Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 16.09.2025 – 203 StObWs 272/25
Titel:

Widerrufsentscheidung, Widerrufsmöglichkeit, Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, Einlegung der Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdegericht, Fortsetzungsfeststellungsantrag, Strafvollstreckungskammer, Selbstbeschäftigung, Antragsgegner, Feststellungsantrag, Offener Vollzug, Rechtsschutzinteresse, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Verpflichtungsantrag, Angefochtener Beschluss, besonderes Feststellungsinteresse, Strafgefangener, Anzeigepflicht, Antragstellers

Normenkette:
BayStVollzG Art. 16 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Der Übergang zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag ist im Rechtsbeschwerdeverfahren ausnahmsweise dann möglich, wenn ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Raum steht und der Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes es gebietet, die Berechtigung dieses schwerwiegenden Grundrechtseingriffes nachträglich klären zu lassen. Dies ist der Fall, wenn einem Strafgefangenen als Reaktion auf einen Weisungsverstoß sämtliche Lockerungen entzogen wurden. Der Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug sowie der Außenbeschäftigung und der Selbstbeschäftigung betrifft das Grundrecht des Gefangenen auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
2. Der Senat kann eine eigene Sachentscheidung über den im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Feststellungsantrag dann treffen, wenn weitere tatsächliche Feststellungen zur Zulässigkeit und Begründetheit des im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Feststellungsantrags – die dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt sind – nicht erforderlich sind. Dies führt vorliegend zu Feststellung, dass der Widerruf sämtlicher Vergünstigungen gegen das Übermaßverbot verstößt und damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt, der bei Widerrufsentscheidungen nach Weisungsverstößen das zentrale Entscheidungskriterium ist.
Schlagworte:
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Resozialisierung, Weisungsverstoß, Feststellungsinteresse, Erledigung, Rechtsbeschwerde
Vorinstanz:
LG Bamberg, Beschluss vom 19.05.2025 – StVK 46/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26835

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bamberg vom 19.05.2025 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der durch die Antragsgegnerin am 28.04.2025 erfolgte Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug, Außenbeschäftigung und Selbstbeschäftigung gegenüber dem Antragsteller rechtswidrig war.
3. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der dem Strafgefangenen hierin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
4. Der Gegenstandswert für das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer und für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller verbüßte aufgrund Urteils des Landgerichts Bamberg vom 12.08.2021 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Seit 16.02.2025 befand sich der Antragsteller im offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt B., um im Wege der Selbstbeschäftigung für sein eigenes Unternehmen tätig zu sein. Zur Ausgestaltung der Selbstbeschäftigung wurde mit dem Antragsteller am 20.02.2025 ein Zusatzvertrag gem. Art. 42 Abs. 2 BayStVollzG geschlossen, nach dessen Ziffer 4. der Arbeitseinsatz des Gefangenen grundsätzlich nur in der Firma erfolge und die vom Geschäftsort abweichenden Arbeitsorte spätestens am Vortag per Mail unter Angabe der Arbeitszeit und der Adresse des Arbeitsortes anzuzeigen seien.
2
Der Antragsteller unterzeichnete zusätzlich eine Erklärung zur Selbstbeschäftigung vom 20.02.2025. Diese lautet auszugsweise wie folgt:
„Mir ist bewusst, dass ich aufgrund der Beschäftigung im eigenen Unternehmen besondere Sorgfalt gegenüber der Justizvollzugsanstalt hinsichtlich Meldepflichten und Kontrollierbarkeit an den Tag legen muss. (…) Mein Arbeitseinsatz erfolgt grundsätzlich am Unternehmenssitz (Am S., B-Stadt.). Arbeiten an anderen Auftragsorten meines Unternehmens sind spätestens am Vortag per Mail an (…) unter Angabe der Arbeitszeit und der Adresse des Arbeitsortes anzuzeigen. Ich darf mich insoweit nur innerhalb eines Umkreises von 50 km um die Justizvollzugsanstalt B-Stadt. bewegen. An anderen Orten darf ich mich grundsätzlich nicht aufhalten. (…) Verstoße ich gegen eine dieser Weisungen, führt dies zum Verlust der Selbstbeschäftigung und zum Widerruf bzw. zur Rücknahme von Vollzugslockerungen, Urlaub aus der Haft und einer Rückverlegung aus dem offenen Vollzug in den geschlossenen Bereich der Justizvollzugsanstalt (…).“
3
Mit E-Mail vom 17.04.2025 von Rechtsanwalt Dr. R., gerichtet an die Antragsgegnerin mit der E-Mail-Adresse des Antragstellers in Kopie, bat dieser die Antragsgegnerin um Genehmigung eines Arbeitseinsatzes „über die Feiertage (…) in unserer Kanzlei am Samstag, den 26.04.2025“. Der E-Mail war eine Signatur des Rechtsanwalts Dr. R. mit der Anschrift „Rechtsanwälte R., J., K-damm, B-Stadt“ angefügt. Mit E-Mail vom 23.04.2025 antwortete die Antragsgegnerin an Rechtsanwalt Dr. R. – ebenfalls mit E-Mail-Adresse des Antragstellers in Kopie – dass dem „Arbeitseinsatz in Ihrer Kanzlei am Samstag, den 26.04.2025, in der Zeit von 07:00 Uhr bis 15:00 Uhr“ zugestimmt werde.
4
Im Rahmen einer gemäß Ziffer 9. des o.g. Zusatzvertrags durchgeführten Anwesenheitskontrolle konnte der Antragsteller nicht in der Kanzlei am K-damm in B-Stadt angetroffen werden. Der Antragsteller hielt sich entgegen der Arbeitsanzeige statt dessen an der Anschrift P-Straße in B-Stadt auf, wobei es sich um die Privatanschrift von Rechtsanwalt Dr. R. sowie dessen Kanzlei-Zweigstelle handelt.
5
Der Antragsteller begründete dies damit, dass Rechtsanwalt Dr. R. dort ein eigenes Büro habe und dort sich auch ein Kanzleiserver befinde, an welchem er gearbeitet habe. Im Rahmen der Anhörung zum vorgenannten Sachverhalt äußerte der Antragsteller, dass er sich aus seiner Sicht nicht falsch verhalten habe.
6
Daraufhin erfolgte mit Verfügung der Antragsgegnerin vom 28.04.2025 der durch den Antragsteller angegriffene Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug sowie der Außenbeschäftigung und der Selbstbeschäftigung gem. Art. 16 Abs. 2 Nr. 3 BayStVollzG. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Absprachefähigkeit des Gefangenen. Daneben erfolgte eine disziplinarische Ahndung.
7
Mit Schriftsatz vom 29.04.2025 beantragte der Antragsteller über seinen Rechtsanwalt Dr. G. die Aufhebung des Widerrufs, die Verpflichtung zur erneuten Genehmigung der widerrufenen Maßnahmen sowie hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur erneuten Entscheidung über die Genehmigung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts.
8
Die Antragsgegnerin hat sich am 09.05.2025 zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung geäußert.
9
Hierzu hat sich der Antragsteller mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 16.05.2025 Stellung genommen.
10
Mit Beschluss vom 19.05.2025 – zugestellt am 19.05.2025 und am 20.05.2025 – hat das Landgericht Bamberg den Antrag des Antragstellers vom 29.04.2025 auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen. Der Antragsteller habe schuldhaft gegen seine – rechtmäßige – Anzeigepflicht verstoßen. Aufgrund der Mail, welche der Antragsteller in Kopie erhalten habe, sei klar gewesen, dass die Arbeit nur am Kanzleisitz am K-damm erlaubt worden sei, nicht jedoch im privaten Wohnhaus des Rechtsanwalts, auch nicht in einer Zweigstelle der Kanzlei. Die Gründe für den Widerruf habe die Antragsgegnerin ausreichend dargelegt. Diese sei von einem vollständigen Sachverhalt ausgegangen und habe eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen. Mildere Mittel seien aufgrund der Uneinsichtigkeit des Antragstellers nicht gegeben gewesen. Die Verhältnismäßigkeit sei gewahrt, obwohl es sich um eine einschneidende Maßnahme bei einem erstmaligen Verstoß gehandelt habe. Die Antragsgegnerin habe einen strengen Maßstab anlegen dürfen, da eine selbständige Tätigkeit außerhalb der Anstalt schwer zu beaufsichtigen sei und der Antragsteller durch sein Verhalten gezeigt habe, dass er des ihm entgegengebrachten Vertrauensvorschusses nicht würdig sei.
11
Mit Rechtsbeschwerde vom 25.05.2025, eingegangen am 26.05.2025, beantragte der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Bamberg vom 19.05.2025, ferner die Aufhebung des Widerrufs und die Verpflichtung zur erneuten Genehmigung der widerrufenen Maßnahmen, hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur erneuten Entscheidung über die Genehmigung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts. Sodann beantragte er hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs und ebenfalls hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen Grundrechtsverstößen geboten. Auch enthalte der angefochtene Beschluss keine ausreichende Sachverhaltsdarstellung. Die Rechtsbeschwerde sei begründet, weil weder die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt, noch der angefochtene Beschluss das zukünftige Missbrauchsrisiko ausreichend dargelegt hätten. Pauschale Wertungen und abstrakte Gründe seien nicht genügend. Der Antragsteller sei ordnungsgemäß seiner Arbeit nachgegangen und habe lediglich einen Verstoß gegen seine Meldepflicht begangen. Dies trage den Widerruf sämtlicher Begünstigungen nicht.
12
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte im Vorlageschreiben vom 10.06.2025 die Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Nachprüfung der Entscheidung sei weder zur Fortbildung des Rechts, noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Darstellung des Sachverhalts sei in ausreichendem Umfang erfolgt. Auch in der Sache sei die Entscheidung nicht zu beanstanden.
13
Nach Haftentlassung des Antragstellers am 24.07.2025 beantragte dieser nur noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug, Außenbeschäftigung und Selbstbeschäftigung. Das Feststellungsinteresse beruhe auf der Verletzung von Grundrechten. Auch sei die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beabsichtigt.
14
Die Generalstaatsanwaltschaft hält in ihrer Stellungnahme vom 12.08.2025 den Übergang zum Feststellungsantrag während des Rechtsbeschwerdeverfahrens für nicht mehr möglich. Es sei die Erledigung festzustellen. Zu diesem Antrag bestand Gelegenheit zur Äußerung bis 03.09.2025.
II.
15
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 118 StVollzG form- und fristgerecht eingelegt. Auch sind die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 StVollzG bereits deswegen gegeben, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (vgl. Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 12. Kap., Abschnitt J. Rechtsbeschwerde, § 116 Rn. 5 m.w.N.) geboten ist. Hinsichtlich des Anfechtungsantrags und sämtlicher Verpflichtungsanträge ist durch die Entlassung des Rechtsbeschwerdeführers aus der Haft am 24.07.2025 Erledigung eingetreten. Der Senat entscheidet über den am 06.08.2025 gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag.
16
1. a) Eine Erledigung ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens, also auch im Rechtsbeschwerdeverfahren, festzustellen (BayObLG, Beschluss vom 27.01.2021 – 204 StObWs 378/20, juris, Rn. 22; vgl. auch Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kap. P Gerichtlicher Rechtsschutz Rn. 78 a.E.).
17
b) Mit der Entlassung des Antragstellers – nach erfolgter Reststrafenaussetzung – am 24.07.2025 aus der Strafhaft haben sich dessen Anfechtungs- und Verpflichtungsanträge erledigt. Sowohl der Anfechtungsantrag vom 29.04.2025, mit dem sich der Antragsteller gegen den Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug sowie der Außenbeschäftigung und der Selbstbeschäftigung wendete, als auch die Verpflichtungsanträge, die auf die Herstellung des ursprünglichen Zustands vor dem Widerruf zielten, sind durch die Entlassung des Antragstellers aus der Strafhaft prozessual überholt.
18
2. Der am 06.08.2025 erfolgte Übergang auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag ist ausnahmsweise zulässig.
19
a) Tritt die Erledigung – wie hier – nach Einlegung der Rechtsbeschwerde (26.05.2025) ein, hat das Gericht grundsätzlich nur noch die Erledigung auszusprechen und gemäß Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 2 S. 2 StVollzG nach billigem Ermessen über die gesamten Kosten des Verfahrens zu entscheiden (vgl. Senat, Beschluss vom 18.11.2024 – 203 StObWs 550/24, juris, Rn. 2 und Rn. 5 ff.; BayObLG, Beschluss vom 17.06.2025 – 204 StObWs 195/25, nicht veröffentlicht; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.12.2009 – 2 BvR 244/08, juris, Rn. 8 mit umfangreichen weiteren Nachweisen zur Rspr.; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, StVollzG, 13. Aufl., Kap. P Rn. 78 und 141). Wenn die Erledigung erst nach dem Ergehen der Entscheidung der ersten Instanz eingetreten ist, kommt ein Übergang zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag nach Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 115 Abs. 3 StVollzG im Regelfall nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschluss vom 18.11.2024 – 203 StObWs 550/24, juris, Rn. 3; KG, Beschluss vom 07.06.2022 – 5 Ws 199/21, juris, Rn. 7; Thüringer OLG, Beschluss vom 12.07.2004 – 1 Ws 135/04, juris, Rn. 7).
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b) Ausnahmsweise ist der mit Schriftsatz vom 23.06.2025 erfolgte Übergang zum Fortsetzungsfeststellungsantrag vorliegend aber möglich. Im Blick auf den Entzug sämtlicher Lockerungsmaßnahmen und die Auswirkung des Entzuges auf die Resozialisierung des Antragstellers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) steht ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Raum, der es rechtfertigt, das Verfahren an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen oder in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.12.2012 – 2 BvR 166/11, BVerfGK 20, 177, juris, Rn. 20 ff.; BVerfG, Beschluss vom 05.12.2001 – 2 BvR 527/99, juris, Rn. 35 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2017 – 1 Vollz (Ws) 64/17, juris, Rn. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.01.2004 – 1 Ws 27/03, juris, Rn. 4; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 12. Kap. J § 116 Rn. 11; Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 116 StVollzG Rn. 2).
21
c) Der Senat entscheidet in der Sache selbst. Eine Zurückverweisung ist hier nicht geboten, da weitere tatsächliche Feststellungen zur Zulässigkeit und Begründetheit des im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Feststellungsantrags – die dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt sind – nicht erforderlich sind (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2017 – 1 Vollz (Ws) 64/17, juris, Rn. 10, 14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.01.2004 – 1 Ws 27/03, juris, Rn. 3 f.; BVerfG, Beschluss vom 05.12.2001 – 2 BvR 527/99, juris, Rn. 34 – 36). Dem Senat steht eine vollständige Tatsachengrundlage zur Verfügung, welche die Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss umfassend dargelegt hat (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG; vgl. Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 115 Rn. 6, 6a m.w.N.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 12. Kap., Abschnitt I. Gerichtliche Entscheidung, § 115 StVollzG Rn. 14). Die Anträge und deren Begründung sind sinngemäß wiedergegeben (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.05.2020 – 5 Ws 39/20 Vollz, juris, Rn. 13; OLG München, Beschluss vom 30.03 2012 – 4 Ws 60/12 (R), juris, Rn. 24 ff.), ebenso der erfolgte Widerruf mit dessen tragenden Erwägungen (vgl. KG, Beschluss vom 18.08.2016 – 5 Ws 97/16 Vollz, juris, Rn. 6 ff. m.w.N.). Die Darlegungen der Strafvollstreckungskammer ermöglichen dem Senat die Überprüfung der Entscheidung und eröffnen auch die Möglichkeit der beantragten Feststellung (vgl. Senat, Beschluss vom 17.04.2023 – 203 StObWs 61/23, juris, Rn. 18; Laubenthal, a.a.O.). So hat die Strafvollstreckungskammer im angefochtenen Beschluss zunächst in allen erforderlichen Details die Beschäftigung des Strafgefangenen in dessen eigenen Unternehmen dargelegt. Im auszugsweisen Wortlaut der getroffenen Vereinbarungen hat sie die Kontrollierbarkeit und die Meldepflichten des Strafgefangenen thematisiert. Sodann hat die Strafvollstreckungskammer alle Einzelheiten zur Anwesenheitskontrolle vom 26.04.2025 dargelegt, bei welcher der Antragsteller nicht am vereinbarten Ort angetroffen werden konnte sowie die Reaktion des Strafgefangenen hierauf im Rahmen seiner Anhörung am 28.04.2025, ebenso den im Anschluss daran erfolgten Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug und Außenbeschäftigung.
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3. Der Antragsteller kann ein besonderes Feststellungsinteresse geltend machen.
23
a) Gemäß § 115 Abs. 3 StVollzG ist bei der Fortsetzungsfeststellungsklage ein besonderes Rechtsschutzinteresse notwendig. Das erforderliche Feststellungsinteresse bedeutet kein rechtliches, sondern ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.11.2012 – 2 Ws 633/12, juris, Rn. 9) und kommt nicht nur bei Wiederholungsgefahr, einem Rehabilitierungsinteresse des Antragstellers aufgrund des diskriminierenden Charakters der Maßnahme oder bei beabsichtigter Geltendmachung von Amtshaftungs-, Schadensersatz- und Folgenbeseitigungsansprüchen, sondern auch bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen in Betracht (vgl. hierzu OLG Nürnberg, a.a.O.; Bachmann in: Laubenthal/Nestler/ Neubacher/Verrel/Baier/Bachmann, Strafvollzugsgesetze, 13. Auflage, Kap. P § 115 StVollzG Rn. 31 und 81; Arloth in: Arloth/Krä, 5. Auflage, StVollzG § 115 Rn. 8; Laubenthal, in: Schwind/ Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Auflage, 12. Kap. Abschn. I, Rn. 18). Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 08.11.2006 – 2 BvR 578/02, 2 BvR 796/02, juris, Rn. 154 und – zu Strafvollzugssachen – BVerfG, Beschluss vom 07.03.2012 – 2 BvR 988/10, juris, Rn. 27 f.). Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BVerfG, Beschluss vom 20.03.2013 – 2 BvR 67/11, juris, Rn. 19).
24
b) Gemessen hieran ist ein besonderes Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers zu bejahen. Der Antragsteller hat einen gewichtigen Grundrechtseingriff geltend gemacht. Der Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug sowie der Außenbeschäftigung und der Selbstbeschäftigung mit Verfügung der Antragsgegnerin vom 28.04.2025, also die umfangreiche Entziehung vollzugsöffnender Lockerungsmaßnahmen betrifft das Grundrecht des Gefangenen auf Resozialisierung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.09.2018 – 2 BvR 286/18, juris, Rn. 36 f. m.w.N.).
25
4. Dem am 25.05.2025 hilfsweise gestellten primären Feststellungsantrag stand bereits dessen Subsidiarität gegenüber dem Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag (Bachmann in: Laubenthal/ Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kap. P § 109 StVollzG Rn. 31) entgegen.
III.
26
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und hat mit der Sachrüge endgültigen Erfolg, weil der angegriffene Beschluss den Beschwerdeführer in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Resozialisierung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Feststellung, dass der durch die Antragsgegnerin am 28.04.2025 erfolgte Widerruf von Ausgang, Urlaub, Freigang, offenem Vollzug, Außenbeschäftigung und Selbstbeschäftigung gegenüber dem Antragsteller rechtswidrig war (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG). Die Verfügung der Antragsgegnerin vom 28.04.2025, mit welcher gegenüber dem Antragsteller Ausgang, Urlaub, Freigang, offener Vollzug, Außenbeschäftigung und Selbstbeschäftigung widerrufen wurden, ist nicht verhältnismäßig.
27
1. Gemäß Art. 16 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BayStVollzG kann der Anstaltsleiter Lockerungen und Urlaub widerrufen, wenn der Gefangene einer Weisung nicht nachkommt. Es muss sich hierbei um eine rechtmäßige Weisung handeln (Laubenthal/Baier in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., Kap. E Rn. 223). Ein schuldhafter Weisungsverstoß ist nicht erforderlich (Arloth in: Arloth/Krä, 5. Aufl., StVollzG, § 14 Rn. 10). Der Anstaltsleitung wird durch diese Widerrufsmöglichkeit ein großer Ermessensspielraum eröffnet, so dass dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz breiter Raum eingeräumt wird (Laubenthal/Baier, a.a.O.; Arloth, a.a.O.). Auch ist der Vertrauensschutz zu berücksichtigen (Lesting in: Feest, Lesting, Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil II LandesR § 90 Rn. 17, 18 und 25 ff.; Laubenthal/Baier, a.a.O., Rn. 225 ff.).
28
2. Die Widerufsentscheidung vom 28.04.2025 wahrt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht. Zwar steht die Rechtmäßigkeit der Weisung, dass der Arbeitseinsatz des Gefangenen grundsätzlich nur in der Firma zu erfolgen hatte und die vom Geschäftsort abweichenden Arbeitsorte spätestens am Vortrag per Mail unter Angabe der Arbeitszeit und der Adresse des Arbeitsortes anzuzeigen waren, außer Frage. Sodann liegt ein Weisungsverstoß vor, da nach der Auslegung des Mailverkehrs vom 17.04.2025 und vom 23.04.2025 der vom Antragsteller angezeigte Einsatzort der Kanzleisitz am K-damm in B-Stadt, nicht aber der Privatwohnsitz beziehungsweise die Kanzleizweigstelle in der P-Straße in B-Stadt war. Dennoch relativiert sich das Versäumnis – auch wenn sich die Verschuldensfrage nicht stellt – dadurch, dass der Antragsteller der angezeigten Tätigkeit für die im Mailverkehr benannte Anwaltskanzlei, nämlich der Arbeit am Server der Kanzlei, nachging. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Antragsteller das Stadtgebiet von B-Stadt nicht verlassen hat. Der Senat hat im Blick, dass dem Antragsteller mit den umfassenden Lockerungen ein erheblicher Vertrauensvorschuss gewährt worden war. Auch sieht der Senat den Überwachungsbedarf seitens der Antragsgegnerin. Dennoch erachtet der Senat bei einer Gesamtbetrachtung des Gewichts des Verstoßes und der Tatsache, dass es sich um die erste Verfehlung des Antragstellers in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit handelte, den Widerruf sämtlicher gewährter Lockerungen als nicht verhältnismäßig. Auch die Reaktion des Antragstellers, der seinen Verstoß nur gering bewertete und damit nicht ausreichend einsichtig war, trägt den Widerruf nicht. Es hätte vielmehr nahegelegen, beim Antragsteller die erforderliche Einsicht bezüglich seines Fehlhandelns durch eine Abmahnung herbeizuführen, um die Wiederholung ähnlich gelagerten Fehlverhaltens in der Zukunft vermeiden zu können. Auch stand das Disziplinarverfahren für eine Ahndung des Fehlers des Antragstellers zur Verfügung, in welchem eine massivere Sanktion hätte ausgesprochen werden können. Der Widerruf sämtlicher Vergünstigungen verstößt bei der gegebenen Sachlage gegen das Übermaßverbot und verletzt damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der bei Widerrufsentscheidungen nach Weisungsverstößen die zentrale Rolle spielt (Laubenthal/Baier, a.a.O.; Arloth, a.a.O.; zum Widerruf von Außenbeschäftigung, Freigang und Selbstbeschäftigung: Laubenthal/Baier, a.a.O., Kap. F Rn. 63 und Rn. 76; vgl. auch OLG Frankfurt, NStZ 1981, 159, 160, BeckRS 1980, 109257).
IV.
29
1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 und Abs. 4, § 467 Abs. 1 StPO.
30
2. Die Entscheidung über den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.