Inhalt

VG München, Beschluss v. 04.09.2025 – M 24 E 25.5589
Titel:

Einstweilige Anordnung (abgelehnt), Ausbildungsduldung

Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 60c
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (abgelehnt), Ausbildungsduldung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27556

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, geb. … August 2005, ist nigerianischer Staatsangehöriger und begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO den Antragsgegner zu verpflichten, ihm eine Ausbildungsduldung zu erteilen.
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Der Antragsteller reiste zusammen mit seiner Mutter und einem jüngeren Bruder am 26. Dezember 2018 erstmals in das Bundesgebiet ein. Nachdem eine am 22. Dezember 2020 geplante Rückführung nach Italien im Rahmen des Dublinverfahrens storniert wurde und die Überstellungsfrist abgelaufen war, ging das Asylverfahren ins nationale Verfahren über. In der Behördenakte ist bei den Unterlagen zur geplanten Rückführung die Geburtsurkunde des Antragstellers zu finden. Ein Datum der Urkundenvorlage ist dort nicht vermerkt (Bl. 71 der Behördenakte – BA1).
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 30. März 2022 wurde der Asylantrag des Antragstellers vollumfänglich abgelehnt (Bl. 98ff. BA1). Die hiergegen erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az.: M 32 K 22.30930) wurde mit Urteil vom 4. April 2025 abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juli 2025 (Az.: 6 ZB 25.30591) abgelehnt. Nach Abschluss des Asylverfahrens ist der Antragsteller seit 2. August 2025 vollziehbar ausreisepflichtig.
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Am 23. Januar 2024 wurde der Antragsteller durch das Landratsamt (LRA) … darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, an der Beschaffung von Identitätspapieren durch Vorlage von Dokumenten und Urkunden mitzuwirken. Er wurde aufgefordert, sich baldmöglichst an die Auslandsvertretung zu wenden und sich einen gültigen Nationalpass zu beschaffen. Zudem erfolgte der handschriftliche Vermerk „darauf hingewiesen, dass er jetzt volljährig ist und sich selbst um einen Pass bemühen muss.“ (Bl. 143ff. BA1). Einem Aktenvermerk zur persönlichen Vorsprache am 23. Januar 2024 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller das LRA … darüber informierte, dass er mit der Schule nun fertig sei und eine Ausbildung anfangen wolle. Das LRA … informierte den Antragsteller, dass die Ausbildung durch das Ausländeramt genehmigt und dafür ein nigerianischer Reisepass vorgelegt werden müsse (Bl. 147 BA1).
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Am 31. Juli 2024 erhielt der Antragsteller eine Verlängerung der Aufenthaltsgestattung mit dem Zusatz „Beschäftigung nur mit Einwilligung der Ausländerbehörde erlaubt“. Die Aufenthaltsgestattung wurde mit einer Gültigkeit bis 31. Januar 2025 ausgestellt (Bl. 150 BA1).
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Am 31. Juli 2024 versandte das LRA … wegen eines Wechsels der Zuständigkeit die Ausländerakten über den Antragsteller, seine Mutter und seinen Bruder an die Zentrale Ausländerbehörde ... (ZAB) (Bl. 152f. BA1).
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Mit E-Mail vom 17. September 2024 wandte sich ein Personaldienstleister zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis an die ZAB, da sich der Antragsteller dort beworben hatte. Auf Nachfrage übersandte er einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für den Antragsteller, der zum 1. Oktober 2024 dort eine Arbeitsstelle hätte anfangen können (Bl. 15ff. BA1). Eine Bearbeitung des Antrages ist der Behördenakte nicht zu entnehmen.
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Am 4. November 2024 wurde dem Antragsteller von der ZAB eine Duldung (gültig bis 30. Dezember 2024) wegen ungeklärter Identität erteilt und mehrfach (zuletzt bis 15. Mai 2025) verlängert (Bl. 164, 172, 175, 177, 179 BA1). Der Antragsteller befand sich noch im Asylverfahren. Seine Aufenthaltsgestattung vom 31. Juli 2024 wurde ungültig gestempelt (Bl. 165f. BA1)
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Mit E-Mail vom 18. Dezember 2024 übersandte das LRA … der ZAB Dokumente zur Familie des Antragstellers über die Bemühungen bzgl. der Passbeschaffung (Bl. 167 BA1). Den Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Antragsteller auf Antrag vom 17. Dezember 2024 bei der nigerianischen Botschaft am 8. April 2025 einen Termin zur Passbeantragung erhielt (Bl. 168ff. BA1).
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Am 29. April 2025 (Eingang bei der Behörde am 15. Mai 2025) legte die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers einen Vorvertrag vom 11. Februar 2025 zum Ausbildungsverhältnis ab dem 1. September 2025 bei der Firma … GmbH zum Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk / Bäckerei vor (Bl. 181, 222 BA1). Eine Reaktion der Behörde erfolgte nach Aktenlage nicht.
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Der Antragssteller hat seit 1. Juni 2025 einen bis 30. Juni 2030 gültigen nigerianischen Reisepass (Bl. 243 BA1).
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Mit Schreiben vom 6. Juni 2025 bat die Bevollmächtigte des Antragstellers um Mitteilung, weshalb dem Antragsteller Duldungen erteilt wurden (Bl. 225 BA1). Am 23. Juni 2025 erhielt der Antragsteller wieder eine Aufenthaltsgestattung (Bl. 241 BA1).
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Mit Antrag vom 3. Juli 2025 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Ausbildungsduldung und legte einen Berufsausbildungsvertrag zum Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk / Bäckerei bei der Backstube … GmbH vor. Weder der Antrag noch Anlagen hierzu sind in der Behördenakte enthalten.
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Mit E-Mail vom 7. August 2025 teilte das LRA … der ZAB mit, dass der Antragsteller einen Ausbildungsvertrag mit der Backstube … GmbH habe und ihres Wissens der ZAB alle Unterlagen hierzu vorliegen würden. Zudem wurde aufgrund des Ausbildungsbeginn am 1. September 2025 auf die Dringlichkeit hingewiesen, die der Arbeitgeber geäußert habe (Bl. 246f. BA1).
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Mit Antrag vom 18. August 2025 stellte der Antragsgegner einen Antrag auf Durchführung der (Luft-)Abschiebung des Antragstellers (Bl. 294 BA1).
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Mit Schreiben vom 28. August 2025 hörte der Antragsgegner den Antragsteller vor Erlass einer beabsichtigten ablehnenden Entscheidung an. Als wesentliche Gründe für eine Ablehnung nannte der Antragsgegner, dass die Erteilung einer Ausbildungsduldung ausgeschlossen sei, da die Identität des Antragstellers, der am 26. Dezember 2018 in das Bundesgebiet einreiste, nicht bis zum 30. Juni 2020 geklärt worden sei, § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AufenthG. Die Identität des Antragstellers sei erst mit Vorlage des Reisepasses am 1. August 2025 abschließend geklärt worden. Zudem sei der Antragsteller nicht drei Monate in Besitz einer Duldung. Das Asylverfahren sei mit Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 3. Juli 2025 rechtskräftig abgeschlossen worden und die Aufenthaltsgestattung kraft Gesetzes erloschen. Der Antragsteller sei seit 2. August 2025 vollziehbar ausreisepflichtig und habe keinen Duldungsanspruch. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11. September 2025 eingeräumt. Eine Entscheidung erging noch nicht.
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Mit Schriftsatz vom 29. August 2025, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat die Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
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der Antragsgegner wird verpflichtet dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung über seinen Antrag eine Duldung zur Ausbildung zum Fachverkäufer bei der Backstube … GmbH zu erteilen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller in Besitz einer Duldung sei. Der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG könne nicht entgegengehalten werden, da die Ausländerbehörde … und auch ZAB dem Antragsteller im November 2024 unberechtigterweise eine Duldung ausgestellt hätten, obwohl das Asylverfahren noch nicht beendet gewesen war. Im Juni 2025 habe die Bevollmächtigte auf den Fehler hingewiesen. Der Sachverhalt sei von der ZAB geprüft und dem Antragsteller eine Aufenthaltsgestattung erteilt worden. Aufgrund dieses Fehlers sei dem Antragsteller die bereits im September 2024 beantragte Ausbildung nicht erlaubt worden. Hierdurch sei dem Antragsteller ein erheblicher Nachteil entstanden. Aus diesem Grund sei anzunehmen, dass mit der Duldungszeit in der Vergangenheit der Zeitraum der dreimonatigen Duldung erfüllt sei. Auch ein Ausschlussgrund gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG liege nicht vor. Der Antragsteller habe seine Mitwirkungspflichten nicht verweigert. Während des Asylverfahrens sei es dem Antragsteller unzumutbar gewesen, einen Pass zu beschaffen. Die Geburtsurkunde sei frühzeitig eingereicht worden und geeignet einen Pass zu beschaffen. Ein weiteres Zuwarten bis zur Entscheidung der Behörde sei nicht zumutbar. Die Ausbildung soll am 1. September 2025 beginnen. Es bestünde die Gefahr, dass der Antragsteller seinen Ausbildungsplatz verliere. Eine ablehnende Entscheidung sei durch die Behörde im Anhörungsschreiben vom 28. August 2025 bereits mitgeteilt worden. Die Antragstellerpartei legte den in der Handwerksrolle eingetragenen Berufsausbildungsvertrag zum Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk / Bäckerei vom 28. Mai 2025 sowie die Eintragungsbestätigung über die Eintragung in die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer für M. und ... vom 3. Juli 2025 vor.
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Der Antragsgegner übermittelte die Behördenakte am 2. September 2025 und beantragt mit Schriftsatz vom 4. September 2025,
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der Antrag wird abgelehnt.
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Es wird auf die Ausführungen des Antragsgegners verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Klägers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn andere Gründe vorliegen. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
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2. Der Antragsteller hat den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Aus den vorgebrachten Gründen ergibt sich nicht mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass dem Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 AufenthG zusteht.
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2.1. Der Antragsteller ist seit 2. August 2025 nach § 50 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, weil er einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt und die ihm gesetzte Ausreisefrist ergebnislos verstrichen ist.
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 3. Juli 2025 wurde das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 4. April 2025 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Das Asylverfahren ist abgeschlossen und die mit Bescheid des Bundesamtes vom 30. März 2022 gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens seit dem 2. August 2025 verstrichen.
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2.2. Dem Antragsteller steht nach summarischer Prüfung kein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu.
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Nach § 60c Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist eine Duldung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland als Asylbewerber eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufgenommen hat oder eine Assistenz- oder Helferausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufgenommen hat, an die eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf, für den die Bundesagentur für Arbeit einen Engpass festgestellt hat, anschlussfähig ist und dazu eine Ausbildungsplatzzusage vorliegt (Nr. 1) oder wenn der Ausländer in Deutschland im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist und eine in Nummer 1 genannte Berufsausbildung aufnimmt (Nr. 2).
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Zwar handelt es sich bei dem anvisierten Ausbildungsplatz zum Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk (Bäckerei) um eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf im Sinne des § 60c Abs. Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG, jedoch ist der Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung nicht in Besitz einer Duldung gemäß § 60a AufenthG. Voraussetzung
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hierfür ist entweder der Besitz einer Duldungsbescheinigung oder das Vorliegen eines materiell-rechtlichen Duldungsgrundes (Röder in BeckOK MigR, Stand: 1.5.2025, § 60c AufenthG Rn. 34). Das ist vorliegend nicht der Fall. Dem Antragsteller wurde keine Duldungsbescheinigung ausgestellt. Auch ein materiell-rechtlicher Duldungsgrund liegt nicht vor.
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Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.
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2.2.1. Ein tatsächliches Abschiebungshindernis liegt nicht vor, insbesondere ist der Antragsteller im Besitz eines bis zum 30. Juni 2030 gültigen nigerianischen Reisepasses.
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Eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen ist dann gegeben, wenn eine Abschiebung aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Ausländers oder in äußeren Gegebenheiten liegen, nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand durchgesetzt werden kann (BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 19 CE 23.183, BeckRS 2023, 6072 Rn. 14). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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2.2.2. Auch ein rechtliches Abschiebungshindernis gem. Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK kommt nicht in Betracht.
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Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei ihren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum
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Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Grundrechtsträgers aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familienrechtlichen Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Umstände zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (stRspr. des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris). Vergleichbares gilt für das Recht auf Familienleben gem. Art. 8 EMRK.
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Gemessen an diesen Grundsätzen ergibt sich vorliegend aus der familiären Bindung des Antragstellers zu seiner Mutter und minderjährigen Bruder, die ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig sind, kein rechtliches Abschiebungshindernis gem. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK.
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Der Antragsteller ist volljährig. Zudem ist es der Familie des Antragstellers zumutbar auch im Herkunftsland Nigeria gemeinsam zu leben.
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Sonstige Gründe für eine Aussetzung der Abschiebung, etwa nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wurden vom Antragsteller nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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2.3. Der Antragsteller erfüllt nach summarischer Prüfung auch die Voraussetzung der Mindestduldungszeit von drei Monaten nicht, § 60c Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 19 CE 23.183, BeckRS 2023, 6072 Rn. 41). Es kommt entgegen dem Vortrag der Antragstellerpartei nicht darauf an, dass der Antragsteller zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum Inhaber einer (fälschlicherweise) erteilten Duldung nach § 60b AufenthG war. Es kommt auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Behörde an. Mit Erteilung einer Aufenthaltsgestattung am 23. Juni 2025 hat die Behörde ihren Fehler korrigiert. Am 3. Juli 2025 war der Antragsteller nicht in
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Besitz einer Duldung und schon gar nicht seit drei Monaten (VG Augsburg, B.v. 31.7.2024 – Au 6 E 24.1509, BeckRS 2024, 22482 Rn. 38, 41).
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2.4. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
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Der Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung setzt voraus, dass der Ausländer nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist und besteht deshalb nicht, wenn er nach dem unanfechtbaren negativen Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist (BayVGH, B. v. 24.4.2023 – 10 CS 23.440, BeckRS 2023, 10124, Rn. 10). Vorliegend ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig.
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2.5. Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus den offensichtlichen Fehlern, die der ZAB bei der Bearbeitung unterlaufen sind.
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Das Gericht verkennt nicht, dass vorliegend behördliche Fehler (rechtswidrige Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG und Behörden-Untätigkeiten), die über einen Zeitraum von mehreren Monaten andauerten, dazu führten, dass dem Antragsteller zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit die Möglichkeit genommen wurde, eine Beschäftigung oder Ausbildung zu beginnen.
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2.5.1. Der Antragsteller beabsichtigte nach dem Schulabschluss eine Ausbildung aufzunehmen. Mit Übergang der ausländerrechtlichen Zuständigkeit vom LRA … auf die ZAB begann eine fehlerhafte Bearbeitung der ausländerrechtlichen Fragestellungen. Der Antragsteller bewarb sich mit dem Wissen, dass er als Inhaber einer Aufenthaltsgestattung eine Beschäftigungserlaubnis benötige, bei einem Personaldienstleister. Dieser wandte sich an die ZAB und reichte einen „Beschäftigungsantrag“ vom 18. September 2024 ein. Der Behördenakte ist nicht zu entnehmen, ob dieser Antrag bearbeitet wurde. Anstelle über den Antrag zu entscheiden, erhielt der Antragsteller am 4. November 2024 eine Duldung wegen ungeklärter Identität erteilt. Wie es zu diesem Fehler kommen konnte, ist in der Behördenakte nicht nachvollziehbar. Es
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fehlt jegliche Dokumentation darüber. Ersichtlich ist, dass der Antragsteller (korrekterweise) durch das LRA … am 31. Juli 2024 noch eine Aufenthaltsgestattung mit Gültigkeit bis 31. Januar 2025 erteilt bekommen hatte. Diese Aufenthaltsgestattung wurde bei Erteilung der rechtswidrigen Duldung nach § 60b AufenthG als „ungültig“ gestempelt.
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Es ist vorliegend nicht ersichtlich, weshalb dem Antragsteller keine Beschäftigung als Asylsuchender erlaubt wurde. Auch ist nicht ersichtlich, weshalb dem Antragsteller eine Duldung während des Asylverfahrens erteilt wurde.
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In der Folge der behördlichen Fehler konnte der Antragsteller jedenfalls mit einer (rechtswidrigen) Duldung nach § 60b AufenthG keine Erwerbstätigkeit ausüben, § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG. Die Duldung wurde in der Folge mehrfach verlängert, ohne dass eine Überprüfung und Fehlerbehebung stattfand. Erst auf Intervention der Bevollmächtigten wurde dem Antragsteller am 23. Juni 2025 wieder eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt.
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Auch war es dem Antragsteller durch die fehlerhafte Bearbeitung der ZAB nicht möglich, während seines noch laufenden Asylverfahrens eine Ausbildungserlaubnis zu erhalten und eine Ausbildung zu beginnen, mit der er über § 60c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG oder gemäß § 16g Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG nach Abschluss des Asylverfahrens – ohne Inhaber einer Duldung sein zu müssen – eine Ausbildung hätte weiterführen und beenden können.
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Anders als durch den Antragsgegner in diesem Verfahren vorgetragen, hält das Gericht – nach Aktenlage – die Identitätsklärung, die erst nach dem 30. Juni 2020 (vgl. § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AufenthG) erfolgte, nach summarischer Prüfung nicht für hinderlich. Der vorgelegten Behördenakte ist nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller die erforderlichen und für ihn zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung nicht getroffen hat oder verweigerte. Die zeitlichen Grenzen des § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AufenthG bzw. § 16g Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AufenthG, die durch die Einreise
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am 26. Dezember 2018 bedingt sind, können vorliegend – ohne, dass es darauf ankäme – nach summarischer Prüfung einer Erteilung gemäß § 60c Abs. 7 AufenthG bzw. § 16g Abs. 6 AufenthG nicht entgegenstehen.
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Zutreffend ist, dass der Antragsteller seine Identität nicht bis zum 30. Juni 2020 geklärt hat. Zu sehen ist jedoch, dass der Antragsteller am 30. Juni 2020 erst … Jahre alt war und sich im Asylverfahren befand.
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Während des Asylverfahrens muss der Ausländer nicht alle Handlungen zu Passbeschaffung selbst vornehmen (vgl. z.B. § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Wann der Antragsteller welche erforderlichen und zumutbaren Mitwirkungspflichten hätte vornehmen müssen und dies vorwerfbar nicht tat, hat der Antragsgegner nicht substantiiert vorgetragen. Der Vortrag, dass die Mutter des Antragstellers ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist, konnte nicht verifiziert werden, da hierzu in der Behördenakte des Antragstellers nichts zu finden war. Es ist auch der vorgelegten Behördenakte nicht zu entnehmen. Der Antragsteller bzw. dessen Mutter hat – nach Aktenlage – seine Geburtsurkunde bereits während des Dublinverfahrens vorgelegt. Der Antragsteller wurde – nach Aktenlage – einmal über seine Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Identitätspapieren im Januar 2024 belehrt. Diese Belehrung liegt jedoch außerhalb des relevanten Zeitraums des § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AufenthG.
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Es ist vorliegend ersichtlich, dass der Antragsteller seine Identität noch während des Asylverfahrens geklärt hat. Darüber, dass der Antragsteller seine Identitätsklärung aktiv bei der Nigerianischen Botschaft betrieb, informierte das LRA … die ZAB mit E-Mail vom 18. Dezember 2024. Zudem übersandte das LRA … Dokumente zu den Bemühungen des Antragstellers bzgl. der Passbeschaffung.
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2.5.2. Die Ausführungen zeigen, dass der Antragsteller behördlicherseits keine Chance bekam, eine Ausbildung während seines Asylverfahrens zu beginnen oder einer Beschäftigung nachzugehen. An der nun vorliegenden Situation, dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist und keine Duldungsgründe vorliegen, vermögen die Ausführungen zu den offensichtlichen behördlichen Fehlern nichts zu ändern.
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Auch ist zu sehen, dass die ZAB über den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung, der bereits am 29. April 2025 erstmals und dann wiederholend am 3. Juli 2025 gestellt wurde, immer noch nicht entschieden hat oder sich zeitnah zur Antragsstellung geäußert hat. Hierdurch hat der Antragsteller weiter Zeit verloren, sich schon früher um die Voraussetzung für ein Visumsverfahren inkl. Vorabzustimmung bei der Behörde zu kümmern.
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Der Behördenakte ist auch nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller über eine mögliche freiwillige Ausreise informiert und es angesprochen wurden, wie er im Rahmen des Visumsverfahrens – unter Vorabzustimmung – wieder zurückkehren und eine qualifizierte Berufsausbildung beginnen kann. Das wäre – insbesondere aufgrund der vorliegenden Behördenfehler – eine Möglichkeit gewesen, dem Antragsteller Hilfe- und Beratung anzubieten. Die Möglichkeit hat der Antragsgegner nun mit dem Schriftsatz vom 4. September 2025 aufgezeigt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Die wirtschaftliche Bedeutung einer Ausbildungsduldung rechtfertigt den Ansatz des Auffangwertes und nicht nur des hälftigen Auffangwertes (vgl. Nr. 8.2.3. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025: „Aussetzung der Abschiebung (Duldung)“). Eine Reduzierung des Auffangwerts (vgl. Nr. 1.5 Streitwertkatalogs) war im vorliegenden Fall wegen der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache nicht veranlasst (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 -10 CE 18.2159 – juris Rn. 16 m.w.N.d.Rspr.; BayVGH, B. v. 2.5.2019 – 10 CE 19.273, BeckRS 2019, 13682 Rn. 12; VG München, B. v. 14.1.2019 – M 24 E 18.5516, BeckRS 2019, 14551 Rn. 65).
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4. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Für Verfahren des Eilrechtsschutzes, in denen dem Vollzug der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG das Begehren einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG entgegengehalten wird, fallen unter den Beschwerdeausschluss nach § 80 AsylG (im Anschluss an VGH BW, B.v. 5.7.2024 – 12 S 821/24 – juris Rn. 6, 13; VGH Kassel, B.v. 7.2.2025 – 3 B 125/25, BeckRS 2025, 2054 Rn. 5ff.; VGH Mannheim B.v. 23.4.2025 – 12 S 54/25, BeckRS 2025, 11143 Rn. 3; a.A. OVG Schleswig-Holstein, B.v. 3.12.2024 – 6 MB 28/24 – juris Rn. 15 ff.,)

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