Titel:
Übersicherung, Kontokorrentguthaben, Vermögensarrest, Einziehungsbeteiligten, Kosten der Zwangsvollstreckung, Darlehensrückzahlungsanspruch, Nebenforderungen, Gesamtschuldnerische, Wertersatz, Forderungspfändung, Vermögensgegenstände, Arrestanspruch, Pfändungsmaßnahme, Beizutreibende Forderung, OLG Frankfurt, Arrestvollziehung, Aktiendepot, Beschlüsse, Kursschwankungen, Sicherungswert
Normenketten:
StPO § 111e
ZPO § 803 Abs. 1 Satz 2
Leitsatz:
Bei einem Vermögensarrest sind für die Frage der Übersicherung die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, wobei insbesondere nach der Art des jeweils arrestierten Vermögensgegenstandes zu differenzieren ist (Abgrenzung zu OLG Frankfurt Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 3 Ws 573/20, NZWiSt 2024, 76).
Schlagworte:
Vermögensarrest, Übersicherung, Einziehung von Wertersatz, Kontokorrentguthaben, Aktiendepot, Pfändung, Verhältnismäßigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27959
Tenor
Der Antrag der Einziehungsbeteiligten vom 9. Oktober 2025 (Ziff. 1 und 3) wird abgelehnt.
Gründe
1
Gegen die Einziehungsbeteiligte besteht ein Vermögensarrest zur Sicherung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz in Höhe von zuletzt 8.129.112,94 € (vgl. Beschluss der Kammer vom 18. Oktober 2025 – 12 KLs 42 Js 10018/21). Die Einziehungsbeteiligte beantragte mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2025, 1) die Vollziehung des Arrestes wegen Übersicherung aufzuheben, soweit die Arrestsumme von 8.129.112,94 € überschritten wird, 2) in diesem Zusammenhang den gepfändeten Darlehensrückzahlungsanspruch über 4.000.000 € freizugeben und 3) hilfsweise nach Ermessen der Kammer die Pfändung des Aktiendepots teilweise freizugeben.
2
Die im Verfahren die Anklage vertretende GenStA Nürnberg hat mit Verfügung vom 14. Oktober 2025 den unter 2) genannten Darlehensrückzahlungsanspruch freigegeben und im Übrigen in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass die verbleibende Sicherung bestehend aus einem gepfändeten Kontokorrentguthaben und Aktiendepot ausreichend sei.
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Der nach § 111k Abs. 3 StPO statthafte Antrag ist in seiner Ziff. 2) nach der Freigabe durch die GenStA erledigt. Im Übrigen war er abzulehnen, weil eine Übersicherung derzeit nicht besteht.
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1. Die Vorschriften der Strafprozessordnung über den Vermögensarrest (§§ 111e ff. StPO) regeln nicht selbst die Voraussetzungen, unter denen Pfändungsmaßnahmen wegen Übersicherung unzulässig sein können. § 111f Abs. 1 Satz 2 StPO verweist vielmehr auf die sinngemäße Anwendung des § 928 ZPO, der seinerseits anordnet, dass auf die Arrestvollziehung die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden sind. § 803 Abs. 1 Satz 2 ZPO bestimmt insoweit, dass die Zwangsvollstreckung nicht weiter ausgedehnt werden darf, als es zur Befriedigung des Gläubigers und zur Deckung der Kosten der Zwangsvollstreckung erforderlich ist. Die Sicherung wegen der Kosten der Zwangsvollstreckung ist allerdings im Strafprozess durch die Spezialvorschrift des § 111e Abs. 3 StPO ausgeschlossen, sodass der Vermögensarrest letztlich allein den mutmaßlichen späteren Einziehungsbetrag sichern soll (vgl. § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO). Wenn das OLG Frankfurt weitergehend auch die Nebenforderungen und Kosten von der Sicherung erfasst sehen will (Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 3 Ws 573/20, juris Rn. 4), trifft das den hiesigen Fall nicht. Denn insoweit enthält § 111e Abs. 2 StPO eine Sonderregelung, deren Voraussetzungen hier nicht gegeben sind.
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2. Eine Übersicherung ist regelmäßig nicht schon dadurch gegeben, dass der Schätzwert gepfändeter Gegenstände den Arrestanspruch übersteigt. Das liegt auch daran, dass man bei deren Pfändung auf den voraussichtlichen Verwertungserlös (vgl. Zöller/Seibel, ZPO, 36. Aufl., § 803 Rn. 5) und damit auf einen künftigen, ungewissen Zeitpunkt abstellen muss. Bei Pfändung oder während des Pfändungsbeschlags kann der künftige Erlös zudem nach Höhe und Einbringlichkeit nicht immer zuverlässig geschätzt werden. Maßgeblich für die Frage der Übersicherung sind die Umstände des Einzelfalls, wobei insbesondere nach der Art des jeweils arrestierten Vermögensgegenstandes zu differenzieren ist.
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a) Besteht der gepfändete Gegenstand aus Geld (Bargeld oder Buchgeld auf einem nicht mit vorrangigen Sicherungsrechten belasteten inländischen Konto), wird man den Wert dieser Sicherheit mit dem vollen Betrag gleichsetzen können (zutreffend Rettke, NZWiSt 2024, 77). Unsicherheiten bei der Verwertung und bei der Bestimmung des Werts des Pfandes sind da regelmäßig nicht zu erwarten.
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b) Ist ein Aktiendepot gepfändet (dazu eingehend Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 18. Aufl., Rn. E.402 ff.), ist das Risiko künftiger Kursschwankungen in den Blick zu nehmen. Dieses wird je nach Zusammensetzung des Portfolios und nach der zeitlichen Nähe oder Ferne einer künftigen Verwertung unterschiedlich einzuschätzen sein. Hierbei kann auch die Wertung des Gesetzgebers berücksichtigt werden, dass bestimmte, besonders sichere Wertpapiere, die regelmäßig keinen großen Kursschwankungen unterliegen – und zu denen Aktien gerade nicht zählen (vgl. § 234 Abs. 1, § 240a Abs. 1 BGB, § 1 SiV) –, nur in Höhe von drei Vierteln des Kurswerts taugliche Sicherheiten bilden (§ 234 Abs. 3 BGB). Das spricht dafür, Aktien insgesamt einen jedenfalls nicht darüber hinaus gehenden Sicherungswert zuzuschreiben, sondern sie tendenziell geringwertiger anzusetzen.
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c) Der pauschalen Annahme des OLG Frankfurt (Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 3 Ws 573/20, juris Rn. 4; ebenso BeckOK ZPO/Fleck, 58. Ed. 1.9.2025, § 803 Rn. 18.1), die auch von der GenStA geteilt wird, wonach unter Heranziehung des „Schwellenwertes“ des § 817a Abs. 1 Satz 1 ZPO Übersicherung erst vorliegen soll, wenn der voraussichtliche Pfändungserlös mehr als 150% der beizutreibenden Forderung inklusive Nebenforderungen und Kosten beträgt, kann die Kammer daher schon aus den genannten Gründen nicht folgen. Diese Annahme wäre allenfalls und erst nach Abzug von Nebenforderungen und Kosten plausibel, soweit es – wie hier nicht – um die Pfändung beweglicher Sachen ginge, weil sie in diesem Fall die gesetzliche Wertung des § 237 BGB für sich ins Feld führen könnte (vgl. Rettke, NZWiSt 2024, 77). Ihre Ausdehnung auf andersartige Pfänder ist dagegen nicht tragfähig zu begründen. Namentlich überzeugt der Hinweis auf § 817a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht. Die Vorschrift befasst sich mit dem Mindestgebot bei der Pfandversteigerung beweglicher Sachen. Sie bezweckt, zum Schutz des Eigentumsrechts (Art. 14 GG) die Verschleuderung von Vermögenswerten zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1977 – 1 BvR 734/77, juris Rn. 17; Zöller/Seibel, ZPO, 36. Aufl., § 817a Rn. 1). Für die Frage einer Übersicherung folgt aus ihr nichts. Offenkundig ist demgegenüber die Kollision der Annahme nicht nur mit § 803 Abs. 1 Satz 2 ZPO, sondern auch mit dem im Strafrecht besonders zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, etwa wenn Geld oder sichere Wertpapiere gepfändet werden.
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d) Unerheblich für die Frage einer Übersicherung ist, ob oder in welchem Umfang der Angeklagte …, gegen den auch ein Vermögensarrest vollzogen wird, mit der Einziehungsbeteiligten gesamtschuldnerisch Einziehungsschuldner sein könnte. Denn bei Vollstreckung eines Vermögensarrestes sind die Forderungen gegenüber Gesamtschuldnern jeweils als selbständig anzusehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 3 Ws 573/20, juris Rn. 7; LG Berlin, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 514 Qs 29/20, juris Rn. 17; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 111f Rn. 1; Rettke, NZWiSt 2021, 288 und NZWiSt 2024, 77 f.; a.A. LR-StPO/Johann, 28. Aufl., § 111e Rn. 22; differenzierend MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111k Rn. 19 ff.). Gründe, von diesem Grundsatz wegen Besonderheiten des Falls abzuweichen, sieht die Kammer nicht.
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3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe besteht eine korrekturbedürftige Übersicherung derzeit nicht.
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a) Durch den Arrest gesichert wird der Anspruch auf Einziehung von Wertersatz in Höhe von 8.129.112,94 €.
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b) Das gepfändete Kontokorrentguthaben beläuft sich auf 1.352.519,81 €, das in dieser Höhe ungeschmälert den Arrest sichert.
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c) Das gepfändete Aktiendepot hatte zum 9. Oktober 2025 ausweislich des vorgelegten Auszugs einen tagesaktuellen Kurswert von 7.706.126,85 €. Es sichert die Differenz von Arrest und Kontokorrentguthaben, also einen Betrag von 6.776.593,13 €. Legt man zugunsten der Einziehungsbeteiligten den Drei-Viertel-Wert des § 234 Abs. 3 BGB zugrunde, würde das Depot allerdings nur einen Teil des Arrestbetrags sichern, nämlich 5.779.595,14 €. Von einer Übersicherung kann angesichts dessen keine Rede sein. Weitergehende Erwägungen zur möglichen künftigen Wertentwicklung des Depots und zum bislang nicht absehbaren Zeitpunkt seiner möglichen Verwertung sind seitens der Kammer daher nicht veranlasst.