Titel:
Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl 2023
Normenketten:
BV Art. 7 Abs. 3
BayLWG Art. 1 Abs. 1 Nr. 2
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1, S. 2, Art. 33 Abs. 1
Leitsätze:
Art. 7 Abs. 3 BV und das auf dieser Grundlage beruhende Wohnungs- bzw. Aufenthaltserfordernis in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG für die Stimmberechtigung bei Landtagswahlen verstoßen nicht gegen das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG. (Rn. 27 – 28)
Dass in Art. 7 Abs. 3 BV und Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 BayLWG festgelegte Wohnungs- oder Aufenthaltserfordernis als Wahlberechtigungsvoraussetzung ist das geeignete und übliche Instrumentarium, um Stimmenungleichgewichte und eine Mehrfachwahl in mehreren Bundesländern auszuschließen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wahlprüfung, Stimmrecht, Wohnsitz, Aufenthalt, Mindestaufenthalt, Wohnsitzregelung, Rechtfertigung, Gültigkeit, Homogenitätsgebot, Landtagswahl
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26801
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
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I. Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl 2023.
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1. Am 8. Oktober 2023 fand die Wahl zum Bayerischen Landtag für die 19. Legislaturperiode statt. Die Bekanntmachung des Landeswahlleiters des Freistaates Bayern vom 24. Oktober 2023 zum Ergebnis der Wahl wurde am 10. November 2023 veröffentlicht (StAnz Nr. 45). Danach fielen auf die im Landtag vertretenen Parteien folgende Anteile der gültig abgegebenen Stimmen: CSU 5.059.571 (= 37,0%, 85 Sitze), GRÜNE 1.972.725 (= 14,4%, 32 Sitze), FREIE WÄHLER 2.163.849 (= 15,8%, 37 Sitze), AfD 2.000.435 (= 14,6%, 32 Sitze), SPD 1.140.753 (= 8,4%, 17 Sitze).
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2. Der in Rheinland-Pfalz wohnhafte Antragsteller beanstandete mit (nicht vorgelegter) Wahlbeschwerde vom 13. November 2023 gegenüber dem Bayerischen Landtag die Gültigkeit der Landtagswahl vom 8. Oktober 2023. Die Beanstandung umfasste nach seinen unwidersprochenen Angaben zwei Themenkomplexe: Zum einen rügte er, dass die Regelung zum Mindestaufenthalt in Bayern für die Stimmberechtigung gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG das nach Art. 7 Abs. 1 und 2 BV allen deutschen Staatsangehörigen zustehende Recht zur Teilnahme an Wahlen verletze und auch gegen Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 und 3 GG verstoße. Gerade Art. 3 Abs. 3 GG verbiete verfassungsrechtlich jegliche Ungleichbehandlung nach Herkunft oder Wohnsitz. Zum anderen erhob er eine Rüge im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 LWG, wonach bei den Wahlen zum Landtag alle Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG, die am Tag der Abstimmung das 18. Lebensjahr vollendet haben, stimmberechtigt sind. Seiner Auffassung nach ist, um rechtlich verbindlich zu wissen, ob jemand Deutscher nach Art. 116 Abs. 1 GG ist, ein entsprechender rechtsgestaltender Verwaltungsakt zwingend notwendig. Die „Deutscheneigenschaft“ müsse nachweislich zum Zeitpunkt der Erstellung der Wählerlisten und am Tag der Wahl vorliegen, um den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben Genüge zu tun. Da davon auszugehen sei, dass hinsichtlich der Landtagswahl im Freistaat Bayern diesbezüglich keine Verwaltungsakte stattgefunden hätten, sei die Landtagswahl für ungültig zu erklären.
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Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (im Folgenden: Innenministerium) hielt in seiner vom Bayerischen Landtag eingeholten Stellungnahme die Wahlbeanstandung für unzulässig und im Übrigen für unbegründet. Der Antragsteller sei in Rheinland-Pfalz wohnhaft und deshalb nicht zur Landtagswahl stimmberechtigt gewesen. Wahlbeanstandungen könnten nur von Stimmberechtigten erhoben werden. Im Hinblick auf die sachliche Berechtigung der erhobenen Rügen zum Mindestaufenthalt in Bayern einerseits und zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit andererseits führte das Innenministerium unter näherer Begründung im Einzelnen aus, dass ein Rechtsverstoß oder Wahlfehler, der subjektive Rechte von Stimmberechtigten oder Wählern verletzt haben könnte, nicht erkennbar sei.
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3. Mit Beschluss vom 14. März 2024 empfahl der Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration, die Gültigkeit der Wahl zum Bayerischen Landtag vom 8. Oktober 2023 festzustellen; die Beanstandungen der Landtagswahl u. a. durch den Antragsteller seien als unzulässig bzw. unbegründet zurückgewiesen worden (LT-Drs. 19/726). Auf Grundlage dieser Beschlussempfehlung stellte die Vollversammlung des Bayerischen Landtags am 9. April 2024 die Gültigkeit der Landtagswahl 2023 fest (LT-Drs. 19/1552).
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II. Mit der am 9. Mai 2024 eingegangenen und als „Klage“ gegen den Beschluss des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration vom 14. März 2024 bzw. gegen den Beschluss vom 9. April 2024 bezeichneten Antragsschrift verfolgt der Antragsteller die Rügen aus seinen Wahlbeanstandungen vor dem Landtag weiter. Er beantragt, die bayerische Landtagswahl vom 8. Oktober 2023 für ungültig zu erklären. Daneben begehrt er verschiedene gerichtliche Feststellungen, die mit dieser Wahl bzw. dem zugehörigen Verfahren in Zusammenhang stehen.
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Zur Begründung trägt der Antragsteller in der Antragsschrift und ergänzenden Schreiben vom 1. August und 8. September 2024 zusammengefasst Folgendes vor:
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1. Es treffe zu, dass er seinen Wohnsitz in Rheinland-Pfalz habe. Zudem habe er „aus historischen Gründen auch noch die Staatsangehörigkeit Bundesstaat Bayern parallel mit der deutschen Staatsangehörigkeit zum deutschen Staat entsprechend § 3 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 RuStAG“. Durch Landesrecht inklusive der Landesverfassungen, die gemäß Art. 28 Abs. 1 GG dem Grundgesetz entsprechen müssten, dürften dem Antragsteller keine nach Völkerrecht, Weimarer Verfassung und dem Grundgesetz zugestandenen Rechte vorenthalten bzw. entzogen werden; nach Art. 33 Abs. 1 GG besitze jeder Deutsche in allen Landesteilen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte. Die Regelung in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG, wonach bei Wahlen zum Landtag nur diejenigen Deutschen stimmberechtigt sind, die seit mindestens drei Monaten ihre (Haupt-)Wohnung oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, widerspreche sowohl Art. 33 Abs. 1 GG als auch dem Gleichheitsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 und 3 GG. Art. 7 Abs. 3 BV, nach dem die Ausübung des Wahlrechts von der Dauer eines Aufenthalts bis zu einem Jahr abhängig gemacht werden kann, sei offensichtlich unvereinbar mit dem Grundgesetz.
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2. Entsprechend sei sein gegen die Gültigkeit der Landtagswahl gerichteter Antrag vor dem Verfassungsgerichtshof zulässig. Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG und Art. 53 LWG, wonach nur Stimmberechtigte antragsberechtigt sind, stünden ebenfalls nicht im Einklang mit dem Grundgesetz als höherrangigem Recht, seien insbesondere nicht mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG sowie Art. 33 Abs. 1 GG vereinbar.
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3. Im Hinblick auf den für eine gültige Wahl von ihm für erforderlich gehaltenen Nachweis der in Art. 1 Abs. 1 LWG für die Stimmberechtigung vorausgesetzten deutschen Staatsangehörigkeit vertieft und ergänzt der Antragsteller unter Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Innenministeriums seine Beanstandungen aus dem Wahlprüfungsverfahren vor dem Landtag.
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III. Der Bayerische Landtag hält den Antrag auf Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl 2023 für unzulässig und jedenfalls unbegründet.
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1. Der Antrag sei unzulässig, da der Antragsteller keinen Wohnsitz in Bayern habe und damit bei der Landtagswahl 2023 nicht stimmberechtigt gewesen sei, Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG. Bereits die Wahlbeanstandung gegenüber dem Landtag sei aus dem gleichen Grund gemäß Art. 53 LWG unzulässig gewesen.
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2. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet.
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a) Die Rügen zum Mindestaufenthalt in Bayern für die Stimmberechtigung gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG seien unberechtigt. Es sei verfassungskonform und entspreche dem gängigen Wahlrechtsverständnis in Bayern und allen anderen Bundesländern, dass nur diejenigen bei Landtagswahlen stimmberechtigt sind, die schon seit einer gewissen Zeit dort wohnen. Gemäß Art. 7 Abs. 3 BV könne die Wählbarkeit an einen Aufenthalt von bis zu einem Jahr geknüpft werden. Die Aufenthaltsdauer im jeweiligen Wahlgebiet solle sicherstellen, dass nur diejenigen wählen, die ausreichend mit den Verhältnissen vor Ort vertraut sind und sich dort ernsthaft, nicht nur vorübergehend, niedergelassen haben. Die Regelung sei für Landtagswahlen auch sachgerecht. Im Gegensatz zu Bundestags- und Europawahlen reiche die deutsche Staatsangehörigkeit allein nicht aus, um zu bestimmen, wer zum „Wahlvolk“ gehöre. Ohne eine Mindestaufenthaltsdauer könnte jeder Deutsche überall in jedem Bundesland mitwählen, egal wo er wohne oder sich aufhalte. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof habe bereits auf eine Popularklage hin in seiner Entscheidung vom 9. November 2018 (VerfGHE 71, 261) klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Regelung, die das Wahlrecht für den Landtag nicht an das Wohn- oder Aufenthaltserfordernis binden würde, mit erheblichen verfassungsrechtlichen Problemen verbunden wäre.
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b) Die für die Stimmberechtigung erforderliche deutsche Staatsangehörigkeit werde regelmäßig durch die Bestimmungen zur Eintragung ins Wählerverzeichnis (Art. 3 Abs. 1 LWG, § 13 Abs. 1 LWO) i. V. m. den Vorschriften des Melderechts gesichert und belegt. Basis für die Wählerverzeichnisse seien die Melderegister. Für den Vermerk über die Staatsangehörigkeit im Melderegister gemäß §§ 2, 3 Abs. 1 Nr. 10 des Bundesmeldegesetzes (BMG) müsse der Meldebehörde ein gültiger Ausweis mit darin bestätigter Staatsangehörigkeit gezeigt werden. Diese Angabe gelte als Beleg für die deutsche Staatsangehörigkeit und werde automatisch in das kommunale Wählerverzeichnis übernommen. Die Wahlbehörden prüften die Staatsangehörigkeit normalerweise nicht nach, weil das bei über 9 Mio. Wahlberechtigten zu aufwendig wäre. Nur wenn es Zweifel an der Richtigkeit des Melderegisters gebe, müsse die Wahlbehörde dies klären, zum Beispiel durch Vorlage eines gültigen Ausweispapiers.
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IV. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird abgesehen, da eine solche nach der Sach- und Rechtslage nicht geboten erscheint (Art. 48 Abs. 3 Satz 4 VfGHG).
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V. 1. Die „Klage“ des Antragstellers ist seinem erkennbaren Rechtsschutzbegehren entsprechend als Antrag auf Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl 2023 im Sinn der Art. 2 Nr. 3, Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG auszulegen. Dies ist der einzige insoweit in Betracht kommende verfassungsgerichtliche Rechtsbehelf. In Wahlrechtsangelegenheiten können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, grundsätzlich nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren nach Art. 48 VfGHG angefochten werden. Dies schließt insbesondere den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde aus (vgl. VerfGH vom 21.11.1975 VerfGHE 28, 207/209; vom 5.2.1992 VerfGHE 45, 3/6 f., jeweils m. w. N.; Möstl in Lindner/ Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 33 Rn. 7; Huber in Meder/ Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 33 Rn. 8 m. w. N.).
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2. Der Antrag mit seiner wesentlichen Begründung ist am 9. Mai 2024 schriftlich per Telefax beim Verfassungsgerichtshof eingegangen. Die seit dem Beschluss des Landtags vom 9. April 2024 laufende Monatsfrist und die weiteren formalen Anforderungen gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 VfGHG wurden damit eingehalten. Auf die Ausführungen des Antragstellers zu einer angeblich erforderlichen, aber fehlenden Rechtsmittelbelehrungkommt es nicht an.
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3. Der Antragsteller ist trotz seines Wohnsitzes in Rheinland-Pfalz und des dadurch bedingten Ausschlusses vom Stimmrecht teilweise als antragsberechtigt anzusehen. Zwar können nach dem Wortlaut des Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG nur „Stimmberechtigte“, deren Wahlbeanstandung vom Landtag verworfen worden ist, einen zulässigen Antrag stellen; nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG sind stimmberechtigt nur Deutsche im Sinn des Art. 116 Abs. 1 GG, die am Tag der Abstimmung seit mindestens drei Monaten in Bayern ihre (Haupt-)Wohnung haben oder sich sonst in Bayern gewöhnlich aufhalten. Soweit aber gerade die gesetzliche Regelung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG, welche die Stimmberechtigung einschränkt, Gegenstand des Wahlprüfungsantrags des Antragstellers ist, steht dessen fehlender Wohnsitz oder Mindestaufenthalt in Bayern als auch für die Begründetheit maßgeblicher Umstand der Zulässigkeit nicht entgegen (vgl. zur Beschwerdebefugnis bei Streit um die Wahlberechtigung auf Bundesebene BVerfG vom 29.1.2019 BVerfGE 151, 1 Rn. 27; Walter in Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, § 48 Rn. 19; Lenz/Hansel, BVerfGG, 4. Aufl. 2024, § 48 Rn. 26). Unterstellt, der Antragsteller hätte in der Sache Recht und der Ausschluss nicht in Bayern wohnender Deutscher vom Stimmrecht gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG wäre verfassungswidrig, könnten ansonsten gerade die von dem Ausschluss Betroffenen dessen Verfassungswidrigkeit im Wahlprüfungsverfahren nicht geltend machen, obwohl der bayerische Gesetzgeber (einer kurz zuvor erfolgten Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen folgend, vgl. LT-Drs. 16/14072 S. 10) durch Gesetz vom 11. Dezember 2012 (GVBl S. 620) in Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG den einzelnen Wahlberechtigten eine individuelle Antragsberechtigung eingeräumt hat (ungeachtet des primär dem Schutz des objektiven Wahlrechts dienenden Charakters dieses Verfahrens; vgl. zum Meinungsstreit zu den Schutzzwecken des Art. 33 BV Möstl in Lindner/Möstl/ Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 33 Rn. 1 und 7; Huber in Meder/ Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 33 Rn. 1 und 6).
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4. Soweit der Antragsteller die Gültigkeit der Wahl aus davon unabhängigen Gründen bestreitet, nämlich im Hinblick auf den aus seiner Sicht nicht ausreichenden Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit der Wählenden durch die geltenden Bestimmungen zur Eintragung ins Wählerverzeichnis, ist der Antrag hingegen unzulässig. Denn seine Wahlbeanstandung zur Einschränkung der Stimmberechtigung durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG hat in der Sache keinen Erfolg (vgl. nachfolgend unter VI. B.). Damit war der Antragsteller als außerhalb Bayerns Wohnender bei der Landtagswahl 2023 nicht stimmberechtigt und kann seine Antragsbefugnis im Übrigen nicht auf Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG stützen.
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Es besteht auch kein Anlass, im Hinblick auf die vom Antragsteller geäußerten Bedenken an der Vereinbarkeit (auch) von Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG mit Art. 3 Abs. 1 und 3 GG sowie Art. 33 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen. Der Verfassungsgerichtshof teilt diese Bedenken schon deshalb nicht, weil Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG selbst die Zulässigkeit der Antragstellung nicht vom Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Antragstellenden abhängig macht, sondern – per se herkunftsneutral und offensichtlich sachorientiert – an die Stimmberechtigung bei der betroffenen Wahl anknüpft (vgl. allgemein zur Verfassungs- und Grundgesetzmäßigkeit des damals noch weit restriktiver gefassten Art. 48 Abs. 1 VfGHG in der vom 1. Januar 1991 bis 31. Juli 1998 geltenden Fassung auch VerfGH vom 5.2.1992 VerfGHE 45, 3/6 ff.).
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VI. Der Antrag auf Feststellung der Ungültigkeit der Landtagswahl 2023 ist, soweit seine Zulässigkeit angenommen wird, unbegründet.
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Die Wahlprüfung durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 33 Satz 2, Art. 63 BV, Art. 48 VfGHG dient in erster Linie dem Schutz des objektiven Wahlrechts und ist nicht auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wahl beschränkt. Ihr Ziel ist die Feststellung der verfassungs- und gesetzmäßigen Zusammensetzung des Landtags in der laufenden Legislaturperiode. Nach dem im Wahlprüfungsverfahren geltenden Erheblichkeitsgrundsatz kann ein Antrag nur dann zum Erfolg führen, wenn Wahlfehler behauptet und festgestellt werden, die die konkrete Mandatsverteilung beeinflusst haben könnten. Eine solche Möglichkeit darf nicht nur theoretisch bestehen, sondern muss vielmehr nach allgemeiner Lebenserfahrung konkret und nicht ganz fernliegend sein.
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Bei der Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl prüft der Verfassungsgerichtshof zum einen, ob die Wahlvorschriften richtig angewendet worden sind.
Als Wahlfehler in diesem Sinn sind Verstöße gegen das materielle und formelle Wahlrecht zu verstehen. Prüfungsmaßstab sind danach die das Wahlverfahren unmittelbar regelnden Vorschriften, z. B. des Landeswahlgesetzes, daneben aber auch andere Vorschriften, die den ungestörten und ordnungsgemäßen Verlauf der Wahl gewährleisten, wie etwa die in Art. 14 Abs. 1 BV niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze. Zum anderen erstreckt sich die Kontrolle darauf, ob die der Wahl zugrunde liegenden einfachrechtlichen Vorschriften mit der Verfassung vereinbar sind, da die verfassungsmäßige Rechtsgrundlage Voraussetzung für eine gültige Wahl ist (VerfGH vom 23.10.2014 VerfGHE 67, 263 Rn. 27 ff. m. w. N.).
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Nach diesen Grundsätzen hat die Beanstandung des Antragstellers zum Erfordernis einer (Haupt-)Wohnung oder eines Mindestaufenthalts von drei Monaten in Bayern für die Stimmberechtigung zur Landtagswahl gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG keinen Erfolg.
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Dass Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG mit Art. 7 Abs. 3 BV, nach dem die Ausübung des Wahlrechts von der Dauer eines Aufenthalts bis zu einem Jahr abhängig gemacht werden kann, in Einklang steht, ist offensichtlich (vgl. VerfGH vom 9.10.2018 VerfGHE 71, 261 Rn. 39). Dies stellt der Antragsteller auch nicht in Frage. Er ist vielmehr unter Berufung auf Art. 28 Abs. 1, Art. 33 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 und 3
GG der Auffassung, dass (auch) die verfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage des Art. 7 Abs. 3 BV ihrerseits mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, da jeder Deutsche in allen Landesteilen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte besitze.
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Dem kann nicht gefolgt werden. Der Verfassungsgerichtshof hat die in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG getroffene Regelung über die Ortsbindung als Wahlberechtigungsvoraussetzung bereits in der zitierten Entscheidung vom 9. Oktober 2018 in einem Popularklageverfahren umfassend auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft und diese bejaht (vgl. VerfGHE 71, 261 Rn. 40 f.).
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Er ist in der Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, dass das in Art. 7 Abs. 3 BV und Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG festgelegte Wohnungs- oder Aufenthaltserfordernis als Wahlberechtigungsvoraussetzung das geeignete und „übliche“ Instrumentarium ist, um Stimmenungleichgewichte und eine Mehrfachwahl in mehreren Bundesländern auszuschließen, und dass dies in vergleichbarer Weise auch in allen anderen Bundesländern vorgesehen ist. Der Verfassungsgerichtshof teilt in der für den vorliegenden Antrag zuständigen Zusammensetzung die dortigen Erwägungen, insbesondere die Auffassung, dass im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung aller Staatsbürger bei der Ausübung des aktiven Wahlrechts, das eine der wesentlichen Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung darstellt, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Regelung bestünden, die das Wahlrecht für den Landtag nicht an das Wohnungs- bzw. Aufenthaltserfordernis koppeln würde. Art. 7 Abs. 3 BV und das auf seiner Grundlage erlassene Wohnungs- bzw. Aufenthaltserfordernis in Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 LWG lassen den Gedanken der Sesshaftigkeit zum Zug kommen und widersprechen nicht dem in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV verankerten Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Ohne dieses Erfordernis könnten in Bayern wahlberechtigte Staatsbürger, die nicht im Ausland, sondern in einem anderen Bundesland leben, ihre Stimme bei Landtagswahlen in mehreren Bundesländern abgeben. Hierdurch könnten sie im Vergleich zu Personen, die lediglich in einem Bundesland stimmberechtigt sind, mehr Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundesrates und der Bundesversammlung sowie auf die Wahl von Bundesrichtern nehmen. Das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG, das bei der Auslegung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen in Art. 7 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BV sowie bei der Bestimmung des Inhalts des Demokratieprinzips zu berücksichtigen ist, will dasjenige Maß an struktureller Homogenität zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten gewährleisten, das für das Funktionieren eines Bundesstaates unerlässlich ist. Deshalb müssen Stimmenungleichgewichte und eine Mehrfachwahl durch Regelungen ausgeschlossen werden, die eine Wahl grundsätzlich nur in einem Bundesland zulassen.
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Die entgegenstehende Rechtsauffassung des Antragstellers findet im Übrigen keine Stütze in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder der bundesrechtlichen Kommentarliteratur insbesondere zu Art. 33 GG. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits am 30. März 1992 zum bayerischen Gemeindewahlrecht entschieden, dass die damaligen Vorschriften im Gemeindewahlgesetz und der Gemeindewahlordnung, die den Aufenthalt in der Gemeinde als Voraussetzung der Wahlberechtigung bei den bayerischen Gemeinderatswahlen regelten, weder Art. 3 Abs. 1 noch Art. 33 Abs. 1 GG verletzten und auch nicht gegen die in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auch für Kommunalwahlen vorgeschriebenen Wahlrechtsgrundsätze verstießen. Diese schlössen es nicht aus, das Wahlrecht von dem Erfordernis der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet abhängig zu machen (BVerfG NVwZ 1993, 55/56). Auch in der Kommentarliteratur ist, soweit ersichtlich, unstrittig, dass die Beschränkung demokratischer Wahl- und Abstimmungsrechte auf Einwohner eines Landes (oder einer Gemeinde) zulässig ist, sofern Bürgern aus anderen Bundesländern und Staaten der Europäischen Union der Zuzug in das Land (oder die Gemeinde) und damit die Erfüllung der Bedingung für die Rechtseinräumung möglich ist und an den Einwohnerstatus keine diskriminierenden Voraussetzungen wie ein dauerhafter oder langjähriger Wohnsitz im Land geknüpft werden; Wohnsitzregelungen in der Wahlgesetzgebung seien in einem Bundesstaat sachgerecht und systembedingt (vgl. beispielsweise Brosius-Gersdorf in Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 33 Rn. 71; Blickenbach in von Münch/Künig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 33 Rn. 40; Badura in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 33 Rn. 13; Battis in Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 33 Rn. 18).
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Aus der fehlenden Stimmberechtigung des Antragstellers ergibt sich damit die bereits oben (unter V. 4.) festgestellte Unzulässigkeit des Antrags, die Ungültigkeit der Wahl aus davon unabhängigen Gründen festzustellen.
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VII. Die vom Antragsteller neben dem Begehren auf Ungültigerklärung der Landtagswahl 2023 ergänzend gestellten Feststellungsanträge haben entweder keinen selbstständigen Inhalt, betreffen etwaige Zwischenfeststellungen bezüglich der unzulässigen Wahlbeanstandung zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit der Wählenden, sind nicht entscheidungserheblich oder zielen auf Zwischen- oder Nebenfeststellungen ab, für die im Wahlprüfungsverfahren von vornherein kein Raum besteht.
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VIII. Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).