Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 13.10.2025 – 2 UF 107/25 e
Titel:

Erwerbstätigenfreibetrag in der VKH bei geringem Erwerbseinkommen

Normenketten:
FamFG § 76 Abs. 1
ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b
Leitsatz:
Der Abzugsbetrag für Erwerbstätige kann bei der Einkommensermittlung in de Verfahrenskostenhilfe nur bis zur Höhe des Erwerbseinkommens gewährt werden, nicht aber darüber hinaus.
Schlagworte:
Verfahrenskostenhilfe, Ratenzahlung, persönliche Verhältnisse, wirtschaftliche Verhältnisse, Freibeträge, Erwerbstätigkeit, Darlehen
Vorinstanz:
AG Aschaffenburg vom -- – 7 F 97/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27030

Tenor

1. Dem Antragsgegner und Beschwerdegegner wird für den zweiten Rechtszug mit Wirkung ab Antragstellung unter Beiordnung von Rechtsanwältin … als Verfahrensbevollmächtigte Verfahrenskostenhilfe bewilligt.
2. Die Bewilligung erfolgt mit Zahlungsanordnung. Auf die voraussichtlichen Kosten der Verfahrensführung sind aus dem Einkommen Monatsraten von 15,00 €, zahlbar am 1. des Monats, erstmals am 01.12.2025, an die Landesjustizkasse Bamberg zu zahlen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zur Frage, ob der Abzugsbetrag für Erwerbstätige über die Höhe des erzielten Erwerbseinkommens hinaus abzuziehen ist, zugelassen.

Gründe

1
Die beantragte Verfahrenskostenhilfe war in der ausgesprochenen Form zu bewilligen.
1. Gründe zu wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen
2
Die Verfahrenskostenhilfe kann nur mit Ratenzahlungen bewilligt werden.
3
Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners stellen sich wie folgt dar:
Brutto/Nettoeinkommen
Monatseinkommen netto Bürgergeld 649,79 €
(zzgl. Übernahme der Wohnkosten mit Direktzahlung an Vermieter)
nichtselbständige Tätigkeit 98,80 €
(Durchschnitt der Monate März mit Juli 2025)
Gesamt 748,59 €
Einkommen: 748,59 € Hiervon sind abzusetzen:
Freibeträge Antragsteller (Bund) – 619,00 € Summe – 619,00 €
Freibetrag für Erwerbstätige – 98,80 €
(begrenzt durch das erzielte Erwerbseinkommen)
Verbleibendes einzusetzendes Einkommen: 30,79 €
Vorstehende Berechnung wird wie folgt erläutert:
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a) Der Antragsgegner geht neben dem Bezug von Bürgergeld einer geringfügigen Beschäftigung nach, aus der er in den Monaten März bis einschließlich Juli 2025 ein Nettoeinkommen von durchschnittlich 98,50 € monatlich bezogen hat. Berufsbedingte Aufwendungen hierfür hat der Antragsgegner nicht geltend gemacht.
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Der Senat ist der Auffassung, dass der nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO zu gewährende Abzugsbetrag für Erwerbstätige durch die Höhe des bezogenen Erwerbseinkommens begrenzt ist (ebenso: LAG Hamm, 26.01.2016, 14 Ta 208/25, Juris Rn 10; Wittenstein in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. § 115 ZPO Rn 29; hingegen a. A. OVG Sachsen, 28.11.2019, 5 A 1187/17, Juris Rn 2 und 3; LSG Thüringen, 15.02.2022, L 1 SV 219/21 B, BeckRS 2022, 6994 Rn 8, 11).
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Grundsätzlich bestimmt sich der Abzugsbetrag für Erwerbstätige unabhängig vom bezogenen Erwerbseinkommen. Er wird gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO als Pauschalbetrag in Höhe von 50 vom Hundert des Regelsatzes, der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten vom Bund gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist, gewährt. Er beträgt mithin im Jahr 2025 282 € (50% von 563 €).
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Nach seinem Sinn und Zweck soll der Freibetrag für Erwerbstätige dem mit der Erwerbstätigkeit einhergehenden Mehrbedarf des Beteiligten (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 115 ZPO Rn 31) gerecht werden. Er soll den nicht durch eine konkrete Berechnung bezifferbaren Mehraufwand der Erwerbstätigkeit abdecken und wird auch als Erwerbsbonus bezeichnet (vgl. Wittenstein in Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. § 115 ZPO Rn 29). Er tritt neben die gesondert gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a ZPO, 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII zu berücksichtigenden berufsbedingten Aufwendungen, sofern solche geltend gemacht werden. Als Erwerbsbonus kann der Abzug jedoch nicht über das erzielte Erwerbseinkommen hinausgehen.
8
Die Gegenansicht (vgl. OVG Sachsen, 28.11.2019, 5 A 1187/17, Juris Rn 2 und 3; LSG Thüringen, 15.02.2022, L 1 SV 219/21 B, BeckRS 2022, 6994 Rn 8, 11) stellt auf den Wortlaut des Gesetzes (vgl. § 115 Abs. 1 S. 2 und 3 ZPO) ab, wonach der Abzug für Erwerbstätigkeit gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO vom Gesamteinkommen im Sinne des § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO zu erfolgen habe. Sie schließt daraus, dass der das Erwerbseinkommen übersteigende Freibetrag auch andere Einkommensarten mindere, weil der erwerbsbedingte Mehraufwand dann aus diesen Einkommensarten bestritten werden müsse.
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Dies überzeugt nicht, da es lebensfremd ist, dass der mit einer Erwerbstätigkeit verbundene, nicht bezifferbare Aufwand das aus der Tätigkeit bezogene Einkommen übersteigen soll.
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Wäre dies der Fall, wäre die Erwerbstätigkeit unwirtschaftlich und würde ihren Zweck – die Einkommenserzielung – verfehlen. Es würde sich dann auch nicht mehr um eine Erwerbstätigkeit, sondern um ein Hobby bzw. eine Liebhaberei handeln.
11
Daher kann dem Antragsgegner der Abzugsbetrag für Erwerbstätige nur bis zur Höhe seines Erwerbseinkommens gewährt werden, nicht darüber hinaus.
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b) Weitere Abzugspositionen sind nicht zu berücksichtigen. Soweit der Antragsgegner im Juni 2025 von seinem Bruder für einen „dringend benötigten Urlaub“ (vgl. Schriftsatz vom 08.10.2025) ein Darlehen über 1.100,00 € erhalten hat, macht er dessen Rückzahlung bereits nicht in konkret vereinbarten Raten geltend. Vielmehr sei das Darlehen nach Verfügbarkeit zurückzuzahlen. Hinzukommt, dass der Zweck des Darlehens, eine Urlaubsreise, im Rahmen der beantragten Verfahrenskostenhilfe nicht berücksichtigungsfähig ist. Der Erholungsbedarf des Antragsgegners ist nicht aus Mitteln der Allgemeinheit zu finanzieren, was bei Berücksichtigung konkreter Rückzahlungsraten jedoch der Fall wäre.
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Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, § 115 ZPO sind aus dem einzusetzenden Einkommen des Antragsgegners von 30,79 € monatliche Raten von 15,00 € zu bezahlen.
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Ein Einsatz von Vermögen ist nach den getroffenen Feststellungen nicht möglich bzw. zumutbar.
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Der Antragsgegner ist nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nur in der Lage, die Kosten der Verfahrensführung in Raten aufzubringen.
2. Allgemeine Gründe
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Auf die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung kommt es in dem durch einen anderen Beteiligten eingeleiteten Beschwerdeverfahren nicht an (§ 76 Abs. 1 FamFG, §§ 114, 119 Abs. 1 S. 2 ZPO).
III.
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Zur Frage, ob der Abzugsbetrag für Erwerbstätige gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO über die Höhe des erzielten Erwerbseinkommens hinaus abzuziehen ist, wird die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 1 S. 2 HS 2, 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 2. Alt., Abs. 3 S. 1 ZPO zugelassen. Aufgrund der abweichenden Meinung des OVG Sachsen und des LAG Thüringen, die einen Abzug des Erwerbstätigenfreibetrags in voller Höhe über das erzielte Erwerbseinkommen hinaus für veranlasst halten (vgl. OVG Sachsen, 28.11.2019, 5 A 1187/17, Juris Rn 2 und 3; LSG Thüringen, 15.02.2022, L 1 SV 219/21 B, BeckRS 2022, 6994 Rn 8, 11), ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts geboten.