt werden, ist auf die Gesamtauswirkungen dieser Erkrankungen abzustellen. Es ist nicht Aufgabe des Prozesskostenhilfeverfahrens, diesen erstinstanzlich bisher offengelassenen und nicht ohne weiteres zu beantwortenden Fragen im Beschwerdeverfahren vorzugreifen.
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4. Damit war der Beschwerde des Klägers stattzugeben, soweit ihm das Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe versagt hat.
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Die Beiordnung eines Rechtsanwalts erscheint im Hinblick auf die tatsächlich und rechtlich komplexen Mitwirkungspflichten des Klägers gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich.
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5. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Nachdem der Beschwerde stattgegeben wurde, ist das Verfahren nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG gerichtskos-tenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4, § 127 Abs. 4 ZPO).
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6. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).