Titel:
			Verletztenrente, Unpfändbarkeit, Insolvenzverwalter, Unzumutbare Härte, Gesetzliche Unfallversicherung, Zusammenrechnungsbeschluß, Berufsgenossenschaft, Vorläufige Entschädigung, Arbeitseinkommen, Laufende Sozialleistungen, Schuldnervertreter, Pfändungsgrenze, Insolvenzeröffnung, Deutsche Rentenversicherung Bund, Drittschuldner, Grundbetrag, Rechtsmittelbelehrung, Wohlverhaltensphase, Versicherungsfall, Sozialgesetzbuch
			Schlagworte:
			Insolvenzverfahren, Verletztenrente, Pfändung, Unzumutbare Härte, Sozialleistungen, Zusammenrechnung, Kompensationsleistung
			Rechtsmittelinstanzen:
			AG München, Beschluss vom 13.03.2025 – 1542 IK 83/24
			AG München, Beschluss vom 19.08.2025 – 1542 IK 83/24
			LG München I, Beschluss vom 03.10.2025 – 14 T 10843/25
			Fundstelle:
			BeckRS 2025, 27625
		 
		 
		Tenor
		
			
			1. Auf Antrag der Insolvenzverwalterin wird angeordnet, dass die dem Schuldner zufließenden laufenden Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen sind. Der unpfändbare Grundbetrag ist zunächst den Leistungen zu entnehmen, die der Schuldner vom Rententräger Deutsche Rentenversicherung Bund in Form von Rente bezieht. Kann der unpfändbare Grundbetrag nicht gedeckt werden, ist die Sozialleistung, die der Schuldner von dem Rententräger Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Region Süd in Form von Rente bezieht, solange einzusetzen, bis der unpfändbare Grundbetrag gedeckt ist.
		 
		
			
			2. Der Pfändungsmehrbetrag steht der Insolvenzmasse zu. Dies gilt auch für die Zeit der Wohlverhaltensphase.
		 
		
			
			3. Die Drittschuldner haben sich gegenseitig die genaue Höhe der Einkünfte des Schuldners und eventuelle Änderungen mitzuteilen.
		 
		Gründe
		
			1
			Die Insolvenzverwalterin hat mit Antrag vom 02.12.2024 die Zusammenrechnung der Einkünfte des Schuldners beantragt. Diesem Antrag war gemäß § 36 Abs. 4 und 1 InsO i.V.m. § 54 Abs. 4 SGB I i.V.m. § 850 e Ziffer 2 a ZPO zu entsprechen, da die Insolvenzverwalterin glaubhaft gemacht hat, dass der Schuldner über mehrere laufende Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch verfügt.
		 
		
			2
			Der Schuldner bezieht von dem Rententräger Deutsche Rentenversicherung Bund Rente in Höhe von monatlich 1.731,54 € und von dem Rententräger Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft Region Süd Rente in Höhe von monatlich 1.980,94 €.
		 
		
			3
			Die Gesamteinkünfte des Schuldners betragen zusammen 3.712,48 € monatlich.
		 
		
			4
			Der Schuldner wurde zu dem Antrag der Insolvenzverwalterin gehört. Der Schuldnervertreter beantragt die Zurückweisung des Antrags. Die Verletztenrente, die der Schuldner von der Berufsgenossenschaft erhält sei gem. § 62 Abs. 2 SGB VII und § 54 SGB I unpfändbar. Zudem sei bei antragsgemäßer Entscheidung die Reduzierung der verfügbaren Mittel eine unzumutbare Härte im Sinne von § 765 a ZPO. Die Zusammenrechnung sei auch insgesamt unzulässig.
		 
		
			5
			Mit Schreiben vom 27.01.2025 trägt die Insolvenzverwalterin vor, dass sich § 62 Abs. 2 SGB VII auf die vorläufige Entschädigung in Form einer Rente bezieht und die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung unter Einhaltung der Pfändungsgrenzen gem. § 850 c ZPO pfändbar sei. Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar (BGH, Beschluss vom 20.10.2016 – IX ZB 66/15).
		 
		
			6
			Mit Schreiben vom 24.02.2025 hält der Schuldnervertreter den vorgenannten BGH-Beschluss für nicht anwendbar, da im vorliegenden Fall die Verletztenrente des Schuldners ausdrücklich nach § 62 SGB VII sowie § 54 SGB I als zweckgebundene Kompensationsleistung konzipiert sei.
		 
		
			7
			Der Antrag auf Zusammenrechnung vom 02.12.2024 ist zulässig und begründet. Gemäß des BGH-Beschlusses vom 20.10.2016 – IX ZB 66/15 – ist die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar. Dass die Verletztenrente des Schuldners gem. § 62 Abs. 2 SGB VII zunächst als vorläufige Entschädigung und ab dem 08.12.2019 als Rente auf unbestimmte Zeit ausbezahlt wurde, steht einer Pfändung nach § 54 Abs. 1 SGB I nicht entgegen. Die begriffliche Unterscheidung zwischen der „Entschädigung“ nach § 62 Abs. 1 SGB VII und „Rente auf unbestimmte Zeit“ nach § 62 Abs. 2 SGB VII soll in erster Linie die Vorläufigkeit der in der Regel noch nicht völlig konsolidierten Folgen des Versicherungsfalls hervorheben (Ricke in: beck-online. GROSSKOMMENTAR Körner/Krasney/Mutschler, Stand: 15.08.2024, § 62 SGB VII, Rn 3 und 3.1). Gemäß Schreiben v. 06.12.2019 wird dem Schuldner seit dem 08.12.2019 gem. § 62 Abs. 2 SGB VII eine Rente auf unbestimmte Zeit gewährt. Spätestens mit Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit ist nicht davon auszugehen, dass die Verletztenrente weiterhin als zweckgebundene Kompensationsleistung verstanden werden kann. Die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 56 SGB VII) ist nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar (Flockenhaus in: Musielak/Voit, 21. Aufl. 2024, ZPO § 850 b Rn. 2).
		 
		
			8
			Im Übrigen wurden die Voraussetzungen de § 765 a ZPO nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, weshalb gerade die Zusammenrechnung nach § 36 Abs. 4 und 1 InsO i.V.m. § 850 e Ziffer 2 a ZPO eine unbillige Härte darstellen soll, wenn bereits seit Insolvenzeröffnung die Verletztenrente monatlich gepfändet wird.
		 
		
			9
			Der Zusammenrechnungsbeschluss war daher antragsgemäß zu erlassen.
		 
		
		
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Region Süd Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Am Knie 8, 8..1241 München
			 
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Deutsche Rentenversicherung Bund, Zur Schwedenschanze 1, 1..8435 Stralsund