Titel:
Aufenthalt in Reha-Klinik muss keine "Sanatoriumsbehandlung" iSv § 5 Abs. 1d MB/KK 2009 sein.
Normenketten:
MB/KK 2009 § 5 Abs. 1d
VVG § 192
Leitsatz:
Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die kein gesetzlicher Träger veranlasst hat, fällt nicht ohne Weiteres unter den Risikoausschluss „Kur- und Sanatoriumsbehandlung“ in § 5 Abs. 1 lit. d) MB/KK 2009. (Rn. 35 – 40)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Risikoausschluss, Sanatoriumsbehandlung, stationäre Rehabilitationsmaßnahme, Reha-Klinik
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 02.02.2024 – 8 O 7138/22
Fundstellen:
LSK 2025, 26832
BeckRS 2025, 26832
r+s 2025, 1079
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 02.02.2024, Az. 8 O 7138/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.677,34 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer privaten Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, die die Klägerin seit 2011 bei der Beklagten unterhält.
2
Bei der im Jahre 1971 geborenen Klägerin (Hochschulprofessorin und Beamtin) wurde im März 1972 rechtsseitig der Unterschenkel amputiert. Seitdem befand sie sich regelmäßig in ärztlicher Behandlung (Anlagen K 4 bis K 7, Anlage K 10).
3
Der Versicherungsvertrag kam auf einem am 25.09.2011 unterzeichneten Antrag der Klägerin (Anlage K 1) zustande. In der dem Antrag beigefügten „Erklärung zu allgemeinen Erkrankungen“ gab die Klägerin u.a. an, dass sie sich zuletzt im Jahre 2010 zur Behandlung des Amputationsstumpfes bzw. zum Muskelaufbau in einer Rehaeinrichtung befunden habe. Sie gab ferner an, dass ca. alle 3 bis 5 Jahre eine neue Prothese und alle 3 Jahre eine orthopädische Behandlung erforderlich seien.
4
Der Versicherungsschein vom 18.11.2011 (Anlage K 2) weist für die einzelnen Tarife zur Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung neben der eigentlichen Prämie jeweils eine mit „RI / 2“ bezeichnete Zuzahlung aus. Hierzu enthält der Versicherungsschein unter „Sondervereinbarungen“ folgende Passage:
Durch die Zahlung des Beitragszuschlages besteht tariflicher Versicherungsschutz auch für die nachstehend aufgeführten Erkrankungen/Anomalien/Verletzungen:
Traumatische Amputation am Unterschenkel, Höhe nnb.
5
Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung für Beschäftige des öffentlichen Dienstes („Vertragsgrundlage …“; Anlage K 3; im Folgenden: AVB) zugrunde, die in Teil I die Musterbedingungen MB/KK 2009 enthalten.
6
Die AVB enthalten u.a. folgende Klausel:
§ 5 Einschränkung der Leistungspflicht
(1) Keine Leistungspflicht besteht
d) für Kur- und Sanatoriumsbehandlung sowie für Rehabilitationsmaßnahmen der gesetzlichen Rehabilitationsträger, wenn der Tarif nichts anderes vorsieht.
7
Die Krankheitskostenversicherung sieht – entsprechend der Beihilfeberechtigung der Klägerin – die tarifliche Erstattung von 50% der Aufwendungen für ambulante und stationäre Heilbehandlungen vor. Das Bedingungswerk für die Krankenhaustagegeldversicherung („Vertragsgrundlage …“; Anlagenkonvolut B 3) regelt, dass bei einer stationären Heilbehandlung je Tag der Krankenhausbehandlung ein Tagegeld in versicherter Höhe – hier 25,00 € – gezahlt wird.
8
Streitgegenständlich sind zwei stationäre Aufenthalte der Klägerin:
12.11.2018 bis 01.12.2018: M. Klinik in B. („Rehabilitations-Fachklinik für Neurologie und Orthopädie/Traumatologie“) – Anlage K 8
In Rechnung gestellte Kosten: 3.518,42 € (Anlage K 9)
16.06.2021 bis 07.07.2021: M. in B. („Fachklinik für Orthopädie, Traumatologie und Sportmedizin“)
In Rechnung gestellte Kosten: insgesamt 9.686,26 € (Anlagenkonvolut K 12)
9
Die Beklagte lehnte eine anteilige Erstattung der Kosten ab, weil es sich um Kur- und Sanatoriumsbehandlungen bzw. stationäre Rehabilitationsmaßnahmen gehandelt habe. Diese seien in den von der Klägerin gehaltenen Tarifen nicht versichert (Anlagen B 1). Auch liege keine Erkrankung vor, bei der eine Anschlussheilbehandlung versichert sei (Anlage B 2).
10
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
11
In erster Instanz hat die Klägerin die Erstattung von 50% der vorgenannten Behandlungskosten (1.759,21 € + 4.843,13 € = 6.602,34 €) sowie Krankenhaustagegeld für insgesamt 43 Tage (= 1.075,00 €) geltend gemacht. Ferner forderte sie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 713,76 €.
12
Das Landgericht hat dieser Klage ohne Beweisaufnahme vollständig stattgegeben. Hierbei hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Auslegung der im Versicherungsschein enthaltenen Sondervereinbarung ergebe, dass die Klägerin für sämtliche Behandlungen infolge der traumatischen Amputation am Unterschenkel uneingeschränkten Versicherungsschutz genieße. Die Klägerin habe das bestehende Risiko bei Antragstellung ordnungsgemäß dargestellt und ausdrücklich auf die Notwendigkeit zukünftiger weiterer Behandlungen hingewiesen. Sie habe erkennbar auf einen zuverlässigen und umfassenden Versicherungsschutz Wert gelegt. In diesem Sinne habe sie den Inhalt des Versicherungsscheins verstehen dürfen. Auf etwaige Abweichungen habe die Beklagte nicht hingewiesen. Das gelte insbesondere, soweit die Beklagte durch die Formulierung „tariflicher Versicherungsschutz“ eine Einschränkung vom beantragten umfassenden Versicherungsschutz habe vornehmen wollen. Gegen die Höhe der vorgelegten und von der Klägerin beglichenen Rechnungen seien keine Einwendungen erhoben worden, so dass 50% der ausgewiesenen Beträge zu erstatten seien.
13
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt.
14
Der Senat hat Beweis erhoben durch Beauftragung des Sachverständigen Dr. A. Auf dessen schriftliches Gutachten vom 25.11.2024 (Bl. 44 ff. d. OLG-A.) und das Protokoll der ergänzenden mündlichen Befragung vom 22.09.2025 (Bl. 88 ff. d. OLG-A.) wird Bezug genommen.
15
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht vollständig stattgegeben.
16
1. Es bestanden durchgreifende Zweifel an der Vollständigkeit der in erster Instanz erfolgten Tatsachenfeststellungen, so dass eine Beweisaufnahme durch den erkennenden Senat geboten war (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die im Berufungsrechtszug maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen jedoch keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
17
Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen vertraglichen Anspruch aus § 1 Abs. 1 lit. a) und b) AVB, § 192 Abs. 1 und 4 VVG.
18
a) aa) Entgegen der Ansicht der Vorinstanz begründet nicht jede im Zusammenhang mit der Unterschenkelamputation durchgeführte Maßnahme einen vertraglichen Erstattungsanspruch der Klägerin. Infolge der im Versicherungsschein enthaltenen Sondervereinbarung „RI / 2“ (Anlage K 1) ist die Unterschenkelamputation als – mitgebrachte – Erkrankung versichert. Dem eindeutigen Wortlaut der Vereinbarung nach wird Versicherungsschutz aber auch hinsichtlich dieser Erkrankung nur im tariflichen Umfang gewährt, d.h. es gelten die in den Versicherungs- und Tarifbedingungen geregelten Leistungsvoraussetzungen und Risikoausschlüsse.
19
bb) Bei den beiden Aufenthalten der Klägerin in der M. Klinik in B. und in der Klinik M. in B. handelte es sich jeweils unstreitig um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit (§ 1 Abs. 2 AVB). Auch war es der Beklagten im Ausgangspunkt nicht verwehrt, sich auf § 5 Abs. 1 lit. d) AVB zu berufen.
20
Zwar sind die dort genannten Rehabilitationsmaßnahmen mit der ebenfalls genannten Kur- und Sanatoriumsbehandlung vergleichbar (vgl. BGH, Urteile vom 29.01.2003 – IV ZR 257/01, r+s 2003, 204, 205 und vom 08.01.2020 – IV ZR 240/18, r+s 2020, 163 Rn. 14). Augenscheinlich handelte es sich in den beiden hier streitigen Fällen jedoch nicht um die Maßnahme eines gesetzlichen Rehabilitationsträgers, welche in § 6 SGB IX abschließend aufgezählt sind (vgl. dazu LPK-SGB IX/Joussen, 6. Aufl., § 6 Rn. 5) und auf die sich die Ausschlussklausel beschränkt. Die PKV-Versicherungsunternehmen zählen nicht zu den Rehabilitationsträgern (vgl. MüKo-VVG/Hütt, 3. Aufl., § 192 Rn. 73; Bach/Moser/Weidensteiner, Private Krankenversicherung, 6. Aufl., MB/KK § 5 Rn. 76). Darüber hinaus ist es das Ziel von Rehabilitationsmaßnahmen in gesetzlicher Trägerschaft, den Patienten dauerhaft in Arbeit oder Beruf wieder einzugliedern (vgl. Brand in: Bruck/ Möller, VVG, 9. Aufl., MB/KK 2009 § 5 Rn. 20). Auch dafür ist im Streitfall nichts ersichtlich.
21
In Betracht kam daher nur eine „Kur- und Sanatoriumsbehandlung“. Der Senat muss aus Anlass des vorliegenden Falles nicht abschließend entscheiden, ob diese Passage der Ausschlussklausel noch einen sinnvollen Anwendungsbereich hat. Sowohl der Sachverständige Dr. A. als auch die fachärztliche Stellungnahme des Herrn Dr. Z. (Chefarzt an der M. Klinik in B., Anlage K 18) vom 05.03.2025 gelangten zu der plausiblen Einschätzung, dass es sich bei der „Kur- und Sanatoriumsbehandlung“ um überkommene Begriffe handelt, die dem zeitgemäßen medizinischen Versorgungsspektrum nicht mehr gerecht werden und in der ärztlichen Praxis auch kaum mehr Verwendung finden. Vielmehr habe sich – so der Sachverständige – der Begriff „Rehabilitation“ etabliert.
22
Allerdings ist die Frage, ob eine Behandlung oder Maßnahme i.S.v. § 5 Abs. 1 lit. d) AVB vorliegt, juristisch und nicht medizinisch zu entscheiden. Gerade in den kritisch zu prüfenden Grenzfällen wird es häufig – und so auch hier – der Einschaltung eines medizinischen Sachverständigen bedürfen, um den therapeutischen Ansatz richtig einordnen zu können und um die strittige Behandlung mit Behandlungen in Akutkrankenhäusern der entsprechenden Fachrichtung vergleichen zu können (vgl. Bach/Moser/Weidensteiner, a.a.O., Rn. 86).
23
Da es sich um einen Risikoausschluss handelt, unterfallen dessen tatsächliche Voraussetzungen der Beweislast des Versicherers (vgl. HK-VVG/Rogler, 5. Aufl., MB/KK 2009 § 5 Rn. 15). Diesen Beweis ist die Beklagte fällig geblieben.
24
cc) Bei einer vereinbarten Risikoausschlussklausel geht das Interesse des Versicherungsnehmers in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (vgl. etwa BGH, Urteil vom 26.02.2020 – IV ZR 235/19, NJW 2020, 1743 Rn. 9 m.w.N.).
25
Zu beachten sind außerdem die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls (vgl. zur individualabredekonformen Klauselauslegung: BeckOGK/Bonin, BGB, § 305c Rn. 98 f. [Stand: 01.07.2025]). Aus Anlass der Übernahme in ein Beamtenverhältnis und dem Wechsel von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung kam es der Klägerin in besonderem Maße darauf an, Versicherungsschutz für solche im Abstand von zwei bis drei Jahren immer wieder erforderlich werdenden stationären Therapieaufenthalte zu erlangen, die das Risiko einer weiteren Amputation (des rechten Kniegelenks) verringern. Demgemäß hat die Klägerin bei Anbahnung des Versicherungsvertrages in einem gesonderten Fragebogen im Zusammenhang mit einer „Stumpfbehandlung in Rehaeinrichtung“ die Beschwerden / Erkrankungen „Zustand nach US-Amputation re / Muskelaufbau Knie“ angegeben und ferner erklärt, dass diese Erkrankung alle drei Jahre der orthopädischen Behandlung bedarf bzw. dass „eventl. in 2 Jahren“ eine stationäre Behandlung angeraten sei (Anlage K 1). Vor diesem Hintergrund musste die Klägerin nicht damit rechnen, dass für solche sich bei Vertragsschluss abzeichnenden therapeutischen Maßnahmen kein Versicherungsschutz besteht, zumal der Versicherungsschein die traumatische Amputation am Unterschenkel ausdrücklich als versicherte Krankheit aufführt (Anlage K 2) und aus diesem Grund – sowohl in der Krankheitskosten- als auch in der Krankenhaustagegeldversicherung – ein erheblicher Beitragszuschlag erhoben worden ist. Diese Gesichtspunkte verstärken im Streitfall die enge Auslegung der Risikoausschlussklausel.
26
dd) Für das allgemeine Verständnis einer „Kur- und Sanatoriumsbehandlung“ gilt nach der maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung das Folgende (vgl. BGH, Urteile vom 04.05.1983 – IVa ZR 113/81, NJW 1983, 2088 und vom 05.07.1995 – IV ZR 320/94, NJW 1995, 3057; ferner OLG Köln, NJW-RR 2013, 1048):
27
Die Kur- oder Sanatoriumsbehandlung ist von der Krankenhausbehandlung abzugrenzen. Entscheidend ist dabei die Ausgestaltung der Behandlung, insbesondere der äußere Rahmen. Der sozialversicherungsrechtliche Begriff der Rehabilitation ist nicht maßgebend. Es ist demnach auch unerheblich, ob die Behandlung von einem Sozialversicherungsträger als Rehabilitationsmaßnahme bewilligt worden ist. Jedenfalls aus der hier maßgeblichen Formulierung der Ausschlussklausel kann ein verständiger Versicherungsnehmer auch nicht schlussfolgern, dass jeder Aufenthalt in einer Rehaklinik einer Kur- oder Sanatoriumsbehandlung entspricht (so aber BeckOK-VVG/Gramse, § 192 Rn. 140 [Stand: 01.08.2025] unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 08.01.2020 – IV ZR 240/18, r+s 2020, 163 Rn. 14). Vielmehr ist letzteres anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Dabei verbleibt es bei dem Grundsatz, dass eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme mit einer Sanatoriumsbehandlung nicht identisch ist (vgl. Schubach in: Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 5. Aufl., § 23 Rn. 311).
28
Eine Krankenhausbehandlung ist in der Regel durch besonders intensiven Einsatz medizinischen Personals gekennzeichnet, ggf. ergänzt durch den Einsatz von besonderen dafür vorgehaltenen medizinisch-technischen Geräten und ständiger ärztlicher Überwachung, insbesondere durch tägliche Visiten. Regelmäßig ist der Patient vollständig durch die Behandlung in Anspruch genommen; sein Tagesablauf wird durch die Notwendigkeit der ständigen medizinischen und ärztlichen Betreuung und Behandlung bestimmt. Bei der Behandlung stehen physikalische und chemische Mittel im Vordergrund. Während der Behandlung stellt sich deshalb ein Verlassen der Einrichtung – etwa zu Spaziergängen – als Ausnahme dar. Demgemäß ist die Ausstattung eines Krankenhauses in der Regel nicht in erster Linie darauf ausgerichtet, einem Erholungsbedürfnis des Patienten Rechnung zu tragen. Eine Krankenhausbehandlung setzt nicht zwingend voraus, dass es um die Behandlung einer akuten Erkrankung geht. Sie kann auch vorliegen, wenn Risikofaktoren behandelt werden, um zu verhindern, dass eine Erkrankung akut wird oder wieder auftritt.
29
Auch für einen Kur- oder Sanatoriumsaufenthalt ist es charakteristisch, dass er der Behandlung einer Krankheit dient. Für die Annahme eines Kur- und Sanatoriumsaufenthalts spricht es jedoch z.B., wenn der Patient nicht ans Bett gefesselt ist, nicht laufend ärztlich betreut und überwacht werden muss und die Behandlungsmethoden angewandt werden, die typischerweise vorbeugend oder im Anschluss an akute Krankheitstherapie eingesetzt werden.
30
Unter einem Sanatorium versteht man eine unter (fach-)ärztlicher Leitung stehende, klimatisch günstig gelegene, meist einer speziellen Zielrichtung gemäß ausgestattete stationäre Einrichtung zur Behandlung und Betreuung genesender und/oder chronisch Kranker, bei denen kein Krankenhausaufenthalt (mehr) erforderlich ist. Die Patienten werden dort durch spezielle Heilanwendungen z.B. ernährungs- und physikalische Therapie, behandelt, wobei ihre Herauslösung aus der gewohnten Umwelt, eine geregelte Lebensweise und die Fernhaltung störender Umwelteinflüsse als wichtige Heilfaktoren hinzukommen. Ein Sanatoriumsaufenthalt ist daher etwas anderes als ein lediglich der Festigung der Gesundheit und der Erhaltung der Arbeitskraft dienender Erholungsurlaub.
31
Ähnliches wie für das Sanatorium gilt auch für einen Kuraufenthalt, wobei hier ein bestimmtes Verfahren mit vorwiegend natürlichen Heilmitteln (z.B. Bade- oder Trinkkur) in einem als solches ausgewiesenen Kurort („Bad … / Heilbad …“) im Vordergrund steht. In der Regel gibt es für jeden Kurort eine ganz bestimmte medizinische Indikation.
32
ee) Diese Definitionen hat der Senat in seinem Beweisbeschluss vom 15.07.2024 dem Sachverständigen Dr. A. vorgegeben (§§ 358a Nr. 4, 404a Abs. 1, 525 ZPO).
33
Der Sachverständige ist Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie und Sozialmedizin. Er ist Chefarzt des Fachbereichs Orthopädie eines Rehabilitationszentrums in B. An seiner Fachkunde bestehen keine Zweifel.
34
In seinem nach Aktenlage erstellten schriftlichen Gutachten vom 25.11.2024 führt der Sachverständige Dr. A. aus, dass es sich unter Berücksichtigung des Entlassungsberichts bei dem stationären Aufenthalt in B. vom 12.11.2018 bis 01.12.2018 nicht um eine Krankenhausbehandlung, sondern um eine Kur- oder Sanatoriumsbehandlung gehandelt habe. Hinsichtlich des stationären Aufenthalts in B. vom 16.06.2021 bis 07.07.2021 ergebe sich aus den Diagnosen und den dokumentierten Therapien ebenfalls, dass es sich um eine Kur- oder Sanatoriumsbehandlung gehandelt habe. In beiden Fällen sei eine laufende ärztliche Betreuung und Überwachung der Klägerin nicht erforderlich gewesen.
35
Der Sachverständige Dr. A. wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2025 mündlich angehört (§§ 411 Abs. 3 Satz 1, 525 ZPO). Hier ergab sich sehr deutlich, dass der Sachverständige bei Abfassung seines schriftlichen Gutachtens davon ausgegangen ist, die beiden streitgegenständlichen stationären Aufenthalte zwingend entweder als Krankenhausbehandlung oder als Kur- bzw. Sanatoriumsbehandlung einordnen zu müssen. Da es an einer akuten Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin (im Sinne eines ärztlichen Eingriffs) sowie an der Notwendigkeit einer laufenden ärztlichen Betreuung und Überwachung gefehlt habe, mangele es an den für ein Krankenhaus typischen Kriterien, so der Sachverständige. Weder die im Streitfall angewandten Therapien, noch das interdisziplinäre Behandlungskonzept oder die Notwendigkeit, sich als Patient beim vorübergehenden Verlassen der Einrichtung abzumelden, sprächen für eine Krankenhausbehandlung. Letztlich seien beide Aufenthalte aus seiner Sicht als das zu bewerten, was im medizinischen Versorgungsalltag heutzutage als „Rehabilitation“ gelte. Bei beiden Einrichtungen handele es sich um anerkannte Rehakliniken. Für die Amputationsnachbehandlung, namentlich in Fällen eines – bei der Klägerin jeweils diagnostizierten – chronischen Schmerzzustandes am Amputationsstumpf begebe sich der Patient typischerweise in Einrichtungen wie die beiden hier in Streit stehenden.
36
Damit wird deutlich, dass der Sachverständige die beiden streitgegenständlichen stationären Aufenthalte – anders als es sein schriftliches Gutachten zunächst vermittelt hat – letztlich nicht als „Kur- und Sanatoriumsbehandlung“ verstanden wissen möchte. Eine Feststellung in dem letztgenannten Sinne kann der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme auch nicht zweifelsfrei treffen (§ 286 Abs. 1 ZPO).
37
Unstreitig ist nur, dass die beiden stationären Aufenthalte aufgrund einer konkreten Diagnose fachärztlich angeraten waren und dass sie der Behandlung einer Krankheit der Klägerin dienten. Weder war die Klägerin genesen, noch kamen der klimatisch günstigen Lage des Standortes sowie der Herauslösung der Klägerin aus der gewohnten Umgebung entscheidende Bedeutung zu. Für manuelle Therapien, Massagen, Gerätetraining und manuelle Lymphdrainagen (s. Anlage K 17) waren offensichtlich auch keine an einen besonders gelegenen Standort geknüpfte Heilfaktoren ausschlaggebend. Die Beweisaufnahme hat demnach nicht erheben, dass die Behandlungen der Klägerin in B. und B. in einem Sanatorium erfolgten.
38
Zwar ist B. dem Namen nach ein ausgewiesener Kurort. Für B. gilt dies nicht. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass bei den beiden stationären Aufenthalten der Klägerin vorwiegend natürliche Heilmittel zum Einsatz kamen, die für den Standort spezifisch sind und daher die Annahme eines Kuraufenthalts rechtfertigen würden.
39
Auch die regelmäßig, teils täglich stattfindenden ärztlichen Visiten und die zumindest als Rufbereitschaft gegebene Möglichkeit der ärztlichen Intervention sind Indizien, die gegen die Annahme von Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen sprechen. Sie sind – nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. A. – sowohl für ein Krankenhaus als auch für eine Rehabilitationseinrichtung typisch.
40
Die im Sozialrecht (§§ 39, 107 SGB V) und im öffentlichen Krankenhausrecht (§ 2 Nr. 1 KHG; vgl. zum dortigen Kontext: BeckOK-KHR/Würtenberger, KHG § 2 Rn. 8 [Stand: 01.07.2025]) notwendige trennscharfe Abgrenzung zwischen einem Krankenhaus und einer Rehabilitationseinrichtung ist für den hier in Rede stehenden privatrechtlich vereinbarten Risikoausschluss weder tauglich noch notwendig. Ein allgemeiner Ausschluss für alle medizinisch als solche angesehenen Rehabilitationsmaßnahmen ist hier – wie oben erläutert – nicht geregelt. Da die einzig in Betracht kommende „Kur- und Sanatoriumsbehandlung“ vom Senat im Streitfall nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, greift der Risikoausschluss nicht ein und es liegen zwei die Erstattungspflicht der Beklagten auslösende Versicherungsfälle vor.
41
ff) Tarifgemäß gehören sämtliche medizinisch notwendigen Leistungen im Zusammenhang mit einer teil- oder vollstationären Behandlung mit einem Anteil von 50% zu den erstattungsfähigen Aufwendungen („Vertragsgrundlage …“, Ziffer B 2.). Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit und die Höhe der Aufwendungen sind zwischen den Parteien unstreitig. Danach ergibt sich der folgende Anspruch der Klägerin (s. Tenorziffer 1. des Ersturteils):
1.759,21 € + 4.843,13 € = 6.602,34 €
42
b) Die Klägerin kann ferner die Zahlung des vereinbarten Krankenhaustagegeldes verlangen.
43
aa) Diese Leistung wird im Falle der stationären Heilbehandlung der versicherten Person erbracht (§ 1 Abs. 1 lit. b AVB, § 192 Abs. 4 VVG). Dass dies hier erfolgt ist, ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie die medizinische Notwendigkeit zweier stationärer Aufenthalte. Soweit die maßgeblichen Tarifbedingungen („Vertragsgrundlage …“) ergänzend regeln, dass die Leistung in der versicherten Höhe „je Tag der Krankenhausbehandlung“ geschuldet ist, stellt dies keine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung in dem Sinne dar, dass es sich nur um ein Krankenhaus im engeren Sinne und nicht auch um eine Rehabilitationsklinik gehandelt haben darf (vgl. auch OLG Zweibrücken, NJOZ 2004, 2998, 3000). Dieses Verständnis entspricht auch dem Sinn der Krankenhaustagegeldversicherung, nämlich einer abstrakten Bedarfsdeckung für die mit einem stationären Aufenthalt vielfach indirekt verbundenen Kosten, etwa der zusätzlichen Aufwendungen für die Betreuung der Familie, für Besuche und die damit verbundenen Fahrtkosten (vgl. HK-VVG/ Rogler, a.a.O., § 192 Rn. 38). Auch sozialrechtlich stellen Rehabilitationskliniken Einrichtungen zur stationären Behandlung der Patienten dar, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 107 Abs. 2 Nr. 1 lit. b SGB V). Umgekehrt kann eine medizinisch notwendige Krankenhausbehandlung auch dann vorliegen, wenn – wie hier – Risikofaktoren behandelt werden sollen, um zu verhindern, dass eine Erkrankung akut wird oder wieder auftritt (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.1995 – IV ZR 320/94, NJW 1995, 3057, 3058).
44
Im Zusammenhang mit der privaten Krankenhaustagegeldversicherung ist ein engeres Verständnis zu Lasten des Versicherungsnehmers nicht geboten.
45
bb) Die formellen Voraussetzungen (Teil II Nr. 20 Abs. 3 AVB) und die Höhe des Anspruchs der Klägerin sind unstreitig. Dieser bemisst sich wie folgt (s. Tenorziffer 2. des Ersturteils):
43 Tage x 25,00 € = 1.075,00 €
46
c) Die Feststellungen zu Grund und Höhe der Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (LGU 8) greift die Berufung nicht an und etwaige Bedenken sind für den Senat auch nicht ersichtlich.
47
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
48
3. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Rechtsstreit betrifft die Anwendung höchstrichterlich anerkannter Grundsätze in einem konkreten Einzelfall.
49
4. Der Streitwert wurde gemäß §§ 47 Abs. 1 und 2, 48 Abs. 1, 43 Abs. 1 GKG festgesetzt.