Titel:
Abgrenzung von Beweisantrag und Beweisermittlungsantrag und Anwendungsbereich von § 46a StGB
Normenketten:
StPO § 244 Abs. 2, Abs. 3
StGB § 46a
Leitsätze:
1. Sind in einem Beweisbegehren des Angeklagten kein Beweisziel und keine bestimmte Beweistatsache genannt (Vorbringen hierzu erst in der Revisionsbegründung reicht nicht aus), handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, sondern (lediglich) um einen Beweisermittlungsantrag. Einer solchen Bewertung steht auch nicht entgegen, wenn die Strafkammer den Antrag als Beweisantrag behandelt und unter dieser (hier aber nicht maßgeblichen) Sicht ggf. rechtsfehlerhaft verbeschieden hat, wenn auszuschließen ist, dass der Angeklagte durch die fehlerhafte Einordnung und Entscheidung seines Beweiserhebungsverlangens in seiner Prozessführung beeinträchtigt war. (Rn. 3 – 4) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. § 46a StGB ist auch im Fall des § 315c StGB nicht anwendbar, weil auch dessen Schutzgut (wie bei § 315b StGB) nur die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ist. (Rn. 10) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Beweisantrag, Beweisermittlungsantrag, Beweisziel, Beweisbehauptung, Täter-Opfer-Ausgleich, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Schutzgut
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 03.06.2025 – 4 NBs 604 Js 100271/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 27027
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 3. Juni 2025 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 16. September 2025 Bezug genommen. Zum Revisionsvorbringen sind zusammenfassend und ergänzend folgende Bemerkungen veranlasst:
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a) Die erhobenen Verfahrensrügen der rechtswidrigen Ablehnung zweier Beweisanträge haben keinen Erfolg.
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aa) Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, handelt es sich bei dem ersten Antrag (Verlesung und Inaugenscheinnahme des Sachverständigengutachtens Z.) nicht um einen Beweisantrag, sondern (lediglich) um einen Beweisermittlungsantrag. Dort ist nämlich kein Beweisziel und keine bestimmte Beweistatsache genannt; derartiges Vorbringen findet sich erst in der Revisionsbegründung. Der Bewertung als Beweisermittlungsantrag steht auch nicht entgegen, dass die Strafkammer den Antrag als Beweisantrag behandelt und unter dieser (hier aber nicht maßgeblichen) Sicht ggf. rechtsfehlerhaft verbeschieden hat (vgl. BGH-Beschlüsse vom 09.08.2006, 1 StR 214/06, und vom 15.05.1996, 1 StR 131/96, je zitiert nach juris; Krehl in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl., § 244 Rdn. 237). Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte durch die fehlerhafte Einordnung und Entscheidung seines Beweiserhebungsverlangens in seiner Prozessführung beeinträchtigt war.
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Die dann lediglich statthafte Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist weder zulässig noch begründet, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, warum sich die Verlesung bzw. Inaugenscheinnahme des Privatgutachtens trotz der Tatsache, dass die darin getroffenen Feststellungen auch nach dem Vorbringen der Revision bereits vom gerichtlichen Sachverständigen berücksichtigt wurden, für das Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen (vgl. zu den Anforderungen insoweit Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 244 Rdn. 12 und 100, 101 m. w. N.).
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bb) Hinsichtlich des zweiten Beweisantrages (Inaugenscheinnahme der Simulation „PC-Crash“) ist die Verfahrensrüge jedenfalls deshalb unzulässig, weil für das Revisionsgericht allein anhand des Revisionsvorbringens nicht nachvollziehbar ist, weshalb die Inaugenscheinnahme der Simulation die Feststellung des Sachverständigen auf der Grundlage der übrigen Beweisaufnahme (insbesondere Aussage des Zeugen A., vgl. bereits Revisionsbegründung S. 84), der Angeklagte habe mit einer Geschwindigkeit von (mindestens) 120 km/h überholt, erschüttern könnte. Aus dem weiteren Revisionsvorbringen geht hervor, dass sich die Revision in Wahrheit gegen die (auf der Grundlage der gesamten Beweisaufnahme) getroffene Feststellung des Landgerichts wendet, die Fahrzeuge vor dem Angeklagten seien vor dem Überholvorgang nicht nur 50 km/h, sondern mindestens 60 km/h gefahren, ohne allerdings insoweit Rechtsfehler der sorgfältigen gerichtlichen Beweiswürdigung (UA S. 6-14) aufzeigen zu können, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegt.
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b) Auch die Ausführungen zur Sachrüge decken keine Rechtsfehler des Schuldspruches des angefochtenen Urteils auf.
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Soweit die Revision meint, einzelne Beweismittel hätten anders gewürdigt werden müssen, kann sie damit keinen Erfolg haben, wie die Generalstaatsanwaltschaft wiederum zutreffend ausgeführt hat.
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Die getroffenen Feststellungen tragen auch die Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB. Der Verstoß des Angeklagten gegen § 5 StVO (Überholen, ohne den Gegenverkehr zu übersehen; vgl. König in Leipziger Kommentar zum StGB (LK), 13. Aufl., § 315c Rdn. 97) wird von der Revision nicht in Abrede gestellt. Aber auch die Einordnung dieses Verhaltens als „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“ (UA S. 13-15) ist ohne Rechtsfehler (vgl. zu den Anforderungen LK-König aaO § 315c Rdn. 133-135 und 140-144). Das Landgericht hat dargelegt, warum es von einem besonders schweren Verkehrsverstoß ausgeht und warum es ein Augenblicksversagen oder ein auf falscher Beurteilung der Verkehrslage beruhendes Fehlverhalten ausschließt.
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c) Hinsichtlich des Strafausspruches hat die Überprüfung des Senates ebenfalls keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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aa) Die Nichtanwendung des § 46a StGB zugunsten des Angeklagten durch das Berufungsgericht ist nicht zu beanstanden. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden (Urteil vom 04.12.2014, 4 StR 231/14, NStZ 2015, 263f.), dass § 46a StGB im Fall des § 315b StGB nicht anwendbar ist, weil dessen Schutzgut nur die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ist. Da Letzteres auch für § 315c StGB gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2010, 4 StR 245/10, zitiert nach juris, dort Rdn. 10), verbleibt es auch hier bei der Nichtanwendbarkeit des § 46a StGB.
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bb) Schließlich zeigt die Revision auch Rechtsfehler der Entscheidung nach §§ 69, 69a StGB nicht auf.
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Es liegt ein Regeltatbestand der Entziehung der Fahrerlaubnis vor (§ 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB), so dass eine umfassende Gesamtwürdigung grundsätzlich entbehrlich ist (vgl. Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl., § 69 Rdn. 16 m. w. N.). Besonderheiten, die ausnahmsweise eine Abweichung rechtfertigen, können zwar auch in einer längeren Verfahrensdauer liegen, allerdings nur bei zwischenzeitlich unbeanstandeter Verkehrsteilnahme (vgl. Hentschel/König aaO § 69 Rdn. 16 a. E.), was hier nicht der Fall war (UA S. 3).
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Auch Rechtsfehler der tatrichterlichen Ermessensentscheidung (vgl. Hentschel/König aaO § 69a Rdn. 2) bei der Bemessung der Dauer der Sperrfrist sind nicht ersichtlich; die Revision versucht lediglich, ihr Ermessen an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Angesichts eines Mindestmaßes von 6 Monaten (§ 69a Abs. 1 S. 1 StGB) erscheint eine Sperrfrist von 12 Monaten (auf die nunmehr der Zeitraum der vorläufigen Entziehung anzurechnen ist, vgl. § 69a Abs. 5 S. 2 StGB) jedenfalls nicht unvertretbar lang.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.