Inhalt

OLG München, Beschluss v. 03.04.2025 – 3 U 2557/23 e
Titel:

Verjährungshemmung bei demnächst zugestellter Anspruchsbegründung

Normenketten:
ZPO § 167, § 522 Abs. 2, § 697 Abs. 1
BGB § 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3
Leitsätze:
1. Zwei gleichzeitig verwirklichte Verjährungshemmungstatbestände können nicht doppelt gezählt werden. Treffen mehrere Hemmungsgründe zusammen (hier: Verhandlungen und Streitverkündung), überschneiden sie sich, addieren sich aber nicht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar kommt der Zustellung von Schriftsätzen wie der Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 ZPO) eine eigene Hemmungswirkung nach § 204 BGB nicht zu. Allerdings tritt der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB auch dann ein, wenn zwar der Mahnbescheid nicht wirksam zugestellt worden ist, aber nach Einleitung des streitigen Verfahrens die Anspruchsbegründung ordnungsgemäß zugestellt wird und diese Zustellung "demnächst" iSd § 167 ZPO erfolgt. Im Rahmen des § 167 ZPO wirkt die Zustellung der Anspruchsbegründung wie die Zustellung des Mahnbescheids. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die im Rahmen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für die Kenntnis maßgebliche Person ist grundsätzlich der Inhaber des Anspruchs. Ist dieser jedoch nicht selbst prozessführungsbefugt, ist auf die prozessführungsbefugte Person abzustellen. Bei juristischen Personen ist grundsätzlich die subjektive Situation desjenigen Organs maßgebend, dem die Vertretung im Prozess obliegt. Hiervon zu unterscheiden ist die Wissenszurechnung, in deren Rahmen nur das Wissen von Personen zugerechnet werden kann, die mit der Durchsetzung des Anspruchs (etwa die Regressabteilung bei Behörden oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts) betraut sind. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschlusszurückweisung der Berufung, Erforderlichkeit der mündlichen Verhandlung, Hemmung der Verjährung, Verjährungshemmung durch Anspruchsbegründung, gleichzeitige Verwirklichung mehrerer Hemmungstatbestände, Kenntnis von anspruchsbegründenden Tatsachen, für Kenntnis maßgebliche Person, Wissenszurechnung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 29.08.2024 – 3 U 2557/23 e
LG München I, Urteil vom 10.05.2023 – 29 O 12897/15
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26394

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10.05.2023, Aktenzeichen 29 O 12897/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.001.029,08 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund von behaupteten Beratungspflichtverletzungen im Hinblick auf den Abschluss von Zinsderivatgeschäften.
2
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 10.05.2023 Bezug genommen.
3
Ergänzend ist auszuführen, dass der Mahnbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 23.12.2014, welcher auf den am 19.12.2014 eingegangenen Antrag der Klägerin hin erlassen wurde, beim ersten Zustellungsversuch nicht zugestellt werden konnte, woraufhin am 15.01.2015 an die Klägerin eine Nachricht über die Nichtzustellung versandt wurde. Am 22.01.2015 ging ein Antrag auf Neuzustellung des Mahnbescheids unter Nennung der Anschrift ..., beim Amtsgericht Coburg ein. Mit Schreiben vom 23.01.2015 erläuterte die Klägerin, dass die fehlgeschlagene Zustellung an die im Handelsregister zum Antragszeitpunkt angegebene Adresse (...) erfolgt sei, das Handelsregister seit dem 20.01.2015 jedoch als Geschäftsanschrift der Beklagten eine andere Adresse (...) ausweise. Ein Gebäude mit dieser Postanschrift existiere nicht; Nachfragen hätten ergeben, dass die Beklagte ihren Geschäftssitz in die ... verlegt habe, dort sei aber weder ein Firmenschild noch ein Briefkasten zu finden. Der Mahnbescheid wurde der Beklagten am 30.01.2015 unter der Anschrift ... zugestellt. Die mit Kostenrechnung vom 23.12.2014 angeforderten Kosten wurden mit Zahlungseingang am 14.01.2015 durch die Klägerin bezahlt.
4
Die Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich des Urteils des Oberlandesgerichts München vom 23.05.2022, Az. 17 U 2345/21 (Anlage K 84, Anlage B 19) im Betragsverfahren über die Widerklage der ... Kommanditgesellschaft auf Aktien (im Folgenden: ...) gegen die Klägerin hat der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich mit Beschluss vom 16.05.2023, Az. XI ZR 137/22 (Anlage BK 1) zurückgewiesen. Die Klägerin hat am 18.07.2023 die Widerklageforderung in Höhe von 4.475.894,28 € an die ... Bank bezahlt. Des Weiteren hat die Klägerin am 30.08.2023 für aus dem noch laufenden Geschäft resultierende Belastungen für die Jahre 2022 und 2023 einen Betrag von 196.766,93 € überwiesen.
5
Das Landgericht München I hat die Klage mit Endurteil vom 10.05.2023, der Klägerin zugestellt am 16.05.2023, abgewiesen. Das Urteil wurde durch Beschluss vom 21.06.2023, der Klägerin zugestellt am 26.06.2023, im Rubrum und im Tatbestand berichtigt. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 07.06.2023, eingegangen am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese nach dreimaliger Fristverlängerung bis 31.10.2023 mit Schriftsatz vom 30.10.2023, eingegangen am gleichen Tag, begründet.
6
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Ziel weiter. Sie macht Schadensersatzansprüche aus behaupteten Beratungspflichtverletzungen der Beklagten hinsichtlich der folgenden Anlageentscheidungen bzw. Geschäftsabschlüsse geltend:
a) Abschluss der ... am 15.03.2006 (Schaden in Höhe von 110.939,57 €),
b)... vom 21.05.2008 bzw. die daraus hervorgegangenen ... vom 30.09.2008 (Schaden in Höhe von 2.776.892,25 € sowie Feststellungsantrag Ziffer I. 3. der Berufungsbegründung),
c) ... vom 25.06.2008 (Schaden in Höhe von 1.200.581,27 € sowie 4.475.894,28 € und 196.766,93 €, insgesamt 5.873.242,48 € sowie Feststellungsantrag Ziffer I. 2. der Berufungsbegründung),
d) ... vom 16.10.2008 (Schaden in Höhe von 196.045,48 €) und
e) Auflösung des ... am 05.02.2010 (Schaden in Höhe von 97.147,12 €).
Darüber hinaus verlangt sie Zinsen sowie den Ersatz von Gutachterkosten (nach dem Vortrag der Klägerin in Höhe von 70.000,00 € zzgl. Umsatzsteuer).
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Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin daher:
I.  Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 10.05.2023 (Az. 29 O 12897/15)
1. wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.400.000,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Mahnbescheids sowie weitere 5.724.266,90 € nebst Zinsen aus 973.298,68 € i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie aus weiteren 4.750.968,22 € i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Hilfsweise wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.400.000,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Mahnbescheids zu bezahlen.
2. wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von weiteren Zahlungspflichten gegenüber dem Bankhaus H. ... aus dem ... freizustellen.
3. wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von einer Zahlungspflicht gegenüber dem Bankhaus H. ... aus einer Verurteilung im Verfahren 27 O 23577/15 vor dem LG München freizustellen.
II. Hilfsweise: Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 10.05.2023 (Az. 29 O 12897/15) wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
II.
9
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 10.05.2023, Aktenzeichen 29 O 12897/15, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
10
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 29.08.2024 Bezug genommen. Des Weiteren wird auf den ergänzenden Hinweis vom 13.01.2025 Bezug genommen.
11
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 30.12.2024 und im weiteren Schriftsatz der Klägerin vom 06.03.2025 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
12
1. Ein Vorgehen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht ausgeschlossen.
13
a) Das Erfordernis der offensichtlich mangelnden Erfolgsaussicht der Berufung ist vorliegend gegeben. Hierzu wird auf die Ausführungen in Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 ZPO Rn. 36 verwiesen: „[…] die Offensichtlichkeit [bezieht sich] allein auf den Erkenntnisprozess des Gerichts. Ist sich das Gericht „zweifelsfrei“ darüber klar, dass eine mündliche Verhandlung zu keinem höheren Erkenntnisgrad führen kann, ist offensichtlich mangelnde Erfolgsaussicht anzunehmen. Nach der Begründung des Rechtsausschusses muss die Aussichtslosigkeit „nicht auf der Hand liegen“, sie darf vielmehr Ergebnis „vorgängiger gründlicher Prüfung“ sein (BTDrs 17/6406, 11). Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK. […] Der EGMR hat wegen der besonderen Ausgestaltung des deutschen Berufungsverfahrens einen Verstoß gegen Art. 6 I 1 EMRK verneint (Entscheidung v. 2.2.2006, Nr. 5398/03). Zurückweisung durch Beschluss mangels Erfolgsaussicht kommt also in Betracht, wenn sich aus der Berufungsbegründung keine Gesichtspunkte ergeben, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigen; dabei darf die Begründung weiterhin auch ausgewechselt und materiell oder prozessual von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen werden (OLG Rostock 7.4.2003 – 6 U 14/03, MDR 2003, 828; OLG Rostock 11.3.2003 – 3 U 28/03, MDR 2003, 1073; OLG Hamburg 10.5.2005 – 14 U 154/04, NJW 2006, 71; KG MDR 2008, 712; KG MDR 2008, 1062), weil bei bloß rechtlichen Erwägungen von der mündlichen Verhandlung kein weiterer Erkenntnisgewinn ausgehen muss.“ Im hiesigen Verfahren steht ausschließlich die rechtliche Beurteilung inmitten; hierzu konnten die Parteien schriftsätzlich hinreichend Stellung nehmen, so dass eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.
14
b) Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die der Rechtssache zugrunde liegende Rechtsfrage auch künftig wiederholt auftreten wird und wenn über ihre Auslegung in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen geäußert worden sind (Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 ZPO Rn. 38). Dies ist vorliegend nicht der Fall, insbesondere ist die aufgrund der unterschiedlichen Individualisierungsmaßstäbe erforderliche Abgrenzung zwischen Mahnverfahren und Klageverfahren in der Rechtsprechung des BGH bereits geklärt. Eine rein wirtschaftliche Bedeutung zwischen den Parteien genügt nicht, so dass ein Zurückweisungsbeschluss auch bei sehr hohen Streitwerten ergehen kann (ebenda).
15
c) Der Senat weicht nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab, sondern wendet diese lediglich auf den vorliegenden Fall an, siehe hierzu unten unter Ziffer 2. b).
16
d) Der Senat erachtet einstimmig eine mündliche Verhandlung für nicht geboten. Eine mündliche Verhandlung ist nur dann geboten, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt wird und diese angemessen mit dem Berufungsführer nicht im schriftlichen Verfahren erörtert werden kann (Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 ZPO Rn. 40); dies ist vorliegend nicht der Fall. Die wirtschaftliche Bedeutung allein schließt eine Zurückweisung durch Beschluss nicht aus (ebenda). Eine mündliche Verhandlung erscheint auch nicht aus anderen Gründen geboten, insbesondere liegt keine existenzielle Bedeutung für die Klägerin vor, da es sich lediglich um – wenn auch hohe – vermögensrechtliche Ansprüche handelt und darin keine mit den in der Gesetzesbegründung genannten Arzthaftungssachen (BT-Drs. 17/5334, 7) vergleichbare tiefgreifende Bedeutung zu sehen ist.
17
2. Zur Frage des Verjährungseintritts wird zunächst auf Ziffer 2 des Hinweisbeschlusses vom 29.08.2024 Bezug genommen.
18
a) Im Hinblick auf die Bitte um Erläuterung auf den Seiten 4 und 5 des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.12.2024 ist insbesondere auf Ziffer 2.4.2, letzter Absatz, sowie Ziffer 2.5. des Hinweisbeschlusses zu verweisen. Das Landgericht hat zum einen im erstinstanzlichen Urteil unter B. II. 2. und B. II. 4. b) bb) den Hemmungstatbestand des § 203 S. 2 BGB, soweit mögliche Verhandlungen zwischen November 2014 und Februar 2015 im Raum stehen, zusätzlich zu einer unterstellten Hemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB durch die Streitverkündung in den Lauf der Verjährungsfrist mit eingerechnet. Wie in Ziffer 2.5 des Hinweisbeschlusses ausgeführt, können jedoch zwei gleichzeitig verwirklichte Hemmungstatbestände nicht doppelt gezählt werden (MüKoBGB/Grothe, 10. Aufl. 2025, BGB § 209 Rn. 1). Treffen mehrere Hemmungsgründe zusammen, z. B. Verhandlungen und Stundung, überschneiden sie sich, aber addieren sich nicht (Staudinger/​Jacoby, Neubearbeitung 2024, BGB § 209 Rn. 7). Zum anderen hat das Landgericht im erstinstanzlichen Urteil unter B. II. 2. die restliche Verjährungsfrist und die Ablaufhemmung des § 203 S. 2 BGB addiert. Die Ablaufhemmung greift aber nur dann, wenn die nach dem Ende der Hemmung verbleibende Verjährungsfrist geringer als drei Monate ist, und verlängert diese in diesem Fall auf drei Monate nach Ende der Verhandlungen (MüKoBGB/Grothe, 10. Aufl. 2025, BGB § 203 Rn. 13), nicht jedoch auf drei Monate zusätzlich zur verbleibenden Verjährungsfrist. Dies erklärt den Unterschied von insgesamt acht Monaten bei der Berechnung der Verjährung. Die Verjährung trat vorliegend spätestens am 23.09.2020 ein und nicht wie vom Landgericht berechnet spätestens am 21.05.2021.
19
b) Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 30.12.2024 darauf abstellt, dass die Verjährung durch eine wirksame Klage vom 13.02.2020 (korrigiert mit Schriftsatz vom 06.03.2025: Klageschrift vom 02.09.2015) gegen die Beklagte gehemmt worden sei, entspricht dies nicht den Tatsachen. Die Klägerin hat sich gegen eine Klageerhebung im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB und für die Zustellung eines Mahnbescheids im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zur Hemmung der Verjährung entschieden. Das von der Klägerin zitierte Urteil des BGH vom 06.05.2014 (Az. II ZR 217/13, NJW 2014, 3298) betrifft einen Fall, bei dem die Klagepartei zur Verjährungshemmung die Erhebung der Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) gewählt hat. Dies war im vorliegenden Verfahren nicht so. Der Schriftsatz vom 02.09.2015 ist zwar als „Klage“ bezeichnet, stellt in der Sache aber eine Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 ZPO) dar, da sich die Klagepartei im vorliegenden Fall entschieden hat, das Verfahren mit einem Mahnbescheidsantrag in Gang zu setzen, dessen Zustellung gleichfalls zur Hemmung der Verjährung führt (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Die Rechtsprechung des BGH dazu, welche Auswirkungen Schriftsätze im laufenden Verfahren auf die Verjährung haben, ist durchaus unterschiedlich, je nachdem, ob die Klagepartei das Verfahren mit Mahnbescheid oder Klageschrift in Gang gesetzt hat. Eine eigene Hemmungswirkung nach § 204 BGB kommt der Zustellung von Schriftsätzen wie der Anspruchsbegründung vom 02.09.2015 nicht zu; die Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 ZPO) wird in § 204 BGB nicht genannt. Der II. Zivilsenat des BGH hat in seiner Entscheidung vom 06.05.2014 die abweichende Rechtsprechung des XI. Zivilsenats zum Mahnbescheidsantrag und des IX. Zivilsenats zur Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren ausdrücklich als neben seiner Rechtsprechung zur Verjährungshemmung durch Erhebung einer Teilklage anwendbar beschrieben und dies mit den Besonderheiten der jeweiligen Verfahren begründet (a. a. O., Rn. 15-19). Für den vorliegenden Fall maßgebend ist daher die im Hinweisbeschluss vom 29.08.2024 unter Ziffer 2.3.2 und 2.3.3 dargelegte Rechtsprechung insbesondere des XI. Zivilsenats. In seinem Urteil vom 21.10.2008, Az. XI ZR 466/07, NJW 2009, 56, 57 Rn. 18-21 führt dieser aus: „[…] Diesen Anforderungen genügt der Mahnbescheid nicht. Zwar ergab sich daraus, dass gegen die Beklagte eine Darlehensforderung geltend gemacht wurde. Für die Beklagte war aber nicht erkennbar, auf welche Forderung aus den beiden Bankkonten mit den Endziffern 00 und 01 und in welcher Höhe die Klägerin den geltend gemachten Teilbetrag in Höhe von 25000 Euro beziehen wollte. Ein auf der Grundlage des Mahnbescheids erlassener Vollstreckungsbescheid hätte daher keinen der materiellen Rechtskraft fähigen Inhalt gehabt. […] Die verjährungshemmende Wirkung des Mahnbescheids ist auch nicht rückwirkend durch die im Berufungsrechtszug frühestens im Mai 2006 ordnungsgemäß nachgeholte Individualisierung eingetreten. Dies hätte erfordert, dass die Klägerin – was hier nicht der Fall war – die geltend gemachten Ansprüche in nicht rechtsverjährter Zeit individualisiert hätte. Die nachträgliche Individualisierung des Klageanspruchs kann zwar die Zulässigkeit der Klage herbeiführen, hat aber für die Verjährung keine Rückwirkung. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es für die Hemmung der Verjährung im Falle des § 204 I Nr. 3 BGB auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids an; eine rückwirkende Heilung durch eine nachträgliche Individualisierung der Klageforderung nach Ablauf der Verjährungsfrist kommt nicht in Betracht […]. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall der Geltendmachung eines Teilbetrags aus mehreren Einzelforderungen, wenn im Mahnbescheid eine genaue Aufschlüsselung des eingeforderten Betrags auf die Einzelforderungen unterblieben ist. Für eine Unterscheidung zwischen der Nachholung der fehlenden Aufteilung der Einzelforderungen und der Heilung sonstiger Individualisierungsmängel besteht kein sachlicher Grund. Ohne ausreichende Individualisierung der Einzelforderungen und genaue Aufteilung des geforderten Teilbetrags kann weder auf Grundlage des Mahnbescheids ein der materiellen Rechtskraft fähiger Vollstreckungstitel ergehen noch wird dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch ganz oder teilweise zur Wehr setzen will. Demgegenüber ist der Gläubiger, der sich die Vorteile des Mahnverfahrens zu Nutze machen will, ohne Weiteres zu einer ausreichenden Individualisierung in der Lage.“ Vorliegend handelt es sich um einen im Wesentlichen gleichgelagerten Fall (siehe hierzu im Einzelnen Ziffern 2.3.2 und 2.3.3 des Hinweisbeschlusses vom 29.08.2024). Eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende Entscheidung liegt daher nicht vor.
20
c) Der weitere Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 06.03.2025, die Klägerin habe das hiesige Verfahren mit der Streitverkündung vom 14.08.2013 im Verfahren 3 O 6368/12 vor dem Landgericht München I (Anlage K 90) in Gang gesetzt, die Klageerhebung vom 02.09.2015 stehe hiermit im Zusammenhang und durch den am 19.12.2014 gestellten Mahnantrag sei, dem Gebot des sichersten Weges für den Rechtsanwalt folgend, lediglich eine weitere Hemmung beabsichtigt gewesen, ist weder mit dem BGB noch mit der ZPO in Einklang zu bringen. Das hiesige Verfahren wurde als Mahnverfahren beim Amtsgericht Coburg durch am 19.12.2014 eingegangenen Mahnantrag gemäß § 690 ZPO eingeleitet und nach Erlass und Zustellung des Mahnbescheids, Zustellung der Streitverkündungen an ... und ... sowie Eingang des Widerspruchs vom 02.02.2015 auf Antrag der Klägerin gemäß § 696 ZPO an das Landgericht München I abgegeben. Von dort wurde die Klägerin unter dem Aktenzeichen 29 O 12897/15 gemäß §§ 697, 253 ZPO aufgefordert, den im Mahnbescheid bezeichneten Anspruch in einer der Klageschrift entsprechenden Form zu begründen. Unter Nennung dieses Aktenzeichens hat die Klägerin sodann den als Klage bezeichneten Schriftsatz vom 02.09.2015 eingereicht, welcher als Anspruchsbegründung gemäß §§ 697 Abs. 2, 276, 277 ZPO an die Beklagte zugestellt wurde (Verfügung des Landgerichts München I vom 03.09.2015). Es kommt daher vorliegend ausschließlich der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, nicht jedoch der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Betracht. Der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB (§ 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB a. F.) tritt auch dann ein, wenn zwar der Mahnbescheid nicht wirksam zugestellt worden ist, aber nach Einleitung des streitigen Verfahrens die Anspruchsbegründung ordnungsgemäß zugestellt wird und diese Zustellung „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO (§ 693 Abs. 2 ZPO a. F.) erfolgt; diese Zustellung der Anspruchsbegründung wirkt im Rahmen des § 167 ZPO (§ 693 Abs. 2 ZPO a. F.) wie die Zustellung des Mahnbescheids (BGH, Urteil vom 18.05.1995, Az. VII ZR 191/94, NJW 1995, 2230; MüKoZPO/Schüler, 6. Aufl. 2020, ZPO § 697 Rn. 15). Die Behauptung, der Klägerin bleibe unbenommen, eine rückwirkende Heilung der mangelnden Individualisierung im Rahmen eines durch Streitverkündung eingeleiteten Klageverfahrens zu bewirken, und der Senat würde bei anderer Beurteilung den rechtsfehlerhaften Obersatz aufstellen, dass ein zeitlich nachfolgender Hemmungstatbestand einen zeitlich früheren Hemmungstatbestand im Sinne von § 204 Abs. 1 BGB gegenstandslos und unwirksam mache, entbehrt vor diesem Hintergrund jeder Grundlage. Die Streitverkündung wird vom Senat auch nicht ausgeblendet. Deren im Falle ihrer Zulässigkeit verjährungshemmende Wirkung hat lediglich spätestens am 22.04.2019 geendet mit der Folge des Verjährungseintritts spätestens am 23.09.2020, ohne dass die weiteren von der Klägerin ergriffenen Maßnahmen eine über diesen Zeitpunkt hinausgehende Hemmung der Verjährung bewirkt hätten.
21
d) Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 30.12.2024 erneut dazu vorträgt, dass eine einheitliche Schadensersatzforderung bzw. ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliege, der bzw. dem ein Dauerschuldverhältnis zugrunde liege, verbleibt es bei den Ausführungen des Senats in Ziffer 2.3.2 des Hinweisbeschlusses vom 29.08.2024.
22
e) Auch das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 06.03.2025, bei der Beklagten könne gar kein Zweifel daran bestanden haben, welcher Einzelbetrag von ihr aus welchem Geschäft wegen fehlerhafter Anlageberatung verlangt worden sei, für sie sei insofern nur die Zusammensetzung der Klageforderung aus diesen im Einzelnen hinreichend individualisierten Forderungen (noch) nicht erkennbar gewesen, führt – auch wenn unterstellt wird, dass dieser Vortrag unstreitig bleiben würde – zu keiner anderen Bewertung durch den Senat. Im Rahmen des Mahnverfahrens kann, wie oben unter Ziffer 2. b) ausgeführt, nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH gerade nicht auf eine genaue Aufschlüsselung des eingeforderten Betrags auf die Einzelforderungen bzw. eine genaue Aufteilung des geforderten Teilbetrags im Mahnbescheid verzichtet werden.
23
f) Sowohl im Schriftsatz vom 30.12.2024 als auch im Schriftsatz vom 06.03.2025 rügt die Klägerin, im Rahmen der Prüfung der hinreichenden Individualisierung des Mahnbescheids sei unberücksichtigt geblieben, dass der Beklagten sämtliche Umstände bekannt gewesen seien, da sie Verursacherin des Schadens und Tochtergesellschaft der bereits verklagten Muttergesellschaft sowie Streitverkündete in diesem Prozess war, und da der Justiziar der Muttergesellschaft zugleich Geschäftsführer der Beklagten war, über sämtliche Einzelheiten informiert war und selbst die Vergleichsgespräche mit der Klägerin geführt hatte. All diese Umstände begründen jedoch nicht die Annahme, dass der Beklagten bekannte Umstände außerhalb des Mahnbescheids zu einer hinreichenden Individualisierung geführt hätten. Die Klägerin verkennt insoweit, dass der Individualisierungsmangel vorliegend nicht auf einer Unkenntnis der Beklagten betreffend die Hintergründe der geltend gemachten Schadensersatzansprüche beruht, sondern auf der fehlenden Aufschlüsselung, aus welchen der in Frage kommenden Schadensereignisse in welcher Höhe Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden und wie sich die eingeklagte Summe aus diesen Ansprüchen zusammensetzt (siehe hierzu Seite 8 des Hinweisbeschlusses vom 29.08.2024 am Ende von Ziffer 2.3.2).
24
g) Schließlich trägt die Klägerin im Schriftsatz vom 06.03.2025 vor, es sei hinsichtlich des Verjährungsbeginns auf die Kenntnis des Stadtrats vom Rechtsgutachten der Kanzlei ... vom 23.12.2011 abzustellen, die Kenntnis des Bürgermeisters sei insofern nicht ausreichend. Für die den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis sei weder auf die Person des Oberbürgermeisters der Stadt ... abzustellen noch auf die Kenntnis des Rechtsamtes. Für die Kenntnisnahme im Sinne eines Verjährungsbeginns sei vielmehr der Stadtrat das zuständige Organ der Klägerin. Dessen Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB sei daher notwendig. Das Rechtsgutachten datiere zwar vom 23.12.2011 und sei zu diesem Zeitpunkt an den damaligen Oberbürgermeister übersandt worden. Ausschließlich zuständig für die Entscheidung zur Klage sei aber der (gesamte) Stadtrat. Dazu, wann der Stadtrat Kenntnis vom Gutachten genommen habe, habe aber das Landgericht keine Feststellungen getroffen und die insoweit für die Umstände des Verjährungseintritts beweisbelastete Beklagte nichts vorgetragen. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist vorliegend hinsichtlich des Verjährungsbeginns auf die Kenntnis des (damaligen) Oberbürgermeisters abzustellen, welche dieser nach dem Vortrag der Klägerin am 23.12.2011 erlangt hat. Für eine Kenntnis der Klägerin bereits Ende des Jahres 2011 spricht im Übrigen auch, wie das Landgericht in seinem Endurteil richtig feststellt, dass die Klägerin sich bereits im Dezember 2011 um Vergleichsgespräche bemühte. Die im Rahmen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für die Kenntnis maßgebliche Person ist grundsätzlich der Inhaber des Anspruchs; ist dieser jedoch nicht selbst prozessführungsbefugt, ist auf die prozessführungsbefugte Person abzustellen (BeckOGK/Piekenbrock, Stand: 01.03.2025, BGB § 199 Rn. 128). Bei juristischen Personen ist grundsätzlich die subjektive Situation desjenigen Organs maßgebend, dem die Vertretung im Prozess obliegt (MüKoBGB/Grothe, 10. Aufl. 2025, BGB § 199 Rn. 36). Dies ist vorliegend der (jeweilige) Oberbürgermeister als gesetzlicher Vertreter der Großen Kreisstadt ..., derzeit Frau Oberbürgermeisterin ..., im Jahr 2011 Herr Oberbürgermeister ..., welcher im vorliegenden Verfahren Streithelfer ist. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung betrifft hingegen die Frage der Wissenszurechnung, die sich vorliegend aufgrund der ohnehin vorhandenen Kenntnis der im Rahmen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB maßgeblichen Person nicht stellt. Im Rahmen der Wissenszurechnung kann, wie die Klägerin richtig ausführt, nur das Wissen von Personen zugerechnet werden, die mit der Durchsetzung des Anspruchs betraut sind. Das gilt namentlich für juristische Personen des öffentlichen Rechts, bei denen ggf. auf die verfügungsbefugte Behörde abzustellen ist. Bei deliktsrechtlichen Ansprüchen, die von Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit arbeitsteiliger Organisation geltend gemacht werden, ist daher auf die Beschäftigten der Regressabteilung und nicht der Leistungsabteilung abzustellen (BeckOGK/Piekenbrock, Stand: 01.03.2025, BGB § 199 Rn. 130; siehe hierzu auch MüKoBGB/Grothe, 10. Aufl. 2025, BGB § 199 Rn. 38, 39). Eine Wissenszurechnung muss vorliegend jedoch nicht geprüft werden, da der Oberbürgermeister, dem auf diesem Weg Wissen zugerechnet werden könnte, bereits selbst Kenntnis hatte.
25
Die gemäß §§ 525 Satz 1, 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung sowie der neu gestellte Hilfsantrag werden analog § 524 Abs. 4 ZPO durch die Zurückweisung der Berufung wirkungslos (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 522 ZPO Rn. 37 m. w. N.; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 522 Rn. 38 m. w. N.).
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
27
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
28
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.