Titel:
Erfolgloser Eilantrag auf Aufrechterhaltung freiwilliger Leistungen während des Aufnahmeverfahrens (Afghanen)
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
ZPO § 920 Abs. 2
AufenthG § 23 Abs. 2, § 24
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die tatsächliche Verwaltungspraxis kann sowohl aufgrund des Gleichheitssatzes als auch des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebots des Vertrauensschutzes zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein sachlicher Grund in der Person des Betroffenen für eine Ungleichbehandlung gegenüber der Gruppe der übrigen mit einer Aufnahmezusage in Pakistan befindlichen afghanischen Staatsbürger, die von der GIZ unterstützt werden, liegt in der Rücknahme der Aufnahmezusage. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Abkehr von der bisherigen Praxis, Personen mit Aufnahmezusage Unterstützung in Form einer Unterkunft zu gewähren, ist nicht willkürlich, sondern von der sachlichen Erwägung getragen, dass nur jene Personen in den Genuss de Unterbringung kommen sollen, die aus Sicht der Behörde das Aufnahmeverfahren erfolgreich zum Abschluss bringen können. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Aufnahme von besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen aus Afghanistan vom 19. Dezember 2022, freiwillige Leistungen der Bundesrepublik, Deutschland, gewährt von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), Einstweiliger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Ausländerrecht, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Aufnahmezusage, Afghanistan, Aufnahmeverfahren, Widerruf der Aufnahmezusage, freiwillige Leistungen, Verwaltungspraxis, Ungleichbehandlung, Willkür, sachlicher Grund
Fundstelle:
BeckRS 2025, 28033
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
3. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 8.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gewährten freiwilligen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland weiterhin während des laufenden Rechtsmittelverfahrens aufrecht zu erhalten.
2
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige. Sie halten sich aktuell in Pakistan auf.
3
Mit Bescheid vom 23. April 2024 wurde den Antragstellern eine Aufnahmezusage auf Grundlage der Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gem. § 23 Abs. 2, Abs. 3 i.V.m § 24 Aufenthaltsgesetz zur Aufnahme von besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen aus Afghanistan vom 19. Dezember 2022 erteilt.
4
Die Antragsgegnerin wurde zuletzt am 18. Juli 2025 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht Berlin verpflichtet, den Antragstellern Visa gemäß § 23 Abs. 2 AufenthG zu erteilen (Az. …*). Das Verwaltungsgericht führte im Wesentlichen aus, dass den Antragstellern bestandskräftige und nicht widerrufene Aufnahmezusagen erteilt worden seien.
5
Eine Beschwerde der Antragsgegnerin gegen diesen Beschluss wurde mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. August 2025 (Az. …*) zurückgewiesen.
6
Mit Bescheid vom 22. August 2025 nahm die Antragsgegnerin die erteilte Aufnahmezusage zurück (Ziffer 1) und ordnete unter Ziffer 2 die sofortige Vollziehung des Bescheids an.
7
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Aufnahmezusage sei rechtswidrig ergangen. Die Erteilungsvoraussetzung hätten nicht vorgelegen.
8
Der Bevollmächtigten der Antragsteller wurde außerdem ein Schreiben vom 22. August 2025 übermittelt, wonach die im Rahmen des Aufnahmeverfahrens durch den Dienstleister gewährten freiwilligen Leistungen sieben Kalendertage nach Zustellung des Aufhebungsbescheides eingestellt würden. Diese sollten frühzeitig entsprechende Vorkehrungen treffen und zum Ende der anberaumten Frist aus dem Gästehaus ausziehen.
9
Mit Schriftsatz vom 29. August 2025 haben die Antragsteller durch ihre Bevollmächtigte hiergegen Klage erhoben und beantragt,
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. August 2025 aufzuheben. Sie haben außerdem beantragt, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Rücknahmebescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen.
Weiterhin haben sie beantragt,
die von der GIZ gewährten freiwilligen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland weiterhin während des laufenden Rechtsmittelverfahrens aufrechtzuerhalten.
Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von … für das gegenständliche Antragsverfahren,
das Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und auch das Klageverfahren beantragt.
10
Zur Begründung führte die Bevollmächtigte insbesondere aus, der Rücknahmebescheid sei rechtswidrig. Durch die Aufforderung, die Unterkunft zu verlassen, versuche die Antragsgegnerin, vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Antragsteller hätten keine Visa für Pakistan. Sobald sie die Guesthouses verlassen müssten, könnten sie sich nicht mehr legal in Pakistan aufhalten. Sollten sie zwangsweise nach Afghanistan zurückgeführt werden, dürfte die Einreise in die Bundesrepublik aufgrund faktischer Unmöglichkeit für die Zukunft ausgeschlossen sein.
11
Eine Antragserwiderung durch die Antragsgegnerin erfolgte nicht. Die Antragsgegnerin hat jedoch mit Schreiben vom 3. September 2025 erklärt, keine Stillhaltezusage im Hinblick auf Unterkunft und Verpflegung für das gegenständliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abzugeben.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
13
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren war mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 ZPO), weshalb auch eine Beiordnung der Bevollmächtigten nach § 121 ZPO nicht in Betracht kam. Zur Begründung wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen.
14
Der von der Kammer als Antrag im einstweiligen Rechtsschutz gem. § 123 Abs. 1 VwGO verstandene Antrag, § 88 VwGO, die von der GIZ gewährten freiwilligen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland weiterhin während des laufenden Rechtsmittelverfahrens aufrechtzuerhalten, bleibt erfolglos.
15
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
16
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
17
Im Hinblick auf die Unterstützung durch die GIZ ist zwar ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, nachdem die die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22. August 2025 mitgeteilt hat, dass die durch den Dienstleister gewährten freiwilligen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland sieben Kalendertage nach Zustellung des Aufhebungsbescheids eingestellt würden, was insbesondere die Unterbringung der Antragsteller in einem Guesthouse sowie die gesundheitliche Versorgung vor Ort betreffe, nicht jedoch ein Anordnungsanspruch.
18
Es ist schon eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf die Gewährleistung der begehrten Unterstützung weder dargetan noch ist eine solche ersichtlich.
19
Die Unterstützung insbesondere in Form der Unterbringung in einem Guesthouse und medizinischer Versorgung folgt weder aus der Aufnahmeanordnung des BMI, noch aus der Aufnahmezusage selbst.
20
Auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis des Bundesamts ergibt sich nach dem Vorbringen der Antragsteller kein Anspruch aufgrund einer Selbstbindung der Antragsgegnerin.
21
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenso wie des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die tatsächliche Verwaltungspraxis sowohl aufgrund des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebots des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen kann (BVerfG, B.v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03 – juris Rn. 64 f.; BVerwG, U.v. 21.8.2003 – 3 C 49.02 – juris Rn. 14). Durch eine etablierte Verwaltungspraxis wird die Verwaltung auch für die Zukunft an ihre bisherige Entscheidungspraxis gebunden und kann von dieser Praxis nicht ohne sachlichen Grund abweichen. Ein Leistungsanspruch kann sich damit ergeben, wenn ein Anspruchsteller die nach der Verwaltungspraxis bestehenden Voraussetzungen erfüllt, aber dennoch nicht begünstigt wurde. Möglich bleibt damit eine Abweichung bei hinreichender Rechtfertigung im Einzelfall oder als generelle Änderung der Verwaltungspraxis (vgl. Huber/Voßkuhle/ Wollenschläger, 8. Aufl. 2024, GG, Art. 3 Rn. 192ff.; von Münch/Kunig/Boysen, 7. Aufl. 2021, GG, Art. 3 Rn. 42, 76 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, 18. Aufl. 2024, GG, Art .3 Rn. 44f.). Für einen Anspruch aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung ist demzufolge Voraussetzung sowohl eine etablierte Verwaltungspraxis als auch gleichzeitig die Zugehörigkeit der Antragsteller zu derjenigen Gruppe, auf die sich diese Verwaltungspraxis bezieht.
22
Im vorliegenden Fall ist schon nicht glaubhaft gemacht, dass tatsächlich eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem besteht. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass alle Personen mit einer Aufnahmezusage die streitgegenständliche Unterstützung erhalten, liegen in der Person der Antragsteller Gründe vor, die sie von der Gruppe der übrigen mit einer Aufnahmezusage in Pakistan befindlichen afghanischen Staatsbürger, die von der GIZ im Auftrag der Antragsgegnerin insbesondere durch Unterbringung und Verpflegung unterstützt werden, unterscheiden. Ihre Aufnahmezusage wurde nämlich (wenn auch bisher nicht bestandskräftig) zurückgenommen, so dass insoweit bereits ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung besteht. Allein die Tatsache, dass die Antragsteller den Rücknahmebescheid vor dem Verwaltungsgericht beklagen, ist nicht geeignet, die Berücksichtigung der Rücknahmeentscheidung als sachliches Differenzierungskriterium auszuschließen.
23
Darüber hinaus ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass eine Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin dahingehend besteht, dass Personen mit – wenn auch nicht rechtskräftig – zurückgenommener Aufnahmezusage die streitgegenständliche Unterstützung erhalten. Vielmehr ergibt sich aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 3. September 2025, dass eine Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin dahingehend besteht, dass Personen, deren Aufnahmezusage aufgehoben wurde, nicht weiter durch freiwillige Leistungen der GIZ unterstützt werden – nicht einmal für die Dauer eines ggf. anhängigen Eilverfahrens gegen einen Rücknahme- bzw. Widerrufsbescheid.
24
Schließlich hat die Antragsgegnerin jedenfalls ihre Verwaltungspraxis – sofern man entgegen den obigen Ausführungen von einer solchen ausginge – nunmehr geändert. Ebenso wie die tatsächliche Verwaltungspraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen kann, ist anerkannt, dass eine Behörde ihre Praxis aus willkürfreien, d.h. sachlichen Gründen ändern kann (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.20213 – 6 C 13/12 – juris Rn. 55). Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 3. September 2025 ausführt, dass Unterstützungsangebote an den politischen Willen zur Aufnahme geknüpft seien. Ein solcher Wille besteht jedenfalls ab Erlass des Rücknahmebescheids nicht mehr. Die Abkehr von der bisherigen Praxis, Personen mit Aufnahmezusage Unterstützung in Form einer Unterkunft zu gewähren, ist daher keineswegs willkürlich, sondern von der sachlichen Erwägung getragen, dass nur jene Personen in den Genuss der Unterbringung (auch verbunden mit einem entsprechenden Einsatz von Haushaltsmitteln) kommen sollen, die aus Sicht der Antragsgegnerin das Aufnahmeverfahren erfolgreich zum Abschluss bringen können. Unerheblich ist insoweit, dass die Antragsteller Anfechtungsklage gegen den Rücknahmebescheid erhoben haben und im einstweiligen Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage begehren. Es kommt lediglich darauf an, dass die Antragsgegnerin ihre Unterstützungsleistung gleichermaßen gegenüber allen Personen, deren Aufnahmezusage zurückgenommen wurde, einstellt. Gegenteiliges wurde weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
25
Der Antrag war nach alledem abzulehnen.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.