Titel:
			Außergerichtliche Kosten, Kostenentscheidung, Widerspruchsverfahren, Untätigkeitsklage, Verfahrensbeendigung, Ausgangsbehörde, Zureichender Grund, Widerspruchsbehörde, Beiladung, Klageerhebung, Widerspruchsbescheid, Klageverfahren, Beendigung des Verfahrens, Angemessene Frist, Erstattung, Billiges Ermessen, Prozeßbevollmächtigter, Entscheidung in der Hauptsache, Verwaltungsakt, Bisheriger Sach- und Streitstand
			Leitsatz:
			Bei einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG ist die Untätigkeit der Ausgangsbehörde im Rahmen der Kostenentscheidung der Widerspruchsbehörde zuzurechnen. Eine Beiladung der Ausgangsbehörde nach Verfahrensbeendigung kommt nicht in Betracht.
			Schlagworte:
			Untätigkeitsklage, Widerspruchsbescheid, Sozialgericht, Erledigungserklärung, außergerichtliche Kosten, organisatorische Vorkehrungen, Erfolgsaussichten
			Fundstelle:
			BeckRS 2025, 27493
		 
		 
		Tenor
		
			
			Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
		 
		Gründe
		
		
			1
			Mit Bescheid vom 01.08.2024 lehnte es der Landkreis C. – Sozialwesen gegenüber der Klägerin ab, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Form von Sozialhilfe für Ausländer für den Zeitraum 01.07.2023 bis 03.09.2023 zu erbringen.
		 
		
			2
			Hiergegen legte die Klägerin am 20.08.2024 Widerspruch ein mit dem Antrag, den Bescheid dahingehend abzuändern, dass im Zeitraum 01.07.2023 bis einschließlich 03.09.2023 Leistungen bewilligt werden.
		 
		
			3
			Am 16.01.2025 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sie hat beantragt, den Beklagten zu verpflichten, einen Widerspruchsbescheid hinsichtlich des Widerspruchs vom 20.08.2024 gegen den Bescheid des Landkreises C. vom 01.08.2024 zu erlassen.
		 
		
			4
			Am 03.03.2025 hat der Beklagte über den Widerspruch entschieden. Daraufhin hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, mit Schriftsatz vom 07.03.2025 den Rechtsstreit für erledigt erklärt und beantragt,der Gegenseite die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
		 
		
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			Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.03.2025 hierzu geäußert, dass ihm zum Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage am 16.01.2025 keinerlei Unterlagen bezüglich des betreffenden Widerspruchsverfahrens vorgelegen hätten. Die betreffenden Unterlagen seien ihm durch das Landratsamt C. erst am 13.02.2025 zur Prüfung übermittelt worden. Der Vorgang sei ihm somit erst nach Ablauf der Frist zur Entscheidung von 3 Monaten gemäß § 88 Abs. 2 SGG zugeleitet worden. Es habe für ihn nicht die Möglichkeit bestanden, innerhalb dieser Frist zu entscheiden. Daher vertrete er die Auffassung, dass die Kosten vom Landratsamt C. zu übernehmen seien. Von seiner Seite bestünde kein Einverständnis, die Kosten zu übernehmen.
		 
		
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			Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
		 
		
		
			7
			Nach § 193 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wird (S. 3).
		 
		
			8
			Die Klägerin hat den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 07.03.2025 für erledigt erklärt und damit das Verfahren beendet. Zugleich hat sie die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten durch den Beklagten beantragt. Über diesen Antrag hat das Gericht nach erfolgter Beendigung des Verfahrens durch Beschluss zu entscheiden.
		 
		
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			Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
		 
		
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			Das Gericht trifft seine Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage und die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 193 Rn. 13).
		 
		
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			Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze entsprach es billigem Ermessen, den Beklagten zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu verpflichten.
		 
		
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			Nach § 88 Abs. 1 S. 1 SGG ist eine Untätigkeitsklage, falls ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Das gleiche gilt, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt (§ 88 Abs. 2 SGG).
		 
		
			13
			Die Untätigkeitsklage der Klägerin hatte zum Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses am 03.03.2025 – Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin vom 20.08.2024 gegen den Bescheid des Landkreises C. vom 01.08.2024 durch Widerspruchsbescheid des Beklagten – Aussicht auf Erfolg.
		 
		
			14
			Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die dreimonatige Frist ab Einlegung des Widerspruchs vom 20.08.2024 nach § 88 Abs. 2 SGG bereits abgelaufen. Der Beklagte hat auch keinen zureichenden Grund genannt, weshalb er nicht innerhalb von 3 Monaten über den Widerspruch hätte entscheiden können. Soweit er darauf verweist, dass die Ausgangsbehörde ihm den Widerspruch erst nach Klageerhebung mit den betreffenden Unterlagen weitergeleitet habe, stellt dies keinen zureichenden Grund dar (vgl. B. Schmidt a.a.O., § 88 Rn. 7b). Vielmehr obliegt es der Widerspruchsbehörde, organisatorische Vorkehrungen für die rechtzeitige Information über Widerspruchsverfahren zu treffen, die nicht innerhalb des von § 88 Abs. 2 SGG vorgegebenen zeitlichen Rahmens zu einem Abschluss gebracht werden. Sie kann dann die Entscheidungskompetenz im Sinne des § 85 Abs. 2 Satz 1 SGG gegebenenfalls betreiben (LSG Sachsen-Anhalt v. 04.04.2011 – L 8 B 13/07 AY, juris Rn. 23; so auch Claus in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 88 SGG Rn. 72). Es würde dem Normzweck des § 88 Abs. 2 SGG widersprechen, wenn Organisationsmängel im Ablauf des Vorverfahrens auf Seiten der Behörden gegenüber dem Widerspruchsführer einen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung seines Widerspruchs in angemessener Frist darstellen würden. Der Widerspruchsbehörde ist es allerdings unbenommen, andere – zureichende – Gründe auch aus dem Bereich der Ausgangsbehörde zu benennen, weshalb eine Verbescheidung des Widerspruchs in angemessener Frist nicht möglich gewesen ist. Solche Gründe wurden im vorliegenden Verfahren vom Beklagten aber nicht dargelegt.
		 
		
			15
			Soweit der Beklagte geltend macht, dass die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin von der Ausgangsbehörde zu übernehmen seien, kommt eine entsprechende Kostenentscheidung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Ausgangsbehörde am Klageverfahren nicht beteiligt (vgl. § 69 SGG) ist. Eine Beiladung der Ausgangsbehörde nach § 75 SGG kommt nach Verfahrensbeendigung nicht in Betracht (a.A. SG München v. 29.01.2021 – S 46 SO 3/20, juris). Zum einen setzt § 75 SGG in allen Varianten für eine Beiladung voraus, dass eine Entscheidung des Gerichts noch ergehen kann. Dabei ist nach Wortsinn, Normzweck und systematischem Zusammenhang offensichtlich eine Entscheidung in der Hauptsache gemeint. Eine Entscheidung in der Hauptsache kann aber nach Verfahrensbeendigung nicht mehr ergehen. Zum anderen ergeht die Kostenentscheidung nach § 193 SGG bei Beendigung des Verfahrens zwischen den Beteiligten, also zwischen denjenigen, die im Zeitpunkt der Beendigung i.S.d. § 69 SGG am Klageverfahren beteiligt waren.
		 
		
			16
			Der Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.