Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 11.09.2025 – 203 StObWs 182/25
Titel:

Rechtsbeschwerdeverfahren, Einlegung der Rechtsbeschwerde, Strafgefangener, Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, Beiordnung eines Rechtsanwalts, Gewährung von Prozesskostenhilfe, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Antrag auf Aufhebung, Haftraumausstattung, Antragsgegner, Strafvollzugsverfahren, Strafvollzugsgesetz, Rechtsprechungsübersichten, Lichtimmissionen, Geschäftswert, Schutz der Menschenwürde, Menschenwürdeverletzung, Beschlüsse, Vorläufiger Rechtsschutz, erhebliche Belästigung

Normenketten:
EMRK Art. 3
GG Art. 20 Abs. 2
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2
StVollzG § 118
StPO § 45
BayStVollzG Art. 21
StVollzG § 19
BayStVollzG Art. 170
StVollzG § 144 Abs. 1
BayStVollzG Art. 58 Abs. 1 S. 1
BayStVollzG Art. 61
Leitsätze:
1. Beantragt ein Strafgefangener, dem antragsgemäß ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde, Einsicht in die gerichtlichen Akten des Strafvollzugsverfahren, ist das Recht auf ein faires Verfahren in der Regel mit dem Recht des Rechtsanwalts, Einsicht in die Gerichtsakten zu nehmen, gewahrt.
2. Strafgefangene müssen sich nachts gegen störenden Lichteinfall schützen können. Es besteht jedoch keine generelle Pflicht der Vollzugsanstalt, dem Strafgefangenen auf Kosten der Anstalt einen Vorhang zur Verfügung zu stellen.
3. Der Anspruch auf eine Ausstattung der Zelle mit einem Vorhang folgt auch nicht aus dem Aspekt der Verantwortlichkeit der Anstalt für eine unzulässige oder unzumutbare Immission. In Bezug auf Lichtimmissionen hat eine Einzelfallabwägung zu erfolgen, bei der die durch die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Betroffenen zu berücksichtigen sind.
4. Ein Vorhang fällt als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht unter den Begriff der medizinischen Hilfsmittel, auf die nach ärztlicher Verordnung ein Anspruch auf Aushändigung oder Beschaffung bestünde.
Schlagworte:
Strafvollzug, Haftraumausstattung, Menschenwürde, Schlafstörungen, Prozesskostenhilfe, Rechtsbeschwerde, Ermessensspielraum
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 27.02.2025 – SR StVK 1606/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26833

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 27. Februar 2025 aufgehoben.
2. Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Strafgefangenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
4. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 27. Februar 2025 wird als unzulässig verworfen.
5. Die undatierte Gegenvorstellung des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 29. Juli 2025, eingegangen am 1. September 2025, wird als unbegründet zurückgewiesen.
6. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsbeschwerden und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin hat der Antragsteller zu tragen.
7. Der Geschäftswert für die Rechtsbeschwerden wird auf 50,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller befindet sich bei der Antragsgegnerin im Strafvollzug. Mit Beschluss vom 27. Februar 2025 hat die Strafvollstreckungskammer auf die vom Antragsteller beantragte gerichtliche Entscheidung die Antragsgegnerin verpflichtet, den Haftraum des Antragstellers mit Vorhängen auf Staatskosten auszustatten. Das Gericht hat sich nach der Durchführung eines Augenscheins der Argumentation des Antragstellers angeschlossen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Haftraum des Strafgefangenen in der Nacht ohne Vorhänge zu hell, ein gesunder Schlaf nicht möglich sei und der Antragsteller sich nicht auf die Nutzung einer Schlafbrille verweisen lassen müsse.
2
Gegen diesen Beschluss richtet sich die nach Zustellung am 28. Februar 2025 am 27. März 2025 bei der Strafvollstreckungskammer eingegangene und mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin, die sich im wesentlichen darauf beruft, dass dem Strafgefangenen die Anschaffung von Vorhängen auf eigene Kosten zumutbar sei. Der Strafgefangene hat am 30. April 2025 zur Niederschrift des Rechtspflegers des Amtsgerichts Straubing die Aufhebung des ihm am 28. Februar 2025 zugestellten Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 27. Februar 2025, begründet mit formellen und materiellen Mängeln, eine antragsgemäße Entscheidung, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt unter Beifügung eines handschriftlichen Entwurfs einer näher ausgeführten Rechtsbeschwerde, für deren Inhalt der Rechtspfleger die Verantwortung übernommen hat. In dem Entwurf findet sich die Formulierung „Bei PKH-Bewilligung ist Antrag i.d. Hauptsache gestellt“. Mit Beschluss vom 29. Juli 2025 hat der Senat dem Strafgefangenen Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt und einen Rechtsanwalt beigeordnet. Mit Schreiben vom 9. Mai 2025 hat die Antragsgegnerin, mit mehreren undatierten Schreiben hat der Antragsteller sein Vorbringen ergänzt und seine Schlafstörungen bekräftigt. Mit ergänzenden Schreiben vom 25. Juni 2025 hat er die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer zum vorläufigen Rechtsschutz beanstandet. Mit Schreiben vom 4. August 2025 hat der Antragsteller beim Senat eine Zwangsgeldandrohung beantragt. Auch sei der „Zwangsgeldablehnungsbeschluss der StVK“ aufzuheben oder abzuändern. Mit undatiertem Schreiben, beim Senat am 1. September 2025 eingegangen, hat der Antragsteller die Abänderung des Beschlusses vom 29. Juli 2025 beantragt und sich dagegen verwahrt, selbst keine Akteneinsicht in die gerichtlichen Akten zu erhalten. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag des Strafgefangenen als unbegründet zurückzuweisen. Für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt sie die Verwerfung der Rechtsbeschwerde des Antragstellers als unzulässig.
II.
3
Nachdem der Antragsteller seine Anträge auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts erst nach dem Ablauf der Einlegungs- und Begründungsfrist des § 118 Abs. 1 StVollzG, Art. 208 BayStVollzG gestellt und keine Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen hat, sind sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Rechtsbeschwerde unzulässig.
4
Zwar ist anerkannt, dass ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, jedenfalls so lange als ohne sein Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels gehindert anzusehen ist, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, so dass der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe dann die Grundlage für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bildet (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Dezember 2000 – 2 BvR 668/00 –, juris). Hier hat allerdings der Antragsteller den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst der bedingt erhobenen Rechtsbeschwerde erst nach dem Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gestellt. Eine unverschuldete Fristversäumnis hat er innerhalb der Frist von § 45 Abs. 1 und 2 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG nicht dargetan. Versäumungsgründe nachzuschieben ist unzulässig (vgl. Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 45 Rn. 13 m.w.N.). Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Inhalt der gegnerischen Rechtsbeschwerde für den Lauf der Frist des § 118 StVollzG keine Rolle spielt; eine verzögerte Bekanntgabe könnte die Fristversäumung in Bezug auf die Einlegung des eigenen Rechtsmittels des Antragsstellers nicht entschuldigen. Soweit der Antragsteller eine ausstehende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes besorgt, würde er damit keinen Rechtsfehler aufzeigen, weil die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf Abänderung mit Beschluss vom 20. November 2024 abgelehnt hat und zudem Anträge zum Eilrechtsschutz mit der Hauptsacheentscheidung überholt sind. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist grundsätzlich unanfechtbar (§ 114 Abs. 2 S. 3 StVollzG).
III.
5
Die gemäß § 118 StVollzG, Art. 208 BayStVollzG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt ist zuzulassen und hat in der Sache Erfolg. Die Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts zum Mindeststandard der Ausstattung eines Haftraumes geboten. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet und führt auf die erhobene Sachrüge zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und zur Ablehnung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung. Der dem Strafgefangenen von der Strafvollstreckungskammer zuerkannte Anspruch, den Haftraum des Antragstellers mit Vorhängen auf Staatskosten auszustatten, besteht nicht. Die Ermessenserwägungen der Justizvollzugsanstalt, die diese im Rahmen der Versagung angestellt hat, sind nicht zu beanstanden.
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1. Die Einrichtung eines Haftraums bestimmt sich zum einen nach den Vorgaben von Art. 170 BayStVollzG (entsprechend § 144 Abs. 1 StVollzG) zur Ausgestaltung des Haftraums („elementare Gestaltungsbedingungen“, vgl. Jesse/Steinhilper in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2020, 13. Kapitel Anstaltsorganisation E I Rn. 1; Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 22. Ed. 1.4.2025, BayStVollzG Art. 170 Rn. 1, 2) und zum anderen nach den Regelungen über die Ausstattung durch den Gefangenen und dessen Recht zur Anschaffung und zum Besitz eigener Gegenstände in der Zelle insbesondere nach Art. 21 BayStVollzG (entsprechend § 19 StVollzG, ausführlich dazu Verrel in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl. 2024, Kap. D Rn. 2, 65, 66; Setton in BeckOK Strafvollzug Bund, 27. Ed. 1.2.2025, StVollzG § 19 Rn. 1, 2, 7, 8; Knauer in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil II § 48 A Rn. 1). In der Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass die Mindesteinrichtung von der Anstalt zur Verfügung zu stellen ist (Engelstätter in BeckOK Strafvollzug Bund, 27. Ed. § 144 Rn. 3), der Strafgefangene jedoch aus den vorgenannten Bestimmungen keinen subjektiven Anspruch auf eine bestimmte Haftraumausstattung ableiten kann (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 2. November 2000 – 2 Ws 152/00 –, juris zu Reinigungsgeräten; Verrel a.a.O. Kap. D Rn. 59, 60; Jesse/Steinhilper a.a.O. 13. Kapitel E I Rn. 1 m.w.N.). Der Justizvollzugsanstalt steht in Bezug auf die Ausstattung der Hafträume ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Einschränkungen des Ermessens der Vollzugsbehörde bei der Raumgestaltung ergeben sich durch das Recht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung nach Art. 3 EMRK (vgl. OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 17. Februar 1982 – 1 Vollz (Ws) 78/81 –, BeckRS 1982, 3505; Engelstätter a.a.O. § 144 Rn. 4; Jesse/Steinhilper a.a.O. 13. Kapitel E I Rn. 2; Verrel a.a.O. Kap. D Rn. 1).
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2. Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 1 GG). Der öffentlichen Gewalt ist danach jede Behandlung verboten, die die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt. Durch das Sozialstaatsprinzip bekräftigt, schließt die Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde die Pflicht zu aktiver Gewährleistung der materiellen Mindestvoraussetzungen menschenwürdiger Existenz ein. Für den Strafvollzug bedeutet dies, dass die Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins dem Gefangenen auch in der Haft erhalten bleiben müssen und der Staat zu den dafür erforderlichen Leistungen verpflichtet ist (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. November 2007 – 2 BvR 2354/04 –, BVerfGK 12, 410-417, juris Rn. 16). Bei der Belegung und Ausgestaltung der Hafträume sind dem Ermessen der Justizvollzugsanstalt durch das Recht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG Grenzen gesetzt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juli 2015 – 1 BvR 1127/14 –, juris Rn. 17). Die Menschenwürde ist unantastbar und kann deshalb auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung eingeschränkt werden. Die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen auch dann erhalten bleiben, wenn der Grundrechtsberechtigte seiner freiheitlichen Verantwortung nicht gerecht wird und die Gemeinschaft ihm wegen begangener Straftaten die Freiheit entzieht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juli 2015 – 1 BvR 1127/14 –, juris Rn. 17). Ob die Art und Weise der Unterbringung eines Strafgefangenen die Menschenwürde verletzt, ist von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände abhängig (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Juli 2015 – 1 BvR 1127/14 –, juris Rn. 18). Auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Ausgestaltung des Vollzuges kann es hindeuten, wenn internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, nicht beachtet beziehungsweise unterschritten werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. November 2007 – 2 BvR 939/07 –, BVerfGK 12, 422-428, juris Rn. 15; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. März 2015 – 2 BvR 1111/13 –, juris Rn. 31). Anstalten müssen eine sichere Verwahrung gewährleisten, doch dürfen die Unterbringungsbedingungen, über die mit dem Freiheitsentzug und der Behandlung notwendig verbundenen Einschränkungen hinaus, keinen Übels- oder Strafcharakter haben (vgl. Verrel a.a.O. Kap. D Rn. 1 unter Verweis auf BT-Drs. 7/918, S. 93).
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3. Haftbedingungen verletzen Art. 3 EMRK, wenn sie erhebliches physisches oder psychisches Leid verursachen, die Menschenwürde verletzen oder zu einer Erniedrigung der Inhaftierten führen (vgl. Lehnert in HK-EMRK, 5. Aufl. 2023, EMRK Art. 3 Rn. 29). Schlafentzug durch ununterbrochene Beleuchtung kann unter Berücksichtigung der weiteren Haftbedingungen für den Gefangenen eine physische und psychische Belastung sein (vgl. EGMR, Lecomte gegen Deutschland, Urteil vom 6. Oktober 2015 – 80442/12 –, BeckRS 2016, 13710).
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4. Ist der danach gebotene Mindeststandard verletzt oder unterschritten, können Strafgefangene von der Justizvollzugsanstalt – auf deren Kosten (OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. Juli 2015 – 4 Ws 38/15 (V) –, juris Rn. 24) – geeignete Maßnahmen verlangen, die eine menschenwürdige Unterbringung sicherstellen und dem Gesundheitsschutz Rechnung tragen. Ein darauf zielendes Begehren können die Gefangenen mit einem Anfechtungsantrag oder Verpflichtungsantrag geltend machen (Verrel a.a.O. Kap. D V Rn. 59).
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5. Gemessen daran steht dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Denn die Ausstattung eines Haftraumes mit einem Vorhang gehört ungeachtet des in die Zelle aufgrund einer gebotenen nächtlichen Außenbeleuchtung einfallenden Lichts nicht zum nach Art. 1 Abs. 1 GG zwingend gebotenen, von Seiten der Vollzugsanstalt vorzuhaltenden Mindeststandard.
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a. Es existieren keine verbindlichen oder allgemeingültigen Regelungen über den erforderlichen Grad der nächtlichen Verdunkelung der Hafträume.
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b. Nach der im Einklang mit Teilen der Literatur stehenden Rechtsauffassung des Senats müssen sich Gefangene nachts zwar gegen störenden Lichteinfall schützen können (so auch Jesse/Steinhilper a.a.O. 13. Kapitel E I Rn. 4). Es besteht jedoch keine generelle Pflicht der Anstalt, dem Strafgefangenen einen Vorhang zur Verfügung zu stellen. Soweit keine Sicherheitsbedenken bestehen, kann die Vollzugsanstalt Vorhänge zulassen (vgl. Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 22. Ed., BayStVollzG Art. 170 Rn. 3; Jesse/Steinhilper a.a.O. 13. Kapitel E I Rn. 4; vgl. aber OLG Hamm, NStZ 1995, 381 Rechtsprechungsübersicht Bungert zum Ausschluss von Gardinen und Schnapprollos wegen Sicherheitsbedenken). Möglich sind – insbesondere bei Sicherheitsbedenken – jedoch auch andere Arten der Verdunkelung, etwa die Ausgabe von Schlafbrillen, da deren Nutzung einen starken Verdunkelungseffekt gewährleistet und das Tragen in der Regel zumutbar ist.
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c. Die Vollzugsanstalt darf es dem Strafgefangenen überlassen, für die entsprechende Ausstattung mit Vorhängen nach seinen Wünschen (vgl. Art. 21 BayStVollzG) zu sorgen. Denn die Schlafgewohnheiten und -bedürfnisse sind individuell verschieden. Dem subjektiven Empfinden kann am besten durch eine individuelle Lösung Rechnung getragen werden. Der Antragsteller wird dadurch nicht unzumutbar finanziell belastet. Er selbst taxiert die Anschaffungskosten im Rechtsbeschwerdeverfahren auf etwa 15.- Euro. Für dieses Verständnis sprechen das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot und der in Art. 5 Abs. 1 BayStVollzG niedergelegte Angleichungsgrundsatz, der auch in Art. 21 BayStVollzG seinen Ausdruck findet und bei allen Maßnahmen gebührend zu berücksichtigen ist. Dieser besagt, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist. Der Angleichungsgedanke beruht letztlich darauf, dass die Strafe im Freiheitsentzug selbst besteht und nicht in der Art und Weise ihres Vollzuges. Da der Strafvollzug nur Freiheitsentzug sein soll, müssen Eingriffe in die individuelle Lebensführung möglichst unterbleiben (vgl. Lesting in Feest/Lesting/Lindemann a.a.O. Teil II § 3 E Rn. 22 ff.). Stets ist die Selbstständigkeit des Strafgefangenen in der Lebensgestaltung zu fördern (Lesting a.a.O. Teil II § 3 E Rn. 22). So lässt es der Angleichungsgrundsatz im Rahmen der Wahrung der wirtschaftlichen und finanziellen Interessen des Strafgefangenen zu, diesen an den Kosten im Vollzug in angemessenem Umfang zu beteiligen, auch um den eigenverantwortlichen Umgang mit Geld zu erlernen. Die Kostenbeiträge können damit begründet werden, dass die Verhältnisse im Strafvollzug so weit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen werden sollen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 166/16, 2 BvR 1683/17 –, BeckRS 2023, 14025 Rn. 178). Die Menschenwürde des Strafgefangenen, das Folterverbot wie auch die Fürsorgepflicht der Anstalt sind somit nicht verletzt, wenn die Justizvollzugsanstalt wie hier dem Strafgefangenen die Anschaffung von Vorhängen erlaubt und ihm zudem eine Schlafmaske zur Verfügung stellt.
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d. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Anspruch auf eine Ausstattung der Zelle mit einem Vorhang folgt auch nicht aus dem Aspekt der Verantwortlichkeit der Anstalt für eine unzulässige oder unzumutbare Immission.
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aa. Licht zählt zu den Immissionen nach § 3 Abs. 2 BImSchG. Lichtimmissionen gehören zu den schädlichen Umwelteinwirkungen, wenn sie nach § 3 Abs. 1 BImSchG nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (vgl. etwa Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. September 2024 – 5 U 140/23 –, juris Rn. 39; Jarass BImSchG, 15. Aufl. 2024, BImSchG § 3 Rn. 10).
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bb. Rechtlich verbindliche Grenzen für die Einstufung von Lichtimmissionen als erheblich existieren nicht (vgl. etwa Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O. Rn. 39; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 24. Juli 2019 – 22 ZB 19.132 –, juris Rn. 13).
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cc. Die Beurteilung, wann eine Lichteinwirkung zu einer erheblichen Belästigung für den Betroffenen führt, kann weder anhand von allgemein gültigen Grenzwerten noch nach einer normierten Bewertungsmethode vorgenommen werden (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 5. Juli 2017 – 1 LA 12/17-, juris Rn. 13). Die „Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen“ der Bund-/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) i. d. F. vom 8. Oktober 2012 (www.lai-immissionsschutz.de/documents/lichthinweise-2015-11-03) finden zwar Anwendung zur Beurteilung der Wirkung von Lichtimmissionen auf Menschen durch Licht emittierende Anlagen im Sinne § 3 Abs. 5 BImSchG, wozu grundsätzlich auch hell beleuchtete Flächen und angestrahlte Fassaden gehören, enthalten jedoch keine verbindlichen Grenz- oder Richtwerte (vgl. etwa OLG Braunschweig, Urteil vom 14. Juli 2022 – 8 U 166/21 –, juris), sondern können zur Feststellung und Bewertung von Lichtimmissionen lediglich Anhaltspunkte liefern (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof a.a.O. Rn. 13; Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O. Rn. 39; Jarass a.a.O. § 3 Rn. 10 m.w.N.). Die Hinweise unterscheiden bezüglich der Beurteilung der durch Lichtimmissionen verursachten Belästigungen zwischen der Raumaufhellung und einer als psychologische Blendung bezeichneten Störempfindung.
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dd. Außerhalb des Strafvollzugs ist sowohl in der verwaltungsrechtlichen als auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass in Bezug auf Lichtimmissionen eine Einzelfallabwägung zu erfolgen hat, bei der die durch die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Betroffenen zu berücksichtigen sind. Einzustellen sind wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, Sozialadäquanz und allgemeine Akzeptanz; geboten ist eine wertende Gesamtbeurteilung des konkreten Einzelfalls im Sinn einer Güterabwägung (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O. Rn. 39; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof a.a.O. Rn. 13; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Februar 2009 – 7 B 1647/08 –, juris Rn. 46; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 29. März 2012 – 3 S 2658/10 –, juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein a.a.O.; OLG Braunschweig, Urteil vom 14. Juli 2022 – 8 U 166/21 –, juris). Das Maß der Schutzbedürftigkeit in tatsächlicher Hinsicht kann im Einzelfall davon abhängen, ob und inwieweit der Betroffene ohne größeren Aufwand im Rahmen des Ortsüblichen und Sozialadäquaten zumutbare Abschirmmaßnahmen ergreifen kann (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg a.a.O. Rn. 40; Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein a.a.O.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 2018 – 12 U 40/17 –, juris).
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ee. Art. 9 Abs. 1 BayImSchG lässt die nächtliche Beleuchtung von Fassaden baulicher Anlagen der öffentlichen Hand, soweit aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich, als unvermeidbare Lichtemission zu.
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ff. Die Justizvollzugsanstalt ist gesetzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Öffentlichkeit sicher fühlen kann. Art. 2 BayStVollzG bestimmt, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dient (vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Mai 2009 – Vf. 4-VII/08 –, BeckRS 2010, 48906 Rn. 37). Nach Art. 4 BayStVollzG wird der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten insbesondere durch eine sichere Unterbringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen gewährleistet. Der Sicherheitsaspekt genießt gemäß Art. 99 Satz 2 BV seinerseits Verfassungsrang (BayVerfGH, Entscheidung vom 15. Juli 2004, VerfGH 57, 84/98). Während der Nacht ist eine Überwachung der Vollzugsanstalt mit Hilfe der Außenbeleuchtung unter Einbeziehung des Geländes und der Fassade unerlässlich. Dass die Lichteinwirkung im konkreten Fall die Bedürfnisse der Sicherheit übersteigen würden, hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen.
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gg. Danach bedurfte es hier keiner Lichtmessung und keines Sachverständigengutachtens. Dem Strafgefangenen ist mit Blick auf die Belange der Sicherheit – wie einem außerhalb der JVA wohnenden Betroffenen – zuzumuten, mittels einer Anschaffung von Vorhängen oder der Nutzung einer Schlafbrille gegen den Lichteinfall Eigenvorsorge zu treffen.
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e. Der geltend gemachte Anspruch folgt auch nicht aus Art. 58 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG, wonach die Anstalt für die körperliche und geistige Gesundheit der Gefangenen zu sorgen hat. Die Bestimmung zur Gesundheitsfürsorge für Gefangene ist ebenfalls Ausfluss des Resozialisierungs- und des Angleichungsgrundsatzes (Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern a.a.O. Art. 58 Rn. 1). Die Versorgung mit Hilfsmitteln ist speziell in Art. 61 BayStVollzG geregelt. Nach Art. 61 Abs. 1 S. 1 BayStVollzG fällt der vom Antragsteller begehrte Vorhang als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (vgl. dazu OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Januar 2023 – 2 Ws 414/22 Vollz –, juris zu FFP-Schutzmasken; Arloth in Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 59 Rn. 2; Lesting a.a.O. Teil II § 62 C Rn. 46) nicht zu den medizinischen Hilfsmitteln, auf die ein Anspruch auf Aushändigung oder Beschaffung bestünde. Für die Abgrenzung kommt es darauf an, ob der Gegenstand dazu dient, Grundbedürfnisse des Menschen zu erfüllen (vgl. etwa OLG Koblenz a.a.O. zu FFP-Schutzmasken; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Februar 2019 – 2 Ws 672/18 Vollz –, juris zu einer Miniklimaanlage; Nestler in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal a.a.O. 6. Kapitel Grundversorgung und Gesundheitsfürsorge F Rn. 23; Lesting a.a.O. Teil II § 62 C Rn. 46). Da auch gesunde Menschen einen Bedarf an einem Fenstervorhang haben, handelt es sich dabei um einen Ausstattungsgegenstand, dessen Zulässigkeit der Anschaffung nicht an Art. 61 BayStVollzG, sondern an Art. 21 BayStVollzG zu messen ist (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – III-1 Vollz (Ws) 443/20 –, juris zur Anschaffung einer orthopädischen Matratze „auf eigene Kosten“). Dass die Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zudem vom Anstaltsarzt zu bescheinigen wäre (KG Berlin, Beschluss vom 7. September 2017 – 2 Ws 122/17 Vollz –, juris Rn. 7; Lesting a.a.O. Teil II § 62 C Rn. 47; Arloth in Arloth/Krä a.a.O. § 59 Rn. 3), spielt daher im vorliegenden Fall keine Rolle mehr. Eine Pflicht, von Seiten der Haftanstalt in jedem Haftraum einen Vorhang zur Verdunkelung zur Verfügung zu stellen, besteht nicht.
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6. Die Sache ist spruchreif. Die Ausübung des Ermessens von Seiten der Haftanstalt ist nicht zu beanstanden. Da eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich ist, führt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer. Der Senat kann in der erkannten Weise anstelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG, Art. 208 BayStVollzG).
IV.
24
Mit der Entscheidung in der Sache ist der an den Senat gerichtete Antrag nach § 120 Abs. 1 S. 1 StVollzG auf eine Anordnung von Zwangsgeld prozessual überholt und bedarf keiner Entscheidung.
V.
25
Die undatierte Gegenvorstellung des Antragstellers gegen den Beschluss des Senats vom 29. Juli 2025, eingegangen am 1. September 2025, wird als unbegründet zurückgewiesen. In diesem Beschluss hat der Senat dem Strafgefangenen antragsgemäß Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren ohne Zahlungsanordnung unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ab Antragstellung bewilligt. Eine Abänderung des Beschlusses war auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers zur Verteidigerstellung nicht veranlasst. Sollte das Vorbringen des Antragstellers zugleich auch als Gegenvorstellung gegen die Verfügung der stellvertretenden Vorsitzenden vom 25. August 2025 bezüglich der Versagung von Akteneinsicht zu verstehen sein, wäre auch insoweit eine Abänderung aus den Gründen der Verfügung nicht veranlasst. Das Recht auf ein faires Verfahren ist mit dem Recht des mit Senatsbeschluss vom 29. Juli 2025 beigeordneten Rechtsanwalts, Einsicht in die Gerichtsakten zu nehmen, gewahrt.
VI.
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Soweit der Antragsteller mit Schreiben vom 4. August 2025 im Rechtsbeschwerdeverfahren auch gefordert hat, den „Zwangsgeldablehnungsbeschluss der StVK“ aufzuheben oder abzuändern, versteht der Senat den Vortrag als Ergänzung seines Vorbringens im Rechtsbeschwerdeverfahren. Das Rechtsschutzziel ist mit der Sachentscheidung prozessual überholt. Eine gesonderte Beschwerde, die zum OLG Nürnberg zu richten wäre, hat er nicht eingelegt.
VII.
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Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 121 Abs. 1 und Abs. 4 StVollzG, § 464 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung. Sollte der Vortrag des Antragstellers auch als Kostenbeschwerde zu verstehen sein, hätte sich diese mit der neuen Kostenentscheidung des Senats erledigt. Der Geschäftswert für die Rechtsbeschwerde wird auf 50,- Euro festgesetzt (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG).