Inhalt

FG München, Urteil v. 07.08.2025 – 13 K 629/16
Titel:

Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nach Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze durch das Steuersenkungsgesetz 2000

Normenkette:
EStG § 10d Abs. 1 S. 3, § 17
Schlagworte:
Veräußerungsgewinn § 17 EStG, Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000, Einkommensteuerbescheid, Berechnung, Geschäftsanteilsabtretung, Stundungsvereinbarung, Vertrauensschutz, Steuerbefreiung
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – IX R 14/25
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27679

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Streitig ist die Höhe des Gewinns der Kläger aus im Streitjahr erfolgten Veräußerungen von Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
2
Die Kläger waren im Privatvermögen seit Beitritt des Klägers 1990 mit wechselnden Beteiligungsverhältnissen an der GmbH beteiligt wie folgt:

Vorgang

Stammkapital GmbH

Anteil Kläger

Anteil Klägerin

Zugang/ Abgang

DM

Zugang/ Abgang

DM

Prozent

Zugang/ Abgang

DM

Prozent

1990

Eintritt

10.000

10,000%

1992

Erhöhung

200.000

20.000

10,000%

1994

Erhöhung

200.000

70.000

20,000%

1996

Erhöhung

500.000

100.000

20,000%

12/1998

Erhöhung

[500]

-

19,990%

12/1998

Abtretung

- 100.000

9,995%

100.000

9,995%

16.10.2000

Erhöhung

199.500

40.000

11,667%

8,333%

3
Die unentgeltliche Geschäftsanteilsabtretung des Klägers an die Klägerin vom Dezember 1998 erstreckte sich auf die vom Kläger übernommenen Geschäftsanteile vom 8. Mai 1990 in Höhe von 10.000 DM (Geschäftsanteil 1), vom Juli 1992 in Höhe von 20.000 DM (Geschäftsanteil 2) und vom März 1994 in Höhe von 70.000 DM (Geschäftsanteil 3). Diese Geschäftsanteile sowie die weiteren vom Kläger übernommenen Geschäftsanteile – vom Dezember 1996 in Höhe von 100.000 DM (Geschäftsanteil 4) sowie vom 16. Oktober 2000 in Höhe von 40.000 DM (Geschäftsanteil 5) – hatte der Kläger jeweils zum Nennwert angeschafft. Die zum 16. Oktober 2000 beschlossene Kapitalerhöhung wurde am 24. Januar 2001 im Handelsregister eingetragen. Mit Vertrag vom Oktober 2008 veräußerten die Kläger sämtliche ihrer Geschäftsanteile an der GmbH zu Kaufpreisen in Höhe von 3.510.000 € (Kläger) und 2.490.000 € (Klägerin). Die Kläger stundeten jeweils Kaufpreis-Teilbeträge in Höhe von jeweils 900.000 € bis 30. November 2009; aufgrund der Stundungsvereinbarung behandelten die Beteiligten einvernehmlich den Kaufpreis mit einem Barwert in Höhe von 3.478.800 € (Kläger) und 2.458.800 € (Klägerin) als Veräußerungserlös im Sinne des § 17 Einkommensteuergesetz in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG). Die Veräußerungskosten beliefen sich auf 102.072 € (Kläger) und 72.410 € (Klägerin).
4
Nach Erlass eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Wege der Schätzung ergangenen erstmaligen Einkommensteuerbescheides für 2008 vom 3. Dezember 2010 und mehreren Änderungsbescheiden gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) setzte der Beklagte (das Finanzamt) mit Einkommensteuerbescheid 2008 vom 10. Oktober 2014 die Einkommensteuer für das Streitjahr 2008 mit 665.948 € fest. Dabei berücksichtigte es – neben den sonstigen unstreitigen Besteuerungsgrundlagen – Einkünfte nach § 17 EStG für den Kläger mit 1.100.328 € sowie für die Klägerin mit 773.169 €. Im dagegen angestrengten Einspruchsverfahren setzte das Finanzamt die Einkommensteuer mit Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 auf 656.270 € herab und berücksichtigte dabei Einkünfte gem. § 17 EStG in Höhe von 1.256.352 € (Kläger) und 604.913 € (Klägerin). Dagegen richtet sich die vorliegende Klage.
5
Während des Klageverfahrens ergingen mehrere Änderungsbescheide nach § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Zuletzt setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2008 durch Bescheid vom 17. August 2022 unter unveränderter Berücksichtigung der streitgegenständlichen Veräußerungsgewinne mit 650.780 € fest.
6
Die Kläger vertreten die Rechtsauffassung, die Einkünfte aus der Veräußerung der GmbH-Anteile seien mit 700.041,32 € (Kläger) und 413.517,97 € (Klägerin) anzusetzen und die Einkommensteuer 2008 mit 314.310 € festzusetzen. Hilfsweise betrage der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn der Klägerin 492.031,49 € und die Einkommensteuer 2008 349.642 €. Die Berechnung des Veräußerungsgewinns sei in Anwendung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Juli 2010 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61 und des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Dezember 2010 IV C 6 – S 2244/10/10001, BStBl I 2011, 16 vorzunehmen. Laut Nr. II .1 des BMF-Schreibens trete abweichend von § 17 Abs. 2 EStG an die Stelle der historischen Anschaffungskosten der gemeine Wert der veräußerten Anteile. Nach der in Nr. II. 1. Buchst. a) verfügten Vereinfachungsregel sei eine fiktive Berechnung der Wertentwicklung der Kapitalgesellschaft zu erstellen, an deren Wert immer alle jeweils bestehenden Geschäftsanteile mit gleichen Rechten und Wertanteilen kraft Gesetzes beteiligt seien. Irrig erstelle das Finanzamt stattdessen eine fiktive Berechnung der Wertentwicklung einzelner Geschäftsanteile. Unzutreffend sei die Annahme, die Geschäftsanteile an einer GmbH unterlägen je nach dem Zeitpunkt, zu dem sie aufgrund von Kapitalerhöhungen erworben wurden, unterschiedlichen Wertentwicklungen. Es gebe immer nur einen einheitlichen Wert der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, der sich anteilig auf die zu diesem Zeitpunkt existenten Anteile verteile. Im Falle einer Kapitalerhöhung zum Nennwert ohne Aufgeld verteile sich der Unternehmenswert auf mehr Geschäftsanteile als vor der Kapitalerhöhung, weshalb der Wert der alten Geschäftsanteile sinke. Dementsprechend würden auch die Anschaffungskosten älterer Geschäftsanteile bei Kapitalerhöhungen zum Nennwert in Höhe des auf die Anschaffungskosten für die neu erworbenen Anteile zu übertragenden Werts der Bezugsrechte sinken. Die unterschiedlichen Geschäftsanteile hätten auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogen immer den identischen Wert. Zu welchem Zeitpunkt der jeweilige Geschäftsanteil angeschafft worden war, sei ohne Bedeutung. Die gesamte Haltedauer der GmbH-Geschäftsanteile umfasse daher einheitlich einen Zeitraum vom Mai 1990 bis 15. Oktober 2008, mithin 222 Monate. Bei der Berechnung der steuerfreien Besitzzeit der Klägerin sei entsprechend der Vereinfachungsregelung des BMF der Zeitraum von Mai 1990 bis 31. Dezember 2001, mithin ein Zeitraum von 139 Monaten, anzuwenden; denn die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze sei gem. § 52 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 erst ab dem 1. Januar 2002 anwendbar. Zu berücksichtigen sei ferner die erst mit der Handelsregistereintragung am 24. Januar 2001 eingetretene Wirksamkeit des Erwerbs des Geschäftsanteils 4 durch den Kläger. Lediglich hilfsweise sei bezogen auf die Klägerin – wie beim Kläger – auf den Zeitraum vom Mai 1990 bis 16. Oktober 2000, mithin eine nicht steuerverhaftete Besitzzeit von 125 Monaten, abzustellen. Eine Abweichung von dieser lt. BMF-Vereinfachungsregel linearen Aufteilung komme nur bei klar nachweisbaren Anhaltspunkten für offensichtliche Widersprüche zwischen dem Ergebnis der Vereinfachungsregel und den tatsächlichen Wertverhältnissen in Betracht, die das Finanzamt nicht vorgetragen habe, wofür es aber die Feststellungslast trage. Da lt. BMF-Schreiben die historischen Anschaffungskosten außer Betracht bleiben, würden sich die steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne der Kläger wie folgt berechnen:

Kläger

Klägerin

Kaufpreis

3.510.000,00 €

2.490.000,00 €

abzgl. Stundung

- 900.000,00 €

- 900.000,00 €

zzgl. Barwert Stundung

868.500,00 €

868.500,00 €

Veräußerungserlös

3.478.500,00 €

2.458.500,00 €

abzgl. Veräußerungskosten

- 102.072,00 €

- 72.410,00 €

abzgl. stfreier Wertzuwachs Kl bis 21.10.2000

125/222

- 1.976.351,35 €

abzgl. stfreier Wertzuwachs Klin bis 31.12.2001

139/222

- 1.559.054,05 €

Veräußerungsgewinn

1.400.076,65 €

827.035,95 €

abzgl. stfreier Anteil

50%

- 700.038,32 €

- 413.517,97 €

zu versteuernder VG

700.038,32 €

413.517,97 €

7
Im Falle des Beginns der steuerverhafteten Besitzzeit für sie (die Klägerin) nach dem 21. Oktober 2000 ergebe sich ihrerseits nach der o. g. Berechnung ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 492.031,49 €.
8
Eine steuererhöhende Berücksichtigung der Wertsteigerungen bis zum 31. Dezember 2001 bzw. mindestens bis zum 26. Oktober 2000 sei mit den Grundsätzen des BVerfG-Beschlusses vom 7. Juli 2010 unvereinbar. Darüber hinaus habe das Niedersächsische Finanzgericht (FG) im Urteil vom 12. November 2024 13 K 196/12, juris, zu Recht Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2000 nicht in die Besteuerung einbezogen. Dies folge aus dem gem. § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bindenden BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010, wonach – unabhängig davon, ob eine Veräußerung vor den Zeitpunkten der Absenkung der Beteiligungsgrenze – bereits steuerfrei entstandene Wertzuwächse nicht rückwirkend besteuert werden dürften. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe dies im Urteil vom 12. März 2024 IX R9/23 (IX R 38/15), in BFH/NV 2024, 836, bestätigt.
9
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuer 2008 abweichend vom Einkommensteuerbescheid 2008 vom 17. August 2022 auf 314.310 € herabzusetzen,
hilfsweise die Einkommensteuer 2008 abweichend vom Einkommensteuerbescheid 2008 vom 17. August 2022 auf 349.642 € herabzusetzen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
10
Der Beklagte (das Finanzamt) beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Das Finanzamt verweist zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf die Einspruchsentscheidung. Danach sei der tatsächliche Gewinn nach § 17 EStG pro Anteil zu ermitteln. Für jeden einzelnen Geschäftsanteil sei der Wertzuwachs im Zeitraum seiner Anschaffung bis zur Veräußerung zu ermitteln und entsprechend der Gesamthaltedauer linear aufzuteilen in einen steuerfreien Teil (Besitzzeit ab Erwerb des Geschäftsanteils bis zum Beginn der Steuerverstrickung) und einen steuerpflichtigen Teil (Besitzzeit ab dem Beginn der Steuerverstrickung bis zur Veräußerung). Ergänzend führt es aus, der Berechnung der Kläger könne nicht gefolgt werden. Sie hätten als Wertzuwachs den nicht abgezinsten Verkaufspreis zugrunde gelegt, ohne die Wertsteigerung entsprechend der Berechnung nach § 17 Abs. 2 EStG aus dem abgezinsten Veräußerungspreis abzüglich der Anschaffungskosten zu ermitteln. Im Hinblick auf den Geschäftsanteil 4 habe der Kläger zwar – entgegen früher vertretener Auffassung (Schriftsatz Finanzamt vom 5. Juli 2023) – nach der Abtretung der Geschäftsanteile 1 bis 3 an die Klägerin im Dezember 1998 die 10%-Wesentlichkeitsgrenze zwar nicht mehr erreicht. Jedoch sei mit der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 am 26. Oktober 2000 Steuerverstrickung des Geschäftsanteils 4 eingetreten. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, weshalb der aus der Veräußerung des am 16. Oktober 2000 vom Kläger angeschafften Geschäftsanteils Nr. 5 erzielte Veräußerungsgewinn teilweise steuerbefreit sein sollte, obschon der Kläger mit diesem Erwerb den vor dem Inkrafttreten der abgesenkten Wesentlichkeitsgrenze des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 Umfang der maßgeblichen GmbH-Beteiligung von mindestens 10% überschritten hatte.
12
Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung, die eingereichten Schriftsätze, die vorliegenden Akten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2025 und 7. August 2025 Bezug genommen.
II.
13
1. Die Klage ist im Haupt- und im Hilfsantrag unbegründet. Der streitgegenständliche Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]).
14
a) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Eine wesentliche Beteiligung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt war (Wesentlichkeitsgrenze). Die Wesentlichkeitsgrenze wurde mit der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der am 31. März 1999 verkündeten Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 mit Wirkung ab 1. Januar 1999 auf einen Beteiligungsumfang von mindestens 10% sowie in der Fassung des am 26. Oktober 2000 verkündeten Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 mit Wirkung ab 1. Januar 2002 auf einen Beteiligungsumfang von mindestens 1% vermindert. Gemäß § 17 Abs. 2 EStG ist der zu versteuernde Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt.
15
aa) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl II 2011, 86 ff entschieden, dass § 17 Absatz 1 Satz 4 EStG in Verbindung mit § 52 Absatz 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999 S. 402) gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstößt und nichtig ist, soweit in dem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.
16
bb) Laut Buchst. C Nr. II .1 der Verwaltungsanweisung des BMF vom 20. Dezember 2010 IV C 6 – S 2244/10/10001, BStBl I 2011, 16 soll zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns bei nicht börsennotierten Anteilen aus Vereinfachungsgründen der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses der veräußerten Anteile regelmäßig entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 bzw. – für die Maßgeblichkeit der weiteren Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf 1% – der Besitzzeit nach dem 26. Oktober 2000 im Vergleich zur Gesamthaltedauer zeitanteilig linear (monatsweise) ermittelt werden (vgl. die Ausführungen unter Nr. II.1. Buchst. a des BMF-Schreibens), es sei denn, der Steuerpflichtige weist einen höheren Wertzuwachs für den Zeitraum vor Verkündung des Gesetzes nach (vgl. die Ausführungen unter Bucht. C) Nr. II.1. Buchst. b des BMF-Schreibens) oder die grundsätzlich durchzuführende zeitanteilig lineare Aufteilung des Wertzuwachses führt zu offensichtlichen Widersprüchen zu den tatsächlichen Wertverhältnissen.
17
b) Im Streitfall waren die Kläger beim Verkauf ihrer GmbH-Geschäftsanteile am 15. Oktober 2008 unstreitig jeweils innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung maßgeblich im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 an der GmbH beteiligt.
18
c) Dem Grunde nach hat das Finanzamt die den Klägern jeweils zurechenbaren Veräußerungsgewinne gem. § 17 Abs. 2 EStG zutreffend durch Abzug der Anschaffungs- und Veräußerungskosten vom Veräußerungspreis ermittelt. Der Höhe nach liegen dem streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid zu niedrige Veräußerungsgewinne der Kläger gem. § 17 EStG zugrunde. Irrig gehen die Beteiligten von einer zeitanteiligen Steuerfreistellung der im Streitjahr erzielten Veräußerungsgewinne aus. Weder die Wertzuwächse der veräußerten Geschäftsanteile bis zum 31. Dezember 1998 noch solche bis zum 26. Oktober 2000 bzw. 31. Dezember 2001 sind im Streitfall steuerfrei zu belassen.
aa) § 17 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 enthält keine Regelung zur zeitanteiligen Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen.
19
bb) Aus verfassungsrechtlichen Gründen besteht im Streitfall keine Veranlassung zur zeitanteiligen oder nach anderen Kriterien teilweisen Außerachtlassung der im Streitfall erzielten Veräußerungsgewinne.
20
aaa) Die von den Klägern geforderte zeitanteilige Befreiung der Besteuerung der erzielten Veräußerungsgewinne lässt sich nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) begründen. Die Besteuerung der von den Klägern erzielten Veräußerungsgewinne begründet keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. In entsprechender Anwendung der im BVerfG-Beschluss in BStBl II 2011, 86 ff aufgestellten Grundsätze mag zwar in dem Umstand eine Ungleichbehandlung zu sehen sein, dass die Kläger die realisierten Wertsteigerungen versteuern müssen, da sie die Geschäftsanteile nach dem Inkrafttreten und der erstmaligen Anwendung des § 17 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000 veräußert hatten, während Steuerpflichtige ihre Beteiligung vor der erstmaligen Anwendung der Neuregelung noch steuerfrei hätten veräußern können. Rechtfertigungsgründe der Ungleichbehandlung liegen indessen in dem Umstand, dass Anteilseigner seit der Verkündung des Gesetzes am 26. Oktober 2000 wussten, dass ihre Beteiligung mit dem Beginn der zeitlichen Anwendbarkeit der abgesenkten Beteiligungsgrenze in die Steuerpflicht hineinwachsen würden. Den Klägern ist seit der Verkündung des Gesetzes klar gewesen, dass zukünftig realisierte Wertsteigerungen bei einer Veräußerung nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit der Neuregelung des § 17 Abs. 1 EStG nicht mehr uneingeschränkt steuerfrei vereinnahmt werden könnten. Sie hätten sich auf die neue Rechtslage durch eine rechtzeitige steuerfreie Veräußerung der gehaltenen Geschäftsanteile vor dem 1. Januar 2002 einstellen können (vgl. BVerfG-Beschluss vom 6. Januar 2023 2 BvR 364/13, NJW 2023, 1715). Die ungleiche steuerliche Behandlung einer Veräußerung vor dem 1. Januar 2002 und einer Veräußerung nach dem 31. Dezember 2001 ist durch den Umstand gerechtfertigt, dass den Steuerpflichtigen die Möglichkeit offenstand, die Chance der steuerfreien Realisierung vor dem 1. Januar 2002 zu ergreifen. Wenn von dieser Möglichkeit abgesehen wurde, geschah dies im Wissen um die dann einsetzende Steuerpflicht.
21
(1) In Bezug auf die von der Klägerin veräußerten Geschäftsanteile war im Hinblick auf den Umfang ihrer Beteiligung am Kapital der Gesellschaft von unter 10% eine steuerfreie Veräußerung bis zur erstmaligen Anwendung des § 17 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes zum 1. Januar 2002 möglich.
22
(2) Dies gilt auch für den vom Kläger bis zur erstmaligen Anwendung des § 17 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes gehaltenen Geschäftsanteil. Nach der Abtretung der Geschäftsanteile 1 bis 3 an die Klägerin zum 28. Dezember 1998 umfasste der Anteil des Klägers am Stammkapital der GmbH zunächst unter 10%. Somit hätte der Kläger trotz der rückwirkenden Anwendung des Steuerentlastungsgesetzes seinen Geschäftsanteil steuerfrei veräußern können.
23
Der Umstand, dass der Kläger innerhalb des Betrachtungszeitraumes von 5 Jahren vor der gedachten Veräußerung im Übergangszeitraum zwischen Verkündung und Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes bis zu der im Dezember 1998 erfolgten Abtretung mit einem Anteil von über 10% am GmbH-Kapital beteiligt war, wäre für die Steuerfreiheit einer in diesem Übergangszeitraum erfolgten Veräußerung unschädlich gewesen. Laut den Grundsätzen der vom Senat geteilten höchstrichterlichen Rechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff (vgl. BFH-Urteil vom 12. März 2024 IX R 8/23 (IX R 37/15), BFH/NV 2024, 755, Rn. 23 ff, m. w. N.) ist die Beteiligungsgrenze innerhalb des Fünfjahreszeitraums nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG veranlagungszeitraumbezogen zu bestimmen. Folglich ist das Merkmal „wesentliche Beteiligung“ für jeden Veranlagungszeitraum innerhalb des Fünfjahreszeitraums nach der im jeweiligen Jahr gültigen Beteiligungsgrenze zu bestimmen. Die Beteiligungsgrenze vor Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes zum 1. Januar 1999 belief sich auf 25% und wurde vom Kläger bis zum 31. Dezember 1998 nicht überschritten.
24
Unschädlich für die Steuerfreiheit einer gedachten Veräußerung der Geschäftsanteile des Klägers im Übergangszeitraum zwischen Verkündung und Anwendung des Steuersenkungsgesetzes ist schließlich der Umstand, dass der Kläger mit seiner Beteiligung an der am 16. Oktober 2000 beschlossenen Kapitalerhöhung die Beteiligungsgrenze von 10% überschritt. Denn – wie die Kläger zutreffend erkennen – wurde die Kapitalerhöhung wie jede Änderung der Satzung erst mit ihrer Eintragung im Handelsregister am 24. Januar 2001 wirksam (§ 57 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung [GmbHG] i. V. m. § 54 Abs. 3 GmbHG); erst zu diesem Zeitpunkt entstanden die neuen Mitgliedschaftsrechte des Klägers (Tebben in: Scholz, GmbHG, 13. Auflage 2022/​2024/​2025, § 57 GmbHG, Rn. 33). Demzufolge bestand bis zur Wirksamkeit der Kapitalerhöhung am 24. Januar 2001 die Möglichkeit der steuerfreien Veräußerung des bis dahin gehaltenen Geschäftsanteils des Klägers. Im Hinblick auf die bereits zuvor erfolgte Verkündung des Steuersenkungsgesetzes konnte der Kläger mit dem bewussten Überschreiten der Beteiligungsgrenze von 10% ab 24. Januar 2001 nicht mehr auf die Steuerfreiheit einer Geschäftsanteilsveräußerung vertrauen.
25
bbb) Die von den Klägern geforderte teilweise Steuerbefreiung für die erzielten Veräußerungsgewinne ist nicht aufgrund der Grundsätze des verfassungskonformen Vertrauensschutzes geboten.
26
(1) Das BVerfG hat in seiner Entscheidung in BStBl II 2011, 86 ff ausgeführt, dass die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25% auf mindestens 10% durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eine „unechte Rückwirkung“ darstelle, soweit sie sich tatbestandlich auf Beteiligungsverhältnisse bezieht, die bereits vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bestanden haben. Eine solche „tatbestandliche Rückanknüpfung“ ist verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, dass der Staatsbürger vor jeder Enttäuschung bewahrt wird. Die bloß allgemeine Erwartung, dass das geltende Recht zukünftig unverändert fortbestehen wird, genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Allerdings muss der Gesetzgeber auch in Fällen der „unechten Rückwirkung“ im Rahmen einer Abwägung dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maße Rechnung tragen. Dabei unterscheidet das BVerfG, ausgehend von der seinem Beschluss in BStBl II 2011, 86 ff zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage, wie folgt:
„Soweit aufgrund der geänderten Beteiligungsgrenze Wertsteigerungen steuererheblich werden, die erst nach der Verkündung des Gesetzes eintreten, begegnet die darin liegende gesetzgeberische Wertentscheidung zur Höhe der steuerpflichtigen Beteiligungsgrenze im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber seine Bewertung der Sachlage für alle Zeiten unverändert lässt. Die Erwartung, dass ein etwaiger Veräußerungsgewinn steuerfrei vereinnahmt werden kann, geht nicht über die allgemeine Erwartung hinaus, dass das geltende Recht unverändert bleiben wird. Es fehlt ein besonderes Moment der Schutzbedürftigkeit, das den Gesetzgeber verpflichten könnte, auf die Erwartungen des Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen. Die Enttäuschung der Hoffnung, dass auch zukünftig Vermögenszuwächse steuerfrei vereinnahmt werden können, stellt noch keine Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte dar. Werden dagegen durch die Absenkung der Beteiligungsgrenze Wertzuwächse steuerlich erfasst, die bis zur Verkündung des steuerverschärfenden Gesetztes bereits entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung zwischen der rückwirkenden Inkraftsetzung der Vorschrift und der Verkündung des Gesetzes – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden wären oder – bei einer Veräußerung nach der Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können, liegt ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes vor. Wertzuwächse von Beteiligungen, die die aktuelle Beteiligungsgrenzen für den Besteuerungszugriff nicht überschreiten, verfestigen sich zu einem konkret vorhandenen Vermögensbestand im grundrechtlichen Verfügungsbereich, der durch die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze nachträglich entwertet wird.“
27
(2) Entgegen der Ansichten der Steuerverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010, BStBl I 2011, 16 unter Abschnitt D) und der Kläger gebietet die Anwendung der Grundsätze des Beschlusses des BVerfG in BStBl II 2011, 86 ff auf die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mindestens 10% auf mindestens 1% durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 weder gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG noch aus anderen Gründen eine zeitraumbezogene Steuerfreistellung der streitgegenständlichen Veräußerungsgewinne.
28
Die Sach- und Rechtslage stellt sich im Streitfall anders dar als der dem BVerfG-Beschluss in BStBl II 2011, 86 ff zugrunde liegende Sachverhalt. Die Verkündung des Steuersenkungsgesetzes am 26. Oktober 2000 erfolgte nicht rückwirkend für einen bereits vergangenen Zeitpunkt, sondern für die Zukunft, weil es im Streitfall in Bezug auf § 17 EStG erstmals für Anteilsveräußerungen ab dem 1. Januar 2002 anwendbar war. Mit dem im Steuersenkungsgesetz geregelten Übergangszeitraum wird dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maße Rechnung tragen. Anders als bei der rückwirkenden Absenkung der Beteiligungsgrenze mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999, erfolgte durch das Steuersenkungsgesetz keine nachträgliche Entwertung vorhandenen Vermögensbestandes insofern, als dem im Rahmen der 10%-Beteiligungsgrenze an einer Kapitalgesellschaft beteiligten Steuerpflichtigen möglich war, bis zur Anwendung des Steuersenkungsgesetzes seine(n) Geschäftsanteil(e) steuerfrei zu veräußern.
29
Die Steuerpflichtigen wussten seit dem 26. Oktober 2000, dass Beteiligungen in Höhe von mindestens 1% ab dem 1. Januar 2002 in die Steuerpflicht hineinwachsen würden. Sie hatten die Möglichkeit, sich auf diese Besteuerung einzustellen. Insbesondere konnten sie die Beteiligung vor dem 1. Januar 2002 steuerfrei verkaufen bzw. steuervermeidende Transaktionen vor dem 1. Januar 2002 vornehmen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2024, 755 und in BFH/NV 2024, 836). Wenn sich Steuerpflichtige bei dieser Sachlage dazu entschlossen, die bislang entstandenen Wertzuwächse nicht steuerfrei zu realisieren und auch nicht die Beteiligungshöhe an die neuen gesetzlichen Vorgaben anzupassen, dann geschah dies in dem Bewusstsein, dass zukünftige Veräußerungen der Beteiligungen zu einer Steuerpflicht führen würden (vgl. Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 12. November 2024 13 K 196/12 –, Rn. 126, juris). Aufgrund der gesetzlich eingeräumten und im Streitfall bestehenden Dispositionsbefugnis, im Übergangszeitraum bis zum 1. Januar 2002 die Geschäftsanteile der Kläger steuerfrei zu veräußern (s. o. Buchst. aaa (2)) bestand auch keine Notwendigkeit Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2000 aus verfassungsrechtlichen Gründen steuerfrei zu belassen. Verfassungsrechtlich hinreichender Vertrauensschutz war bereits dadurch sichergestellt, dass sich die Kläger auf die erwartbare künftige Gesetzesänderung durch entsprechende Anpassungen einstellen konnten (vgl. BVerfG-Urteil vom 10. April 2018 1 BvR 1236/11, BStBl II 2018, 303, zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuerpflicht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Mitunternehmerschaft; BVerfG-Beschluss vom 25. März 2021 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177; zur Verfassungsmäßigkeit der durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 9. Dezember 2004 geänderten Abzugsfähigkeit von vorausbezahlten Erbbauzinsen). Eine darüber hinausgehende vertrauensrechtlich geschützte Position auf eine generelle steuerfreie Vereinnahmung von Veräußerungsgewinnen, die auf einen Zeitraum vor der Änderung der Gesetzeslage entfallen, besteht indessen nicht (vgl. BVerfG in BStBl II 2011, 86, Rn. 51).
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(3) Eine anderslautende Rechtsauffassung vermag der Senat den BFH-Urteilen in BFH/NV 2024, 755 und in BFH/NV 2024, 836 nicht zu entnehmen. Dort hat der BFH zwar entschieden, dass für den veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG (Erreichen der jeweiligen Beteiligungsschwelle [10% oder 1%] „innerhalb der letzten fünf Jahre“) auf die im jeweiligen Anwendungszeitraum geltende Beteiligungsgrenze abzustellen ist. Eine Aussage dahingehend, auch für die Höhe der steuerfreien Wertsteigerungen auf das Inkrafttreten oder die erstmalige Anwendung des Steuersenkungsgesetzes abzustellen, enthalten die BFH-Urteile in BFH/NV 2024, 755 bzw. BFH/NV 2024, 836 nicht, da diese Rechtsfrage dort nicht entscheidungserheblich war. Ebenso wenig lässt sie sich der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung sinngemäß entnehmen. Denn Vertrauensschutz auf die Steuerfreiheit von ab dem 1. Januar 2002 realisierten Wertsteigerungen bestand für steuerverstrickte Beteiligungen von mindestens 1% bereits mit der Gesetzesverkündung ab dem 26. Oktober 2000 nicht mehr.
31
cc) Auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 16, das die Steuerverwaltungsbehörden zu einer zeitanteiligen Ermittlung des der Besteuerung zu unterwerfenden Veräußerungsgewinnes anweist, können sich die Kläger nicht berufen.
32
aaa) Die Finanzgerichte sind nur an Gesetz und Recht gebunden. Eine Verwaltungsvorschrift wie die in Buchst. C Nr. II .1 des BMF-Schreibens in BStBl I 2011, 16 kann nicht anstelle des Gesetzes treten. Es handelt sich um eine sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, der keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht bindet (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 IX R 66/98, BStBl II 2002, 412, Rn. 11). Im Streitfall vermittelt die Verwaltungsanweisung ebenso wenig im Rahmen einer grundsätzlich denkbaren Selbstbindung der Verwaltung (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 2010 IV R 30/08, BStBl II 2011, 210) zugunsten der Kläger einen Anwendungsanspruch. Denn nach den vorstehenden Grundsätzen besteht aufgrund der – hier einschlägigen – verfassungskonformen Tatbestandsmäßigkeit des Vorliegens eines Veräußerungsgewinns weder ein der Verwaltungsanweisungen grundsätzlich zugänglicher Ermessensspielraum des Finanzamts noch die Notwendigkeit aus Gründen der Gleichbehandlung einen – im Streitfall nicht vorhandenen – bestehenden Schätzungsrahmen oder eine gebotene Billigkeitsregelung (so – vom Streitfall abweichend – BFH-Urteil vom 17. Mai 2022 VIII R 26/20, BStBl II 2022, 829, Rn. 25) mit Selbstbindung für die Verwaltung vorzuprägen.
33
bbb) Die mit dem BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 16 veröffentlichte Verwaltungsauffassung begründet ebenso wenig Vertrauensschutz zugunsten der Kläger. Der Verkauf der Geschäftsanteile der Kläger erfolgte mit Vertrag vom 15. Oktober 2008. Demgegenüber datiert das BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010 auf einen späteren Zeitpunkt, sodass im Zeitpunkt der Disposition der Kläger ihrerseits kein schützenswertes Vertrauen auf die Anwendung der beanspruchten Verwaltungsanweisung entstehen konnte.
34
dd) Der Höhe nach liegen dem streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid zu geringe Veräußerungsgewinne der Kläger zugrunde, da das Finanzamt die zeitanteilig bis Oktober 2000 zuordenbaren Wertzuwächse der jeweiligen Geschäftsanteile im vorliegenden Fall nicht der Besteuerung unterworfen hat. Die zutreffenden steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne belaufen sich auf 1.167.630,41 € (Klägerin) und 1.652.573,57 € (Kläger):

Klägerin

Kläger

GA 1

GA 2

GA 3

GA 4

GA 5

Anschaffung

05.1990

07.1992

03.1994

12.1996

16.10.2000

Verkauf

15.10.2008

15.10.2008

15.10.2008

15.10.2008

15.10.2008

Nennwert

10.000 DM

20.000 DM

70.000 DM

100.000 DM

40.000 DM

anteiliger Veräußerungserlös

245.880,00 €

491.760,00 €

1.721.160,00 €

2.484.857,14 €

993.942,86 €

historische AK

5.112,92 €

10.225,84 €

35.790,43 €

51.129,19 €

20.451,68 €

anteilige Veräußerungskosten

7.241,00 €

14.482,00 €

50.687,00 €

72.908,57 €

29.163,43 €

vorl. VG

233.526,08 €

467.052,16 €

1.634.682,57 €

2.360.819,38 €

944.327,75 €

stpflichtig (50%)

116.763,04 €

233.526,08 €

817.341,28 €

1.180.409,69 €

472.163,88 €

1.167.630,41 €

1.652.573,57 €

35
aaa) Für die Ermittlung der Veräußerungsgewinne sind im Klageverfahren Veräußerungspreise in Höhe von 3.478.500 € (Kläger) und 2.458.500 € (Klägerin) zugrunde zu legen.
36
Die Kaufpreise betragen laut Kaufvertrag für die vom Kläger verkauften Geschäftsanteile 3.510.000 € sowie für die von der Klägerin verkauften Geschäftsanteile 2.490.000 €.
37
Im Hinblick auf die im Kaufvertrag vom 15. Oktober 2008 vereinbarte Stundung der Kaufpreisteilbeträge in Höhe von jeweils 900.000 € bis zum 30. November 2009 erfolgte die vorgenommene Abzinsung zu Recht. Dem steht der tatsächlich praktizierte Stundungszeitraum von weniger als einem Jahr (Oktober 2008 bis Juni 2009) nicht entgegen. Zwar sieht die Vorschrift des § 12 Bewertungsgesetz (BewG) bei einem Stundungszeitraum von weniger als einem Jahr keine Abzinsung vor. Indessen sind für die Vornahme einer Abzinsung die Verhältnisse am Bewertungsstichtag bedeutsam, mithin die Frage, ob im Zeitpunkt der Wirksamkeit des Vertrages die vereinbarte Stundungsdauer noch mehr als ein Jahr betrug (vgl. Christopher Riedel in: Daragan et al., Praxiskommentar ErbStG und BewG, 4. Aufl. 2023, Rn. 12 zu § 12 BewG; Loose in: Stenger/​Loose, Bewertungsrecht – BewG/ErbStG/GrStG, 175. Lieferung, 5/2025, Rn. 158 zu § 12 BewG; Kreutziger/Schaffner/Stephany/Kreutziger/Jacobs, 6. Aufl. 2024, Rn 21 zu § 12 BewG, beck-online; Rössler/Troll/Eisele, 39. EL Januar 2025, Rn. 20 zu § 12 Rn. 20 BewG). Die Ausnahme, im Falle einer vorzeitigen Kündigungsmöglichkeit von einer Abzinsung abzusehen, liegt im Streitfall nicht vor. Voraussetzung hierfür wäre, dass Gläubiger und Schuldner der Forderung zur vorzeitigen Kündigung berechtigt sind; davon weicht die Stundungsabrede laut § 3 des Kaufvertrages vom 15. Oktober 2008 insofern ab, als seitens des Gläubigers – mithin unter anderem seitens der Kläger – die Stundungsvereinbarung nicht kündbar war. Ist nur der Schuldner jederzeit kündigungsberechtigt, so ist bei der Abzinsung die vereinbarte Laufzeit maßgebend, denn mit einer vorzeitigen Kündigung braucht in diesem Fall normalerweise nicht gerechnet werden (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1982 II R 3/80, BStBl II 1982, 351; Rössler/Troll/Eisele, 39. EL Januar 2025, Rn. 25 zu § 12 BewG, beck-online). Die vorzeitige Tilgung der Forderung aus anderen Gründen gibt dagegen keinen Anlass zu einer Berichtigung (vgl. Rössler/Troll/Eisele, 39. EL Januar 2025, Rn 27 zu § 12 BewG, beck-online).
38
Zutreffend hat das Finanzamt ferner die Veräußerungspreise entsprechend den Nennwertverhältnissen der verkauften Geschäftsanteile betreffend die Klägerin zu 10% dem Geschäftsanteil 1, zu 20% dem Geschäftsanteil 2 und zu 70% dem Geschäftsanteil 3 sowie betreffend den Kläger zu 100/140 dem Geschäftsanteil 4 und zu 40/140 dem Geschäftsanteil 5 zugeordnet.
39
bbb) Die Anschaffungskosten des jeweiligen Geschäftsanteils entsprechen im Streitfall grundsätzlich dem jeweiligen Nennwert der Geschäftsanteile. Aus der Berücksichtigung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 27/97, BStBl. II 1999, 638 [641 ff.]; Stalbold in: Herrmann/​Heuer/​Raupach, EStG/​KStG, 331. Lieferung, 3/​2025, Rn. 154 zu § 17 EStG), wonach bei der Ausgabe neuer Anteile zu einem unter dem Wert der Altanteile liegenden Kurs bzw. Verkehrswert der Buchwert der Altanteile in dem Umfang zu vermindern ist, der sich nach der Gesamtwertmethode aus dem Verhältnis des Börsenkurses bzw. Verkehrswerts des Bezugsrechts zum Börsenkurs bzw. Verkehrswert der Altanteile ergibt, folgt im Streitfall keine Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides der Kläger. Dies wäre lediglich bei – abweichend vom Streitfall – verfassungsrechtlich gebotener zeitanteiligen Freistellung der Veräußerungsgewinne von Bedeutung, wobei in diesem Fall – entgegen der scheinbar von den Klägern vertretenen Rechtsauffassung – lediglich die tatsächlichen Anschaffungskosten (im Streitfall in Höhe des jeweiligen Nennwerts des Geschäftsanteils) für jeweils ältere Geschäftsanteile im Verhältnis des Werts der durch Kapitalerhöhungen entstandene Bezugsrechte auf den jeweils neu bezogenen Geschäftsanteil verschoben werden. Im Rahmen der im Streitfall einschlägigen uneingeschränkten Besteuerung der erzielten Veräußerungsgewinne im Sinne des § 17 EStG hat eine von den jeweils im Erwerbszeitpunkt abweichende Zuordnung der verausgabten Anschaffungskosten keine Auswirkung auf den insgesamt der Klägerin bzw. dem Kläger zuzurechnenden Veräußerungsgewinn.
40
ccc) Die Veräußerungskosten betragen – zwischen den Beteiligten unstreitig – 72.410 € (Klägerin) und 102.072 € (Kläger) und verteilen sich entsprechend den Nennwertverhältnissen der verkauften Geschäftsanteile betreffend die Klägerin zu 10% (7.241 €) auf den Geschäftsanteil 1, zu 20% (14.482 €) auf den Geschäftsanteil 2 und zu 70% (50.687 €) auf den Geschäftsanteil 3 sowie betreffend den Kläger zu 100/140 (72.908,57 €) auf den Geschäftsanteil 4 und zu 40/140 (29.163,43 €) auf den Geschäftsanteil 5. ddd) Im Ergebnis haben die Kläger nach Berücksichtigung der Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG in der Fassung des Streitjahres steuerpflichtige Veräußerungsgewinne i.H.v. 1.167.630,41 € (Klägerin) und 1.652.573,57 € (Kläger) erzielt. Da das Gericht an einer verbösernden Entscheidung im Sinne der im Streitfall steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gehindert ist, verbleibt es bei der mit der Klage angefochtenen für die Kläger günstigeren Einkommensteuerfestsetzung laut Einkommensteuerbescheid 2008 vom 17. August 2022.
41
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
42
3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Das BVerfG hat in den Beschlüssen in BStBl II 2011, 86 und in NJW 2023, 1715 zu der Frage der zeitlichen Grenzen der Erfassung von Wertzuwächsen nach der Absenkung der Beteiligungsgrenze gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG von mindestens 10% auf mindestens 1% noch keine inhaltliche Aussage getroffen. Soweit ersichtlich ist diesbezügliche höchstrichterliche Rechtsprechung bisher ebenfalls nicht ergangen.