Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 29.09.2025 – W 5 S 25.1589
Titel:

Erfolgloser Eilrechtsschutz gegen sofort vollziehbare Baueinstellungsanordnung wegen fomeller Illegalität

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Nr. 4, Abs. 3 S. 1, Abs. 5
BauGB § 30 Abs. 1
BayBO Art. 57, Art. 75 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a
VwZVG Art. 21a S. 1
Leitsätze:
1. Für eine Sofortvollzugsanordnung ist grundsätzlich eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des Vorrangs des besonderen öffentlichen Interesses am Sofortvollzug vor dem Privatinteresse des Betroffenen, zunächst von dem Verwaltungsakt verschont zu werden, notwendig. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das besondere öffentliche Vollzugsinteresse an einer Baueinstellungsanordnung ergibt sich bereits aus der Art und dem Zweck der Baueinstellung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Dauerverwaltungsakts einer  Baueinstellungsverfügung, ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wenn ein aus mehreren Baumaßnahmen bestehendes Gesamtvorhaben als Einheit, zB planerisch, technisch oder funktionell zu behandeln ist, unterliegt es insgesamt der Genehmigungspflicht, auch wenn einzelne Teile für sich allein genehmigungsfrei wären. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
5. Wegen des öffentlichen Interesses an der Verhinderung unzulässiger Bauarbeiten ist an die Ermessensausübung und deren Begründung nur geringe Anforderungen zu stellen (sog. intendiertes Ermesen). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Baueinstellung, Errichtung einer Terrasse anstelle von Balkonen, Errichtung einer Mauer zur Herstellung einer Terrasse, Abweichen von den genehmigten Bauvorlagen, keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, Gesamtvorhaben, Eilverfahren, aufschiebende Wirkung, Sofortvollzugsanordnung, Interessenabwägung, öffentliches Vollzugsinteresse, privates Aussetzungsinteresse, gesetzlicher Sofortvollzug, Baurecht, Baugenehmigung, Bauplanabweichung, Baueinstellungsverfügung, intendiertes Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26770

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerinnen begehren die Wiederherstellung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer von ihnen erhobenen Anfechtungsklage gegen eine mit einer Zwangsgeldandrohung verbundene Baueinstellungsanordnung des Landratsamts W..
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1. Die Antragstellerinnen sind Eigentümerinnen des Grundstücks Fl.Nr. …2 der Gemarkung V …, S … … in V … (Baugrundstück). Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „I. d. S … – Teil …“ (1. Änderung vom …1976 und 4. Änderung vom …1986). Darin findet sich die Festsetzung, dass Terrassen „dem natürlichen Gelände entsprechend anzupassen und sanft zu modellieren“ (vgl. Sonstige Festsetzungen, Buchst. d)) sind. Für das Baugrundstück sind im Bebauungsplan zudem Baugrenzen festgelegt.
3
Auf den Bauantrag der Antragstellerinnen vom 6. November 2023 ( … …) erteilte das Landratsamt W. mit Bescheid vom 25. März 2024 die Baugenehmigung für den „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit acht Wohneinheiten“ auf dem Baugrundstück unter einer Befreiung für das geringfügige Überschreiten der Baugrenze durch die untergeordneten Balkone von 0,90 m bis 1,80 m nach § 23 Abs. 3 BauNVO. Ausweislich der mit Genehmigungsvermerk versehenen Baueingabepläne sind auf der Westseite des Wohnhauses im Erdgeschoss wie auch im Obergeschoss jeweils drei Balkone mit einer Grundfläche von 3,0 m² aufgeplant, die teilweise die Baugrenze überschreiten (vgl. Grundriss Erdgeschoss). Das geplante Gelände wie auch das ursprüngliche Gelände an der Westseite des Gebäudes ist an der südlichen Gebäudeecke mit – 0,45 (vgl. Ansicht Süd und Ansicht West) und das geplante Gelände an der nördlichen Gebäudeecke mit – 0,50 und das ursprüngliche Gelände hier mit + 0,17 bemaßt (vgl. Ansicht Nord und Ansicht West). Eine Stützmauer findet sich vor der Westfassade des Gebäudes in den Eingabeplänen nicht.
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Die Antragstellerinnen stellten am 23. Mai 2024 beim Landratsamt W. einen Änderungsantrag (Az.: …) zu dem bereits genehmigten Bauvorhaben „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit acht Wohneinheiten“ (Az.: …). Dieser Änderungsantrag umfasst (zuletzt) die Errichtung von Terrassen im Erdgeschoss anstelle der ursprünglich geplanten Balkone, den Entfall des Wärmepumpenhauses sowie eine Höhenänderung der Palisaden. Ausweislich der Eingabepläne (vgl. Grundriss Erdgeschoss) überschreiten die drei Terrassen für die drei Wohnungen im Erdgeschoss auf der Westseite fast vollständig die Baugrenze, nämlich um 2,48 m bis 3,10 m auf einer Länge von 19,70 m (Terrasse 1: 17,01 m², Terrasse 3: 24,06 m² und Terrasse 2: 16,95 m²). Zur Abgrenzung der Terrassen ist auf der ganzen Westseite des Wohnhauses in einem Abstand von ca. 3 m zur Außenwand eine Mauer vorgesehen, deren Oberkante mit + 0,30 und das darauf zu errichtende Geländer mit + 0,90 bemaßt ist. Zur Errichtung der Terrassen ist eine Auffüllung des natürlichen Geländes von bis zu ca. 1 m vorgesehen. Nachdem die Gemeinde Veitshöchheim wegen der Lage der Terrassen außerhalb der Baugrenze und der geplanten Aufschüttung zu deren Errichtung das gemeindliche Einvernehmen verweigert hatte, versagte das Landratsamt W. den Antragstellerinnen mit Bescheid vom 13. Dezember 2024 die begehrte Baugenehmigung. Mit Klage vom 14. Januar 2025 (W 5 K 25.79), über die noch nicht entschieden wurde, wandten sich die Antragstellerinnen gegen den vg. Bescheid und begehrten die Verpflichtung des Antragsgegners zur Genehmigung der Terrassen statt der Balkone im Erdgeschoss.
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Am 9. Juli 2025 reichten die Antragstellerinnen einen weiteren Änderungsantrag ein („2. Tektur zu …; Terrassen im Erdgeschoss statt der Balkone“ – Az. …), der wiederum die Errichtung von Terrassen, allerdings in reduzierten Ausmaßen, nämlich mit einer Breite von jeweils 3,50 m und einer Tiefe von 2,70 m vorsieht. Ausweislich der Pläne (vgl. Grundriss Erdgeschoss) ist unmittelbar vor den Terrassen die Errichtung einer „Mauerscheibe H=1,00“ mit einer Länge von 20,45 m geplant. Der Bereich, der von Mauerscheibe und der westlichen Außenwand eingeschlossen wird, ist mit 54,829 m² bemaßt. Zu dieser Änderungsplanung verweigerte die Gemeinde Veitshöchheim ebenfalls ihr gemeindliches Einvernehmen. Seitens des Landratsamtes W. wurde hierzu noch keine Entscheidung getroffen.
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2. Die Gemeinde Veitshöchheim übermittelte am 4. September 2025 dem Landratsamt Lichtbilder, die Baumaßnahmen im Bereich der geplanten Terrassen auf der Westseite des Baugrundstücks zeigen. Hierauf führte der Baukontrolleur des Landratsamts W. am 5. September 2025 eine Baukontrolle durch, bei der festgestellt wurde, dass eine Mauer aus L-Steinen im Bereich der westlich gelegenen Terrassen bzw. Balkone errichtet wurde und bereits Material zum Hinterfüllen vor Ort war. Anlässlich dieser Baukontrolle stellte der Baukontrolleur die Bauarbeiten gegenüber Mitarbeitern der Baufirma sowie gegenüber dem mit der Bauüberwachung beauftragten Planer mündlich ein.
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Mit Bescheid vom 11. September 2025 (Az. …) bestätigte das Landratsamt W. die am 5. September 2025 durch den Baukontrolleur mündlich ausgesprochene sofortige Einstellung der auf dem Grundstück Fl.Nr. …2 der Gemarkung … stattfindenden Arbeiten im Bereich der in der Anlage 1 gelb markierten Mauerscheibe sowie dem Auffüllen der beantragten, aber bislang nicht genehmigten Terrassen (Ziffer 1). Für den Fall, dass die Antragstellerinnen entgegen der vorstehenden Ziffer 1 die Arbeiten fortsetzen oder fortsetzen lassen, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,00 EUR angedroht (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der mündlichen Baueinstellungsverfügung wurde angeordnet (Ziffer 3). Die Kosten des Verfahrens wurden den Antragstellerinnen gesamtschuldnerisch auferlegt und eine Gebühr von 150,00 EUR sowie Auslagen von 8,38 EUR festgesetzt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 BayBO für den Erlass einer Baueinstellung im vorliegenden Fall erfüllt seien. Das Herstellen der Mauerscheibe aus L-Steinen zum Errichten der Terrassen sei gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Eine Ausnahme hiervon bestehe nicht. Hierbei handele es sich auch nicht um ein verfahrensfreies Vorhaben nach Art. 57 BayBO, da die Herstellung der L-Steinmauer nicht als selbständiges Einzelvorhaben eingestuft werden könne. Vielmehr sei sie unselbständiger Teil eines einheitlich auszuführenden Gesamtvorhabens. Die Bauarbeiten des Gesamtvorhabens seien bislang auch nicht abgeschlossen. Die Aufspaltung einer einheitlichen Baumaßnahme in einen genehmigungspflichtigen und einen genehmigungsfreien Teil sei unzulässig. ln der mit Bescheid vom 25. März 2024 unter dem Aktenzeichen … genehmigten Planung existiere eine entsprechende Stützmauer nicht, weshalb eine planabweichende Bauausführung vorliege. Vielmehr sei offenkundig, dass bereits die zwar beantragte, jedoch bislang nicht genehmigte Planung (Az. …) umgesetzt werden solle. Hierfür stehe eine abschließende Entscheidung noch aus. Aufgrund des Nichtvorliegens des gemeindlichen Einvernehmens könne derzeit auch noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die nun ausgeführte Planvariante überhaupt genehmigungsfähig sei. Frau R … I … und Frau A … l … seien Eigentümerinnen des Baugrundstücks sowie Inhaberinnen der Baugenehmigung und demnach für die nichtgenehmigte Bauausführung verantwortlich. Die Baueinstellung sei daher an sie zu richten. Der Erlass einer Baueinstellung liege im Ermessen der zuständigen Unteren Bauaufsichtsbehörde. Die ausgesprochene Einstellung der Bauarbeiten entspreche pflichtgemäßem Ermessen. Ziel der Baueinstellung sei, die Fortführung von unzulässigen Bauarbeiten bzw. die Verfestigung planabweichender Ausführungen zu verhindern. Die Anordnung in Ziffer 1 dieses Bescheids sei hierzu geeignet und erforderlich. Sie sei außerdem auch angemessen, da das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände höher zu werten sei als das wirtschaftliche Interesse an der Fortsetzung der Bauarbeiten einerseits und das Eigentumsrecht aus Art. 14 GG andererseits. Überdies könnten mit der Baueinstellung, für den Fall einer teilweisen Rückbauverpflichtung nach Prüfung der Zulässigkeit der durchgeführten Änderungen, nicht zuletzt auch unnötige Investitionen durch die Bauherrschaft vermieden werden.
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Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG, die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Hierfür sei erforderlich, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit das private Interesse des von der Baueinstellung Betroffenen an einem Zuwarten bis zur Bestandskraft des Bescheides überwiege. lm Fall der Baueinstellung entspreche der Ausspruch der sofortigen Vollziehbarkeit dem Vorgehen im Regelfall. Würde die sofortige Vollziehbarkeit nicht ausgesprochen, könnten bis zur Unanfechtbarkeit/Bestandskraft des Bescheides die Bauarbeiten so weit fortgeschritten sein, dass das Vorhaben weitestgehend fertiggestellt wäre. Mit dem Ausspruch der Genehmigungspflicht habe der Gesetzgeber klargestellt, dass er eine (präventive) Kontrolle solcher Vorhaben möchte, bevor mit deren Ausführung begonnen werde. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift wiege deshalb hoch. Ein nachvollziehbares Interesse der Betroffenen an einem Fortsetzen der nicht mit dem Gesetz in Einklang stehenden Bauarbeiten sei demgegenüber nicht ersichtlich.
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3. Am 22. September 2025 erhoben die Antragstellerinnen durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Landratsamts W. vom 11. September 2025 (W 5 K 25.1588) und ließen im hiesigen Verfahren beantragen,
Die wiederherstellende (richtig: aufschiebende) Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts W. vom 11.09.2025, AZ: … …- … wird wiederhergestellt.
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Zur Begründung führte der Bevollmächtigte der Antragstellerinnen im Wesentlichen aus: Der angefochtene Bescheid des Landratsamts W. sei rechtswidrig und aufzuheben. Zur Begründung des Bescheids habe das Landratsamt darauf abgestellt, dass mit der Mauer und der Hinterfüllung eine Umsetzung der Herstellung von Terrassen erfolge, deren Zulässigkeit Gegenstand des Rechtsstreits W 5 K 25.79 sei. Weder mit der Stützmauer noch mit der Hinterfüllung werde eine Terrasse hergestellt. Eine Terrasse sei eine bauliche Anlage, die mit dem Erdboden verbunden und aus Baustoffen oder Bauprodukten hergestellt sei. Die Stützmauer diene der Abgrenzung der Park- und Hoffläche zum Wohnhaus. Sie sei in der Anlage und in der Höhe von einem Meter nach Art. 57 Ziff. 7a BayBO verfahrensfrei. Die Hinterfüllung diene teilweise der Herstellung des ursprünglichen Geländes. Dieses sei auf der Rückseite des Gebäudes schräg verlaufen, von Westen von 0 m nach Osten auf 0,8 m. Die ebene Angleichung der Auffüllung bis zu den Fenstertüren im EG sei verfahrensfrei nach Art. 57 Ziff. 9 BayBO, diene der Anlage einer Grünfläche und sei aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht zur Absicherung notwendig, um eine erhebliche Unfallgefahr zu verhindern, die ohne Auffüllung bestehe, wenn bei offener Fenstertüre ein Austritt ins Freie unweigerlich einen Sturz auf das ohne Hinterfüllung einen Meter tiefer liegende Bodenniveau zur Folge habe. Ob und in welcher Größe auf dieser Grünfläche jeweils eine Terrasse vor den EG-Wohnungen errichtet werde, bleibe dem Ausgang des Rechtsstreits im Verfahren W 5 K 25.79 vorbehalten. Die Hinterfüllung und die Anlage einer Grünfläche sei keine, wie das Landratsamt W. annehme, unzulässige Vorwegnahme der Herstellung einer Terrasse. Die Anlage einer Grünfläche vor einem Wohngebäude sei in keinem Fall genehmigungspflichtig. Die dazu erforderlichen und durchzuführenden Arbeiten beträfen keine ungenehmigte Bauausführung, die von einer Planvorgabe abweichen würde. Die vom Bescheid des Landratsamts erfassten Bauarbeiten seien zulässig; es handele sich weder um planabweichende Arbeiten noch um Arbeiten, die eine planabweichende Ausführung verfestigten.
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Das von den Antragstellerinnen errichtete Mehrfamilienhaus werde von den Mietern zum 1. Oktober 2025 bezogen. Die unverzügliche Fertigstellung der Stützmauer und die Hinterfüllung seien somit notwendig, um eine erhebliche Sturzgefahr für die Mieter der EG-Wohnungen zu verhindern. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit einer Baueinstellung für Arbeiten, die verfahrensfrei seien und zur Herstellung eines verkehrssicheren Zustands des Geländes in Bezug auf die Nutzung des Gebäudes erforderlich seien, sei nicht erkennbar. Dementsprechend sei der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage begründet.
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4. Das Landratsamt W. beantragte für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Antrag sei unbegründet. So entspreche im Fall der Baueinstellung der Ausspruch der sofortigen Vollziehbarkeit dem Vorgehen im Regelfall. Würde die sofortige Vollziehbarkeit nicht ausgesprochen, könnten bis zur Unanfechtbarkeit/Bestandskraft des Bescheides die Bauarbeiten so weit fortgeschritten sein, dass das Vorhaben weitestgehend fertiggestellt wäre. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift wiege deshalb hoch. Ein nachvollziehbares Interesse des Betroffenen an einem Fortsetzen der nicht mit dem Gesetz in Einklang stehenden Bauarbeiten sei demgegenüber nicht ersichtlich. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei dabei anerkannt, dass sich bei Erlass einer Baueinstellung das allgemeine öffentliche Interesse am Vollzug des Art. 75 BayBO regelmäßig mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der behördlichen Anordnung decke. Da der Hauptsacherechtsbehelf demnach keine Aussicht auf Erfolg habe und damit das Vollzugsinteresse hinsichtlich der Baugenehmigung überwiege, sei der Antrag abzulehnen. Ein anderes Ergebnis vermöge auch der Verweis auf eine vermeintliche Verkehrssicherungspflicht gegen Sturzgefahr nicht zu rechtfertigen. Bei einer plankonformen Ausführung würden sich diesbezüglich keine Probleme ergeben.
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Im Übrigen wurde auf die Begründung für den Klageabweisungsantrag im Verfahren W 5 K 25.1588 Bezug genommen. Dort wurde u.a. ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 BayBO für den Erlass einer Baueinstellung im vorliegenden Fall erfüllt seien, da bei der Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen worden sei. Die Antragstellerinnen hätten damit eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften geändert und errichtet. Da es eine maßgebliche Funktion des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO sei, etwaige Bauherrn auf die durch die BayBO vorgesehenen Genehmigungsverfahren zu verweisen, reiche allein die formelle Illegalität der Anlage für eine Baueinstellung grundsätzlich aus. Es genüge mithin ein „Anfangsverdacht“ dafür, dass eine bauliche Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder weitergebaut werde. Das Herstellen der Mauerscheibe aus L-Steinen zum Errichten der Terrassen sei auch gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Es handele sich nicht um ein verfahrensfreies Vorhaben nach Art. 57 BayBO, da die Herstellung der L-Steinmauer nicht als selbständiges Einzelvorhaben eingestuft werden könne. Die Bauausführung entspreche auch nicht dem genehmigten Umfang der Baugenehmigung vom 25. März 2024 (Az.: …): Die Erstellung von Terrassen an der Ostseite des Gebäudes sei in den genehmigten Planunterlagen nicht vorgesehen, vielmehr seien hier Balkone im Erdgeschoss über dem insoweit tieferliegenden Gelände eingezeichnet. Auch sonst sei keine Stützmauer an entsprechender Stelle zwischen Gebäude und geplanten Parkplätzen vorgesehen. Daher sei offenkundig, dass bereits die abgelehnte (Az.: …) bzw. die zwar beantragte, jedoch bislang nicht genehmigte Planung (Az. …) umgesetzt werden solle.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Gerichtsakten in den Verfahren W 5 K 25.79 und W 5 K 25.1588 Bezug genommen.
II.
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Der Antrag, der nach §§ 122 Abs. 1 und 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen ist, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Verfahren W 5 K 25.1588 bezüglich der Verfügung unter Ziffer 1 des Bescheids des Landratsamts W. vom 11. September 2025 wiederherzustellen und gegen Ziffer 2 des Bescheids anzuordnen, hat keinen Erfolg.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
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Die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellerinnen erhobenen Anfechtungsklage gegen die unter Ziffer 1 des Bescheids vom 11. September 2025 verfügte Baueinstellung ist entfallen, weil das Landratsamt W. diese Anordnung unter Ziffer 3 des Bescheids gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat. In diesem Fall kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
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Soweit der Antrag gegen die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Zwangsgeldandrohung in Höhe von 2.500,00 EUR gerichtet ist, ist er – als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung – ebenfalls zulässig. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) entfaltet die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung keine aufschiebende Wirkung, weil es sich hierbei um eine in der Verwaltungsvollstreckung getroffene Maßnahme handelt. Gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG gelten § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 der VwGO entsprechend. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
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2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 11. September 2025 ist nicht begründet.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. des Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – juris; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – juris; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85, 90 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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2.1. Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat das Landratsamt W. die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Erforderlich ist grundsätzlich eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (Kopp/Schenke, VwGO, 31. Aufl. 2025, § 80 Rn. 85).
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Diesen Anforderungen wird die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit im Bescheid vom 11. September 2025 ohne weiteres gerecht. Das Landratsamt W. hat darauf abgestellt, dass dem Vollzugsinteresse der Vorrang gegenüber dem Aufschiebungsinteresse eingeräumt werden müsse und dass hier das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit das private Interesse des von der Baueinstellung Betroffenen an einem Zuwarten bis zur Bestandskraft des Bescheides überwiege. Es hat weiter darauf abgestellt, dass für den Fall, dass die sofortige Vollziehbarkeit nicht ausgesprochen würde, die Bauarbeiten soweit fortgeschritten sein würden, dass das Vorhaben weitestgehend fertiggestellt wäre. Ein nachvollziehbares Interesse der Betroffenen an einem Fortsetzen der nicht mit dem Gesetz in Einklang stehenden Bauarbeiten sei nicht ersichtlich. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift wiege hoch. Damit zeigt die Begründung, dass sich die anordnende Behörde des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und lässt zugleich die Erwägungen erkennen, die sie für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich erachtet. Ohnehin bedarf es bei der Baueinstellung keiner eingehenden einzelfallbezogenen Begründung des Sofortvollzugs, da sich das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug bereits aus der Art und dem Zweck der Baueinstellung ergibt (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 109 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 24.10.1977 – 213 II 76 – BayVBl 1978, 19).
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2.2. Im vorliegenden Fall lässt sich bereits aufgrund einer summarischen Überprüfung feststellen, dass die Klage der Antragstellerinnen gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Die verfügte Baueinstellung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt die Antragstellerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unter Berücksichtigung dessen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung vorliegend das Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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2.2.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Baueinstellungsverfügung ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Denn bei einer Baueinstellung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 137 und Manssen in BeckOK BauordnungsR Bayern, Spannowsky/Manssen BayBO, 33. Ed. Stand: 1.5.2025, Art. 75 Rn. 27; jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung).
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Rechtsgrundlage für die Anordnung der Baueinstellung ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 Buchst. a) BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Das gilt auch dann, wenn bei der Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen wird.
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Die Vorschrift des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist ein Instrument präventiver Bauaufsicht. Im Interesse der Effektivität sollen Bauarbeiten, die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls auf ein Vorhaben gerichtet sind, das wahrscheinlich mit dem formellen und/oder materiellen Baurecht nicht vereinbar ist, bereits in der Entstehung unterbunden werden. Als Voraussetzung für eine Baueinstellungsverfügung genügen deshalb objektive konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Baurecht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht dagegen auch die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 48; Weber in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Aufl. 2022, Art. 75 Rn. 5; BayVGH, U.v. 27.8.2002 – 26 B 00.2110 – juris). Die Gefahrenschwelle wird dabei von der Rechtsprechung bewusst niedrig angesetzt. Damit keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später eventuell nur unter Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden können, genügt der „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes (Manssen in BeckOK BauordnungsR Bayern, Spannowsky/Manssen BayBO, 33. Ed. Stand: 1.5.2025, Art. 75 Rn. 27). Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt bereits im Verstoß gegen formell-rechtliche Vorschriften.
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Bei der Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens wird dann von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen, wenn bei der Bauausführung die mit den Genehmigungs- oder Prüfvermerken (Art. 68 Abs. 3 Satz 3 BayBO) versehenen Bauvorlagen, also Bauzeichnungen, Lageplan, Baubeschreibung usw., nicht eingehalten werden. Nicht erforderlich ist es, dass es sich bei dem geänderten Vorhaben gegenüber der ursprünglichen Planung um ein „aliud“ handelt (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2018 – 9 CS 18.996; B.v. 11.9.2017 – 1 ZB 16.2186; beide juris; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 56). Auch kleinere Abweichungen, die die Identität des Vorhabens nicht in Frage stellen, reichen daher aus (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 56 m.V.a. VGH Mannheim, B.v. 30.9.1996 – 3 S 2576/96 – juris). Das gilt auch für Bauteile oder bauliche Anlagen, die für sich allein betrachtet verfahrensfrei sind, aber als Bestandteil eines genehmigungspflichtigen Gesamtbauvorhabens der erteilten Baugenehmigung gemäß ausgeführt werden müssen (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.1999 – 14 B 95.3778 – juris; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 57).
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2.2.2. Die Antragstellerinnen sind bei der Ausführung des genehmigungspflichtigen Bauvorhabens „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit acht Wohneinheiten“ von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen. Die Baugenehmigung vom 25. März 2023 sieht bei der Errichtung des Wohngebäudes drei Balkone im Erdgeschoss und nicht die Errichtung von Terrassen im Erdgeschoss vor. Sie sieht auch nicht die Errichtung einer Stützmauer und die Hinterfüllung dieser Stützmauer im Bereich der westlichen Außenwand vor. Auch sonst ist in den (genehmigten) Eingabeplänen eine Stützmauer an entsprechender Stelle zwischen Gebäude und geplanten Parkplätzen nicht vorgesehen (vgl. auch die Ansichten und die Schnittdarstellung A-A, Bl. 170 d.A. …). Lediglich der mit Bescheid des Landratsamts W. vom 13. Dezember 2024 abgelehnte Änderungsantrag sieht erstmals die Errichtung von Terrassen vor. Ausweislich der Pläne zum Änderungsantrag („2. Tektur zu …) vom 9. Juli 2025 (vgl. Grundriss Erdgeschoss) ist unmittelbar vor den Terrassen die Errichtung einer „Mauerscheibe H=1,00“ mit einer Länge von 20,45 m geplant. Der Bereich, der von Mauerscheibe und westlicher Außenwand eingeschlossen wird, ist mit 54,829 m² bemaßt. Nach allem ist offenkundig, dass durch die streitgegenständlichen, vom Landratsamt W. eingestellten Baumaßnahmen nicht die mit Bescheid vom 13. Dezember 2024 genehmigte Planung, sondern die von der Bauaufsichtsbehörde abgelehnte (Az.: …- …) und im Verfahren W 5 K 25.79 streitgegenständliche bzw. die zwar beantragte, jedoch bislang nicht vom Landratsamt W. verbeschiedene Planung (Az. …) umgesetzt werden soll. Bei dem Vorbringen des Bevollmächtigten der Antragstellerinnen, weder mit der Stützmauer noch mit deren Hinterfüllung werde eine Terrasse hergestellt, vielmehr diene die Stützmauer lediglich der Abgrenzung der Park- und Hoffläche zum Wohnhaus und die Hinterfüllung diene teilweise der Herstellung des ursprünglichen Geländes, handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung, die sich mit den tatsächlichen Verhältnisse vor Ort und den Planzeichnungen nicht in Einklang bringen lässt. Vielmehr entspricht Lage und Ausführung der Stützmauer, wie sie sich vor Ort zeigt und den in der Behördenakte befindlichen Lichtbildern (vgl. Bl. 24 der Akte … entnehmen lässt, den Planzeichnungen in den beiden Änderungsverfahren. Dies gilt insbesondere für die Höheneinstellung der Mauer wie auch deren Abstand zur westlichen Außenwand des Wohnhauses.
31
Die streitgegenständlichen Maßnahmen sind – entgegen der Meinung der Antragstellerseite – nicht verfahrensfrei. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte vorbringt, dass das Errichten der einen Meter hohen Stützmauer nach Art. 57 Nr. 7 a BayBO (gemeint ist wohl Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a BayBO) ebenso verfahrensfrei sei wie das Angleichen der Geländeoberfläche, also das Auffüllen des Geländes nach Art. 57 Nr. 9 BayBO (gemeint ist wohl Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO), verkennt er, dass die Verfahrensfreiheitstatbestände des Art. 57 BayBO nur dann zur Anwendung kommen, wenn das fragliche Vorhaben selbständig als Einzelvorhaben ausgeführt wird. Art. 57 BayBO stellt nämlich weniger bedeutsame Vorhaben nur dann von der Baugenehmigungspflicht frei, wenn sie nicht im räumlichen, zeitlichen und funktionellen Zusammenhang mit einem anderen (Gesamt-)Vorhaben stehen. Das zu beurteilende Vorhaben darf also nicht unselbständiger Teil eines einheitlich auszuführenden Gesamtvorhabens sein (vgl. Weinmann in BeckOK BauordnungsR Bayern, Spannowsky/Manssen, 33. Ed. Stand: 1.5.2025, Art. 57 Rn. 19; Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 57 Rn. 12, 14; BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 1 CS 18.308 – BeckRS 2018, 8603; BayVGH, B.v. 10.11.2021 – 15 ZB 21.1329 – BeckRS 2021, 34477). Änderungen des Bauvorhabens (für das erst der Bauantrag gestellt wurde oder das schon genehmigt ist oder mit dessen Bauausführung schon begonnen wurde), die zwar für sich betrachtet genehmigungsfrei wären, aber als Teil des insgesamt genehmigungspflichtigen Vorhabens ebenfalls der Baugenehmigung bedürfen, dürfen deshalb zulässigerweise nur ausgeführt werden, wenn vorher ein Änderungsplan bei der Behörde eingereicht und genehmigt ist. Ist ein aus mehreren Baumaßnahmen bestehendes Gesamtvorhaben als Einheit, z. B. planerisch, technisch oder funktionell zu behandeln, unterliegt es insgesamt der Genehmigungspflicht, auch wenn einzelne Teile für sich allein genehmigungsfrei wären (Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 57 Rn. 14). Es kann regelmäßig dem Bauherrn nicht überlassen bleiben, ein bauaufsichtlich überprüftes und genehmigtes Bauvorhaben in Teilen anders auszuführen, da er sonst gegen den ihn bindenden Inhalt der Baugenehmigung verstößt (so ausdrücklich Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 57 Rn. 13). Von einem Einzelvorhaben kann vorliegend bzgl. der vom Landratsamt W. eingestellten Baumaßnahmen nicht gesprochen werden. Die aufgrund der der Baugenehmigung vom 25. März 2024 durchzuführenden Baumaßnahmen auf dem Baugrundstück sind noch nicht abgeschlossen. Die streitgegenständlichen Bauarbeiten stehen im räumlichen, zeitlichen und funktionellen Zusammenhang mit dem (Gesamt-)Vorhaben „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit acht Wohneinheiten“.
32
Die veränderte Bauausführung ist auch so erheblich, dass die Genehmigungsfrage insgesamt erneut aufgeworfen wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2019 – 2 CS 18.2677 sowie B.v. 9.8.2016 – 9 ZB 14.2684 – beide juris). Dies ist hier offensichtlich, soweit die Einhaltung der bauplanungsrechtlichen Vorgaben des Bebauungsplans „In der Setz – Teil IV“ bzgl. Baugrenzen und der Anpassung von Terrassen an das Gelände in Frage steht.
33
2.2.3. Für die Baueinstellung ist allein die formelle Illegalität, also insbesondere das Bauen ohne erforderliche Baugenehmigung bzw. abweichend von dieser, ausreichend. Auf die materielle Illegalität, also die Frage, ob ein Vorhaben genehmigungsfähig ist, kommt es nicht an, so dass im vorliegenden Fall nähere Ausführungen zu der vom Antragstellerbevollmächtigten im Verfahren W 5 K 25.79 aufgeworfenen Frage, ob den Antragstellerinnen ein Anspruch auf Erteilung der Änderungsgenehmigung für die Errichtung der Terrasse(n) zusteht, insbesondere ob die Zulassung einer Abweichung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, nach § 23 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 14 BauNVO oder eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt, im Rahmen der Prüfung des Tatbestands des Art. 75 Abs. 1 BayBO entbehrlich sind.
34
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass bereits der Streit über die Genehmigungspflicht eines Vorhabens die Behörde berechtigt, eine entsprechende Baueinstellung zu verfügen; es genügt der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes (BayVGH, B.v. 14.10.2013 – 9 CS 13.1407 – juris; Manssen in BeckOK BauordnungsR Bayern, Spannowsky/Manssen BayBO, 33. Ed. Stand: 1.5.2025, Art. 75 Rn. 27; Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand Juli 2025, Art. 75 Rn. 17; Weber in Schwarzer/König, BayBO, 5. Aufl. 2022, Art. 75 Rn. 5). Dieser ist aufgrund der vorstehend geschilderten Sachlage hier zweifellos gegeben. Selbst wenn sich im Fortgang der Angelegenheit herausstellen sollte, dass eine Anlage beispielsweise nach Art. 57 verfahrensfrei ist – wofür hier nicht der geringste Anhaltspunkt ersichtlich ist –, so ist die Baueinstellung zunächst rechtmäßig erfolgt (vgl. Weber in Schwarzer/König, BayBO, 5. Aufl. 2022, Art. 75 Rn. 5, m.w.N. zur Rspr.).
35
2.3. Nachdem das Bauvorhaben von der genehmigten Planung abweicht, entsprach es pflichtgemäßem Ermessen, eine Baueinstellung anzuordnen (sog. intendiertes Ermessen). In der Regel besteht ein öffentliches Interesse, die Fortführung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern. An die Ermessensausübung und deren Begründung sind daher nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 82. EL Juni 2024, Art. 75 Rn. 19; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 83 ff.).
36
Außerdem kann es je nach Lage des Falls ermessensgerecht sein, eine Baueinstellung nicht anzuordnen, wenn der Bauherr ein nachträgliches Genehmigungsverfahren unmittelbar betreibt und mit einem baldigen positiven Abschluss zu rechnen ist (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 88 mit Verweis auf OVG Münster, B.v. 29.3.1974 – VII B 791/73 – BauR 1974, 26 = VerwRspr 1975, 365). Die Antragstellerinnen haben zwar zwei Änderungsanträge beim Landratsamt W. eingereicht, die die Errichtung von Terrassen anstelle der genehmigten Balkone im Erdgeschoss zum Gegenstand haben. Allerdings kann bei beiden Anträgen nicht davon gesprochen werden, dass mit einem baldigen positiven Abschluss zu rechnen ist. Denn der eine Änderungsantrag (Az. …) wurde von Seiten des Landratsamts W. abgelehnt, zum anderen Antrag (Az. … …) hat die Gemeinde ihr Einvernehmen verweigert.
37
Die Baueinstellung stellt sich des Weiteren nicht als unverhältnismäßig dar, da die Planabweichungen jedenfalls nicht offensichtlich genehmigungsfähig sind. Ob die Baueinstellung bei einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ermessenfehlerhaft ist, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten (zum Meinungsstand vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 91; zu dem Aspekt, dass eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit im Anwendungsbereich des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ausnahmsweise zur Unverhältnismäßigkeit der Baueinstellung führen kann, vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 10; B.v. 25.11.2020 – 1 ZB 20.512 – juris Rn. 5; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/ Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 82. EL Juni 2024, Art. 75 Rn. 21).
38
Das Vorhaben „Errichtung von Terrassen anstelle der Balkone“ – in dem konkreten Fall – ist jedoch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Unabhängig von der Frage der Verfahrensfreiheit bedarf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in jedem Fall (vgl. Art. 55 Abs. 2 BayBO) einer genaueren Betrachtung, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO. Denn die Errichtung der Terrassen, so wie sie beantragt sind, widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans „In der Setz – Teil IV“ bzgl. Baugrenzen und der Anpassung von Terrassen an das Gelände, so dass die Vorschrift des § 30 Abs. 1 BauGB einer Genehmigung nicht zu Grunde gelegt werden kann, vielmehr eine umfassende Prüfung durchzuführen ist, ob die Zulassung einer Abweichung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, nach § 23 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 14 BauNVO oder eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt.
39
Diese Fragen müssen an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden, da jedenfalls aufgrund der aufgezeigten Unklarheiten bezüglich der bauplanungsrechtlichen Situation hier nicht die Rede davon sein kann, dass die Bauarbeiten offensichtlich materiell rechtmäßig und damit genehmigungsfähig sind. Eine abschließende Aussage über die materielle Rechtmäßigkeit kann ohne weiteres nicht getroffen werden. Nur in diesem Falle – der hier nicht verwirklicht ist – könnte man von einer Unverhältnismäßigkeit der Baueinstellung ausgehen (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 158. EL Mai 2025, Art. 75 Rn. 93).
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Soweit von Antragstellerseite zur Rechtfertigung der Baumaßnahmen vorgebracht wird, „die ebene Angleichung der Auffüllung bis zu den Fenstertüren im EG (sei) aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht zur Absicherung notwendig, um eine erhebliche Unfallgefahr zu verhindern“, kann dies von Seiten des Gerichts nicht nachvollzogen werden. Denn das von Antragstellerseite geschilderte Problem hat sich nur deshalb ergeben, weil die Antragstellerinnen planabweichend gebaut haben und die Balkone im Erdgeschoss nicht zur Ausführung gebracht haben. Im Übrigen ist es Sache der Antragstellerinnen, durch entsprechende Maßnahmen, ggf. ein unbefugtes Öffnen der Fenstertüren zu verhindern.
41
Damit ist – auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – eine andere Entscheidung als die Baueinstellung nicht gerechtfertigt.
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3. Der (sinngemäß gestellte) Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheids vom 11. September 2025 ist ebenfalls unbegründet. Die Kammer hegt keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nach Art. 21 a Satz 1 VwZVG vollziehbaren Zwangsgeldandrohung, so dass insoweit keine Veranlassung besteht, dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen.
43
4. Mithin ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO abzulehnen.
44
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 9.4.3 des Streitwertkatalogs 2025 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da Anhaltspunkte für den geschätzten Jahresnutzwert nicht ersichtlich sind, wurde im hiesigen Verfahren vom Regelstreitwert ausgegangen, der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren war.