Inhalt

LG Augsburg, Endurteil v. 25.09.2025 – 091 O 47/25
Titel:

Keine Anspruch wegen behaupteten Impfschadens bei Zulassung des Impfstoffs

Normenketten:
AMG § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2
VO (EG) 726/2004 Art. 14a Abs. 3, Abs. 8
Leitsätze:
1. Bei der Prüfung der Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels werden nicht nur die im konkreten Fall eingetretenen Schäden berücksichtigt, sondern es wird eine abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung vorgenommen, bei der sämtliche schädlichen Wirkungen erfasst werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Feststellung der rechtswirksamen Zulassung wird auch für Zivilgerichte bindend das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses festgestellt, gleichgültig, ob auf nationaler oder europäischer Ebene. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG setzt eine Rechtsgutverletzung voraus, die auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen muss und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten ist. Ein Kausalzusammenhang ist abzulehnen, wenn der Anwender oder der anwendende Arzt die Arzneimittelinformation gar nicht zur Kenntnis genommen hat. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arzneimittel, Risiko-Nutzen-Abwägung, Feststellung, Schadensersatz, Impfschaden, Nutzen-Risiko-Verhältnis, Arzneimittelinformation
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27531

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld, sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden im Zusammenhang mit zwei Covid-19-Schutzimpfungen geltend.
2
Der Kläger ist Verbraucher. Die Beklagte ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Zur Bekämpfung der im Jahr 2020 ausgebrochenen Covid-19-Pandemie brachte die Beklagte den Impfstoff Comirnaty in den Verkehr. Die Europäische Arzneimittelagentur (nachfolgend: EMA) empfahl am 21.12.2020 eine Zulassung des von der Beklagten entwickelten Impfstoffes, welcher noch am gleichen Tag eine bedingte Zulassung durch die Europäische Kommission erhielt. Durch Beschluss der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 wurde die Standardzulassung erteilt. (Anlage B13). Am 28.10.2022 teilte der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA (Committee for Medicinal Products for Human Use; nachfolgend CHMP) mit, dass sich während des Zeitraums, auf den sich diese jährliche Verlängerung bezogen hatte, neue Daten ergeben hätten, die jedoch keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty in der zugelassenen Indikation gehabt hätten, und dass das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigt worden sei (Anlage B14). Die EMA empfahl der Europäischen Kommission am 30.08.2023, den auf die Covid-19-Subvariante Omikron XBB.1.5 angepassten Comirnaty Impfstoff zuzulassen (Anlage B15). Die Kommission schloss sich der Empfehlung an und ließ den angepassten Impfstoff am 31.08.2023 zu. Zudem erfolgten am 27.06.2024 und am 19.09.2024 erneute Zulassungsempfehlungen durch den CHMP für den an die Omikron Varianten JN.1 und KP.2 angepassten Impfstoff. Die EU-Kommission hat die Empfehlung umgesetzt und mit Beschlüssen vom 03.07.2024 (Anlage B 16) und vom 26.09.2024 den Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022 (Anlage B 13) geändert. Am 24.07.2025 sprach der CHMP bei der EMA eine weitere Zulassungsempfehlung für einen, an die neue Subvariante des Coronavirus LP.8.1 angepassten Comirnaty-Impfstoff aus. Die EU-Kommission hat diese Empfehlung einen Tag später am 25.07.2025 umgesetzt und den Durchführungsbeschluss vom 10.10.2022 nochmals geändert (Anlage B 18).
3
Der Kläger behauptet, am ….06.2021 und am ….08.2021 mit dem, von der Beklagten entwickelten und in den Verkehr gebrachten Impfstoff geimpft worden zu sein. Nach der Impfung am ….08.2021 hätte er bemerkt, dass seine Kraft in den Armen und Beinen nachgelassen hätte.
4
Schließlich hätte er nicht einmal mehr seine Arme zum Kopf führen können. Auch das Aufstehen, sowie das Treppensteigen sei teilweise nicht mehr möglich gewesen. Am ….08.2021 hätte er deswegen seinen Hausarzt aufgesucht, wobei ein dort durchgeführter Bluttest einen erhöhten CK-Wert ergeben hätte. In der Folgezeit hätte er mehrere Ärzte, unter anderem auch einen Neurologen aufgesucht. Zudem hätte es mehrere stationäre Klinikaufenthalte gegeben. Im Klinikum … sei dann schließlich eine chronisch inflammatorisch demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) diagnostiziert worden. Die Erkrankung würde in Schüben auftreten, welche jeweils mit Cortison hätten behandelt werden müssen. Vor den Impfungen vom ….06.2021 und vom ….08.2021 sei der Kläger vollständig gesund gewesen. Ein vormals diagnostizierter Bluthochdruck, sowie eine Adipositas hätten nichts mit der Erkrankung an CIDP zu tun. Der Kläger behauptet, dass die CIDP auf den, von der Beklagten in den Verkehr gebrachten Impfstoff zurückzuführen sei. Der Impfstoff Comirnaty würde jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt für die Gesamtheit der Anwender ein negatives Nutzen-Risiko-Profil aufweisen. So sei Comirnaty nicht dazu in der Lage, vor schweren Verläufen einer Covid-19 Infektion zu schützen. Auf der anderen Seite seien die Risiken des Impfstoffs durchaus erheblich. Konkret würde sich dies aus einer im Internet unter dem Link „https://onlinelibrary.wiley.eom/doi/epdf/10.1 111/ene.15811“ abrufbaren, im Juli 2023 veröffentlichten Studie aus Italien ergeben, welche negative Wirkungen des Impfstoffs Comirnaty auf CIDP-Erkrankungen belegen würde. Die Beklagte hätte somit ein Arzneimittel mit schädlichen Wirkungen in den Verkehr gebracht und den Kläger hierdurch geschädigt. Darüber hinaus hätte die Beklagte in den Produktinformationen zum Impfstoff Comirnaty nicht auf das CIPD Risiko hingewiesen und sei auch deshalb zur Zahlung von Schmerzensgeld zu verurteilen. Hätte die Beklagte den Kläger vor der Impfung über das Risiko einer CIPD-Erkrankung unterrichtet, hätte sich der Kläger nicht impfen lassen.
5
Der Kläger beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, mindestens aber 25.000,00 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängkeit der Klage
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu erstatten aus den Schutzimpfungen des Klägers vom ….08.2021 und ….06.2021.
6
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
7
Die Beklagte behauptet, dass der Impfstoff Comirnaty ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen würde. Es habe eine sorgfältige Prüfung aller verfügbaren Studiendaten und aller sonstigen relevanten Informationen durch die EMA und die Europäische Kommission stattgefunden. Insbesondere hätte der CHMP bei seiner Empfehlung vom 30.08.2023 auch ausdrücklich erklärt, alle verfügbaren Daten zu Comirnaty, einschließlich Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit, geprüft zu haben. Der Nutzen des Impfstoffs überwiege die möglichen Risiken daher deutlich. Seit dem Inverkehrbringen im Jahr 2020 werde der Impfstoff ständig auf Sicherheit und Nebenwirkungen überwacht. Während der vorläufigen Zulassung seien keine Daten zu Tage getreten, die Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis haben könnten. Die Zulassung stelle zudem einen Verwaltungsakt dar, welcher im Zivilprozess Tatbestandswirkung entfalte und somit einer Überprüfung durch die Zivilgerichte entzogen sei. Auch hätten die Fach- und Gebrauchsinformationen jederzeit dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprochen. Die Texte seien mit der jeweiligen Zulassungsbehörde abgestimmt gewesen. Darüber hinaus sei der Vortrag des Klägers zu seinem gesundheitlichen Zustand vor und nach der Impfung nicht hinreichend substantiiert und würde nicht der erweiterten Darlegungslast im Arzneimittelhaftungsverfahren genügen. Die vom Kläger behauptete Erkrankung an CIPD würde sich nicht einmal aus den vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen zweifelsfrei und konkret ergeben. Auch der Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei nicht substantiiert dargelegt, insbesondere bliebe der zeitliche Zusammenhang unklar. Auf eine dahingehende gesetzliche Vermutung könne sich der Kläger in der vorliegenden Konstellation nicht berufen.
8
Das Gericht hat den Kläger im Termin vom 14.08.2025 informatorisch angehört.
9
Zur Ergänzung des Parteivortrags wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.08.2025, sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
A.
11
Die Klage ist zulässig.
12
I. Das gem. § 256 abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt bezüglich des Antrags zu Ziffer 2 vor. Bei einer positiven Feststellungsklage ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn der Beklagte ein Recht des Klägers oder dessen rechtliche Lage verletzt hat, oder das Vorliegen der Rechtsposition ernstlich bestreitet und dadurch eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit für die Rechtsposition droht, die durch das erstrebte Urteil beseitigt werden kann. Die Frage des rechtlichen Interesses ist unabhängig von der materiellen Rechtslage zu prüfen (Anders/Gehle/Anders, 83. Aufl. 2025, ZPO § 256 Rn. 30, beck-online). Bei reinen Vermögensschäden ist die Ersatzpflicht feststellbar, wenn noch kein Schaden entstanden, aber der Schadenseintritt wahrscheinlich ist; dann ist ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 I zu bejahen (Anders/Gehle/Anders, 83. Aufl. 2025, ZPO § 256 Rn. 24, beck-online). Insoweit ist ein großzügiger Maßstab anzulegen.
13
II. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit ergeben sich aus §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG und § 94a Abs. 1 AMG sowie § 32 ZPO.
B.
14
Die Klage ist allerdings unbegründet.
15
I. Die vom Kläger geltend gemachten Schmerzensgeld- und Feststellungsansprüche ergeben sich nicht aus § 84 Abs. 1, Abs. 2 AMG.
16
Nach § 84 Abs. 1 S. 1 AMG ist ein pharmazeutischer Unternehmer, der ein Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat, dem Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet, wenn dieser infolge der Anwendung des Arzneimittels nicht nur unerheblich in seiner Gesundheit verletzt wird und nach S. 2 Nr. 1 das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein, nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, oder nach Nr. 2 der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist.
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1. Das Gericht hält es auf der Grundlage der als Anlage zum Schriftsatz vom 29.04.2025 vorgelegten Impfbescheinigung für erwiesen, dass dem Kläger am ….06.2021 und am ….08.2021 der Impfstoff Comirnaty verabreicht worden ist.
18
2. Die Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG setzt allerdings voraus, dass die, beim bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels auftretenden schädlichen Wirkungen aus medizinischer Sicht unvertretbar sind. Die medizinische Unvertretbarkeit ist anhand einer Risiko-Nutzen-Abwägung zu ermitteln, wobei die therapeutischen Wirkungen eines Arzneimittels mit den schädlichen Wirkungen desselben verglichen werden. Überwiegt der therapeutische Nutzen die Risiken, so sind die schädlichen Wirkungen als medizinisch vertretbar anzusehen. Bei der Prüfung der Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen werden nicht nur die im konkreten Fall eingetretenen Schäden berücksichtigt, sondern es wird eine abstrakte Risiko-Nutzen-Abwägung vorgenommen, bei der sämtliche schädlichen Wirkungen erfasst werden. (BeckOGK/Franzki, 1.2.2025, AMG § 84 Rn. 83, beck-online)
19
Die vorgenannten Maßstäbe zugrunde gelegt, ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Impfstoff der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt als positiv zu bewerten (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 10.07.2024 – 5 U 1375/23; OLG München, Verfügung vom 12.12.2024, 14 U 3100/24e; OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.11.2024 – 14 U 2313/24e, OLG Koblenz (5. Zivilsenat), Urteil vom 12.02.2025 – 5 U 738/24 Rn. 18, BeckRS 2025, 2026).
20
Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (OLG Koblenz (5. Zivilsenat), Urteil vom 12.02.2025 – 5 U 738/24 Rn. 18, BeckRS 2025, 2026, beck-online)
21
Das OLG Koblenz (5. Zivilsenat), Urteil vom 12.02.2025 – 5 U 738/24 Rn. 18, BeckRS 2025, 2026 führt insoweit zutreffend aus:
22
(1) Dies steht fest aufgrund der Tatbestandswirkung des Durchführungsbeschlusses der Europäischen Kommission vom 10.10.2022 zur unbedingten Zulassung des Impfstoffs (Anlage B3), der den Beschluss vom 21.12.2020 über die bedingte (außerordentliche) Zulassung bestätigte (vgl. Erwägungsgründe (1) ff. des Beschlusses vom 10.10.2022).
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(1.1) Der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 12.02.2008 – C-199/06, juris Rn. 60) gestattet es insbesondere anderen europäischen und nationalen Behörden sowie Gerichten in nachfolgenden Verfahren von der Tatbestandswirkung dieses europäischen Rechtsakts auszugehen, das heißt in nachfolgenden Verfahren bei der Rechtsprüfung das tatbestandliche Vorliegen einer rechtswirksamen Zulassung festzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, Rn. 205-206).
24
Mit der Feststellung der rechtswirksamen Zulassung wird inzident das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses festgestellt, da ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis Tatbestandsvoraussetzung der Zulassung eines Arzneimittels ist, gleichgültig, ob auf nationaler oder europäischer Ebene, und zwar sowohl für die bedingte (außerordentliche) Zulassung gemäß Art. 14-a Abs. 3 Verordnung (EG) 726/2004 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 lit. a) Verordnung (EG) 507/2006 als auch für die ordentliche, fünf Jahre gültige Zulassung, Art. 14-a Abs. 8 Verordnung (EG) 726/2004.
25
Die Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses war mithin wesentliche Voraussetzung sowohl für die bedingte Zulassung des Impfstoffs als auch für die Erteilung der unbedingten Zulassung, so dass mit den Zulassungsentscheidungen der EU-Kommission vom 21.12.2020 und vom 10.10.2022 zugleich das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis mit Bindungswirkung auch für die Zivilgerichte festgestellt wurde (zum Umfang der Tatbestandswirkung vgl. auch BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245-280, Rn. 12; wie hier auch LG Frankfurt, Urteil vom 14.02.2024 – 2-12 O 264/22, juris Rn. 12; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit allein in Bezug auf die Zulassungsentscheidung: BVerwG, Beschluss vom 07.07.2022 – 1 WB 2/22, BVerwGE 176, 138-211, juris Rn. 206 unter Bezugnahme auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.10.2009 – 1 BvR 3522/08, juris Rn. 50).
26
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht nach umfassender eigener Prüfung an.
27
Vorliegend kommt hinzu, dass die vom Kläger ins Feld geführte italienische Studie, welche eine Begünstigung von CIPD-Erkrankungen belegen soll, nicht vorgelegt wurde und daher auch nicht geprüft werden konnte. Die zuletzt innerhalb nachgelassener Schriftsatzfrist im Schriftsatz vom 04.09.2025 angegebene Internetseite konnte durch das Gericht nicht aufgerufen werden, wobei Internetrecherchen des erkennenden Gerichts ohnehin kaum mit dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz in Einklang zu bringen wären.
28
Es kann daher weder festgestellt werden, ob die benannte Studie überhaupt den hier gegenständlichen Impfstoff betraf und ob die untersuchten Personen möglicherweise an anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen litten. In diesem Zusammenhang konnte die Klägerseite auch nicht darlegen, dass etwaige für den hiesigen Fall relevante Ergebnisse der Studie nicht in die Risikobewertungen des CHMP eingeflossen wären. Wie sich aus der als Anlage B 15 vorgelegten Meldung der EMA vom 30.08.2023 ergibt, hat das CHMP bei seiner Entscheidung, die Zulassung zu empfehlen, alle verfügbaren Daten zu Comirnaty und seinen anderen adaptierten Impfstoffen, einschließlich Daten zur Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität (also die Fähigkeit Immunreaktionen auszulösen) berücksichtigt. Somit spricht bereits viel dafür, dass die im Juli 2023 veröffentlichte Studie zum Zeitpunkt der Zulassungsempfehlung der EMA vom 30.08.2023 bekannt war und in die dortige Nutzen-Risiko-Analyse einbezogen worden ist.
29
Darüber hinaus kamen auch das Oberlandesgericht Koblenz (Urteil vom 12.02.2025 – 5 U 738/24 Rn. 28 ff, BeckRS 2025, 2026) sowie das Oberlandesgericht München (Verfügung vom 12.12.2024 – 14 U 3100/24 e, BeckRS 2024, 36083) jeweils aufgrund einer eigenen umfassenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des streitgegenständlichen Impfstoffs nach den von den Parteien vorgetragenen Tatsachen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung projiziert auf den Zeitpunkt der Impfung positiv ist.
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3. Auch die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG liegen hier nicht vor.
31
Die Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG setzt – anders als nach Nr. 1, in dessen Rahmen lediglich zu prüfen ist, ob die Gesundheitsverletzung auf der unvertretbaren Wirkung des Arzneimittels beruht – eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein (OLG München (14. Zivilsenat), Verfügung vom 12.12.2024 – 14 U 3100/24 e, BeckRS 2024, 36083).
32
Ein Kausalzusammenhang ist daher abzulehnen, wenn der Anwender oder der anwendende Arzt die Arzneimittelinformation gar nicht zur Kenntnis genommen hat (BeckOGK/Franzki, 1.2.2024, AMG § 84 Rn. 58).
33
Der Kläger hat vorliegend lediglich pauschal vorgetragen, dass die Schäden auch wegen einer fehlerhaften Instruktion eingetreten seien. Denn wäre der Kläger über das angebliche CIPD-Risiko informiert gewesen und hätte den potenziellen Schadensumfang und die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts gekannt, hätte er sich nicht impfen lassen.
34
Dagegen wurde nicht substantiiert vorgetragen, dass der Kläger die Fach- und Gebrauchsinformationen vor seinen Impfungen überhaupt gelesen oder der Impfarzt die Fach- und/oder Gebrauchsinformation gelesen und in Kenntnis der dort aufgelisteten Risiken und in Abwägung mit den bei ihm bestehenden gesundheitlichen Gegebenheiten mit ihr das Für und Wider der Impfung erörtert hätte. Zumindest dies wäre aber im Falle einer Impfung, bei der der Patient das Arzneimittel in aller Regel nicht selbst anwendet, sondern von einem Arzt verabreicht bekommt, notwendig gewesen (OLG Koblenz ebd). Die Gebrauchsinformation ist nicht der Aufklärungszettel, den der Impfling bekommt, sondern ein Text, der sich an den Fachmann (hier: den Impfarzt) wendet (s. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.11.2024 – 14 U 2313/24 e).
35
Demnach kann die Fach- und Gebrauchsinformation schon aus diesem Grund keinen Einfluss auf die Entscheidung des Klägers gehabt haben, welcher im Rahmen seiner informatorischen Anhörung im übrigen angegeben hat, sich zum Zeitpunkt der Impfungen wenig skeptisch gezeigt zu haben.
36
Hinzu kommt, das die vom Kläger behauptete CIPD-Begünstigung des Impfstoffes erst im Rahmen einer im Juli 2023 veröffentlichten Studie bekannt geworden sein soll. Selbst wenn sich in diesem Zusammenhang eine Informationspflicht der Beklagten ergeben hätte, wäre dieser Umstand zum maßgeblichen Zeitpunkt der Impfungen im Jahr 2021 daher noch keine Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft gewesen.
37
4. Auf die Frage, ob sich der Kläger auf die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG berufen kann und hierzu ausreichend vorgetragen hat, kommt es wegen des Haftungsausschlusses nach § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG nicht an.
38
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keine Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB.
39
Einer Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB scheitert aufgrund der obigen Ausführungen, auf die Bezug genommen wird, schon daran, dass das Vorliegen einer rechtswidrigen, kausalen Verletzungshandlung der Beklagten nicht ersichtlich ist.
40
Der Impfstoff der Beklagten wurde auf Grundlage einer zunächst bedingten, dann einer regulären Zulassung durch die zuständigen Behörden in Umlauf gebracht. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffes wird von den zuständigen Aufsichtsbehörden nach wie vor uneingeschränkt positiv bewertet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass zum Zeitpunkt der Abgabe des streitgegenständlichen Impfstoffs an den Kläger ein ernst zu nehmender Verdacht der Beklagten für ein erhöhtes Risiko bezüglich der aufgeführten Gesundheitsfolgen bestand.
41
III. Es bestehen auch keine Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte nach § 823 Abs. 2 BGB.
42
Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 5 AMG erfordert das Vorliegen eines bedenklichen Arzneimittels. Bedenklich sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 2 AMG diejenigen Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
43
Entsprechend der obigen Ausführungen ist für die Annahme einer Bedenklichkeit im Sinne von § 5 AMG (ähnlich wie bei § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG) die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels maßgeblich. Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln. Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall zugunsten der Nutzen des Impfstoffs aus (s.o.).
44
Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2. BGB i.V.m. § 95 AMG oder §§ 223, 224 StGB oder § 230 StGB scheitert ebenfalls daran, dass weder die Verletzung eines der Schutzgesetze, noch das Verschulden substantiiert dargelegt wurde und auch nicht ersichtlich ist.
45
IV. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
C.
46
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
47
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 2, S. 1 ZPO.
D.
48
Die Entscheidung zum Streitwert folgt aus §§ 48 Abs. 1, 43 GKG, §§ 3 ff. ZPO und beruht auf dem mit 25.000,00 € bezifferten Schmerzensgeldantrag, dem der Streitwert bzgl. des Feststellungs- und des Auskunftsantrags mit 5.000 € hinzuzuaddieren ist.