Titel:
Erfolglose Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1, § 152a
ZPO § 44 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Dass ein Gericht eine andere Rechtsauffassung vertritt, als sie eine der Prozessparteien für richtig hält, ist von vornherein ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, sofern die gerügten Rechts- oder Verfahrensverstöße nicht auf einer offensichtlich sachwidrigen Entscheidung der Richter oder auf Willkür beruhen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung, ob willkürlich entschieden worden ist, kommt es nur auf objektive Kriterien und nicht auf innere Tatsachen an. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Befangenheit, Ablehnung, Besorgnis, Besorgnis der Befangenheit, Rechtsauffassung, Kenntnis, Hinweis, rechtliches Gehör, Anhörungsrüge
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 17.09.2025 – M 3 S 25.3613
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27998
Tenor
I. Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 19. September 2025 gegen den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. M1. und die Richterinnen am Verwaltungsgerichtshof W. und Dr. M2. wird verworfen.
II. Die Anhörungsrüge der Antragstellerin vom 19. September 2025 gegen den Beschluss des Senats vom 17. September 2025 wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens der Anhörungsrüge trägt die Antragstellerin.
Gründe
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1. Das Ablehnungsgesuch bleibt ohne Erfolg.
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Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 19. September 2025 gegen den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. M1. und die Richterinnen am Verwaltungsgerichtshof W. und Dr. M2. ist offensichtlich unzulässig, weil ein zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit geeigneter Grund weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht wurde, das Vorbringen vielmehr von vorneherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2012 – 2 KSt 1.11 – juris Rn. 2). Darüber entscheidet der Senat in der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs für das Jahr 2025 maßgeblichen Besetzung unter Mitwirkung und ohne dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters und der abgelehnten Richterinnen (vgl. BVerfG, B.v. 16.11.2017 – 1 BvR 672/17 – juris Rn. 3; BVerwG, B.v. 25.11.2024 – 2 AV 4.24 u.a. – juris Rn. 2 f.; BayVGH, B.v. 29.4.2025 – 6 C 25.577 – juris Rn. 2; BayVerfGH, E.v. 1.2.2021 – Vf. 98-VII-20 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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Die Antragstellerin wendet sich in der Sache gegen die ihrer Meinung nach fehlerhafte Rechtsanwendung durch den Senat im Beschluss vom 17. September 2025, auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht. Dass ein Gericht eine andere Rechtsauffassung vertritt, als sie eine der Prozessparteien für richtig hält, ist indes von vorneherein ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Zwar kann etwas anderes gelten, wenn die gerügten Rechts- oder Verfahrensverstöße auf einer offensichtlich sachwidrigen Entscheidung der Richter oder auf Willkür beruhen (vgl. BVerwG, B.v. 7.4.2011 – 3 B 10.11 – juris Rn. 5). Anhaltspunkte hierfür hat die Antragstellerin jedoch nicht ansatzweise glaubhaft gemacht.
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Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war das Offenlassen der Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs vom 15. August 2025 nicht prozessrechtswidrig (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 2.11.2018 – 9 B 26.18 – juris Rn. 7). Daraus resultierte auch kein Nachteil für sie, da der Senat ihre Einwände in der Sache geprüft hat. Im Übrigen stand das Absehen von der Einholung dienstlicher Äußerungen gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO – soweit darin überhaupt ein Nachteil zu sehen sein sollte – in keinerlei Zusammenhang mit dem Offenlassen der Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs, sondern beruhte allein darauf, dass die Tatsachen, auf die die Ablehnung der an dem Beschluss beteiligten Richterinnen gestützt wurde, in vollem Umfang aktenkundig waren. Soweit die Antragstellerin einen Befangenheitsgrund daraus ableitet, dass der abgelehnte Richter und die abgelehnten Richterinnen bei der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs der Antragstellerin vom 15. August 2025 zu Unrecht von der Aktenkundigkeit der hierfür relevanten Tatsachen ausgegangen seien und deshalb zu ihrem Nachteil keine dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richterinnen eingeholt hätten, kann das die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters und der abgelehnten Richterinnen von vorneherein nicht begründen. Denn das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 15. August 2025 wurde ausschließlich mit den aus Sicht der Antragstellerin rechtsfehlerhaften oder willkürlichen Feststellungen im Beschluss des Senats vom 5. August 2025 begründet. Die für die Beurteilung des Ablehnungsgesuchs entscheidungserheblichen Tatsachen waren daher unmittelbar dem Beschluss vom 5. August 2025 zu entnehmen und damit aktenkundig. Anhaltspunkte dafür, dass es bei der Beurteilung des Ablehnungsgesuchs vom 15. August 2025 auf andere, sich nicht aus den Akten ergebende Tatsachen angekommen wäre, waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung weder gegeben noch wurden sie in dem Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 15. August 2025 glaubhaft gemacht. Unabhängig davon, dass die Antragstellerin erstmals mit dem Ablehnungsgesuch vom 19. September 2025 die Notwendigkeit der Aufklärung nicht aktenkundiger „innerer“ Tatsachen geltend gemacht hat, kommt es bei der Beurteilung, ob willkürlich entschieden worden ist, nur auf objektive Kriterien und nicht auf innere Tatsachen an (vgl. BVerwG, B.v. 7.4.2011 – 3 B 10.11 – juris Rn. 5). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin angegebenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. Dezember 2018 (9 W 40/18).
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Auch dass über das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 15. August 2025 ohne vorherigen Hinweis auf die Nichteinholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richterinnen entschieden wurde, stellt, anders als die Antragstellerin meint, offensichtlich keine unzulässige Überraschungsentscheidung dar und kann die Besorgnis der Befangenheit ersichtlich nicht begründen. Die Antragstellerin war durch einen Rechtsanwalt vertreten, der die einschlägige Rechtsprechung zum Absehen der Einholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richter kennen muss (vgl. BVerwG, B.v. 24.7.2008 – 6 PB 18.08 – juris Rn. 2).
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Soweit die Antragstellerin die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters und der abgelehnten Richterinnen damit begründet, dass der Senat eigenmächtig und unzuständig entschieden habe, ob die Feststellungen der abgelehnten Richterinnen im Beschluss vom 5. August 2025 willkürlich gewesen seien, ist auch dieser Vortrag für die Annahme eines Befangenheitsgrundes von vorneherein ersichtlich ungeeignet. Wird nämlich das Ablehnungsgesuch, wie hier mit Schriftsatz vom 15. August 2025, auf willkürliche Rechtsausführungen im Beschluss des Senats vom 5. August 2025 gestützt, so haben die über das Ablehnungsgesuch befindenden Richter die angegriffene Entscheidung auf Willkür zu überprüfen. Eine solche Überprüfung der Entscheidung des Senats vom 5. August 2025 erfolgte im Beschluss des Senats vom 17. September 2025 entgegen der Ansicht der Antragstellerin unter konkreter Würdigung ihrer Einlassungen und mit Begründung (BA Rn. 22 f.).
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Auch die von der Antragstellerin behauptete und (auch) zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs herangezogene Verletzung rechtlichen Gehörs durch den Beschluss des Senats vom 17. September 2025 (siehe S. 2 des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 19. September 2025) ist gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters und der abgelehnten Richterinnen zu rechtfertigen (vgl. zu dieser Konstellation der Rüge eines Gehörsverstoßes im Rahmen eines Ablehnungsgesuchs BVerwG, B.v. 25.11.2024 – 2 AV 4.24 u.a. – juris). Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung zu ziehen, sofern das Vorbringen nicht aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unbeachtet gelassen werden darf. Dies bedeutet indes nicht, dass sich die Gerichte in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten ausdrücklich auseinandersetzen müssten (vgl. BVerfG, B.v. 17.11.1992 – 1 BvR 168/89 u. a. – juris Rn. 103). Aus der Nichterwähnung einzelner Begründungselemente des Vorbringens in den gerichtlichen Entscheidungsgründen kann daher nicht geschlossen werden, das Gericht habe sich nicht mit den darin enthaltenen Argumenten befasst (vgl. BVerfG, B.v. 15.4.1980 – 1 BvR 1365/78 – juris Rn. 4). Damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass entscheidungserhebliches Vorbringen eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 1.2.1978 – 1 BvR 426/77 – juris Rn. 16). Das wurde von der Antragstellerin nicht ansatzweise dargelegt. Der Senat hat bei seiner Entscheidung vom 17. September 2025 über das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin vom 15. August 2025 ihr gesamtes Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen. Entgegen der Einlassung der Antragstellerin hat der Senat in diesem Beschluss geprüft, ob die Ausführungen im Beschluss des Senats vom 5. August 2025 willkürlich sind und ein Ablehnungsgesuch der daran beteiligten Richterinnen rechtfertigen können (BA Rn. 21 ff.). Der Senat hat bei seiner Entscheidung vom 17. September 2025 auch nicht, wie die Antragstellerin meint, verkannt, dass das Ablehnungsgesuch gerade auf die als willkürlich erachtete Begründung des Beschlusses des Senats vom 5. August 2025 gestützt (BA Rn. 21 ff.) und mit einer Anhörungsrüge verbunden wurde (BA Rn. 13 f.). Der Senat hat zudem bei seiner Entscheidung vom 17. September 2025 den Vortrag der Antragstellerin zur Kenntnis genommen und erwogen, dass es der Antragstellerin in der Sache um den mit der Kündigung verbundenen Schulplatzverlust gehe (BA Rn. 22). Soweit die Antragstellerin mit dem Ablehnungsgesuch vom 19. September 2025 auf den mit der Kündigung des Internatsvertrags wegen § 30 Abs. 3 BaySchO verbundenen Schulplatzverlust abstellt und geltend macht, dass deswegen entgegen der Auffassung des Senats im Beschluss vom 5. August 2025 der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei, hat der Senat auch das zur Kenntnis genommen und erwogen, dabei aber keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass aus diesem Grund der Beschluss des Senats vom 5. August 2025 willkürlich gewesen wäre.
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2. Auch die Anhörungsrüge der Antragstellerin vom 19. September 2025 gegen den Beschluss des Senats vom 17. September 2025 (§ 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO), mit der die Antragstellerin die Fortführung ihres Verfahrens über das Ablehnungsgesuch vom 15. August 2025 erreichen will, hat keinen Erfolg.
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Die Anhörungsrüge ist zulässig. Zwar findet gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung die Anhörungsrüge nicht statt (§ 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO). Anderes gilt jedoch ausnahmsweise in einem Zwischenverfahren wie der Richterablehnung, in dem abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über das Ablehnungsgesuch befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 1 BvR 782/07 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 25.11.2024 – 2 AV 4.24 u.a. – juris Rn. 10). Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob das Ablehnungsgesuch vor der die Instanz abschließenden Entscheidung gestellt worden ist oder – wie hier mit dem Antrag vom 15. August 2025 – erst nach der Beschwerdeentscheidung vom 5. August 2025 im Zusammenhang mit einer Anhörungsrüge (vgl. zu den als Endentscheidungen in Betracht kommenden Entscheidungen BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 1 BvR 782/07 – juris Rn. 16 zur Parallelnorm des § 321a ZPO). Denn jedenfalls wird die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs (hier mit Beschluss vom 17. September 2025) im Rahmen der anschließenden Entscheidung über die noch anhängige Anhörungsrüge vom 19. August 2025 nicht noch einmal überprüft, so dass auch der Zurückweisungsbeschluss vom 17. September 2025 eine mit der Anhörungsrüge angreifbare Endentscheidung i.S.d. § 152a Abs. 1 Satz 2 VwGO darstellt (vgl. BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 1 BvR 782/07 – juris Rn. 21 f.).
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Die Anhörungsrüge erweist sich aber als unbegründet. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter 1. ergibt, verletzt der Beschluss des Senats vom 17. September 2025 die Antragstellerin nicht in ihrem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
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3. Die Kostenentscheidung folgt – soweit veranlasst – aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).