Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 01.09.2025 – 204 StRR 333/25
Titel:

Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, Urteile des Berufungsgerichts, Feststellungen des Berufungsgerichts, Wesentliche Förmlichkeit, Berufungsurteil, Unmittelbarer Zwang, Identitätsfeststellung, Beschlüsse, Eingriffsgrundlage, Gefahrenabwehr, Beweiswürdigung, Andere Strafkammer, Keine Feststellung, Gesonderte Feststellung, Feststellung der Identität, Urteilsfeststellungen, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Vorläufige Festnahme

Schlagworte:
Widerstandshandlung, Diensthandlung, Identitätsfeststellung, Polizeieinsatz, Berufungsurteil, Sachbeschädigung, Revision
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth vom 25.03.2025 – 14 NBs 405 Js 65947/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26580

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten D. K. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. März 2025 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 13.01.2025 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt.
2
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat die hiergegen vom Angeklagten unbeschränkt eingelegte Berufung mit Urteil vom 25.03.2025 mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt wird. Zudem hat es dem Angeklagten gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Raten von 70,00 € nach näher bestimmten Modifikationen zu bezahlen.
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Gegen dieses seinem Verteidiger am 07.04.2025 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 27.03.2025 am 27.03.2025 Revision eingelegt. Mit der am 02.05.2025 eingegangenen Revisionsbegründung rügt er die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Generalstaatsanwaltschaft M. beantragt mit Schreiben vom 22.07.2025, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
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Hierauf erwiderte der Angeklagte mit der Gegenerklärung seines Verteidigers vom 13.08.2025
II.
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Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten ist zulässig. (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO). Sie hat mit der erhobenen Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg.
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Aufgrund der Sachrüge prüft das Revisionsgericht – und zwar ausschließlich anhand der Urteilsurkunde –, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet wurde und die Urteilsfeststellungen eine tragfähige Grundlage für diese Prüfung bieten, insbesondere, ob sie frei von Lücken, Widersprüchen und Verstößen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sind (OLG München, Beschluss vom 08.12.2008 – 5St RR 233/08 –, juris Rn. 3; Schmitt/K./Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 337 Rn. 20). Dieser Überprüfung hält das angefochtene Urteil jedenfalls insoweit nicht stand, als das Vorliegen einer rechtmäßigen Diensthandlung im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden ist.
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1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass am 09.07.2023 gegen 13:20 Uhr Aktivisten der Vereinigung der „letzten Generation“ entsprechend ihrem zuvor gemeinsam gefassten Tatplan versucht haben, im Rahmen einer Protestaktion unberechtigt durch ein mittels Stahlkette verschlossenes Tor in der Nähe der sog. “Alpha-Kurve“ auf das Gelände des „Norisring-Rennens“ in N. zu gelangen, um dort kurz vor dem Start des Rennens die Rennstrecke zu blockieren. Zum Tatbeitrag des Angeklagten hat es ausgeführt:
„Der Angeklagte übernahm im Rahmen der Organisationsstruktur der Vereinigung und des durch diese gefassten Tatplanes, über den er vorab informiert worden war und den er inhaltlich wie auch im Ablauf zu unterstützen suchte, die filmische Dokumentation zur späteren Verbreitung im Internet bzw. weiteren Medien. Im Zuge dieser Aktion kam es, für die beteiligten Mitglieder der Vereinigung der „letzten Generation“ ohne weiteres vorhersehbar und auch ihrem Tatplan entsprechend, zur Begehung von Straftaten im Rahmen von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und den zur Absicherung der Rennstrecke und des Tors eingesetzten Ordnern, sowie zur Sachbeschädigung an der das Tor versperrenden Kette.
Um die Fortsetzung der bereits erfolgten Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die beteiligten Aktivisten zu verhindern und insbesondere die Identität des als Kameramann der „letzten Generation“ unmittelbar beteiligten Angeklagten festzustellen, ging der aufgrund seiner Uniform als Polizeibeamter erkennbare PHM A. auf den Angeklagten, der gerade und v.a. die Auseinandersetzung an dem Tor, durch das der Beamte direkt auf ihn zugelaufen kam, filmte und hierbei rückwärts ging, um sich nichts entgehen zu lassen, zu und ergriff, aufgrund der tumultartigen Gesamtsituation ohne vorherige Ansprache oder Aufforderung, den linken Arm und die linke Hand des Angeklagten, mit welcher diese sein Mobiltelefon hielt, um diesen festzuhalten und die Fortsetzung der Filmaufnahme zu unterbinden.“
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Es folgen dann die Feststellungen zu den Widerstandshandlungen des Angeklagten, der zunächst mehrfach versuchte, seinen linken Arm aus dem Griff des Polizeibeamten PHM A. zu reißen, von diesem zu Boden gebracht wurde, sich weiterhin und in der Folge auch gegen die hinzukommenden Polizeibeamten POM B. und PHM S. gegen eine Festnahme wehrte.
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Der Angeklagte hat nach den weiteren Feststellungen im Berufungsurteil den äußeren Ablauf der Tat im wesentlichen eingeräumt, aber bestritten, den Geschädigten PHM A. als Polizeibeamten erkannt und das Vorgehen der insgesamt drei beteiligten Polizeibeamten damit als polizeiliches Handeln wahrgenommen zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass es sich um Security-Mitarbeiter des Veranstalters gehandelt habe. Als damaliger Aktivist der „letzten Generation“ habe er jegliche Gewalt gegen Polizeibeamte abgelehnt, dies sei Grundlage aller Aktionen und Credo der in der „letzten Generation“ vereinigten Aktivisten gewesen. Er habe über Kanäle, die er nicht offenzulegen wünsche, davon erfahren, dass an diesem Tag und Ort eine Aktion der letzten Generation gegen das Norisring-Rennen stattfinden werde, und sich deshalb dort hinbegeben. Dabei sei er nicht mit den typischen äußerlich erkennbaren Merkmalen der letzten Generation (z.B. einer orangenen Warnweste) ausgestattet gewesen. Vor Ort habe er von der Kleingartenkolonie aus die geplante Aktion zu Dokumentations- und Präsentationszwecken mit seinem Mobiltelefon festhalten wollen. Dabei sei das zuvor verschlossene Tor zur Rennstrecke durch Aktivisten gewaltsam geöffnet worden, was Security-Mitarbeiter zu verhindern versucht hätten. Deshalb sei es am Tor zu einem Gerangel gekommen, an dem er sich selbst nicht beteiligt, sondern aus rund 10 bis 15 m Entfernung weiter seine Aufnahmen gemacht habe.
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2. Den Feststellungen im Berufungsurteil zur Organisationsstruktur der Vereinigung der „letzten Generation“ und der Einbindung des Angeklagten in diese liegen noch hinreichende Beweismittel zugrunde, zumal der Angeklagte selbst seine Eigenschaft als Aktivist und seine Motivation beim Filmen des Polizeieinsatzes eingeräumt hat. Somit ist davon auszugehen, dass der Angeklagte von der geplanten Aktion – Eindringen der anderen Aktivisten über die Kleingartenkolonie auf die Rennstrecke – wusste, und dies wohl auch gebilligt hat, indem er die Aktion zur Dokumentation und späteren Präsentation filmte.
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3. Ausgehend hiervon genügen die Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch nicht den Anforderungen, die an die Feststellung einer formell rechtmäßigen Diensthandlung des Polizeibeamten PHM A. zu stellen sind.
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a) Gemäß § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB ist der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht strafbar, wenn die zugrundeliegende Diensthandlung nicht rechtmäßig war. Allerdings genügen bereits Feststellungen, die eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit nach einem strafrechtlichen Maßstab ermöglichen, welcher hinter den Anforderungen der speziellen Rechtsgrundlage zurückbleibt [KG, Beschluss vom 30.11.2005 – (5) 1 Ss 321/05 (56/05) –, juris Rn. 9]. Strafrechtlich hängt die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung nach gefestigter Rechtsprechung allein davon ab, dass für die Vollstreckungshandlung eine gesetzliche Eingriffsgrundlage gegeben ist, der Vollstreckungsbeamte sachlich und örtlich zuständig war und er die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten sowie ein eventuelles Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat [KG, Beschlüsse vom 30.11.2005 – (5) 1 Ss 321/05 (56/05) –, juris Rn. 9 m.w.N.; vom 09.10.2023 – 4 ORs 71/23 –, StV-S. 2024, 100, juris Rn. 13; OLG München, Beschluss vom 08.12.2008 – 5St RR 233/08 –, juris Rn. 9; Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 113 Rn. 11 ff. m.w.N.). Ist dies der Fall, ist die Diensthandlung rechtmäßig (im strafrechtlichen Sinne), wenn der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm bekannten Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (vgl. KG, Beschluss vom 09.10.2023 – 4 ORs 71/23 –, StV-S. 2024, 100, juris Rn. 13 m.w.N.).
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b) Auch unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen lassen im vorliegenden Fall die landgerichtlichen Feststellungen jedoch nicht hinreichend klar die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erkennen. Das beruht wesentlich darauf, dass sich bereits kein eindeutiger Bezug zu einer bestimmten Rechtsgrundlage herstellen lässt. Es kommen vielmehr nach Auffassung des Berufungsgerichts mehrere Rechtsgrundlagen in Betracht. Dieses hat ausgeführt:
„Die Diensthandlung war auch formal rechtmäßig. Im Rahmen des vorliegenden Einsatzes gingen uniformierte und klar gekennzeichnete Polizeibeamte gegen Aktivisten vor, welche sich – wie PHM A. nach seinem Bekunden aufgrund früherer Vorfälle bekannt war – quasi als Markenkern ihrer Vereinigung – der arbeitsteiligen Begehung von öffentlichkeitswirksamen Straftaten verschrieben hatten, ihre Aktionen möglichst umfassend dokumentierten und später in der Regel im Internet und den Medien präsentierten. Die unmittelbare Verhinderung solcher Störungen (spezialpräventiv), die Unterbindung der öffentlichkeitswirksamen Verbreitung erfolgreich begangener Straftaten (generalpräventiv) und die Identifizierung von Straftätern und deren Helfern (repressiv) sind originäre Aufgaben der Polizei und zweifellos von ihren Befugnissen etwa auf Identitätsfeststellungen oder Ingewahrsamnahme nach dem PAG, aber auch nach der StPO (etwa auf vorläufige Festnahme) umfasst.“ aa) Die Eingriffsgrundlage kann sich demgemäß nach Auffassung des Berufungsgerichts sowohl aus strafprozessualen Vorschriften als auch aus Regeln der Gefahrenabwehr ergeben. Danach könnte die Festnahme in Wahrnehmung des Rechts zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO erfolgt sein, das voraussetzt, dass jemand auf frischer Tat betroffen wird und Fluchtverdacht besteht oder die Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Sofern die Festnahme die Identitätsfeststellung bezweckte (das Berufungsurteil stellt ausdrücklich fest: “um … insbesondere die Identität des … Angeklagten festzustellen“), waren von den Polizeibeamten nach § 127 Abs. 1 Satz 2 StPO die zusätzlichen Anforderungen zu beachten, die sich aus § 163b StPO ergeben (Schmitt/K./Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 127 Rn. 7; KK-StPO/Glaser, 9. Aufl. 2023, StPO § 127 Rn. 23). Dazu gehört auf Grund des Verweises in § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO auf § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO das Erfordernis, dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird [KG, Beschluss vom 30.11.2005 – (5) 1 Ss 321/05 (56/05) –, juris Rn. 10]. Selbst bei einer allein auf § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO gestützten Festnahme durch einen Polizeibeamten wäre der Verdachtsgrund mitzuteilen (vgl. MüKoStGB/Bosch, 5. Aufl. 2025, StGB § 113 Rn. 41 m. zahlr. Nachw. in FN 268; Schmitt/K./Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 127 Rn. 12). Weiterhin könnte die Festnahme zum Zweck der Gefahrenabwehr erfolgt sein, weil weitere Angriffe des Angeklagten als gemäß Art. 7 Abs. 1 PAG Verantwortlichen auf die Rechtsordnung oder ein sonstiges die öffentliche Sicherheit oder Ordnung störendes Verhalten des Angeklagten befürchtet wurden. In diesem Zusammenhang ermöglicht das Polizeiaufgabengesetz – unter zusätzlichen Voraussetzungen – polizeiliche Festnahmeaktionen. Sie können etwa der Identitätsfeststellung dienen (Art. 13 Abs. 2 Satz 3 PAG) oder darauf zielen, den Betroffenen in Gewahrsam zu nehmen (Art. 17 Abs. 1 PAG).
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bb) Zwar dürften die Polizeibeamten nach allen diesen Vorschriften sachlich und örtlich zuständig gewesen sein. Ob sie jedoch die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten haben, hängt je nach Rechtsgrundlage von unterschiedlichen Voraussetzungen ab. Um die rechtliche Einordnung nachvollziehbar zu machen, ist es somit erforderlich, dass die Urteilsfeststellungen die Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte zur Wehr gesetzt hat, genau erkennen lassen. Hierzu ist es nötig, die Diensthandlung nicht nur ihrer Art nach zu benennen, sondern auch Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und den Begleitumständen zu treffen [KG, Beschlüsse vom 30.11.2005 – (5) 1 Ss 321/05 (56/05) –, juris Rn. 7; vom 09.10.2023 – 4 ORs 71/23 –, StV-S. 2024, 100, juris Rn. 10; OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2016 – III – 3 RVs 11/16 –, juris Rn. 6]. Entsprechend ist bei Identifizierungsmaßnahmen grundsätzlich der dafür maßgebliche Grund mitzuteilen (OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2012 – 3 RVs 33/12 –, NStZ 2012, 62, juris Rn. 9 m.w.N.), bei der Anwendung von unmittelbarem Zwang ist in der Regel dessen vorherige Androhung erforderlich (OLG Dresden, Beschluss vom 01.08.2001 – 3 Ss 25/01 –, NJW 2001, 3643, juris Rn. 31 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 25.02.2016 – III-3 RVs 11/16 –, juris Rn. 8).
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Dies ist auch deshalb erforderlich, um überprüfen zu können, ob die Beamten ihr Ermessen – auch hinsichtlich der Beurteilung der Sachlage – pflichtgemäß ausgeübt haben, weil sich die Eingriffsvoraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen deutlich unterscheiden [KG, Beschluss vom 30.11.2005 – (5) 1 Ss 321/05 (56/05) –, juris Rn. 11].
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Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht – wie aufgezeigt – nicht nachgekommen, indem es den eigentlichen Zweck der Diensthandlung letztlich offen lässt und lediglich allgemein die verschiedenen in Betracht kommenden Festnahmezwecke anführt, ohne festzustellen, welchen Zweck der Zeuge PHM A. verfolgt hat.
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Eine echte doppelfunktionale Maßnahme (präventiv und repressiv) ist zwar schon dann rechtmäßig, wenn sie zur Verfolgung nur eines der beiden Zwecke rechtmäßig ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26.04.2017 – 2 StR 247/16 –, BGHSt 62, 123, juris Rn. 21 ff.). Die Strafkammer hat jedoch die in Betracht kommenden Eingriffsgrundlagen nicht spezifiziert und damit auch nicht deren jeweilige Voraussetzungen benannt und überprüft. Insoweit kann der Senat für keine der in Betracht kommenden Eingriffsgrundlagen deren Rechtmäßigkeit (insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Sachlage und eine pflichtgemäße Ermessensausübung) feststellen (s. nachfolgend).
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c) Ein Fall, in dem gesonderte Feststellungen in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung entbehrlich sind, weil diese sich mit Selbstverständlichkeit aus Darlegungen zum Verhalten des Angeklagten, das der Widerstandshandlung voranging, ergeben (vgl. KG, Beschluss vom 30.11.2005 – (5) 1 Ss 321/05 (56/05) –, juris Rn. 9], liegt nicht vor.
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aa) Das Berufungsgericht geht selbst nicht davon aus, dass der Angeklagte aktiv an der Sachbeschädigung und an möglichen weiteren strafbaren Handlungen auf der Rennstrecke beteiligt war. Die somit verbleibende einzige Tätigkeit des Angeklagten, das Filmen des Geschehens, passt zwar zu dem von PHM A. als Zeugen bekundeten arbeitsteiligen Vorgehen der Aktivisten der „letzten Generation“, ändert aber nichts daran, dass das Berufungsgericht nicht dargelegt hat, worin der Tatbeitrag des Angeklagten an den von anderen Mitgliedern dieser Vereinigung begangenen Straftaten lag.
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(1) Auch wenn das Berufungsgericht ausführt, im Zuge der genannten Aktion sei es zur Begehung von Straftaten im Rahmen von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und den zur Absicherung der Rennstrecke und des Tors eingesetzten Ordnern gekommen, fehlen – außer für die im Berufungsurteil erwähnte Sachbeschädigung an der das Tor versperrenden Kette – jegliche Sachverhaltsfeststellungen, die dem Senat eine Überprüfung ermöglichen würden, ob und welche konkreten weiteren Straftaten begangen wurden. Dies gilt auch bezüglich des im Berufungsurteil angesprochenen Hausfriedensbruchs.
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(2) Für einen hinsichtlich begangener Straftaten gemeinsamen Tatplan, an dem der Angeklagte beteiligt war, fehlen ebenfalls hinreichende Feststellungen. Das Gleiche gilt für eine eventuelle psychische oder gar physische Beihilfehandlung des Angeklagten hierzu. Solche Feststellungen wären aber ungeachtet der aus den Medien allgemein bekannten Vorgehensweise von Mitgliedern der sog. letzten Generation, sich etwa auf Straßen festzukleben, bezogen auf die Person des Angeklagten erforderlich gewesen.
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(3) Auch für eine Mitgliedschaft des Angeklagten in einer kriminellen Vereinigung, von der das Berufungsgericht offensichtlich selbst nicht ausgeht, fehlen jegliche Feststellungen.
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Dies zugrunde gelegt lässt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen, dass für den Polizeibeamten PHM A. der Verdacht einer Beteiligung des Angeklagten an der Sachbeschädigung an der Absperrkette oder sonstiger nicht im Berufungsurteil festgestellter Straftaten bestand, der ihn dazu veranlasst haben könnte, den Angeklagten zur Identitätsfeststellung im Hinblick auf eine Strafverfolgung festzuhalten.
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bb) Die bereits oben zitierten Feststellungen des Berufungsgerichts zum Sachverhalt (BU 10 letzter Absatz) sprechen eher dafür, dass der Polizeibeamte PHM A. beim Festhalten des Angeklagten eine Gefahrenabwehr bezweckt hat. Dieser sei auf den Angeklagten zugegangen, um die Fortsetzung der bereits erfolgten Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die beteiligten Aktivisten zu verhindern und insbesondere die Identität des als Kameramann der „letzten Generation“ unmittelbar beteiligten Angeklagten festzustellen. Er habe ohne vorherige Ansprache oder Aufforderung den linken Arm und die linke Hand des Angeklagten, mit welcher diese sein Mobiltelefon hielt, ergriffen, um diesen festzuhalten und die Fortsetzung der Filmaufnahme zu unterbinden.
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cc) Damit liegt es zwar nahe, dass es sich um eine polizeiliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr handelte. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht bei der Bejahung der formalen Rechtmäßigkeit der Diensthandlung auf BU 18, 2. Absatz, sich nicht auf eine Präventivmaßnahme des Polizeibeamten PHM A. festgelegt hat, fehlt es aber an hinreichenden Feststellungen im Berufungsurteil, um überprüfen zu können, ob PHM A. sein Ermessen – auch hinsichtlich der Beurteilung der Sachlage – pflichtgemäß ausgeübt hat.
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Das Berufungsgericht hat bereits keinen Sachverhalt festgestellt, aus dem sich ergeben würde, dass die Festnahme des Angeklagten der Verhinderung von ihm zu erwartender Störungen oder Straftaten dienen sollte.
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(1) Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Berufungsgericht aus (BU 16, 3. Abs.), es sei davon überzeugt, dass der Angeklagte zu den durch die Vereinigung der „letzten Generation“ im Rahmen einer durchgeplanten Operation vor Ort eingesetzten Aktivisten gehörte und seine Aufgabe im Rahmen der damaligen Organisationsstruktur die Dokumentation des Geschehens gewesen sei, welche wie das spätere öffentliche Zurschaustellen des Ablaufs und der Ergebnisse der Aktion einschließlich dabei begangener Straftaten im Internet und den Medien zum Kernbereich der Vorgehensweise der Vereinigung der „letzten Generation“ gehörte. Hierbei habe der Angeklagte bewusst „verdeckt“ gehandelt habe, indem er nicht mit einer Warnweste versehen worden sei, um – mangels sofortiger Identifizierbarkeit – diese Aufgabe möglichst ausgiebig erfüllen zu können und dem drohenden Zugriff der Polizei (oder der Security) so lange wie möglich zu entgehen und so weiter dokumentieren zu können. Deshalb habe er sich auch nicht etwa beschleunigt zurückgezogen, wie sonstige schaulustige „Gaffer“ dies schon zu eigenem Schutz tun würden, als die Auseinandersetzung sich nach dem Eintreffen der Polizeibeamten von der Rennstrecke und dem Tor aus in die Kleingartenkolonie hinein verlagerte, sondern sei nur langsam und kontrolliert rückwärts gegangen, um so weiter filmen zu können.
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(2) Eine eigene Beteiligung des Angeklagten an den Auseinandersetzungen auf der Rennstrecke und / oder im Bereich des Tores, deren Fortsetzung durch den Polizeibeamten hätte verhindert werden sollen, ist damit nicht festgestellt worden.
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Eine solche ergibt sich auch nicht aus den Bekundungen des Zeugen PHM A. (s. BU 13 f.). Dieser hat unter anderem angegeben, als er am bereits aufgebrochenen Tor angekommen sei, wären klar an ihren orangenen Warnwesten erkennbare Aktivisten auf dem Gelände der Rennstreckenseite in ein Gerangel mit Securities und THW-Mitarbeitern verstrickt gewesen, die versucht hätten, das Tor zuzuhalten. Beim Eintreffen der Polizeieinheiten hätten sich die Aktivisten fluchtartig in die Kleingartenkolonie zurückgezogen, weshalb seine Einheit diesen durch das Tor gefolgt sei, um deren Identität festzustellen und weitere Störungen zu unterbinden. Dabei sei er rund 3 bis 5 Meter hinter dem Tor auf der Kleingartenseite auf eine Person (den Angeklagten) getroffen. Diese habe ein Handy in der Hand gehalten und sowohl die Aktion am Tor und damit zwangsläufig auch ihn gefilmt, weil er vom Tor gekommen sei. Dabei wäre die Person rückwärts gegangen. Aufgrund dieses Verhaltens habe er die Person zwangsläufig dem Kreis der Aktivisten zugeordnet und festhalten wollen. Ohne die Person ansprechen zu können – aufgrund der dynamischen Situation sei ihm dies zeitlich schlichtweg nicht möglich gewesen –, habe er die Person am Handgelenk der linken (Handy-) Hand gepackt und festgehalten.
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(2.1) Das Anfertigen und Verbreiten von Aufnahmen einer von anderen begangenen Straftat ist nicht per se verboten. Eine strafbare Billigung von Straftaten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das geplante Verbreiten der Videoaufnahmen liegt nicht vor. Die Sachbeschädigung an der das Tor versperrenden Kette stellt ebenso wie ein eventueller Hausfriedensbruch keine Katalogtat im Sinne des § 140 StGB dar.
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(2.2) Hinreichende Feststellungen dazu, ob hinsichtlich der Aufnahme des diesbezüglichen Polizeieinsatzes mittels Mobiltelefons der Anfangsverdacht der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB in Betracht kommt (vgl. einerseits OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30.06.2022 – 1 OLG 2 Ss 62/21 –, NJW 2022, 3300, juris Rn. 14 ff.; andererseits OLG Celle, Beschluss vom 22.11.2023 – 1 ORs 7/23 –, juris Rn. 9 ff.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.11.2022 – III-3 RVs 28/22 –, StV-S. 2023, 53, juris Rn. 6; LG Hamburg, Beschluss vom 21.12.2021 – 610 Qs 37/21 jug –, juris Rn. 2 ff.; LG Osnabrück, Beschluss vom 24.09.2021 – 10 Qs/120 Js 32757/21 – 49/21 –, CR 2021, 806, juris Rn. 6), hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Dass eine sonstige konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom Angeklagten ausging, hat das Berufungsgericht ebenfalls nicht festgestellt.
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Somit können auf der Grundlage der eigenen Feststellungen die vom Berufungsgericht angenommenen Präventivzwecke das Festhalten des Angeklagten nicht rechtfertigen.
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d) Zudem fehlt es an einer wesentlichen Förmlichkeit:
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aa) Eine wesentliche Förmlichkeit bei Identifizierungsmaßnahmen im repressiven Bereich ist gemäß § 163b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO die Eröffnung des Tatverdachts gegenüber dem Verdächtigen, sofern nicht der Anlass offensichtlich ist oder der Zweck der Maßnahme dadurch gefährdet wird. Hierzu enthalten die Urteilsgründe keine hinreichenden Feststellungen. Fehlt dieses wesentliche Formerfordernis, ohne dass ein Ausnahmefall vorliegt, so ist die zur Feststellung der Identität vorgenommene Diensthandlung nicht rechtmäßig (OLG München, Beschluss vom 08.12.2008 – 5St RR 233/08 –, juris Rn. 14 m.w.N.).
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Gleiches gilt hinsichtlich einer Festnahme nach dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz. Gemäß Art. 81 Abs. 1 Satz 1 PAG muss unmittelbarer Zwang vor seiner Anwendung angedroht werden. Nach Satz 2 der Vorschrift kann hiervon abgesehen werden, „wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist“. Bei der Androhung des unmittelbaren Zwangs handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, wenn die Diensthandlung gerade in dessen Anwendung besteht. Das Erfordernis der Androhung ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und bezweckt, polizeiliche Zwangsmaßnahmen, die regelmäßig mit Gefahren für den Betroffenen und für den Polizeibeamten verbunden sind, möglichst zu vermeiden. Deshalb soll der jeweils Betroffene, der nicht bloßes Objekt einer hoheitlichen Maßnahme ist, durch die Androhung des Einsatzes unmittelbaren Zwangs vor dessen Einsatz den ganzen Ernst der Situation deutlich erkennen. Er soll damit – letztmalig – die Möglichkeit erhalten, sein Verhalten selbst zu korrigieren (OLG Dresden, Beschluss vom 01.08.2001 – 3 Ss 25/01 –, NJW 2001, 3643, juris Rn. 31 f.).
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bb) Die Darlegungen im angefochtenen Urteil sind insoweit lückenhaft. Sie lassen nicht erkennen, dass sich die Kammer mit der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder einer etwaigen Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit der vorherigen Androhung des unmittelbaren Zwangs auseinandergesetzt hat.
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Nach den Feststellungen der Kammer zu den Bekundungen der Zeugen hat der Zeuge PHM A. angegeben (BU 14, 2. Absatz):
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Ohne die Person ansprechen zu können – aufgrund der dynamischen Situation sei ihm dies zeitlich schlichtweg nicht möglich gewesen –, habe er die Person am Handgelenk der linken (Handy-) Hand gepackt und festgehalten.
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Demgegenüber geht die Kammer selbst davon aus, dass der Angeklagte sich nicht beschleunigt zurückgezogen habe, sondern nur langsam und kontrolliert rückwärts gegangen sei, um so weiter filmen zu können (BU 16, 3. Absatz). Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen dazu, wieso eine vorherige Belehrung des Angeklagten durch den Polizeibeamten PHM A. nicht möglich gewesen sein soll. Es liegt auch keine Sachverhaltskonstellation vor, in der die Polizei ausnahmsweise von der Belehrung hätte absehen dürfen, etwa wenn der Grund für die Personalienfeststellung für den Betroffenen offensichtlich ist (OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2012 – III-3 RVs 33/12 –, juris Rn. 10). Dies war aber nicht der Fall, zumal gerade das Filmen des Polizeieinsatzes weder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung noch – mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts – eine Straftat dargestellt hat. Nur wenn aber die formelle Rechtmäßigkeit der Maßnahme der Feststellung der Identität feststeht, kann auch die Anwendung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung der Maßnahme rechtmäßig und der Widerstand dagegen strafbar im Sinne des § 113 StGB sein (OLG München, Beschluss vom 08.12 2008 – 5St RR 233/08 –, juris Rn. 15).
III.
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Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 StPO) aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).