Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 09.10.2025 – AN 14 S 25.50682
Titel:

Abschiebungsanordnung nach erfolgter Wiedereinreise aus dem nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedsstaat, Notwendigkeit eines neuen Wiederaufnahmeverfahrens, Zuständiges Verwaltungsgericht, Befristung des Aufenthaltsverbots, Abschiebungsanordnung in die Niederlande

Normenketten:
VwGO § 52 Nr. 2 S. 3
Dublin III-VO Art. 12 Abs. 2, Art. 23
AufenthG § 11 Abs. 3
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung nach erfolgter Wiedereinreise aus dem nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedsstaat, Notwendigkeit eines neuen Wiederaufnahmeverfahrens, Zuständiges Verwaltungsgericht, Befristung des Aufenthaltsverbots, Abschiebungsanordnung in die Niederlande
Fundstelle:
BeckRS 2025, 28027

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. September 2025 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Anordnung seiner Abschiebung in die Niederlande und die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.
2
Der Antragsteller ist Staatsbürger Afghanistans. Er reiste nach eigenen Angaben am 29. November 2024 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte am 17. Dezember 2024 bei der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen in Bochum ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am gleichen Tag schriftlich Kenntnis erlangt hat.
3
Eine am 24. Dezember 2024 vom Bundesamt eingeholte Auskunft aus dem Visa-Informationssystem (VIS) ergab ein von der niederländischen Botschaft in Islamabad am 8. November 2024 ausgestelltes Kurzaufenthaltsvisum (15-tägiger Aufenthalt) für die Schengen-Staaten.
4
Am 6. Januar 2025 hat der Antragsteller einen förmlichen Asylantrag gestellt. Beim persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am gleichen Tag gab er an, dass sich in Deutschland ein volljähriger Sohn und zwei volljährige Töchter, sowie ein Bruder und eine Schwester aufhielten. Alle wohnten in … Er habe sein Herkunftsland im August 2021 verlassen und sei nach einem 3-jährigen Aufenthalt in Pakistan nach Deutschland gekommen, wo er sich 2-3 Tage aufgehalten habe. Von dort sei er in die Niederlande gegangen, wo es sich ca. eine Woche aufgehalten habe. In Pakistan lebten noch Ehefrauen und Kinder von ihm.
5
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 6. Januar 2025 bestätigte der Antragsteller, von der niederländischen Botschaft in Islamabad ein Visum erhalten zu haben. Er habe in den Niederlanden nur an einer Konferenz des Internationalen Strafgerichtshofs teilnehmen, aber keinen Asylantrag stellen wollen. Er legte eine Einladung des Internationalen Strafgerichtshofs vor. Gegen eine Rückführung in die Niederlande spreche, dass er dort keine Familie habe. In Deutschland habe er aber Familie und wolle hierbleiben. In den Niederlanden sei ihm nichts zugestoßen. Unter Krankheiten leide er nicht.
6
Bei der Anhörung zu seinen Fluchtgründen am gleichen Tag korrigierte er dies dahingehend, dass er unter Diabetes Mellitus Typ 2 leide. Er nehme hiergegen Tabletten und habe diese bereits in Afghanistan eingenommen.
7
Das Bundesamt richtete am 9. Januar 2025 auf der Grundlage der VIS-Auskunft ein Aufnahmegesuch nach der Dublin III-VO an die Niederlande, das von den niederländischen Behörden mit Schreiben vom 13. Januar 2025 auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO angenommen wurde. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 15. Januar 2025 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers in die Niederlande an (Ziffer 3). In Ziffer 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 16. Januar 2025 gegen Empfangsbestätigung zugestellt.
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Hiergegen wurde durch den Bevollmächtigten des Antragstellers am 27. Januar 2025 Klage zum Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erhoben (Az. …*), über die noch nicht entschieden wurde. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde nicht gestellt.
9
Mit Schreiben vom 10. Juli 2025 teilte das Bundesamt dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit, dass der Antragsteller am gleichen Tag im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgreich in die Niederlande überstellt worden sei. Eine entsprechende Abschlussmitteilung der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin vom gleichen Tag befindet sich in der Bundesamtsakte.
10
Am 21. Juli 2025 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel, die im Bescheid vom 15. Januar 2025 enthaltene Abschiebungsanordnung in die Niederlande einstweilen aufzuheben, gestellt. Zur Begründung führte er aus, dass der Antragsteller sich bei seinem Sohn in … aufhalte. Es seien anscheinend Überstellungsversuche unternommen worden, weshalb der einstweilige Rechtsschutzantrag gestellt werde. Zwischenzeitlich sei die Überstellungsfrist abgelaufen.
11
Nachdem das Bundesamt mit Schreiben vom 23 Juli 2025 drauf hingewiesen hatte, dass der Antragsteller tatsächlich ausweislich des beigefügten Berichts der Bundespolizei am 10. Juli 2025 in die Niederlande überstellt worden war, lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag mit Beschluss vom 4. August 2025 (Az. …*) ab. Für den Antrag bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, weil eine Vollstreckung auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 15. Januar 2025 nicht drohe. Diese habe sich wohl aus der Sicht der Antragsgegnerin, die von einer erfolgten Überstellung in die Niederlande ausgehe, als Überstellungsgrundlage erledigt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin von einer weiteren Vollstreckungsmöglichkeit ausgehe, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
12
Im beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geführten Klageverfahren teilte der Bevollmächtigte des Antragstellers am 12. September 2025 mit, dass das Bundesamt weiter versuche, den Antragsteller in die Niederlande zu überstellen. Er sei in Abschiebehaft genommen worden, obgleich er sogar nochmals in der Erstaufnahmestelle in Bochum seinen Asylwunsch geäußert habe. Daneben sei er schwer herzkrank. Vorgelegt wurde ein Entlassungsbericht des …, vom 5. September 2025 über den stationären Aufenthalt des Antragstellers dort vom 2. bis zum 6. September 2025. Daraus geht hervor, dass der Antragsteller notfallmäßig bei aufgrund Voruntersuchung in Pakistan bekannter koronarer Gefäßerkrankung stationär aufgenommen wurde. Es sei zweifach ein sogenannter Stent gesetzt worden. Der Antragsteller habe am 6. September 2025 in gutem Zustand nach Hause entlassen werden können.
13
Ebenfalls am 12. September 2025 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Essen dem Bundesamt mit, dass der Antragsteller im August unerlaubt wieder in die BRD eingereist sei und am vorangegangenen Tag durch die Zentrale Ausländerbehörde festgenommen und in die Abschiebehaftanstalt verbracht worden sei. Vorgelegt wurde ein Formblatt „Aufgriff ohne Asylgesuch“ über den Aufgriff des Antragstellers am 11. September 2025 in der ZUE (Zentrale Unterbringungseinrichtung) … und ein Beschluss des Amtsgerichts … vom 11. September 2025, mit dem gegen den Antragsteller bis zu seiner Überstellung aus dem Bundesgebiet, längstens jedoch bis einschließlich 21. Oktober 2025, die Rücküberstellungshaft gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO, Art. 2 Buchst. n Dublin III-VO i.V.m. § 2 Abs. 4 AufenthG angeordnet wurde. In den Gründen des Beschlusses wird unter anderem ausgeführt, dass der Antragsteller am 10. Juli 2025 in die Niederlande überstellt wurde und spätestens am 5. August 2025 wieder in die Bundesrepublik einreiste und an diesem Tag versuchte, bei der ZUE sein Taschengeld abzuholen. Die Stadt … – Ausländerbehörde habe den Erlass eines Haftbefehls zur Sicherung der Rücküberstellungen beantragt. Zu diesem Zweck seine Festnahme am 11. September 2025 geplant.
14
Das Bundesamt richtete am 15. September 2025 ein Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin III-VO an die niederländischen Behörden, das von diesen mit Schreiben vom 22. September 2025 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) Dublin III-VO und die Zustimmung vom 13. Januar 2025 angenommen wurde.
15
Mit Bescheid vom 22. September 2025 ordnete das Bundesamt daraufhin die Abschiebung des Antragstellers in die Niederlande an (Ziffer 1) und ordnete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete es auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Bescheid, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung(Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach) versehen war, wurde dem Antragsteller am 23. September 2025 gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt.
16
Hiergegen hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten mit am 29. September 2025 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schreiben Klage erheben (AN 14 K 25.50683) und den vorliegenden Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen lassen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Abschiebung in die Niederlande nicht durchführbar sei, da bereits im Juli die Überstellungsfrist abgelaufen sei. Eine Verlängerung liege nicht vor. Die Antragsgegnerin meine, dass eine Überstellung des Antragstellers in die Niederlande im Juli 2025 erfolgt sei, was aber nicht stimme. Der Antragsteller sei nie niederländischen Beamten übergeben worden. Die Antragsgegnerin möge eine Bestätigung der niederländischen Behörden vorliegen, die einen solchen Umstand bestätige. Er sei zwar zwecks Überstellung am 10. Juli aufgegriffen und festgenommen, aber keiner niederländischen Behörde übergeben worden. Da er somit nie ausgereist sei, könne er nicht mehr abgeschoben werden. Daneben scheitere eine Überstellung an dem bedrohlichen Gesundheitszustand des Klägers. Er sei schwer herzkrank und sei deshalb kürzlich für eine Woche stationär aufgenommen worden. Er habe einen Herzinfarkt gehabt.
17
Der Antragsteller beantragt,
im Rahmen des Eilrechtsschutzes die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
18
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
19
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
20
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
21
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
22
I. Das Verwaltungsgericht Ansbach ist als Gericht der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 VwGO) nach § 45 VwGO sachlich und nach § 52 Nr. 2, Satz 3, Nr. 3 Sätze 2 und 3, Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO örtlich zuständig.
23
Der Antragsteller ist erstmals Ende 2024 in das Bundesgebiet eingereist und hatte während seines damaligen Asylverfahrens nach § 47 AsylG seinen Aufenthalt in … am Sitz der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) … zu nehmen (vgl. Aufenthaltsgestattung v. 6.1.2025, Bl. 68 Bundesamtsakte des Erstverfahrens). Diese Pflicht endete nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG mit dem Vollzug der im Bescheid vom 15. Januar 2025 ausgesprochenen Abschiebungsanordnung in die Niederlande am 10. Juli 2025.
24
Das Gericht hat entgegen dem Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers keinen Zweifel daran, dass der Antragsteller tatsächlich am 10. Juli 2025 in die Niederlande überstellt wurde. Dies ergibt sich aus der in der Bundesamtsakte befindlichen Abschlussmeldung der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin vom 10. Juli 2025 über die Abschiebung. Dort ist genau ausgeführt, wann und an welchem Ort der Antragsteller an die niederländischen Behörden übergeben wurde. Dem setzt der Bevollmächtigte des Antragstellers alleine entgegen, dass dies nicht zutreffe. Irgendwelche Nachweise wurden dafür aber nicht erbracht und auch eine substantiierte Darlegung, warum die Überstellung nicht durchgeführt sein soll, ist nicht erfolgt. Das Gericht hat daher keinen Anlass dafür, an der Richtigkeit der bundespolizeilichen Abschlussmeldung zu zweifeln. Daher ist es auch nicht angebracht, eine Erklärung der niederländischen Behörden über die Durchführung der Abschiebung einzuholen.
25
Die räumliche Aufenthaltsbeschränkung gilt auch nicht nach § 71 Abs. 7 AsylG fort, da der Antragsteller nach seiner Rückkehr ins Bundesgebiet weder einen Folgeantrag gestellt noch ein erneutes Asylgesuch im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO geäußert hat, von dem das Bundesamt Kenntnis erlangt hätte.
26
Der Beschluss des Amtsgerichts … vom 11. September 2025 vermag eine Pflicht des Antragstellers im Sinne von § 52 Nr. 2, Satz 3 VwGO seinen Aufenthalt in der Hafteinrichtung zu nehmen, ebenfalls nicht zu begründen, da er auf die Dublin III-VO und das AufenthG und nicht auf das Asylgesetz gestützt ist. Aufgrund dieses Beschlusses ist der Antragsteller daher nicht im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO „nach dem Asylgesetz“ verpflichtet, seinen Aufenthalt in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) … zu nehmen (vgl. VG Bayreuth, B.v. 26.1.2023 – B 7 S 23.30047 – juris).
27
Die örtliche Zuständigkeit folgt daher, da sich die Zuständigkeit des Bundesamts Migration und Flüchtlinge auf die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte erstreckt (§ 52 Nr. 3, Sätze 1 und 2 VwGO), dem Sitz oder Wohnsitz des Beschwerten. Da der Antragsteller als durch die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Anordnungen Beschwerter aber im Zuständigkeitsbereich des Bundesamts (der gesamten Bundesrepublik Deutschland) keinen Wohnsitz im Sinne von § 7 BGB hat (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 52 Rn. 26), greift letztlich die Auffangbestimmung des § 52 Nr. 5 VwGO, sodass maßgeblich der Sitz der Beklagten ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat seinen Sitz in Nürnberg im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach (Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO), sodass dieses Gericht entsprechend der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrungörtlich zuständig ist.
28
II. Der Antrag ist zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet Das Gericht versteht den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, dahingehend, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sowohl im Hinblick auf die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids als auch im Hinblick auf die Klage gegen das in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete und auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt wird. Denn nach dem Wortlaut des Antrags des anwaltlich vertretenen Antragstellers ist der Antrag gerade nicht auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung beschränkt.
29
Der so verstandene Antrag ist statthaft, da die Klage gegen die Abschiebungsanordnung und die Klage gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots – wobei es sich um einen unteilbaren und daher einheitlich mit der Anfechtungsklage anzugreifenden Verwaltungsakt handelt (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – juris Rn. 10; VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – juris Rn. 40; VG Karlsruhe, U.v. 22.8.2019 – A 19 K 1718/17 – juris Rn. 34 ff.) – kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG, § 34a Abs. 2 Satz 1 und 3, § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG).
30
Der Antrag wurde innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt und ist auch im Übrigen zulässig.
31
In der Sache hat der Antrag nur Erfolg, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids begehrt wird (hierzu 1.). Soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung begehrt wird, erweist sich der Antrag als unbegründet (hierzu 2.).
32
Nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin abgewogen wird. Grundlage ist dabei die anhand einer summarischen Prüfung erfolgende Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache.
33
1. Das in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete und auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweist sich bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) als rechtswidrig und den Antragsteller in seinen Rechten verletzend (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
34
Rechtsgrundlage für den Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 2 des Bescheids ist § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist oder gegen den eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlassen wurde, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG), wobei über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden wird (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dabei darf die Frist außer in den Fällen der Abs. 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).
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Das Bundesamt muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Befristung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung oder Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen berücksichtigen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – juris Rn. 14). Schützenswert sind dabei solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln; dabei wird die Schutzwürdigkeit des Interesses des Ausländers an einer angemessenen Rückkehrperspektive insbesondere durch Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt (BVerwG, a.a.O. Rn. 14, 17). Sind in dem zu beurteilenden Einzelfall Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Ausländers vom Bundesgebiet erhöhen, ebenso wenig erkennbar wie Umstände, die geeignet sind, das Gewicht dieses öffentlichen Interesses zu mindern, so begegnet es in einer Situation, die keine Besonderheiten gegenüber gleichgelagerten Fällen aufweist, keinen Bedenken, das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 30 Monaten zu befristen und damit den durch Art. 11 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/115/EG und § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmen zur Hälfte auszuschöpfen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 18 m.w.N.; BayVGH, U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.31153 – juris Rn. 64).
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Nach diesen Maßstäben stellt sich die Befristung des in Ziffer 2 des Bescheids vom 22. September 2025 angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig dar. Nachdem nicht erkennbar ist, dass ein Fall des § 11 Abs. 5 bis 5b AufenthG vorliegen sollte, hat sich die Antragsgegnerin vorliegend für die Festsetzung der Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entschieden. Umstände, die aus präventiven Gesichtspunkten die Ausschöpfung der Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG durch die Antragsgegnerin als angezeigt erscheinen ließen bzw. nachvollziehbar machen würden, lassen sich den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid nicht entnehmen. Bezogen auf den vorliegenden Einzelfall wird im Bescheid lediglich ausgeführt, dass die vom Antragsteller vorgetragenen familiären Bindungen zu seinen Kindern, Geschwistern und anderen Mitgliedern seiner Großfamilie nicht zu berücksichtigen seien, da sie nicht zur Kernfamilie des Antragstellers gehörten. Damit bringt die Antragsgegnerin zwar zum Ausdruck, dass sie der Auffassung ist, dass die von dem Antragsteller vorgebrachten Belange nicht dazu geeignet sind, sich zu seinen Gunsten auf die Befristungsentscheidung auszuwirken. Es mangelt aber an Ausführungen dazu, weshalb vorliegend die Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgesetzt wird.
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Zu denken wäre hier zwar insbesondere daran, dass der Antragsteller das im Bescheid vom 15. Januar 2025 angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot ignoriert und unmittelbar nach seiner Abschiebung in die Niederlande wieder nach Deutschland eingereist ist. Dies hat die Antragsgegnerin aber in der Begründung ihrer Ermessensentscheidung nicht genannt, so dass das Gericht nicht unterstellen kann, dass sie diesen generalpräventiven Aspekt in ihre Erwägungen hat einfließen lassen.
38
Die Festsetzung der Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ohne die Darlegung von Umständen, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Antragstellers vom Bundesgebiet erhöhen, stellt sich – auch unter Berücksichtigung der vorstehend näher ausgeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Systematik des § 11 AufenthG – als ermessensfehlerhaft dar (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 19.3.2025 – AN 18 S 25.50106 – juris Rn. 59 ff.; B.v. 7.3.2025 – AN 18 S 25.50061 – juris Rn. 60 ff.; VG Aachen, U.v. 26.3.2025 – 4 K 207/25.A – juris Rn. 76 ff.; VG Würzburg, U.v. 29.1.2025 – W 5 K 25.50003 – juris Rn. 42; Gerichtsbescheid vom 14.1.2025 – W 6 K 24.50466 – juris Rn. 29). Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids war daher anzuordnen.
39
2. Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1, 2 AsylG. Demnach ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
40
§ 34a AsylG ist dabei ungeachtet der Tatsache einschlägig, dass der Antragsteller in Deutschland nicht erneut einen Asylantrag gestellt hat. § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG erfasst nach dem Willen des Gesetzgebers auch die sogenannten „Aufgriffsfälle“, bei denen Ausländer im Inland angetroffen werden, für deren Asylverfahren nach der Dublin III-VO aber ein anderer Staat zuständig ist (vgl. BT-Drs.17/13556, S. 7; VG Ansbach, B.v. 9.9.2021 – AN 17 S 21.50195 – BeckRS 2021, 26537 Rn. 19).
41
Die Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig.
42
a) Die Niederlande sind der nach den Kriterien von Kapitel III der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO) und vorliegend zur Aufnahme des Antragstellers verpflichtet.
43
Die Zuständigkeit der Niederlande für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz folgt aus Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Asylgesuch des Antragstellers durch das Bundesamt (vgl. dazu EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-670/16 – juris Rn. 75 ff.; Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO) am 17. Dezember 2024 war der Antragsteller in Besitz eines vom 26. November bis zum 26. Dezember 2024 gültigen Kurzaufenthaltsvisums für den Schengen-Raum, erteilt am 8. November 2024 von der niederländischen Botschaft in Islamabad. Damit sind die Niederlande als Mitgliedstaat, der das im maßgeblichen Zeitpunkt noch gültige Visum ausgestellt hat, für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig (Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO).
44
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 25.1.2018 – C-360/16 – juris, LS 2) kann ein Drittstaatsangehöriger, der nach der Abschiebung in den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat erneut unerlaubt in den Mitgliedstaat, in dem er einen Asylantrag gestellt hat, zurückgekehrt ist, nur dann erneut in den zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden, wenn zuvor ein Wiederaufnahmeverfahren nach der Dublin III-VO durchgeführt wurde.
45
Dieses Wiederaufnahmeverfahren hat das Bundesamt hier ordnungsgemäß durchgeführt. Es hat am 15. September 2025 Wiederaufnahmegesuch an die niederländischen Behörden gerichtet und sich darin auf die bereits zuvor mit Schreiben vom 13. Januar 2025 erfolgte Zustimmung der Niederlande zur Aufnahme des Antragstellers bezogen. Dabei hat es die Frist nach Art. 23 Abs. 2, UAbs. 1 Dublin III-VO eingehalten, so dass die Bundesrepublik Deutschland nicht nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig geworden ist. Denn das Bundesamt hat erstmals am 12. September 2025 (Freitag) durch eine Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde … von der Wiedereinreise des Antragstellers in das Bundesgebiet Kenntnis erlangt. Bereits am darauffolgenden Montag (15.9. 2025) hat es ein Wiederaufnahmegesuch an die Niederlande gerichtet. Es hat damit „so bald wie möglich“ im Sinne von Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO das Wiederaufnahmegesuch an die Niederlande gerichtet und die Frist gewahrt. Die niederländischen Behörden haben das Aufnahmegesuch am 22. September 2025 innerhalb der Monatsfrist des Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO unter Bezugnahme auf die bereits mit Schreiben vom 13. Januar 2025 erfolgte Anerkennung der Zuständigkeit der Niederlande angenommen. Die Niederlande sind somit als zuständiger Mitgliedstaat verpflichtet, den Antragsteller wiederaufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
46
Entgegen der Argumentation des Bevollmächtigten des Antragstellers ist die Überstellungsfrist auch zuvor noch nicht abgelaufen. Denn das Gericht hat wie dargestellt keinen Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich am 10. Juli 2025 in die Niederlande überstellt wurde. Dementsprechend handelt es sich bei der Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 22. September 2025 um eine neue Überstellungsentscheidung im Sinne von Art. 26 Dublin III-VO, die eine neue, sechsmonatige Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO in Lauf setzt. Diese wurde durch den vorliegenden, fristgerecht gestellten Antrag unterbrochen und läuft erst mit der Ablehnung des Antrags in Bezug auf die Abschiebungsanordnung des Bescheids vom 22. September 2025 erneut an (vgl. Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO a.E.).
47
b) Bei einer Gesamtwürdigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel lassen sich in Bezug auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in den Niederlanden systemische Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers im Sinne von Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK mit sich bringen und der Zuständigkeit der Niederlande für das Asylverfahren des Antragstellers entgegenstehen, nicht feststellen.
48
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylsuchenden in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für einen Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. zur Dublin II-VO BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
49
Mit Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – (juris) hat der Gerichtshof der Europäischen Union – wegen des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GRCh gleichermaßen für Asylsuchende und Anerkannte – die Maßstäbe für Rückführungen im Dublin-Raum präzisiert. Aufgrund des fundamental bedeutsamen Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens darf ein Asylsuchender hiernach grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO für die Bearbeitung seines Antrages zuständig ist bzw. ihm bereits Schutz gewährt hat. Eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK wäre aber etwa dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien und Griechenland; vgl. auch BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris). Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 93.).
50
Nach diesen Maßstäben ist auch unter Berücksichtigung der neuesten Entwicklungen in den Niederlanden nicht davon auszugehen, dass nach der Dublin III-VO überstellten Personen wie dem Antragsteller in den Niederlanden aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
51
aa) Dublin-Rückkehrende haben Zugang zum Asylverfahren bei der niederländischen Asylbehörde IND (Immigratieen Naturalisatiedienst) (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 6; AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 74). Die Bedingungen der Fortsetzung des Verfahrens sind je nach Status des dortigen Asylverfahrens unterschiedlich.
52
Bereits im nationalen Verfahren abgelehnte Dublin-Rückkehrende können im Zentralen Aufnahmezentrum in Ter Apel einen Folgeantrag stellen. Gewöhnlich ist es am Tag der Überstellung möglich, nach Ter Apel zu reisen (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to the Netherlands, Stand: 23.5.2024, S. 2). Folgeantragsteller müssen in ihrem schriftlichen Antrag für ihr Asylgesuch relevante neue Tatsachen und Beweismittel angeben (EUAA a.a.O., S. 8). Im Falle eines unzulässigen Folgeantrags, der keine neuen Tatsachen oder Beweismittel enthält, endet das Recht auf Versorgung (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 9). Gegen negative Entscheidungen nach Stellung eines Folgeantrags kann binnen einer Woche gerichtlicher Rechtsschutz ergriffen werden, der allerdings keine aufschiebende Wirkung hat (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 115).
53
Dublin-Rückkehrende, die noch keinen Asylantrag in den Niederlanden gestellt haben, kommen nach Antragstellung beim Zentralen Aufnahmezentrum in Ter Apel ins nationale Asylverfahren. Dublin-Rückkehrende, die bereits in den Niederlanden Asyl beantragt haben, aber über deren Antrag noch nicht entschieden wurde, müssen sich ebenfalls in Ter Apel melden und bekommen sodann Zugang zum niederländischen Aufnahmesystem (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to the Netherlands, Stand: 23.5.2024, S. 2).
54
Asylsuchende haben ein gesetzlich verankertes Recht auf materielle Versorgung; dies umfasst u.a. Unterbringung, Nahrungsmittel, Beratungs- und Freizeitangebote, Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen und eine Haftpflichtversicherung (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to the Netherlands, Stand: 23.5.2024, S. 3; AIDA, Country Report: Netherlands, 2024 Update, S. 140 f.). Aufnahmebedingungen und Unterbringung sind auf die besonderen Bedürfnisse vulnerabler Asylbewerber angepasst (EUAA, a.a.O., S. 5 bis 7). Wegen der hohen Belegung des Aufnahmesystems war 2024 über die Hälfte der Asylsuchenden in Notunterkünften untergebracht, in denen die Versorgung in vielen Fällen hinter dem Mindeststandard zurückblieb (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 152 ff.).
55
Als Reaktion auf Situationen, in denen Asylsuchende, die in Ter Apel auf die Registrierungsmöglichkeit ihres Asylantrags warteten, im Gebäude auf Stühlen, dem Boden und draußen vor dem Gebäude schlafen mussten, wurde im September 2022 eine Unterbringungseinrichtung für noch nicht registrierte Asylsuchende in Marnewaard geschaffen, die allerdings am 1. März 2023 wieder geschlossen wurde. 2023 waren keine Asylsuchenden gezwungen, in Ter Apel im Freien zu schlafen. Akute Kapazitätsschwierigkeiten wurden durch Notfallmaßnahmen entschärft, allerdings mussten im Dezember 2023 Asylsuchende ohne Bett und Duschmöglichkeiten – im Einzelfall für mehr als zwei Tage – im Wartebereich des Aufnahmezentrums in Ter Apel ausharren. Im Jahr 2024 war Ter Apel weiterhin überfüllt und die Unterbringungsagentur für Asylbewerber COA (Centraal Orgaan opvang asielzoekers) brachte Antragsteller in „Vorregistrierungsorten” rund um Ter Apel unter (zum Ganzen: AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 133 f.).
56
Neben der Unterbringung erhalten Asylsuchende einen wöchentlichen Geldbetrag, dessen Höhe sich u.a. danach richtet, ob in der Unterkunft Mahlzeiten bereitgestellt werden oder nicht. Werden Mahlzeiten bereitgestellt, so beträgt die wöchentliche Zahlung für einen alleinstehenden Erwachsenen 37,80 €. Daneben werden auch Pauschalen für Kleidung (14,47 € pro Woche und Person) gezahlt (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 140 f.).
57
Nach sechs Monaten dürfen Asylsuchende arbeiten, seit November 2023 auch für mehr als 24 Wochen im Jahr. Die Arbeitsaufnahme wird Asylsuchenden aber weiterhin insbesondere durch administrative Hürden erschwert (AIDA, Country Report Netherlands, 2023 Update, S. 129 f.; Raphaelswerk e.V., Niederlande: Rücküberstellung nach Dublin-Verordnung – Informationen für Geflüchtete, die in die Niederlande rücküberstellt werden, Stand: 11/2024, S. 17).
58
In jedem Aufnahmezentrum oder in dessen Nähe gibt es ein Gesundheitszentrum für Asylsuchende, in dem medizinische Fachkräfte zur Verfügung stehen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 11). Nach zwei Monaten in den Aufnahmezentren besteht für die Asylsuchenden ein vollwertiger Zugang zum niederländischen Gesundheitssystem, davor lediglich zu notwendiger medizinischer Versorgung (EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to the Netherlands, Stand: 23.5.2024, S. 5). Mehrere Einrichtungen sind auf die Behandlung von Asylsuchenden mit psychischen Problemen spezialisiert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12).
59
Nach alledem liegen grundsätzlich keine systemischen Schwachstellen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO vor, aufgrund derer Asylsuchenden generell die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh droht. Die Niederlande verfügen über ein grundsätzlich funktionierendes und dem Schutzbedürfnis von Asylsuchenden Rechnung tragendes Asylsystem. Auch die Aufnahmebedingungen sind ausreichend.
60
Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die materielle Versorgung in den Notunterkünften derart unzureichend ist, dass die Schwelle der Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK erreicht sein könnte. Die Niederlande verfügen unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist.
61
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der spezifischen Situation des Antragstellers.
62
Der Antragsteller hat bislang in den Niederlanden noch keinen Asylantrag gestellt. Dies wäre ihm nach einer Überstellung in die Niederlande nach der dargestellten Auskunftslage aber möglich. Vor der Überstellung würde das Bundesamt den niederländischen Behörden die beim Bundesamt vorliegenden Informationen über seinen Gesundheitszustand, insbesondere über seine Herzerkrankung und die Diabeteserkrankung nach Art. 32 Dublin III-VO übermitteln. Daher wüssten die niederländischen Behörden über seine besonderen Bedürfnisse und seine Vulnerabilität Bescheid. Es steht daher trotz der angespannten Unterbringungslage in den Niederlanden nicht zu erwarten, dass der Antragsteller dort keine Aufnahme, sei es auch nur in einer Notunterkunft, finden würde. Wie sich aus der dargestellten Auskunftslage ergibt, ergreifen die niederländischen Behörden sachgerechte Maßnahmen, um Asylsuchende zu unterbringen und einer Obdachlosigkeit dieser Personengruppe gegenzusteuern. Daher ist die Gefahr einer Obdachlosigkeit für den Antragsteller für den Einzelrichter nicht beachtlich wahrscheinlich.
63
Während des Asylverfahrens erhält der Antragsteller Mahlzeiten bereitgestellt oder würde ein entsprechend höheres wöchentliches Geld zur Deckung seiner grundlegenden Bedürfnisse erhalten.
64
In den Aufnahmezentren stehen Gesundheitszentren für Asylsuchende zur Verfügung. In den ersten zwei Monaten besteht zwar lediglich Zugang zu einer Notversorgung, danach haben Asylsuchende vollwertigen Zugang zum niederländischen Gesundheitssystem. Da in dem Entlassungsbericht des … die für den Antragsteller notwendige Medikation wegen seiner Herzerkrankung hervorgeht, würde diese Information vom Bundesamt den niederländischen Behörden nach Art. 32 Dublin III-VO ebenfalls übermittelt. Da steht zu erwarten, dass dem an der Stelle diese Medikamente auch bereitgestellt würden, auch wenn er anfangs nur Anspruch auf eine Notversorgung hat. Daher droht ihm auch unter diesem Gesichtspunkt keine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh.
65
c) Dem Antragsteller droht in den Niederlanden auch im Falle seiner Anerkennung als international Schutzberechtigter keine gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung.
66
Aufgrund des allgemeinen und absoluten Verbotscharakters des Art. 4 GRCh soll die Überstellung von Asylsuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens auch in all den Situationen ausgeschlossen sein, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Asylsuchenden bei ihrer Überstellung oder infolge ihrer Überstellung Gefahr laufen werden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 ff.).
67
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es daher für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung oder während des Asylverfahrens oder erst nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin III-VO einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wären, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 f.). Das Asylsystem des nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaates darf zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür geben, dass den Rücküberstellten bei einer Rückkehr in den zuständigen Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 88). Demgemäß ist nicht lediglich die Situation von Asylsuchenden als Dublin-Rückkehrende in den Blick zu nehmen, sondern es ist eine zusätzliche Abschätzung der Situation bei einer Zuerkennung internationalen Schutzes im zuständigen Mitgliedstaat erforderlich (VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 42; VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris Rn. 19).
68
Wie oben für Dublin-Rückkehrende bereits dargelegt, kann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in den vorherrschenden humanitären Bedingungen für anerkannte Schutzberechtigte erst gesehen werden, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht ist. Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn ein Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95). Dafür genügt es nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97).
69
Diese Voraussetzungen liegen im Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) in Bezug auf die Niederlande nicht vor.
70
aa) Die Verhältnisse für anerkannte Schutzberechtigte in den Niederlanden stellen sich wie folgt dar:
71
Alle anerkannt Schutzberechtigten erhalten eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 184; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12). Nach Statuszuerkennung dürfen sie in staatlicher Unterbringung bleiben bis eine Gemeinde Wohnraum für sie zur Verfügung stellt (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 206; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12).). Im Januar 2025 wohnten 18.651 Schutzberechtigte in Aufnahmezentren (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 206). Die Unterbringungsagentur für Asylbewerber COA ist verpflichtet, Wohnraum zu suchen und anzubieten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 12). Die COA versucht, die Schutzberechtigten in der Gemeinde mit der größten Chance auf Integration unterzubringen, die jeweilige Gemeinde findet eine geeignete Unterkunft (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13). Das Angebot der Gemeinde kann abgelehnt werden; wenn die darauffolgende Überprüfung ergibt, dass die Ablehnung unberechtigt war, kann das Wohnangebot noch binnen 24 Stunden angenommen werden, anderenfalls muss die Aufnahmeeinrichtung verlassen werden (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 206 f.).
72
Anerkannt Schutzberechtigte haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt. In der Praxis gestaltet sich der Zugang jedoch u.a. aufgrund von Sprachbarrieren, fehlender Dokumentierung von Qualifikationen, niedriger Bildung und physischen und psychischen Belastungen schwierig (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 208; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13).
73
Schutzberechtigte haben in gleichem Maße Zugang zu Sozialleistungen wie niederländische Staatsangehörige; dies umfasst allgemeine Sozialleistungen für Erwachsene zur Sicherung des Lebensunterhalts, Kinderbeihilfen, Krankenversicherungsbeihilfen, Pensionsbeihilfen, Kinderbetreuungsgeld usw. (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 211 ff.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, Stand: 1.10.2021, S. 13).
74
Anerkannt Schutzberechtigte haben Anspruch auf die gleiche Gesundheitsversorgung wie niederländische Staatsangehörige und müssen dieselben Krankenversicherungsbeiträge bezahlen; unter einer bestimmten Einkommensgrenze stehen ihnen entsprechende Krankenversicherungsbeihilfen zu (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 214).
75
Seit Januar 2022 haben Schutzberechtigte keinen Anspruch mehr auf vollständige Auszahlung der Sozialleistungen in den ersten sechs Monaten der Unterbringung in einer Gemeinde, sondern die Gemeinde bezahlt davon direkt die Kosten für Unterkunft, Energieversorgung und die Krankenkassenbeiträge; einen übrig bleibenden Rest erhalten die Schutzberechtigten als Taschengeld (AIDA, Country Report Netherlands, 2024 Update, S. 212).
76
In den Niederlanden bestehen folglich Unterbringungs- und Integrationsleistungen für anerkannt Schutzberechtigte. Sie sind niederländischen Staatsangehörigen grundsätzlich gleichgestellt und haben ebenso Zugang zum Gesundheitssystem und zum Arbeitsmarkt.
77
bb) Im Falle des Antragstellers ist hiernach nach einer etwaigen Schutzzuerkennung in den Niederlanden nicht mit einer gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung zu rechnen.
78
Bei einer Anerkennung als international Schutzberechtigte würde der Antragsteller in den Niederlanden eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und dürfte arbeiten. Daneben hätte er auch Zugang zum niederländischen Gesundheitssystem, sodass die bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beschwerden behandelt werden könnten. Zudem hätte er einen Anspruch auf Verbleib in der Aufnahmeeinrichtung mit der entsprechenden Versorgung bis eine Wohnung für ihn gefunden wäre. Im Bedarfsfalle könnte er außerdem auf das Sozialsystem zurückgreifen, sodass nicht ersichtlich ist, dass er in den Niederlanden ihre elementaren Bedürfnisse nicht befriedigen könnte.
79
Problematisch könnte dabei im konkreten Fall sein, ob der gesundheitlich angeschlagene Antragsteller in den Niederlanden eine Arbeit finden kann. Allerdings stehen ihm auch dann, wenn er das nicht schafft, Sozialleistungen des niederländischen Staates zur Verfügung. Daneben könnte er auch von seinen im an die Niederlande angrenzenden Nordrhein-Westfalen lebenden Angehörigen unterstützt werden.
80
d) Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO durch die Antragsgegnerin notwendig machen könnten, liegen nicht vor. Ein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Selbsteintritt kann allenfalls bei Vorliegen besonders gravierender und atypischer Umstände des Einzelfalls, die sich überhaupt erst zu einem Anspruch verdichten könnten – also nur in ganz speziellen Ausnahmenfällen – in Betracht kommen (vgl. BayVGH, U.v. 11.7.2024 – 24 B 24.50010 – juris Rn. 36 f.). Derartige besondere und atypische Umstände sind vorliegend für den Antragsteller nicht gegeben.
81
Sie lassen sich insbesondere nicht daraus ableiten, dass mehrere Familienangehörige des Antragstellers sich im Ruhrgebiet aufhalten. Denn der Antragsteller ist ein erwachsener Mann, der auch bei Berücksichtigung seiner Herzerkrankung nicht notwendigerweise auf die Unterstützung seiner ebenfalls erwachsenen Familienangehörigen angewiesen ist. Zudem sind die Niederlande vom Ruhrgebiet aus gut und schnell zu erreichen, so dass seine Angehörigen ihn während des Asylverfahrens und nach Schutzzuerkennung auch vergleichsweise einfach dort besuchen und unterstützen können.
82
e) Abschiebungshindernisse sind ebenfalls zu verneinen. Das gilt sowohl für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, als auch für inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin bei Abschiebungsanordnungen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zu prüfen hat (vgl. dazu BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810, 10 C 15.813 – juris Rn. 4; B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris).
83
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht nicht. Wie bereits vorstehend ausgeführt, droht dem Antragsteller in den Niederlanden keine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK.
84
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1, 3 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Auch wenn der Antragsteller offenbar herzkrank ist, ist nicht ersichtlich, dass diese Erkrankung sich durch oder infolge der Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Der Antragsteller wurde ausweislich des dem Gericht vorliegenden Attests in gebessertem Allgemeinzustand entlassen. Eine Überstellung in die Niederlande würde aufgrund der Nähe zum Haftort in Nordrhein-Westfalen aller Voraussicht nach auf dem Landweg erfolgen, so dass die Überstellung auch nicht besonders belastend wäre. Zudem würden die in Deutschland vorhandenen ärztlichen Unterlagen nach Art. 32 Dublin III-VO den niederländischen Behörden vor der Überstellung zur Verfügung gestellt, so dass auch diese auf evtl. auftretende Komplikationen reagieren könnten.
85
Auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht gegeben. Für eine fehlende Reisefähigkeit bestehen keine Anhaltspunkte. Ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass sich erwachsene Angehörige des Antragstellers in Deutschland aufhalten. Nicht jede familiäre Beziehung führt zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung, vielmehr muss eine unzumutbare Beeinträchtigung der Familieneinheit durch die (vorübergehende) Trennung von Familienangehörigen vorliegen (vgl. Kluth/ Breidenbach in BeckOK Ausländerrecht, 42. Edition, Stand: 1.7.2024, § 60a AufenthG Rn. 15). Angesichts der Tatsache, dass die jeweiligen Familienmitglieder alle erwachsen sind ist eine derartige Unzumutbarkeit nicht erkennbar.
86
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kosten konnten dem Antragsteller ganz auferlegt werden, weil die Antragsgegnerin mit Blick auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
87
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.