Inhalt

LSG München, Beschluss v. 28.07.2025 – L 11 AY 56/25 B ER
Titel:

Asylantrag, Leistungen, Abschiebung, Ausreise, Abschiebungsandrohung, Bescheid, Beschwerde, Anordnungsgrund, Einreise, Griechenland, Aufenthaltsrecht, Aufenthaltsverbot, Vergewaltigung, Afghanistan, internationaler Schutz, Bundesrepublik Deutschland, Entscheidung in der Hauptsache

Leitsätze:
1. Keine Verfassungs- oder Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG in dem Fall, dass einer zumutbaren Ausreise eines in Griechenland anerkannt Schutzbedürftigen verfahrensrechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen.
2. Übertragung der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.03.2022 B 4 AS 2/21 R) zum Verweis von Unionsbürgern ohne Aufenthaltsrecht, denen eine Ausreise zumutbar und möglich ist, auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat als Ausprägung der eigenverantwortlichen Selbsthilfe.
Schlagworte:
Asylantrag, Leistungen, Abschiebung, Ausreise, Abschiebungsandrohung, Bescheid, Beschwerde, Anordnungsgrund, Einreise, Griechenland, Aufenthaltsrecht, Aufenthaltsverbot, Vergewaltigung, Afghanistan, internationaler Schutz, Bundesrepublik Deutschland, Entscheidung in der Hauptsache
Vorinstanz:
SG Würzburg, Beschluss vom 13.05.2025 – S 11 AY 75/25 ER
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27912

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 13.05.2025 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Streitig ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Weitergewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG ab 16.04.2025 (bzw. ab 15.04.2025) unter dem Gesichtspunkt eines Leistungsausschlusses nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG.
2
Der 2001 geborene Antragsteller, dem gemäß IFM-Markierung des Eurodac-Datensystems sowie Schreiben der griechischen Behörden vom 26.07.2024 für den Zeitraum vom 28.03.2024 bis 27.03.2027 internationaler Schutz in Griechenland gewährt worden ist, reiste erstmals am 17.06.2024 auf dem Luftweg aus Thessaloniki in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein und stellte am 03.07.2024 einen Asylantrag. Ihm wurde eine bis zum 03.01.2025 gültige Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt. Ab 25.09.2024 wurde er dem Landkreis R zugewiesen und ihm wurde die TGU ... als Unterkunft zugewiesen. Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gab er an, in Griechenland habe es keine Möglichkeiten gegeben. Im Camp habe er zusammen mit seiner Schwester in einem defekten Container gelebt. 20 bis 24 Tage nach der Gewährung internationalen Schutzes hätten sie das Camp verlassen müssen. Außerdem seien alle Leistungen einschließlich des Essens eingestellt worden. Geldleistungen hätten sie gar nicht erhalten. Sie hätten dann außerhalb, in der Nähe, ein Zelt aufgebaut. Dort habe er seine Schwester wegen der Gefahren durch Vergewaltigung sowie durch ihren Ehemann, der gedroht habe, sie zu finden, nicht alleinlassen können. In Griechenland sei es genauso gewesen wie in Afghanistan; einen Schutz vor Gefahren hätten sie nicht erhalten. In Deutschland lebten Verwandte; diese hätten ihnen gesagt, dass sie hier besser geschützt seien und bessere Chancen hätten als in Griechenland. Mit Bescheid vom 16.12.2024 lehnte das BAMF den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen und forderte den Antragsteller unter Abschiebungsandrohung nach Griechenland auf, die BRD innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Es wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf sechzig Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Das Verwaltungsgericht Würzburg lehnte den Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit Beschluss vom 02.01.2025 ab (Aktenzeichen W 1 S 24.32705). Über die Klage (Aktenzeichen W 1 K 24.32704) ist, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Der Antragsteller ist seit 17.01.2025 vollziehbar ausreisepflichtig. Die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) informierte den Antragsteller mit Schreiben vom 18.02.2025 darüber, dass seine Aufenthaltsgestattung erloschen sei und ein Duldungsgrund nicht vorliege, nachdem er im Besitz gültiger Reisedokumente sei. Das griechische Migrationsmanagement / Polizei teilte mit E-Mail vom 14.02.2025 mit, dass die Rückkehr des Antragstellers nach Griechenland akzeptiert werde und um eine Mitteilung zehn Tage im Voraus im Hinblick auf die Rückreise erbeten werde.
3
Nachdem der Antragsteller zuvor Leistungen nach dem AsylbLG vom Landkreis S bezogen hatte, bewilligte ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 08.10.2024 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) für den Zeitraum vom 25.09.2024 bis 31.12.2024 als Geldleistungen auf Bezahlkarte. Unterkunft, Heizung sowie die Ge- und Verbrauchsgüter des Haushalts würden durch Sachleistungen sichergestellt. Mit Bescheid vom 06.12.2024 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller – ohne neuen Antrag – Leistungen nach § 3 AsylblG (Regelbedarfsstufe 1) vom 01.01.2025 bis 31.03.2025 und mit Bescheid vom 10.04.2025 – ebenfalls ohne neuen Antrag – für die Zeit vom 01.04.2025 bis 15.04.2025. Mit Schreiben vom 28.03.2025 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer geplanten Leistungseinstellung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG mit Ablauf des 15.04.2025 an. Er sei vollziehbar ausreisepflichtig. Es sei beabsichtigt, ihm für die Zeit vom 16.04.2025 bis 30.04.2025 Überbrückungsleistungen als Sachleistungen zu gewähren. Nach Ablauf dieses Zeitraums stünden ihm keinerlei Leistungen mehr zu, auch nicht für Unterkunft, Ernährung, Kleidung, Gesundheitspflege, Hygiene, Bildung und Teilhabe sowie Krankenhilfe. Er werde gebeten, sich umgehend zur Klärung der Modalitäten einer Ausreise nach Griechenland an die Rückkehrberatung der ZAB zu wenden. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erforderten, würden zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen nach den § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG und § 4 AsylbLG oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern gewährt; ebenso seien Leistungen über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer befristeten Bedarfslage geboten sei. Gründe, die eine besondere Härte rechtfertigten, seien nicht ersichtlich. Der bloße Verbleib im Bundesgebiet oder die Aussicht auf geringere Leistungen im schutzgewährenden oder zuständigen Mitgliedstaat begründeten keine besondere Härte. Auf Antrag würden neben den Überbrückungsleistungen auch die angemessenen Kosten der Rückreise im Bedarfsfalle als Darlehen erbracht.
4
Nachdem sich der Antragsteller nicht äußerte, stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.04.2025 die Leistungen mit Ablauf des 15.04.2025 vollständig ein und gewährte dem Antragsteller für die Zeit vom 16.04.2025 bis 30.04.2025 Überbrückungsleistungen nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG (Lebensmittel: 93,80 €, Gesundheitspflege: 6,22 €, Körperpflege: 9,49 €) als Sachleistungen sowie Krankenhilfe nach § 4 AsylbLG. Seine Aufenthaltsgestattung sei erloschen und er sei seit 17.01.2025 vollziehbar ausreisepflichtig. Erneut wurde er aufgefordert, sich an die Rückkehrberatung der ZAB zu wenden, und auf die Möglichkeit der Erbringung von Härtefallleistungen sowie Rückreisekosten als Darlehen hingewiesen. Dagegen legte der Antragsteller am 14.04.2025 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 04.06.2025, dem Antragsteller persönlich ausgehändigt am 18.06.2025, bot die ZAB dem Antragsteller einen Gesprächstermin am 26.05.2025 zur Beratung über die Rückkehr nach Griechenland bzw. in sein Heimatland an. Sollte er den Beratungstermin unentschuldigt nicht wahrnehmen, werde davon ausgegangen, dass er zu einer freiwilligen Ausreise nach Griechenland nicht bereit sei. Auch diesen Termin ließ er ungenutzt verstreichen.
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Bereits am 15.04.2025 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Würzburg (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, gerichtet auf die Erbringung von Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG ab 16.04.2025 bis auf weiteres. Die Regelung des § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG sei europarechtswidrig und müsse daher unangewendet bleiben. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) über die Vorlage des Bundessozialgerichts (BSG) – im Hinblick auf die Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG – stehe noch aus. Im Fall dieses Vorlagebeschlusses würden noch Leistungen gewährt, während vorliegend der Antragsteller grundsätzlich gar keinen Anspruch mehr habe, nicht einmal auf Unterkunft einschließlich Heizung und Ernährung, und damit der Obdachlosigkeit ausgesetzt sei. Es sei nicht geprüft worden, ob ein Rückflugdatum nach Griechenland nach der Überbrückungszeit feststehe oder ob der Antragsteller in die Obdachlosigkeit entlassen werde und wie er sich künftig ernähren solle. Die Leistungsablehnung verstoße gegen die Achtung der Menschenwürde im Sinne der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie des Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass der Antragsteller eine besondere Härte nicht geltend gemacht habe und nicht mitgeteilt habe, ob und wann er eine Ausreise beabsichtige. Er werde nicht in die Obdachlosigkeit entlassen, sondern es obliege ihm im Sinne des Nachrangs, sich selbst – durch Ausreise nach Griechenland – zu helfen, um den Bezug staatlicher Leistungen zu vermeiden. Das SG hat dem Antragsteller mit Beschluss vom 28.04.2025 Prozesskostenhilfe bewilligt und mit Beschluss vom 20.05.2025 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht, nachdem die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG erfüllt seien. Der Antragsteller sei seit 17.01.2025 vollziehbar ausreisepflichtig; eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung liege nicht vor. Der in Griechenland gewährte internationale Schutz bestehe fort. Er sei ordnungsgemäß angehört worden. Eine Befristung nach § 14 Abs. 1 AsylbLG habe nicht erfolgen müssen, denn die Vorschrift sei auf den Anspruchsausschluss nicht anwendbar. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG sei – in Anlehnung an die Rechtsprechung des 11. Senats des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) zu § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG – auch nicht evident verfassungswidrig. Die Leistungseinstellung sei durch die gesetzliche Zielsetzung gedeckt, einem Verhalten entgegenzuwirken, das offenkundig im Widerspruch zum europäischen Asylsystem stehe. Es könne vom Betroffenen grundsätzlich verlangt werden, in dem Schutz gewährenden Land zu verbleiben – oder sich wieder dorthin zu begeben – und die ihm aufgrund seines Status zustehenden Sozialleistungen dort zu beziehen, um seine Existenz zu sichern. Unter diesem Aspekt könne nur von einer sehr kurzzeitigen Aufenthaltsperspektive ausgegangen werden, was bei der Festlegung des Bedarfs zu berücksichtigen sei. Dem trage die Vorschrift Rechnung, indem Überbrückungsleistungen für zwei Wochen, Reisekosten in das schutzgewährende Land und gemäß Satz 6 bei einer in Einzelfällen vorliegenden besonderen Härte auch darüberhinausgehende Bedarfe gewährt werden könnten. Dies sei auch durch Art. 20 Abs. 1 lit. c der Richtlinie „2013/32/EU“ [gemeint wohl: 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen -Aufnahmerichtlinie-] gedeckt.
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Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde beim LSG eingelegt und verfolgt die Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG „ab Antragstellung [am 15.04.2025, Anm. d. Verf.] bis auf weiteres“ unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen weiter. Die vom SG zitierte Rechtsprechung des Senates betreffe eine sechsmonatige Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG und sei auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen. Selbst im Hinblick auf diese Vorschrift verhalte sich die Rechtsprechung nicht einheitlich. Derzeit würde in erst- und zweitinstanzlichen Eilverfahren durchgehend die Anwendung des § 1 Abs. 4 AsylbLG für unzulässig erklärt und die Antragsgegner würden verpflichtet, vorläufig Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu gewähren. Es müsse eine Entscheidung auf Grundlage einer Interessenabwägung erfolgen, wobei das Interesse des Antragstellers an der Anordnung weitergehender Leistungen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiege. Eine längere Unterdeckung existenznotwendiger Bedarfe könne im Nachhinein nicht mehr ausreichend kompensiert werden und einschneidende Auswirkungen für den Antragsteller haben.
7
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Antragsgegners sowie des SG verwiesen.
II.
8
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Insbesondere überschreitet der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 €, denn der Antragsteller begehrt für die Zeit ab 16.04.2025 auf unbestimmte Zeit Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG (Regelbedarfsstufe 1) in Höhe von monatlich 441,00 €.
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Die zulässige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt.
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Streitgegenständlich ist die mit Bescheid vom 10.04.2025 verfügte „Leistungseinstellung“ ab 16.04.2025 unter gleichzeitiger Bewilligung von Überbrückungsleistungen für zwei Wochen, gegen die der Antragsteller sich mit dem Rechtsmittel des Widerspruchs vom 14.04.2025 wendet. Die Auslegung des Bescheides anhand des objektiven Empfängerhorizonts (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch -BGBentsprechend) ergibt, dass mit diesem Bescheid lediglich eine Bewilligung von Überbrückungsleistungen für den Zeitraum vom 16.04.2025 bis 30.04.2025 geregelt wurde. Soweit der Antragsgegner mit Ziffer 1 des Bescheides auch eine „Leistungseinstellung“ verfügt hat, was für eine Aufhebungsentscheidung sprechen würde, geht diese ins Leere, denn eine vorherige Bewilligung von Leistungen – etwa nach §§ 3, 3a AsylbLG – für die Zeit ab 16.04.2025 ist nicht ersichtlich. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 06.12.2024 Grundleistungen nur für die Zeit vom 01.01.2025 bis 31.03.2025 und sodann mit Bescheid vom 10.04.2025 für die Zeit vom 01.04.2025 bis 15.04.2025 bewilligt, so dass die Bewilligungsentscheidung des Antragsgegners insgesamt am 15.04.2025 endete, ohne dass es einer Aufhebung bedurft hätte.
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Nachdem der Antragsteller vorläufig höhere Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG für die Zeit ab 15.04.2025 geltend macht, ist der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft, denn er begehrt eine Erweiterung seiner Rechtsposition, die er in einem Hauptsacheverfahren mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen müsste. Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 – 2 BvR 745/88 –, Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 42/76 –, Beschluss vom 22.11.2002 – 2 BvR 745/88 – alle in juris).
12
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den das Begehren gestützt wird – voraus. Die Angaben hierzu müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO –; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – juris) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
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Soweit – wie vorliegend – existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 – juris). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl. zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 –, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12 – alle zitiert nach juris).
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Sollte der Antragsteller, wie mit der Beschwerdeschrift geltend gemacht, Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG auch für den 15.04.2025 (Eingang des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG) begehren, so sind ihm diese bereits mit Bescheid vom 10.04.2025 bewilligt worden, so dass insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis nicht erkennbar ist.
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Soweit der Antragsteller höhere Leistungen für die Zeit vom 16.04.2025 bis 30.04.2025 begehrt, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird und ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht (vgl. Beschluss des Senates vom 31.01.2012 – L 11 AS 982/11 B ER – juris). Von einem solchen Nachholbedarf ist vorliegend nicht auszugehen, ebenso wenig wie von einem (eindeutigen) Bestehen des Anspruchs. Die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG liegen vor. Danach haben Leistungsberechtigte nach Abs. 1 Nr. 5 der Vorschrift, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von § 1a Abs. 4 Satz 1 internationaler Schutz gewährt worden ist, der fortbesteht, keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz. Der Antragsteller fällt er in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG, denn er ist seit 17.01.2025 vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Sein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Bescheid des BAMF vom 16.12.2024, mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt und das Bestehen von Abschiebungsverboten verneint wurde, ist ohne Erfolg geblieben. Er verfügt für den Zeitraum vom 28.03.2024 bis 27.03.2027 über internationalen Schutz in Griechenland. Dieser besteht auch fort. Anhaltspunkte dafür, dass der internationale Schutz aberkannt oder beendet worden wäre (Art. 14, 19 RL 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes -Anerkennungs-richtlinie-), sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Antragsgegner hat den Antragsteller auch – mit dem Anhörungsschreiben vom 28.03.2025 und im Bescheid vom 10.04.2025 – sowohl über die Erbringung von Überbrückungsleistungen und deren Inhalt als auch über die Möglichkeit unterrichtet, in Härtefällen Leistungen über zwei Wochen hinaus zu erbringen, auch wenn diesen ein Ausnahmecharakter zukommt, und damit dem Unterrichtungserfordernis des § 1 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG Genüge getan. In der Folge hat er dem Antragsteller Überbrückungsleistungen nach § 1 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG als Sachleistungen – im Umfang der Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG – gewährt.
16
Der Senat hat bereits entschieden, dass er in Bezug auf Höhe und Umfang der in § 1a Abs. 1 AsylbLG vorgesehenen Leistungseinschränkung – jedenfalls bei gebotener verfassungskonformer Auslegung – keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken sieht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 10.03.2025 – L 11 AY 58/24 B ER und L 11 AY 9/15 B ER – sowie Beschluss des Senats vom 11.06.2024 – L 11 AY 23/24 B PKH –, alle zitiert nach juris m.w.N.) und dass er nicht von einer Unvereinbarkeit der Anspruchseinschränkung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG mit Unionsrecht ausgeht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 10.03.2025 a.a.O.). A minore ad maius ist diese Rechtsprechung auch auf dem Fall anzuwenden, dass ein Leistungsberechtigter nicht mehr – wie für § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG vorausgesetzt – über eine Aufenthaltsgestattung verfügt, sondern nach Entscheidung über den Asylantrag und Erschöpfung des Rechtsweges vollziehbar ausreisepflichtig ist. Von einem eindeutig bestehenden Anspruch für die Zeit vom 16.04.2025 bis 30.04.2025 kann damit nicht ausgegangen werden.
17
Auch soweit Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG für die Zeit ab 01.05.2025 betroffen sind, fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Wie soeben dargestellt, hat der Antragsteller keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG, weil er auch über den 30.04.2025 hinaus weiterhin dem Leistungsausschluss des § 1 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG unterliegt. Der Senat ist nicht überzeugt davon, dass die Regelung des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG in ihrem Gesamtkontext gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) verstößt. Die vom Antragsteller zitierten Beschlüsse (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.06.2025 – L 8 AY 12/25 B ER –; SG Karlsruhe, Beschluss vom 25.02.2025 – S 12 AY 379/25 ER –; SG Speyer, Beschluss vom 20.02.2025 – S 15 AY 5/25 ER –; SG Karlsruhe, Beschluss vom 19.02.2025 – S 12 AY 424/25 ER –; SG Darmstadt, Beschluss vom 04.02.2025 – S 16 AY 2/25 ER –; SG Landshut, Beschluss vom 18.12.2024 – S 11 AY 19/24 ER – und SG Hamburg, Beschluss vom 11.04.2025 – S 28 AY 188/25 ER –, alle zitiert nach juris) betrafen sämtlich Fälle des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG, also die Situation, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Entscheidung über den Asylantrag zuständig ist (Dublin III), nicht aber wie vorliegend, dass bereits internationaler Schutz in einem anderen Mitgliedstaat gewährt wurde. Zu der hier vorliegenden Konstellation hat das LSG Thüringen mit Beschluss vom 16.05.2025 (a.a.O.) entschieden, dass es weder eine Verfassungswidrigkeit noch eine Unionsrechtswidrigkeit erkenne; die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Nichtannahmebeschluss vom 30.06.2025 – 1 BvR 1200/25 – juris).
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Die Situation des Antragstellers entspricht derjenigen eines Unionsbürgers ohne Aufenthaltsrecht, dem eine Ausreise aus der BRD möglich und zumutbar ist. Im Hinblick auf diesen Personenkreis hat das BSG entschieden (Urteil vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R –), dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 lit. a und b SGB II und § 23 Abs. 3 und 3a SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2016 – BGBl. I, 3155 – nicht zu einer Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums führt. Der Gesetzgeber dürfe Unionsbürger regelmäßig darauf verweisen, die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat als Ausprägung der eigenverantwortlichen Selbsthilfe zu realisieren. Auch das BVerfG habe bereits von einem Beschwerdeführer verlangt, sich mit der Möglichkeit einer Bedarfsdeckung im Ausland auseinanderzusetzen. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller die Rückkehr nach Griechenland und die Inanspruchnahme der dortigen Möglichkeiten vorliegend nicht zumutbar wäre. Als einzige Begründung dafür, warum er nicht ohne Weiteres freiwillig und selbstständig nach Griechenland ausreisen kann, hat er vorgetragen, dass er dort unzureichende oder gar keine Leistungen zu erwarten habe, nicht jedoch, dass seiner Ausreise – wie im Fall des SG Hamburg (Beschluss vom 11.04.2025 a.a.O.) – verfahrensrechtliche Hindernisse (Überstellung) entgegenstehen würden. Die griechische Migrationsbehörde hat nach der Mitteilung vom 14.02.2025 eine Rückkehr des Antragstellers nach Griechenland auch akzeptiert.
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Zur grundsätzlichen Zumutbarkeit wird auf die neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage für männliche nichtvulnerable Schutzberechtigte in Griechenland (Urteil vom 16.04.2025 – 1 C 18.24 – juris) verwiesen. Danach können nach Griechenland zurückkehrende nichtvulnerable Schutzberechtigte im Falle eines zu geringen oder fehlenden Erwerbseinkommens zwar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht auf staatliche Sozialleistungen zurückgreifen. Es würden aber Angebote von Hilfsorganisationen und karitativen Einrichtungen vorgehalten, die neben dem Erwerbseinkommen zur Abwendung einer extremen materiellen Notlage zumindest beitragen können. Eine medizinische Not- und Erstversorgung sei gesichert.
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Daneben regelt § 1 Abs. 4 AsylbLG auch keinen strikten Leistungsausschluss, sondern trifft eine differenzierte Regelung, die im begründeten Einzelfall auch die Gewährung von Leistungen über den Zwei-Wochen-Zeitraum für Überbrückungsleistungen hinaus ermöglicht (sog. Härtefallleistungen nach § 1 Abs. 4 Satz 6 AsylbLG). In Anbetracht der Möglichkeit, die Folgen des Leistungsausschlusses im Einzelfall auszugleichen, bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Regelung mit Europarecht (vgl. hierzu Dollinger in: Siefert, AsylbLG, 3. Aufl. 2025 unter Verweis auf Art. 21 RL 2924/1346 (EU) vom 14.05.2024 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen). Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des SG Speyer (Beschluss vom 20.02.2025 a.a.O.), dass die Härtefallregelung des § 1a Abs. 4 Satz 6 AsylbLG zu unbestimmt wäre. Bei Vorliegen der Voraussetzungen wären wohl – ebenso wie im Fall der Überbrückungsleistungen – Leistungen nach § 1a Abs. 1 und nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AsylbLG zu erbringen. Einen Härtefall macht der Antragsteller jedoch nirgends geltend, und er hat sich diesbezüglich auch nicht an den Antragsgegner gewandt. Im Übrigen ist nicht einzusehen, warum vollziehbar ausreisepflichtigen Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, denen von einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist, Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu erbringen sind, während mit der Rechtsprechung des Senats Leistungsberechtigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 1a AsylbLG (Fälle des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG, in denen noch keine vollziehbare Ausreisepflicht besteht) nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG zu gewähren sein sollten.
21
Nach alledem war die Beschwerde gegen den Beschluss des SG zurückzuweisen.
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Nachdem unter Berücksichtigung der o.g. Ausführungen eine hinreichende Erfolgsaussicht im Beschwerdeverfahren nicht gegeben war, war der Antrag auf PKH für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.
24
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.