Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 06.10.2025 – 203 StRR 368/25
Titel:

Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte - Ahndung mit Freiheitsstrafe

Normenkette:
StGB § 23 Abs. 2, § 46a Abs. 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1, § 114 Abs. 1, § 224 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vollstreckungsbeamte sind besonders schutzbedürftig. Kommt es während der Ausübung ihres Dienstes zu einem Angriff auf diese, werden sie nicht als Individualpersonen angegriffen, sondern als Repräsentanten der staatlichen Gewalt. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe an Stelle einer Geldstrafe entspricht dem Ziel der Stärkung des Schutzes von Polizei- und anderen Vollstreckungsbeamten vor Angriffen gegen diese, welches der Gesetzgeber des 52. StÄG hatte und das er mit der erhöhten Strafandrohung mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe in § 114 StGB umgesetzt hat (BT-Drs 18/11161, S. 1). (Rn. 16)
2. Polizei- und Vollstreckungsbeamte verdienen Respekt und Wertschätzung. Ein Angriff im öffentlichen Raum aus einer randalierenden, gewalttätigen Menge heraus auf Polizeibeamte, welche den Aufzug stoppen sollten, hat einen gravierenden Unrechtsgehalt, welcher auch nach Strafrahmenverschiebungen die Verhängung einer Freiheitsstrafe rechtfertigt. (Rn. 16)
Schlagworte:
Vollstreckungsbeamte, tätlicher Angriff, Menschenmenge, Glasflasche, Wurf, Freiheitsstrafe, Unrechtsgehalt, Strafrahmenverschiebung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 19.03.2025 – 15 NBs 409 Js 55075/23
Fundstellen:
NStZ-RR 2026, 9
BeckRS 2025, 26839

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.03.2025 wird als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass im Tenor in Ziffer I. des Berufungsurteils das Datum des mit der Berufung angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Nürnberg auf den 05.12.2024 korrigiert wird und der Tenor wie folgt ergänzt wird:
Im Übrigen wird die Berufung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 05.12.2024 wurde der Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt.
2
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 19.03.2025 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt wurde.
3
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24.03.2025, eingegangen am selben Tage, das Rechtsmittel der Revision eingelegt, welche er durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 04.06.2025, ebenfalls eingegangen am selben Tage, mit der ausgeführten allgemeinen Sachrüge begründete.
4
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte am 21.08.2025 die Verwerfung der Revision als unbegründet.
II.
5
Die nach §§ 333, 337, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. a) Hinsichtlich des Schuldspruches wird auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 21.08.2025 unter Ziffer 1. Bezug genommen. Diese ist lediglich dahingehend zu berichtigen, dass bereits in erster Instanz eine Verurteilung nur wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung erfolgte, der Schuldspruch also gegenüber dem Urteil erster Instanz gleich geblieben ist. Nachdem die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung neben der Verschärfung des Strafausspruchs auch die Änderung des Schuldspruchs hin zur vollendeten gefährlichen Körperverletzung erreichen wollte, ist der Tenor des Urteils des Berufungsgerichts dahingehend zu ergänzen, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft N-F im Übrigen zurückgewiesen wird. Auch ist das amtsgerichtliche Urteilsdatum zu korrigieren.
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b) Zutreffend haben Amtsgericht und Landgericht den Angeklagten auch wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte nach § 114 Abs. 1 StGB verurteilt. Denn in jeder mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper des Beamten zielenden Einwirkung liegt – unabhängig von ihrem Erfolg – ein Angriff im Sinne des § 114 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 09.08.2023 – 6 StR 182/23, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 11.06.2020 – 5 StR 157/20, juris, Rn. 12 ff.; Senat, Beschluss vom 10.06.2023 – 203 StRR 204/23, juris, Rn. 6; OLG Hamm, Beschluss vom 12.02.2019 – 4 Rvs 9/19, juris, Rn. 14). Eine einschränkende Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs nach dessen Erheblichkeit war mit der Neufassung des § 114 StGB durch das Gesetz vom 23.05.2017 (BGBl. 2017 I 1226) trotz der erhöhten Strafandrohung dieser Vorschrift gegenüber der des § 113 Abs. 1 StGB gerade nicht verbunden (BGH, Beschluss vom 09.08.2023, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 11.06.2020, a.a.O., Rn. 14; OLG Hamm, a.a.O.). Ziel der Handlung muss dabei zwar die Einwirkung auf den Körper des Vollstreckungsbeamten sein, der Vorsatz muss sich aber nicht einmal auf eine Körperverletzung beziehen (BGH, Beschluss vom 09.08.2023, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 11.06.2020, a.a.O., Rn. 12; Senat a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Der vom Berufungsgericht festgestellte wuchtige Wurf mit einer 0,5 Liter Bierflasche über sieben bis zehn Meter aus einem Umzug in eine Polizeikette hinein, die dort am Helm eines Polizisten und danach an seiner Schulter aufschlug, stellt einen tätlichen Angriff in diesem Sinne dar. Darauf, dass die Flasche beim Auftreffen – aufgrund der vom getroffenen Polizeibeamten getragenen Schutzausrüstung – keine Schmerzen verursachte, kommt es nicht an.
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c) Zu Recht gehen Amts- und Landgericht sodann von tateinheitlicher Begehungsweise zwischen der versuchten gefährlichen Körperverletzung und dem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11.06.2020 – 5 StR 157/20, juris, Rn. 17 ff.).
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2. a) Hinsichtlich des Strafausspruches wird ebenfalls auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft vom 21.08.2025 (Ziffer 2.) Bezug genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft weist zutreffend darauf hin, dass die Milderung nach § 23 Abs. 2 StGB durch das Berufungsgericht zu Unrecht mit der Argumentation versagt wurde, der Versuch sei beendet gewesen und der Erfolgseintritt habe nur vom Zufall abgehangen. Die Gründe für das Ausbleiben des Erfolges sind zwar bedeutsam, die Strafmilderung darf aber nicht nur deshalb abgelehnt werden, weil die Vollendung nur zufällig und ohne das Verdienst des Täters ausgeblieben ist (BGH, Beschluss vom 04.11.1988 – 1 StR 262/88, juris, Rn. 43; BeckOK StGB/Cornelius, 66. Ed. 01.05.2025, StGB § 23 Rn. 6 m.w.N., beck-online). Allerdings kann der Senat ausschließen, dass die Wahl des Strafrahmens im vorliegenden Einzelfall die Entscheidung über den Strafausspruch zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst hat.
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aa) Das Berufungsgericht hat sich gegen die Annahme eines minderschweren Falles (§ 224 Abs. 1 StGB: Strafrahmen: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) entschieden. Die mögliche Milderung für die Versuchsstrafbarkeit (§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) wurde sodann fehlerhaft verneint, jedoch wurde eine Milderung aufgrund eines Täter-Opfer-Ausgleichs (§§ 46a Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB) vorgenommen. Vom Ausgangsstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) ausgehend legte das Berufungsgericht bei einer Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB somit einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu sieben Jahren und sechs Monaten zu Grunde.
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bb) Falls das Berufungsgericht statt dessen zweifach nach § 49 Abs. 1 StGB (aufgrund § 23 Abs. 2 StGB und aufgrund § 46a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gemildert hätte, wäre ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren und sieben Monaten heranzuziehen gewesen.
12
cc) Für den in Tateinheit stehenden tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte nach § 114 Abs. 1 StGB beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Bei einer Milderung nach §§ 46a Abs. 1 Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB reduziert sich dieser auf Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Dieser Strafrahmen bleibt nach § 52 Abs. 2 StGB folglich außer Betracht.
13
dd) Beim Vergleich der Strafrahmen von oben aa) und oben bb) kann der Senat ausschließen, dass sich die fehlerhafte Versagung der Versuchsstrafmilderung (§ 23 Abs. 2 StGB) auf die konkrete Strafzumessung ausgewirkt hat. Beide Strafrahmen beginnen bei einer Freiheitsstrafe von einem Monat und unterscheiden sich lediglich bei der von der konkreten Strafe weit entfernten Strafobergrenze. Nachdem sich die ausgesprochene Freiheitsstrafe von sechs Monaten im unteren Bereich beider gleichermaßen bei einem Monat Freiheitsstrafe beginnenden Strafrahmen bewegt, kann der Senat ausschließen, dass sich die nur einfache Milderung gegenüber der doppelten Milderung auf die konkrete Strafzumessung ausgewirkt hat.
14
b) Nicht zu beanstanden sind sodann die Verhängung der Freiheitsstrafe durch das Berufungsgericht anstelle der erstinstanzlich ausgesprochenen Geldstrafe und deren Höhe von sechs Monaten.
15
aa) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen (BGH, Beschluss vom 10.04.1987 – GSSt 1/86, juris, Rn. 17). Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14.04.2022 – 5 StR 313/21, juris, Rn. 11; Fischer, StGB, 72. Aufl. 2024, § 46 Rn. 146 ff. m.w.N.). Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist regelmäßig nur möglich bei beachtlichen Rechtsfehlern in dem Sinne, dass die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, bestimmende Strafzumessungstatsachen übergangen wurden oder sich die verhängte Freiheitsstrafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs offenkundig löst (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2012 – 3 StR 413/11, juris, Rn. 4 m.w.N.).
16
bb) Letzteres ist nicht der Fall. Der Gesetzgeber des 52. StÄG (BT-Drs 18/11161, S. 1) hat das besondere Schutzbedürfnis von Vollstreckungsbeamtinnen und -beamten sowie von Rettungskräften festgestellt. Kommt es während der Ausübung ihres Dienstes zu einem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, werden diese nicht als Individualpersonen angegriffen, sondern als Repräsentanten der staatlichen Gewalt. Dass das Berufungsgericht die vom Amtsgericht verhängte Geldstrafe für nicht ausreichend ansah und statt dessen eine (zur Bewährung ausgesetzte) Freiheitsstrafe verhängte, entspricht daher genau dem Ziel, welches der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung hatte – nämlich der Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten angesichts eines aus der Kriminalstatistik ersichtlichen Anstieges von Angriffen gegen Polizei- und andere Vollstreckungsbeamte (BT-Drs 18/11161, S. 1) – und welches er mit der erhöhten Strafandrohung mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe in § 114 StGB umgesetzt hat. Polizei- und Vollstreckungsbeamte verdienen Respekt und Wertschätzung. Ein Angriff im öffentlichen Raum aus einer randalierenden, gewalttätigen Menge heraus auf Polizeibeamte, welche den Aufzug stoppen sollten, hat einen gravierenden Unrechtsgehalt, welcher die Verhängung einer Freiheitsstrafe rechtfertigt – auch im Blick auf die vom Landgericht festgestellten positiven Strafzumessungskriterien.
III.
17
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.