Titel:
Erblasser, Nachlaßgericht, Testamentserrichtung, Privatschriftliche Testamente, Testamentkopie, Widerruf eines Testamentes, Errichtung eines Testaments, Testamentsurkunde, Eigenhändiges Testament, Testamentarische, Originaltestaments, Erbscheinsantrag, Erteilung eines Erbscheins, Kostenentscheidung, Aufhebung, OLG Naumburg, Ermittlungspflicht, Gesetzliche Erbfolge, Erstattung außergerichtlicher Kosten, Beteiligte
Normenkette:
BGB § 133, § 2084, § 2247, § 2255
Leitsatz:
Zur Auslegung eines eigenhändigen Testaments, das Anordnungen für den Fall enthält, dass „auf den Reisen etwas passieren“ sollte in Richtung einer (hier verneinten) allgemeinen Schlusserbeneinsetzung.
Schlagworte:
Testamentserrichtung, Erbschaft, Nachlassgericht, Erbscheinsantrag, Widerruf, Bedingung, Erbfolge
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 10.12.2024 – 602 VI 10278/19
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27168
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts München – Nachlassgericht – vom 10.12.2024, Az. 602 VI 10278/19, aufgehoben.
2. Das Amtsgericht – Nachlassgericht – wird angewiesen, dem Beteiligten zu 2 einen Erbschein folgenden Inhalts zu erteilen:
„Es wird bezeugt, dass die am ... 1936 geborene und am ... 2019 verstorbene Erblasserin [Name der Erblasserin] von [Bruder der Erblasserin], geboren am ... 1945, nachverstorben am ... 2020, allein beerbt worden ist.“
Gründe
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Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos am ... 2019. Ihre Eltern sind vorverstorben. Der einzige Bruder, [Name], geboren am ... 1945, der mit Schreiben vom 23.07.2019 die Erbschaft nach seiner Schwester angenommen hatte, verstarb ledig und kinderlos am ... 2020. Der Beteiligte zu 2 ist am 29.07.2020 zum Nachlasspfleger für dessen unbekannte Erben bestellt worden.
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Der Vater des geschiedenen Ehemannes der Beteiligten zu 1 (Scheidung im Jahr 2012), war der Lebensgefährte der Erblasserin und verstarb 2006. Die Beteiligte zu 1 legte mit Schreiben vom 25.01.2022 die Kopie eines handschriftlich geschriebenen und unterschriebenen Testaments der Erblasserin folgenden Wortlauts vor:
„Mein letzter Wille Sollte mir und meinem Bruder auf den Reisen etwas passieren, ist Frau [Beteiligte zu 1] meine Alleinerbin.
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Die Beteiligte zu 1 trägt vor, das Originaltestament mit Schreiben vom 25.09.2020 an das Gericht gesandt zu haben. Dieses Schreiben mit Anlagen ist nicht zur Akte gelangt. Das Nachlassgericht hat am 20.03.2023 die Kopie der Verfügung von Todes wegen eröffnet.
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Mit notariellem Erbscheinsantrag vom 17.07.2023 beantragte der Beteiligte zu 2 einen Erbschein für den nachverstorbenen Bruder der Erblasserin als Alleinerben.
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In der nicht öffentlichen Sitzung vom 30.09.2024 hat das Nachlassgericht ein Foto des Testaments auf dem Mobiltelefon der Beteiligten zu 1 in Augenschein genommen und Zeugen zum Testament der Erblasserin vernommen.
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Mit Beschluss vom 10.12.2024 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. In der dagegen gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 2 vom 07.01.2025 benennt dieser einen weiteren Zeugen, der im Rahmen der Erbenermittlung im Nachlassverfahren nach dem Bruder der Erblasserin ausfindig gemacht worden sei. Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.01.2025 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses. Das Nachlassgericht hat zu Unrecht den Antrag des Beteiligten zu 2 auf Erteilung eines Erbscheins zurückgewiesen.
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1. Es ist davon auszugehen, dass die Erblasserin das Testament vom 12.11.2007 wirksam errichtet und nicht widerrufen hat.
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a) Die Fotokopie eines Testaments erfüllt als solche nicht die Anforderungen an ein formgültiges privatschriftliches Testament, denn es fehlt an den Voraussetzungen des § 2247 Abs. 1 BGB, der eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Erklärung, so dass allein aus einer Testamentskopie ein Erbrecht nicht abgeleitet werden kann. Im Einzelfall kann aber mit einer vorgelegten Kopie der Nachweis der formwirksamen Errichtung eines Testaments durch den Erblasser erbracht werden. Allerdings sind sowohl an das Vorhandensein eines entsprechenden Originals als auch an die Übereinstimmung der Kopie mit dem verschwundenen Original angesichts der Formstrenge des Erbrechts strenge Anforderungen zu stellen (OLG Hamburg, 2 W 49/16, BeckRS 2016, 15994; OLG Naumburg, 2 Wx 41/12, FamRZ 2014, 2029; OLG Naumburg, 2 Wx 60/11, FamRZ 2013, 246; OLG Schleswig, 3 Wx 27/13, NJW-RR 2014, 73; OLG Köln, 2 Wx 550/16, ErbR 2017, 342; OLG Karlsruhe, 11 Wx 78/14, BeckRS 2015, 18616). Eine Kopie des Originaltestamentes kann als Nachweis ausreichen, wenn mit ihr die formgerechte Errichtung des Originaltestamentes nachgewiesen werden kann (OLG Köln, 2 Wx 550/16, ErbR 2017, 342). Im Ergebnis unterliegt die Kopie einer angeblichen Testamentsurkunde der freien Beweiswürdigung, wobei an die Beweisführung strenge Anforderungen zu stellen sind (OLG Karlsruhe, 11 Wx 78/14, FamRZ 2016, 1007; OLG Naumburg 2 Wx 60/11, FamRZ 2013, 246).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Senat keinen Zweifel, dass tatsächlich ein Testament vom 12.11.2007 von der Erblasserin errichtet wurde.
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aa) Ausweislich der vorgelegten Kopie ist es handschriftlich geschrieben und mit dem Namenszug der Erblasserin unterzeichnet. Die Beteiligten wenden sich nicht dagegen, dass es sich bei der Schrift auf der Testamentskopie um die Handschrift der Erblasserin handelt, so dass an der Authentizität keine Zweifel bestehen. Zutreffend hat das Nachlassgericht die Aussagen der Zeugen gewürdigt, die nachvollziehbar und schlüssig das Vorliegen eines Originaltestaments bestätigt haben. Übereinstimmend schilderten die Zeugen, dass die Erblasserin ihnen gegenüber die Existenz des Testaments bestätigt habe. Soweit nur zwei der vier Zeugen angaben, das Originaltestament gesehen zu haben, steht das der Annahme eines ursprünglich wirksam in der Form des § 2247 Abs. 1 BGB errichten Testaments nicht entgegen.
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bb) Weiter zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Vernichtung des Originals des Testaments durch die Erblasserin und damit die Rechtsfolgen des § 2255 BGB nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lassen.
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(1) Im Falle der Vernichtung der Urkunde durch den Erblasser wird vermutet, dass er damit die Aufhebung des Testaments beabsichtigt hat (§ 2255 Satz 2 BGB). Dabei muss derjenige, der aus dem Widerruf eines Testaments Rechte herleiten will, diesen Widerruf beweisen (OLG München, 31 Wx 398/17, NJW-RR 2020, 390; Grüneberg/Weidlich, BGB, 85. Aufl. 2024, § 2255 Rn. 11). Ein nicht mehr vorhandenes Testament ist mithin nicht allein wegen seiner Unauffindbarkeit ungültig (Grüneberg/Weidlich a.a.O., § 2255 Rn. 9). Für die Vernichtung eines Testaments im Falle der Unauffindbarkeit spricht keine Vermutung, auch nicht dafür, dass es vom Erblasser vernichtet worden und deshalb gem. § 2255 BGB als widerrufen anzusehen ist (OLG Schleswig, 3 Wx 27/13, NJW-RR 2014, 73; MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 20; Staudinger/Baumann, BGB, Neubearb. 2022, § 2255 Rn. 43 ff. m.w.N.). Das Gericht muss positiv davon überzeugt sein, dass das Testament in Widerrufsabsicht durch den Erblasser vernichtet wurde. Für diesen Beweis genügt grundsätzlich, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (BGH, Urteil vom 14.01.1993, IX ZR 238/91, NJW 1993, 935), der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 16.04.2013, VI ZR 44/12, NJW 2014, 71). Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH, Urteil vom 12.01.1994, XII ZR 155/92, NJW 1994, 1348). Der Grundsatz der Amtsermittlung bedeutet nicht, dass das Gericht allen nur denkbaren Möglichkeiten von Amts wegen nachgehen müsste; eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht kann vielmehr dem Gericht nur auferlegt werden, soweit das Vorbringen der Beteiligten oder der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Überlegung sich aufdrängender Gestaltungsmöglichkeiten dazu Anlass gibt (BGH, Beschluss vom 05.07.1963, V ZB 7/63, BGHZ 40, 54 ff. Rn. 12 m. w. N.).
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(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist auch der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass die Erblasserin ihr Testament in Widerrufsabsicht vernichtet hat. Beweismittel, mit denen sich der Widerruf direkt beweisen ließe, insbesondere etwa die zerstörte Urkunde, sind nicht zutage getreten, so dass Schlüsse letztlich nur anhand von Indizien gezogen werden können. Der Senat schließt sich insbesondere der Würdigung des Nachlassgerichts an, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Testament nach dem Tod der Erblasserin abhandengekommen ist, insbesondere da die Beteiligte zu 1 und die Zeugen übereinstimmend vortrugen, dass die Beteiligte zu 1 das Originaltestament einige Monate nach dem Tod der Erblasserin bei sich fand und an das Nachlassgericht versandt habe. Auch hat das Nachlassgericht eine Fotografie des Testaments, die auf dem Mobiltelefon der Beteiligten zu 1 gespeichert war, in Augenschein genommen (Bl. 80 d. A.) und darauf Löcher im Papier und Knicke festgestellt, die die Aussage der Beteiligten zu 1 bestätigen, dass es sich hierbei um das Originaltestament handelt. Ein versehentlicher Verlust der Urkunde auf dem Postweg zum Nachlassgericht erscheint insoweit naheliegend.
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cc) Von weiteren Ermittlungen ist kein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis zu erwarten. Greifbare Anhaltspunkte, dass ein im Nachlassverfahren des Bruders ermittelter Cousin des Bruders, der im ermittelten Umfeld der Erblasserin keinerlei Erwähnung fand, Aussagen zum Testament der Erblasserin treffen könnte, bestehen nicht.
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2. Die Auslegung des Testaments ergibt, dass die Erblasserin die Alleinerbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 an die Bedingung geknüpft hat, dass zum Zeitpunkt ihres Versterbens ihr Bruder mit- oder vorverstorben ist.
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a) Zutreffend hat das Nachlassgericht die Formulierung „Sollte mir und meinem Bruder auf den Reisen etwas passieren“ als auslegungsbedürftig angesehen. Wenn der Text eines Testaments in der Form eines Konditionalsatzes auf die Umstände der Errichtung Bezug nimmt und der Erblasser das Testament später trotz geänderter Umstände nicht widerruft bzw. neu testiert, stellt sich die Frage, ob der Erblasser die Wirksamkeit seiner Anordnungen von einer Bedingung abhängig machen oder nur den Anlass der Testamentserrichtung beschreiben wollte (OLG München, 31 Wx 244/11, FamRZ 2012, 1976 ff. m. w. N.; KG, 6 W 10/18, ErbR 2018, 450 m. w. N.). So kann etwa in der in einem Testament enthaltenen Bezugnahme des Erblassers auf seinen Tod bei einer bestimmten Gelegenheit eine echte Bedingung für die in dem Testament verfügte Zuwendung liegen (BayObLG, Beschluss vom 20.07.1993, 1Z BR 63/92, juris Rn. 17 m.w.N.).
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Entscheidend ist die Auslegung. Ist der Wille des Erblassers erkennbar, die Wirksamkeit der Verfügung mit dem angegebenen, für ungewiss gehaltenen Umstand unmittelbar zu verknüpfen, so handelt es sich um eine echte Bedingung. Lässt der Inhalt der Anordnungen dagegen keinen Zusammenhang mit der Todesart oder dem Todeszeitpunkt des Erblassers erkennen, so kann angenommen werden, dass die Anordnungen auch dann gelten sollen, wenn der Erblasser unter anderen Umständen stirbt als denen, die ihn zum Testieren veranlasst haben (BayObLG, Beschluss vom 24.01.2003, 1Z BR 14/02, juris Rn. 30 m. w. N.).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die letztwillige Verfügung der Erblasserin dahin auszulegen, dass die Beteiligte zu 1 nur für den Fall, dass die Erblasserin und ihr Bruder auf einer Reise versterben, als Alleinerbin eingesetzt ist. Da dieser Fall nicht eingetreten ist, ist gesetzliche Erbfolge eingetreten.
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aa) Die Erblasserin war bei Errichtung des fraglichen Testaments unverheiratet, kinderlos und bereits 71 Jahre alt, ihre Eltern waren vorverstorben. Ihr einziger naher Angehöriger war ihr 9 Jahre jüngerer Bruder. Diese Umstände legen es nahe, dass die Erblasserin bei Errichtung des verfahrensgegenständlichen Testaments davon ausging, dass sie im Falle ihres natürlichen Todes angesichts des bestehenden Altersunterschieds von ihrem Bruder beerbt werden würde. Damit bestand aus Sicht der Erblasserin ein Regelungsbedürfnis nur insoweit, als ihrem Bruder auf einer der (gemeinsamen) Fernreisen „etwas passieren“ würde, er also verstirbt und die Erblasserin dann nicht mehr beerben kann. Hierauf weist insbesondere die von der Erblasserin gewählte Formulierung hin, die auch das Versterben des Bruders thematisiert. Es erscheint daher naheliegend, dass die Erblasserin das Bedürfnis hatte, für diesen bestimmten Fall Vorsorge zu treffen.
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bb) Für diese Auslegung spricht zudem, dass die Erblasserin keine konkrete Reise im Testament bezeichnete, also nicht aus Anlass einer „konkreten Gefahr“ eine Regelung treffen wollte. Vielmehr erblickte sie offenbar in der Vielzahl geplanter Reisen einen Umstand, der geeignet war, den gewöhnlichen Lauf der Dinge – das Versterben des älteren Menschen vor dem jüngeren – zu ändern und deshalb eine Regelung erforderte.
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Insoweit unterscheidet sich der zu entscheidende Fall von Konstellationen, in denen die Erbeinsetzung vor einer bestimmten Operation (OLG München, 31 Wx 244/11, FamRZ 2012, 1976 ff.) oder „für den Fall, dass ich heute, am 26.11.99 tödlich verunglücke“ (KG, 6 W 10/18, ErbR 2018, 450 ff.) vorgenommen wurde. In diesen Fällen haben die jeweiligen Erblasser erkennbar aufgrund eines konkreten Anlasses die Initiative zur Regelung ihrer Rechtsnachfolge von Todes wegen ergriffen. Mit der vorliegenden Konstellation sind sie nicht vergleichbar.
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cc) Für die vom Senat vorgenommene Auslegung sprechen auch die sonstigen Lebensumstände der Erblasserin. Ihr Lebensgefährte war bei Errichtung der Verfügung bereits verstorben, nur über ihn und seinen Sohn hatte die Erblasserin überhaupt eine Beziehung zur Beteiligten zu 1. Eine Motivation, die Beteiligte zu 1 vor diesem Hintergrund auf jeden Fall, insbesondere unter Übergehung des einzigen nahen Verwandten, als Erben einzusetzen, ist nicht erkennbar. Auch die nach Errichtung der Verfügung zu Tage getretenen Umstände, die indiziell berücksichtigt werden können, weisen in diese Richtung: Die Erblasserin und ihr Bruder pflegten engen Kontakt; er kümmerte sich um die Erblasserin, als diese im Altenheim war und hatte auch Bankvollmacht über ihre Konten. Das stützt die Auslegung, wonach die Beteiligte zu 1 nur erben sollte, wenn ihr Bruder als Erbe nicht in Betracht kam, weil er gleichzeitig mit der Erblasserin oder schon vor ihr verstorben war.
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Eine Kostenentscheidung ist bei der erfolgreichen Beschwerde nicht veranlasst. Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten sieht der Senat keine Veranlassung.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.