Titel:
Teilweise Zulassung der Berufung – Planfeststellung für Kreisverkehr
Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2, § 86 Abs. 1, § 101 Abs. 2, § 108 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
BayWG Art. 63 Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. Amtlichen Auskünften und Gutachten des Wasserwirtschaftsamts als kraft Gesetzes eingerichteter Fachbehörde (Art. 63 Abs. 3 S. 1 BayWG) kommt eine besondere Bedeutung zu. Nachdem solche fachbehördlichen Auskünfte auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen, haben sie grundsätzlich ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen privater Fachinstitute. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wegen der Unterschiedlichkeit der Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachurteilen kommt den „überschießenden“ Sachausführungen eines Prozessurteils keine materielle Bindungswirkung zu. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Als grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung gilt das Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne Veränderung der Prozesslage bis zur nächsten Entscheidung des Gerichts. Es steht im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirksamen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulassung der Berufung (teilweise erfolgreich), Planfeststellung für den Neubau einer Staatsstraße, Anfechtung eines Planänderungsbeschlusses (Berufung nicht zugelassen), Klagebefugnis (verneint), schriftliches Verfahren, Hilfsantrag auf Feststellung des Außerkrafttretens des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses (Berufung zugelassen), Planänderungsbeschluss, Klagebefugnis, amtliche Auskünfte des Wasserwirtschaftsamts, "überschießende" Sachausführungen eines Prozessurteils, rechtliches Gehör, Verzicht auf mündliche Verhandlung, Wechsel der Zuständigkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 20.03.2024 – M 28 K 20.2812
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27962
Tenor
I. Die Berufung wird zugelassen, soweit die Klägerin hilfsweise beantragt hat festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss vom 22. September 2011 außer Kraft getreten ist. Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
II. Soweit der Zulassungsantrag abgelehnt wird, hat die Klägerin die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren vorläufig auf 20.000,- € festgesetzt.
IV. Der Streitwert für den erfolglosen Teil des Zulassungsverfahrens wird in Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 20. März 2024 für beide Rechtszüge auf jeweils auf 15.000,- € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Planänderungsbeschluss der Regierung von Oberbayern vom 4. Juni 2020 betreffend die vorgezogene Herstellung des Kreisverkehrsplatzes Nord zur Verknüpfung der Staats straße (St) 2345 mit dem Neubau der St 2069 (Hauptantrag) und begehrt hilfsweise die Feststellung, dass der rechtskräftige Planfeststellungsbeschluss vom 22. September 2011 für den Neubau der St 2069 Umfahrung westlich Olching außer Kraft getreten ist. Die Planänderung geht zurück auf geänderte wasserwirtschaftliche sowie wasserrechtliche Rahmenbedingungen in Bezug auf die Überschwemmungsgebiete von Amper und Starzelbach. Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken, die etwa 1,2 km entfernt von dem Kreisverkehr liegen, der Gegenstand der Planänderung ist; hinsichtlich des Neubaus der St 2069 (Umfahrung, PFB vom 22.9.2011) ist sie eigentumsbetroffen.
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Mit Urteil vom 20. März 2024 hat das Verwaltungsgericht München sowohl die auf Aufhebung des Planänderungsbeschlusses vom 4. Juni 2020, als auch die hilfsweise auf Feststellung, dass der Planfeststellungsbeschluss vom 22. September 2011 außer Kraft getreten ist, gerichtete Klage als unzulässig und darüber hinaus als unbegründet abgewiesen. Die gegen den Planänderungsbeschluss gerichtete Klage sei mangels Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig; das Klagevorbringen wäre im Übrigen auch gemäß § 6 UmwRG präkludiert. Der Hilfsantrag sei ebenfalls präkludiert.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtschutzbegehren weiter.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat teilweise Erfolg.
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A. Die Berufung ist in dem im Tenor beschriebenen Umfang zuzulassen.
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Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 4. Mai 2022 ihr Klagebegehren hilfsweise dahingehend erweitert hat, festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss vom 22. September 2011 außer Kraft getreten ist, liegt betreffend das klageabweisende Urteil (Hilfsantrag, vgl. UA Rn. 35) der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor, da die Rechtssache insoweit die sinngemäß geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten aufweist.
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B. Im Übrigen bleibt der Antrag auf Zulassung der Berufung ohne Erfolg.
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Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe, die sich auf den auf Aufhebung des Planänderungsbeschlusses vom 4. Juni 2020 gerichteten Hauptklageantrag beziehen, sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3, 4 und 5 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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I. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich hinsichtlich ihres Aufhebungsbegehrens keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – juris Rn. 23 m.w.N.) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 -juris Rn. 9). Der Antragsteller muss substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigen, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 -juris Rn. 19; Kuhlmann/Wysk in Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 124 Rn. 15).
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Nach diesem Maßstab bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
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1. Das Erstgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Anfechtungsklage mangels Klagebefugnis der Klägerin bereits unzulässig ist.
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Eine Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO ist nur anzunehmen, wenn auf der Grundlage des Vorbringens eine Verletzung der Klagepartei in eigenen Rechten möglich erscheint. Dies ist auszuschließen, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.2021 – 8 B 59.20 – juris Rn. 5). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist in jedem Einzelfall anhand des Klagebegehrens und des hierauf bezogenen Vortrags des Klägers zu prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 10.5.2021 – 8 B 59.20 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 6.12.2022 – 8 A 20.40015 – juris Rn. 12). Bei der Prüfung ist auf die objektiv gegebene materielle Rechtslage zurückzugreifen, denn ohne diese lässt sich nicht beurteilen, ob eine Verletzung klägerischer Rechte immerhin möglich ist, wenn nicht die bloße Behauptung einer derartigen Rechtsverletzung genügend sein soll (vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1993 – 4 B 206.92 – BayVBl 1994, 90 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, U.v. 6.12.2022 – 8 A 20.40015 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 21.4.2023 – 8 A 20.40017 – juris Rn. 41).
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Das Verwaltungsgericht hat bei der Prüfung der Klagebefugnis zu Recht Bezug genommen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Klagepartei Änderungen oder Ergänzungen einer bestandskräftigen Planung grundsätzlich nur in dem Umfang angreifen kann, in dem die Änderungen eine eigene Regelung enthalten und sie hierdurch erstmals oder weitergehend als bisher betroffen werden (stRspr vgl. BVerwG, U.v. 28.9.2021 – 9 A 12.20 – NVwZ 2022, 722 Rn. 11 m.w.N.). Dass solche Umstände hier vorliegen, hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint (vgl. Urteilsabdruck [UA] Rn. 19). Es hat dazu ausgeführt, dass eine Betroffenheit der Klägerin durch den mehr als einen Kilometer entfernten Kreisverkehr nicht erkennbar sei und aufgrund fachkundiger Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes vom 22. April 2020 feststehe, dass aufgrund der topographischen Gegebenheiten eine hochwasserbedingte Beeinflussung der höher liegenden Grundstücke der Klägerin durch das geänderte Bauvorhaben sicher ausgeschlossen werden kann.
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Das Vorbringen der Klägerin in der Zulassungsbegründung zieht diese erstinstanzliche Würdigung nicht schlüssig in Zweifel. Das Erstgericht ist im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. B.v. 9.5.2017 – 22 ZB 17.152 – juris Rn. 10; B.v. 19.2.2025 – 8 ZB 24.1334 – juris Rn. 25) davon ausgegangen, dass amtlichen Auskünften und Gutachten des Wasserwirtschaftsamts als kraft Gesetzes eingerichteter Fachbehörde (Art. 63 Abs. 3 Satz 1 BayWG) eine besondere Bedeutung zukommt. Nachdem solche fachbehördlichen Auskünfte auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen, haben sie grundsätzlich ein wesentlich größeres Gewicht als Expertisen privater Fachinstitute; für nicht durch Aussagen sachverständiger Personen untermauerte Darlegungen wasserwirtschaftlicher Art von Prozessbeteiligten gilt dies erst recht. Die Notwendigkeit einer Abweichung durch das Gericht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist daher erst dann geboten, wenn sich dem Gericht der Eindruck aufdrängt, dass die gutachterliche Äußerung des Wasserwirtschaftsamts tatsächlich oder rechtlich unvollständig, widersprüchlich oder aus anderen Gründen fehlerhaft ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2016 – 8 CS 15.1096 – juris Rn. 36; B.v. 5.3.2018 – 8 ZB 17.867 – juris Rn. 22). Allein durch einfaches Bestreiten und den Hinweis auf neue Erkenntnisse aufgrund eines kurz vor der Zulassungsbegründung erfolgten Niederschlagsereignisses hat die Klägerin die Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes vom 22. April 2020 nicht ernsthaft erschüttert.
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2. Auf die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Unbegründetheit der Klage kommt es nicht an. Wegen der Unterschiedlichkeit der Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachurteilen kommt den „überschießenden“ Sachausführungen eines Prozessurteils keine materielle Bindungswirkung zu (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2018 – 6 B 133.18 – NVwZ 2019, 649 Rn. 21 m.w.N.; U.v. 13.7.2023 – 2 C 7.22 – BVerwGE 179, 328 Rn. 27). Da die Klage in Bezug auf den Hauptantrag verfahrensfehlerfrei durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen worden ist, erstreckt sich die Rechtkraft der Entscheidung nicht auf die Erwägungen zur Begründetheit (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2019 – 3 BN 2.18 – juris Rn. 23; B.v. 27.1.2025 – 3 B 10.24 – juris Rn. 5 m.w.N.). Die entsprechenden Einwendungen der Klägerin sind daher unerheblich.
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II. Die Berufung ist hinsichtlich des Aufhebungsbegehrens auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung bedarf (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 33; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 20). Dies zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Die Klägerin formuliert bereits keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage.
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III. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargetan.
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Dieser Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem von einem anderen in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gericht aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent widersprochen hat. Die divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein anderes in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genanntes Gericht aufgestellt hat, genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 28.6.2024 – 8 B 22.23 – juris Rn. 8 zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; BayVGH, B.v. 25.3.2025 – 20 ZB 24.1064 – juris Rn. 25).
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Der Zulassungsantrag arbeitet weder einen divergierenden Rechtssatz des Ersturteils heraus noch legt er in anderer Weise substanziiert dar, von welcher konkreten Rechtsprechung des Divergenzgerichts die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abweichen sollte.
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IV. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem das Ersturteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
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1. Die Klägerin kann mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht habe in unzulässiger Weise im schriftlichen Verfahren entschieden und damit das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, nicht durchdringen.
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Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht, soweit nichts Anderes bestimmt ist, seine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung zu treffen. Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
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a) Nachdem zunächst der Beklagte am 28. März 2022 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hatte, erklärte sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 31. März 2022 eindeutig und vorbehaltlos mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden. Weder der Erklärung vom 31. März 2022 noch dem zeitlich später verfassten Schriftsatz vom 4. Mai 2022 lässt sich die klägerische Einschätzung entnehmen, dass der Verzicht unter Vorbehalt erteilt wurde. Eine andere Auslegung ist selbst bei Berücksichtigung der Umstände, die zum Verzicht führten, nicht erkennbar. Der Klägerin kam es ausweislich des Schriftverkehrs ausschließlich darauf an, zur Anwendbarkeit des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes Stellung nehmen zu können (vgl. Schriftsätze vom 29.3.2022 und 30.3.2022). Diese Möglichkeit wurde ihr vom Gericht gewährt. Weitere Vorbehalte, die der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit von Prozesserklärungen widersprechen könnten (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2018 – 1 B 64.18 u.a. – juris Rn. 3), wurden nicht erklärt. Soweit die Klägerin aus der gerichtlichen Anfrage vom 16. März 2022 – die den Hinweis enthält, dass trotz eines erklärten Verzichts zur mündlichen Verhandlung geladen werde, wenn das Gericht an seiner vorläufigen rechtlichen Einschätzung nicht festhalte – einen eigenen Vorbehalt ableitet, wird die Wirksamkeit ihres Verzichts dadurch nicht berührt. Der vom Verwaltungsgericht skizzierte Fall ist nicht eingetreten, da das Gericht an seiner rechtlichen Einschätzung zur Präklusion festgehalten und eine mündliche Verhandlung nicht für geboten erachtet hat.
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b) Als grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung gilt das Einverständnis nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne Veränderung der Prozesslage bis zur nächsten Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, B.v. 6.2.2017 – 4 B 2.17 – juris Rn. 4; B.v. 15.5.2014 – 9 B 57.13 – juris Rn. 20 m.w.N). Es steht im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirksamen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür einzustehen, dass trotz der unterbleibenden mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör der Beteiligten nicht verletzt wird (BVerwG, B.v. 27.8.2003 – 6 B 32.03 – juris Rn. 10; B.v. 1.9.2020 – 4 B 12.20 – juris Rn. 11).
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Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 16. März 2022 über seine Rechtsauffassung zur Präklusion in Kenntnis gesetzt sowie mit Schreiben vom 24. Januar 2024 auf eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz verwiesen und Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme und Antragstellung eingeräumt. Damit war das rechtliche Gehör ausreichend gewahrt, zumal die Klägerin sich jeweils geäußert und ihre Rechtsauffassung dargelegt hat. Durch den bloßen Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht kein neues Erkenntnismittel in den Prozess eingeführt, so dass darin keine den Verzicht verbrauchende Zwischenentscheidung zu sehen ist.
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Entgegen dem Eindruck der Klägerin enthielt das gerichtliche Schreiben vom 24. Januar 2024 keine erneute Verzichtsaufforderung. Insofern bewirkte ihre Erklärung vom 20. Februar 2024, einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht zuzustimmen, keinen Widerruf der ursprünglich abgegebenen Verzichtserklärung. Zudem hat die Klägerin im Schriftsatz vom 20. Februar 2024 nicht substanziiert deutlich gemacht, warum sie mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht mehr einverstanden ist und warum die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nunmehr notwendig sein soll.
29
Die nachträgliche Erweiterung des Hauptantrags um einen Hilfsantrag hat auch nicht zu einer Veränderung der Prozesslage geführt. Die Klägerin konnte nicht davon ausgehen, dass ihr Verzicht hinfällig ist und eine mündliche Verhandlung stattfinden wird, weil auf jeden Fall über den Hilfsantrag nur aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden werden kann. Eine entsprechende innerprozessuale Bedingung hat sie dem Gericht gegenüber nicht deutlich gemacht.
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Der Wechsel der Zuständigkeit von der 2. Kammer auf die 28. Kammer des Verwaltungsgerichts stellt ebenfalls keine wesentlich veränderte Prozesslage dar, die zum Widerruf der Einverständniserklärung berechtigen würde. Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entscheidet das Gericht im schriftlichen Verfahren durch diejenigen Richter, die zum Zeitpunkt der Entscheidung unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben sowie der Beschlüsse des Gerichtspräsidiums und des zuständigen Spruchkörpers über die Geschäftsverteilung für die Entscheidung zuständig sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 2 B 113.07 – juris Rn. 12). Das Gebot des § 112 VwGO gilt entgegen dem Einwand der Klagepartei im Urteilsverfahren ohne mündliche Verhandlung nicht (vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, § 112 Rn. 8).
31
Die den Kammerwechsel betreffenden Beschlüsse über die Geschäftsverteilung sind nicht als Zwischenentscheidung zu bewerten, da sie ausschließlich den äußeren Fortgang des Verfahrens betreffen und die Entscheidung in der Sache selbst nicht wesentlich vorbereiten (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.1980 – 7 B 27.80 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 15.6.2021 – 6 S 2913/20 – juris Rn. 6 m.w.N.). Insofern konnte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass ihrer Verzichtserklärung keine Bindungswirkung mehr zukommt und die nunmehr erkennende Kammer eine mündliche Verhandlung anberaumen wird. Im Gegenteil hat das Verwaltungsgericht die Beteiligten mit Hinweisschreiben vom 24. Januar 2024 ausdrücklich über seine Absicht informiert, am 20. März 2024 im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Das angegriffene Urteil stellt damit entgegen dem Einwand der Klägerin keine Überraschungsentscheidung dar und verletzt nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör.
32
2. Soweit der Zulassungsantrag geltend macht, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil trotz Verneinung der Sachurteilsvoraussetzungen Ausführungen zur Sache enthält, liegt darin kein Verfahrensmangel. Das Erstgericht hat die Zulässigkeit der Klage nicht offengelassen, sondern ausdrücklich verneint und damit ein Prozessurteil erlassen. Die Ausführungen zur Unbegründetheit waren demgegenüber nicht selbständig tragend, da sie eingeleitet wurden mit „Die Klage wäre […] darüber hinaus als unbegründet abzuweisen“. Unabhängig davon könnte das Urteil des Verwaltungsgerichts angesichts der zutreffenden Erwägungen zur Unzulässigkeit der Anfechtungsklage nicht auf diesem Verfahrensmangel beruhen (vgl. BVerwG, B.v. 14.1.2019 – 3 B 48.18 – juris Rn. 15 m.w.N.).
33
C. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des erfolglosen Teils des Zulassungsverfahrens (Hauptklageantrag) beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
34
Soweit die Berufung zugelassen worden ist (Hilfsantrag), bleibt die Kostenentscheidung der abschließenden Entscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.
35
D. Die vorläufige Festsetzung des verbleibenden Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG.
36
E. Die Streitwertfestsetzung für den erfolglosen Teil des Zulassungsverfahrens folgt aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich in Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Streitwertfestsetzung an Nr. 34.2.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
37
F. Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wurde, wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
38
Soweit die Berufung zugelassen worden ist, wird das Verfahren als Berufungsverfahren unter einem noch zu vergebenden Aktenzeichen fortgesetzt.