Titel:
Prozesskostenhilfe für den weiteren Beteiligten im Verfahren nach § 23 EGGVG
Normenketten:
EGGVG § 23
ZPO § 114 Abs. 1, § 121
Leitsätze:
1. Berechtigt, Prozesskostenhilfe zu beantragen, ist nicht nur der Antragsteller oder der Antragsgegner, sondern jeder, der am Verfahren förmlich beteiligt ist und darin eigene Rechte verfolgen kann. (Rn. 10) (red. LS Axel Burghart)
2. Die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts hängt einerseits von der Schwierigkeit der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie und andererseits von den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen gerade des Antragstellers ab. (Rn. 17) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Beiordnung eines Rechtsanwalts, rechtliches Gehör, Akteneinsicht
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27499
Tenor
Der Antrag der weiteren Beteiligten Y.L. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt XX wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Antragsteller sind seit […] 2018 die Pflegeeltern des […] 2017 geborenen Kindes und weiteren Beteiligten A.L. (im Folgenden auch „das Kind“). Sie begehrten Einsicht in die Akten eines beim Amtsgericht […] geführten, zwischenzeitlich abgeschlossenen Verfahrens wegen elterlicher Sorge. Beteiligte am Sorgerechtsverfahren waren das Kind und dessen leibliche Eltern Y.L. und S.L. Hintergrund des Akteneinsichtsgesuchs war ein weiteres Hauptsache- und ein Eilverfahren, in denen es um den Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern ging. Das Amtsgericht hörte die am Sorgerechtsverfahren Beteiligten zum Begehren der Antragsteller auf Einsichtnahme in die Verfahrensakten an. Y.L. widersprach dem Akteneinsichtsgesuch mit anwaltlichem Schriftsatz vom 5. März 2025. Die Sorgerechtsakte enthalte sensible Daten der leiblichen Eltern und auch des Kindes. Abzuwägen sei einerseits das Recht der Eltern auf informationelle Selbstbestimmung und andererseits das Recht der Pflegeeltern, ihre Rechte wahrzunehmen. Das „Wechselmodell“ sei höchstrichterlich im Rahmen des Umgangs angesiedelt; Kenntnisse zur sorgerechtlichen Situation seien nicht erforderlich. Darüber hinaus berücksichtige das Gericht von Amts wegen die Interessen des Kindes und die Fragen des Kindeswohls. Die Pflegeeltern seien nicht die Sachwalter des Kindes.
2
Mit Bescheid vom 14. April 2025 hat das Amtsgericht den Akteneinsichtsantrag der Antragsteller mit der Begründung zurückgewiesen, diese hätten ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Allein der Vortrag, „nicht zu wissen, woran man ist, woran das Kind ist und wie es weitergeht …“, stelle keine Begründung für ein Akteneinsichtsgesuch dar. Unabhängig davon sei die Übersendung des Gutachtens auch nicht erforderlich. Denn es stelle lediglich die für die Entscheidung über die elterliche Sorge notwendigen Tatsachen fest. Im parallel anhängigen Verfahren (Verbleibensantrag), an dem die Pflegeeltern formell beteiligt seien, sei ein Gutachten zu den dort erheblichen Tatsachen erholt und den anwaltlichen Vertretern der Pflegeeltern übersandt worden. Unbeschadet dessen ergebe zudem die Abwägung des Akteneinsichtsrechts gegen die schutzwürdigen Interessen Dritter oder Beteiligter, dass schutzwürdige Interessen insbesondere der Kindesmutter der Akteneinsicht entgegenstünden. Diese sei mit der Akteneinsicht nicht einverstanden.
3
Mit Schriftsatz vom 28. April 2025, bei Gericht eingegangen am 29. April 2025, haben die Antragsteller einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Bayerischen Obersten Landesgericht gestellt und ihn u. a. damit begründet, dass sich die in den verschiedenen familiengerichtlichen Verfahren bestellte gerichtliche Sachverständige widersprüchlich geäußert habe, was aufzuklären sei. Im weiteren Verfahren haben die Antragsteller ihr Akteneinsichtsbegehren auf das Gutachten der Sachverständigen vom 7. November 2024 beschränkt.
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Mit Verfügung vom 27. Juni 2025 hat der Senat das Kind sowie die leiblichen Eltern am Verfahren auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG beteiligt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Es ist außerdem darauf hingewiesen worden, dass das Vorbringen der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht begründen könne.
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Die leibliche Mutter Y.L. hat sich, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, mit Schriftsatz vom 8. Juli 2025 geäußert und beantragt, ihr Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts zu gewähren. In der Sache hat sie erklärt, es werde davon ausgegangen, dass kein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht mehr bestehe. Das Familiengericht treffe seine Beschlüsse aufgrund der jeweils letzten vorliegenden Erkenntnisse, die in öffentlicher mündlicher Verhandlung gesammelt würden. Alle Beteiligten hätten ausreichend Gelegenheit, sich in der mündlichen Verhandlung zu positionieren. Unbehelflich sei der Vortrag der Antragsteller, die Sachverständige habe sich in der Vergangenheit anders geäußert. Naturgemäß sei eine Begutachtung ein dynamischer Prozess und das Ergebnis auch Wechseln unterzogen. Dadurch würden ältere Anfangstatsachen bzw. Wertungen gegebenenfalls überlagert. Allenfalls könne ein rechtliches Interesse daraus resultieren, dass in dem Gutachten vom 7. November 2024, an dem die Antragsteller mitgewirkt hätten, über sie gespeicherte Daten enthalten seien. Insoweit könne der Ausschnitt, der sich mit den Antragstellern befasse, für sie durchaus einsehbar sein.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Juli 2025 den Bescheid des Amtsgerichts vom 14. April 2025 aufgehoben, soweit Einsicht in das psychologische Gutachten der Sachverständigen N. vom 7. November 2024 abgelehnt worden ist. Das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft ein berechtigtes Interesse der Antragsteller als Dritte auf Gewährung von Einsicht in das Gutachten vom 7. November 2024 verneint. Die Antragsteller hätten dargetan und glaubhaft gemacht, dass sich das fragliche Gutachten auch mit der Frage des Verbleibs des Kindes bei den Pflegeeltern befasse und dies gerade auch der Streitpunkt in dem familiengerichtlichen Verfahren um den Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern sei. Sie hätten zudem mögliche Widersprüche zwischen den gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen aufgezeigt. Der Antragsgegner ist angewiesen worden, den Antrag der Antragsteller auf Einsicht in dieses Gutachten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
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Der Antrag der weiteren Beteiligten L. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H1. ist abzulehnen.
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1. Auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht sind ebenso wie für das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof gemäß § 29 Abs. 4 EGGVG die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden (vgl. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 11. Aufl. 2025, § 29 EGGVG Rn. 1; Nordmeyer in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl. 2025, § 29 EGGVG Rn. 4; Köhnlein in BeckOK GVG, 28. Ed. Stand 15. August 2025, § 29 EGGVG Rn. 25; Pabst in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 29 EGGVG Rn. 10).
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2. Gemäß § 114 Abs. 1 ZPO ist einer bedürftigen Partei auf deren Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. § 121 ZPO regelt die weiteren Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich ein weiterer Beteiligter ohne Kostenrisiko und ohne anwaltliche Vertretung im Verfahren nach § 23 EGGVG äußern kann, weswegen nur dann eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts in Betracht kommt, wenn aufgrund besonderer Umstände eine anwaltliche Vertretung angezeigt erscheint. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
10
a) Der in § 114 ZPO verwendete Begriff der „Partei“ ist weit auszulegen. Antragsberechtigt ist demnach nicht nur der Antragsteller oder der Antragsgegner, sondern jeder, der am Verfahren förmlich beteiligt ist und darin eigene Rechte verfolgen kann (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008, IX ZB 41/07, NJW-RR 2008, 1271 [juris Rn. 13]; Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl. 2025, § 114 Rn. 2). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die leibliche Mutter Y.L. erfüllt.
11
Der Senat hat sie am Verfahren nach § 23 EGGVG förmlich beteiligt, um ihr rechtliches Gehör zu der von den Antragstellern beantragten Abänderung des die Akteneinsicht ablehnenden Bescheids des Amtsgerichts zu gewähren. Das Sachverständigengutachten vom 7. November 2024, in das die Antragsteller als nicht am Verfahren Beteiligte Einsicht begehrten, enthielt potenziell schützenswerte personenbezogene Daten der leiblichen Mutter. Der Ausgang des Verfahrens nach § 23 EGGVG konnte sie damit in ihrer Rechtsstellung materiell betreffen, weil die Möglichkeit bestand, dass eine ihr günstige Entscheidung aufgehoben wird.
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b) Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen einem weiteren Beteiligten im Verfahren nach § 23 EGGVG Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, ist der Regelungszweck der §§ 114 ff. ZPO zu berücksichtigen.
13
Das Institut der Prozesskostenhilfe hat die Funktion, Bemittelte und Unbemittelte bei der Ausübung des rechtlichen Gehörs und des Zugangs zum Gericht gleichzustellen, wobei eine vollständige Gleichstellung nicht geboten ist (std. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 2025, 1 BvR 422/24, juris Rn. 16 m. w. N). Es genügt, dass der Unbemittelte alle Möglichkeiten hat, von denen ein verständiger Bemittelter Gebrauch machen würde, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 2019, 2 BvR 1813/18, juris Rn. 24 m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 VA 40/19, juris Rn. 12) .
14
Anders als der Antragsteller hat ein weiterer Beteiligter, der zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs in einem laufenden Verfahren nach § 23 EGGVG vom Gericht Gelegenheit zur Stellungnahme erhält, mangels entsprechender Kostenvorschriften keinerlei Risiko, mit Gerichtskosten belastet zu werden, wenn er sich im Verfahren äußert. Ebenso wenig besteht für ihn die Gefahr, Kosten anderer Verfahrensbeteiligter übernehmen zu müssen. Da für das Verfahren nach § 23 EGGVG kein Anwaltszwang besteht, benötigt ein weiterer Beteiligter grundsätzlich auch keine anwaltliche Vertretung, um die ihm gewährte Möglichkeit zur Stellungnahme wahrzunehmen. Die Teilnahme eines weiteren Beteiligten am Verfahren nach § 23 EGGVG hängt damit nicht von seinen finanziellen Mitteln ab. Jedenfalls in Bezug auf Gerichtskosten und etwaige Kosten anderer Verfahrensbeteiligter besteht schon kein Ungleichgewicht zwischen der Situation eines Unbemittelten und derjenigen eines Bemittelten, das durch Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausgeglichen werden müsste.
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c) Es stellt sich damit nur die Frage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für etwaige Kosten, die einem weiteren Beteiligten durch die Mandatierung eines eigenen Rechtsanwalts entstehen können. § 121 Abs. 2 ZPO regelt, dass in Fällen, in denen eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist, der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet wird, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.
16
aa) Die letztgenannte Alternative, die Ausfluss des Grundsatzes der Waffengleichheit ist, ist auf den reinen Parteiprozess zugeschnitten und kann deshalb auf Verfahren, in denen die Stellung der Beteiligten grundlegend anders ausgestaltet ist, keine entsprechende Anwendung finden (Reichling in BeckOK ZPO, 57. Ed. Stand 1. Juli 2025, § 121 Rn. 28 m. w. N.). Hierzu ist vorliegend festzustellen, dass sich zwar Antragsteller und weitere Beteiligte in einem Verfahren nach § 23 EGGVG in einem Interessengegensatz befinden können, diese sich aber nicht als prozessuale Gegner gegenüberstehen. Vielmehr ist Antragsgegner im Verfahren nach § 23 EGGVG der Freistaat Bayern, der durch die Generalstaatsanwaltschaft vertreten wird (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern). Die Tatsache, dass die Antragsteller im vorliegenden Fall anwaltlich vertreten waren, rechtfertigt damit (noch) nicht, der weiteren Beteiligten Y.L. einen Rechtsanwalt beizuordnen.
17
bb) Die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung gemäß § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO beurteilt sich danach, ob Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der Sache Anlass zu der Befürchtung geben, der Antragsteller werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen und die notwendigen Maßnahmen in mündlicher oder schriftlicher Form zu veranlassen. Die Notwendigkeit der Beiordnung hängt somit einerseits von der Schwierigkeit der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie und andererseits von den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen gerade des Antragstellers ab (BGH, Beschluss vom 9. August 2012, VII ZB 84/11, NJW-RR 2012, 1152, Rn. 7 m. w. N.; Dunkhase in Anders/Gehle, ZPO, § 121 Rn. 46; Kießling in Saenger, ZPO, 10. Aufl. 2023, § 121 Rn. 9; Fischer in Musielak/Voit, ZPO, § 121 Rn. 11).
18
Ausgehend von diesen Grundsätzen kann eine Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung für die weitere Beteiligte Y.L. nicht festgestellt werden. Die Frage, ob sie Einwände gegen die begehrte Akteneinsicht der Pflegeeltern erhebt, war nicht neu, sondern bereits Gegenstand der Anhörung vor dem Amtsgericht. Ihr anwaltlicher Vertreter hatte hierzu einen Schriftsatz eingereicht, der weder umfangreich war noch Erörterungen zu rechtlich schwierigen Fragen enthielt. Verwiesen wurde zum einen auf die in den Akten enthaltenen sensiblen Daten der Mandantschaft, zum anderen auf die Verantwortung des Gerichts in familienrechtlichen Streitigkeiten. Es war der leiblichen Mutter ohne weiteres möglich, diese Aspekte, die im anwaltlichen Schriftsatz vom 8. Juli 2025 im Wesentlichen wiederholt werden, im Verfahren nach § 23 EGGVG (erneut) ohne anwaltlichen Beistand vorzubringen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die leibliche Mutter aufgrund ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Interessen als weitere Beteiligte ohne anwaltliche Vertretung wahrzunehmen.