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OLG München, Hinweisbeschluss v. 29.07.2025 – 3 U 1843/25 e
Titel:

Ersatzzustellung in öffentlich zugänglichem Geschäftsraum

Normenkette:
ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 2, § 232, § 233 S. 2, § 699 Abs. 5
Leitsätze:
1. Hält sich die Person, an die im Wege der Ersatzzustellung zugestellt wird, in einem für den Publikumsverkehr offenen Bürgerbüro auf, so darf an sie als Mitarbeiterin unabhängig davon zugestellt werden, wo sich ihr eigenes Büro befindet. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vermutung des fehlenden Verschuldens gem. § 233 S. 2 ZPO greift nicht, da der Vollstreckungsbescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ersatzzustellung, Geschäftsraum, Zugänglichkeit, Vollstreckungsbescheid, Rechtsmittelbelehrung, Verschulden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Rechtsunkundiger
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Urteil vom 02.06.2025 – 24 O 65/25
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26381

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 02.06.2025, Az. 24 O 65/25, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 13.258,00 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 13.08.2025.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 02.06.2025, Az. 24 O 65/25, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Die zulässige Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf erscheint ohne Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat mit seinem Urteil zutreffend den Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Euskirchen vom 10.01.2025, Az. 24-4579165-0-2, über eine Hauptforderung von 13.258,00 € als unzulässig verworfen und den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Die Rügen der Berufung des Beklagten greifen nicht.
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1. Soweit der Beklagte vorträgt, der Einspruch vom 29.01.2025 gegen den am 14.01.2025 zugestellten Vollstreckungsbescheid sei deshalb nicht verspätet, weil die Zustellung am 14.01.2025 nicht ordnungsgemäß erfolgt und damit unwirksam sei, kann dem nicht gefolgt werden. Der Beklagte behauptet insofern unter Bezugnahme auf die als Anlage 04 zum Schriftsatz vom 12.03.2025 vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Bediensteten des Beklagten, Herrn R. S1., die Ersatzzustellung im Bürgerbüro des Beklagten sei nicht wie von § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gefordert in den Geschäftsräumen des Beklagten einer dort beschäftigten Person zugestellt worden, sondern an Mitarbeiter des Bürgerbüros, die ihren Schreibtisch und ihren Arbeitsplatz im nicht öffentlich zugänglichen Bürgerbüro haben, und zwar in einem hinter dem öffentlich zugänglichen Bürgerbüro befindlichen, eigenen Büro.
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In der Literatur werden zu dieser grundsätzlichen Problemstellung unterschiedliche Meinungen vertreten. Die eine Ansicht verlangt, dass die beschäftigte Person in dem für den Publikumsverkehr geöffneten Geschäftsraum „anwesend“ sein muss, die Ersatzzustellung somit im Geschäftsraum erfolgen muss (Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 178 ZPO Rn. 15a, 19). Die andere Ansicht hält es darüber hinaus für zulässig, einen Beschäftigten einzuschalten, der sich in einem funktional mit dem konkret in Rede stehenden Raum zusammengefassten Nebenraum befindet (Wieczorek/​Schütze/Rohe, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 178 ZPO Rn. 49). Für die erstere Meinung spricht, dass sich diese mit dem Wortlaut der Gesetzesbegründung deckt (BT-Drs. 14/4554, Seite 20: „Als Geschäftsraum ist nicht das Bürogebäude mit allen Geschäftsräumen zu verstehen, sondern regelmäßig der Raum, in dem sich der Publikumsverkehr abspielt und zu dem der mit der Ausführung der Zustellung beauftragte Bedienstete Zutritt hat, wenn er das Schriftstück abgibt. Trifft der Bedienstete in diesem Geschäftsraum den Zustellungsadressaten nicht an, kann er das zuzustellende Schriftstück in diesem Raum an eine dort beschäftigte Person übergeben.“). Für die letztere Meinung kann ins Feld geführt werden, dass es übertrieben förmlich anmutet, dem Postbediensteten, falls sich gerade niemand im öffentlichen (und geöffneten) Geschäftsraum befindet, zu verwehren, an angrenzende Türen zu klopfen, um einen anwesenden Beschäftigten zu finden, zumal für die Wirksamkeit der Zustellung dann ausschlaggebend wäre, ob der Beschäftigte sich bei der Entgegennahme noch in dem angrenzenden Raum befindet oder sich zur Entgegennahme in den für den Publikumsverkehr geöffneten Geschäftsraum begibt.
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Diese Streitfrage muss jedoch vorliegend nicht entschieden werden. Denn wie die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 25.06.2025 richtig ausführt, lässt sich aus der eidesstattlichen Versicherung bereits nicht schließen, dass sich die betreffende Mitarbeiterin des Bürgerbüros, Frau D. H.(siehe Blatt 8 der erstinstanzlichen Akten), zum Zeitpunkt der Zustellung nicht im öffentlich zugänglichen Bürgerbüro, sondern in ihrem dahinter befindlichen, nicht öffentlich zugänglichen Büro aufgehalten hat. Hielt sie sich im für den Publikumsverkehr offenen Bürgerbüro auf, so durfte an sie als Mitarbeiterin des Bürgerbüros unabhängig davon zugestellt werden, wo sich ihr eigenes Büro befindet.
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All diese Erwägungen können darüber hinaus jedoch auch deshalb dahinstehen, da der Beklagte auf Seite 5 der Berufung und Berufungsbegründung vom 10.06.2025 (Blatt 5 der zweitinstanzlichen Akten) folgendes vorträgt: „Der Beklagte hat vom Vollstreckungsbescheid erst und alleine durch die Zustellung am 14.01.2025 Kenntnis erlangt.“ Damit ist nach dem eigenen Vortrag des Beklagten davon auszugehen, dass unabhängig von der Wirksamkeit der Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ein etwaiger Zustellungsmangel jedenfalls noch am 14.01.2025 gemäß § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang geheilt wurde. Die Einspruchsfrist lief somit am 28.01.2025 ab, der Einspruch vom 29.01.2025 war verfristet.
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2. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO hat das Landgericht zu Recht nicht gewährt. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 12.03.2025 ist wohl bereits verfristet, da davon auszugehen ist, dass die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist, § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, mit der Nachholung des Einspruchs am 29.01.2025 zu laufen begann und somit am 12.02.2025 endete. Jedenfalls war der Beklagte aber nicht ohne sein Verschulden bzw. ohne Verschulden seines Vertreters, Herrn M. S1., verhindert, die Notfrist einzuhalten. Die Vermutung des fehlenden Verschuldens gemäß § 233 Satz 2 ZPO greift vorliegend nicht, da der Vollstreckungsbescheid eine Rechtsbehelfsbelehrungenthält. Der Vortrag des Beklagten zu den Umständen der Fristversäumung gibt darüber hinaus keinen Anlass, von einem fehlenden Verschulden auszugehen. In zeitlicher Hinsicht ist insofern auszuführen, dass die Klägerin – da der Widerspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid formunwirksam war (Blatt 2 der erstinstanzlichen Akten) – am 08.01.2025 den Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheids stellte, welcher am 09.01.2025 beim Mahngericht einging, woraufhin am 10.01.2025 der Vollstreckungsbescheid erlassen wurde (Blatt 8 der erstinstanzlichen Akten). Erst mit E-Mail vom 10.01.2025 brachte der Beklagte gegenüber der Klägerin Einwendungen gegen die Schlussrechnung der Klägerin vor und kündigte an, in den nächsten Tagen 6.785,61 € der in der Schlussrechnung noch geforderten 13.258,00 € zu überweisen, wobei er mitteilte, mit dem übersandten Rechnungsrücklauf davon auszugehen, dass der am 23.12.2024 eingegangene Mahnbescheid vom Mahngericht Euskirchen zurückgezogen werde; hierauf antwortete die Klägerin am 13.01.2025, sobald die Zahlung eingegangen sei, werde sie dem Mahngericht entsprechende Mitteilung geben (Anlage 03 zum Schriftsatz vom 12.03.2025). Am 14.01.2025 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der angekündigte Betrag überwiesen worden sei (Anlage 1 zum Einspruch vom 29.01.2025). Da der Beklagte nicht die volle titulierte Summe von 13.258,00 €, sondern lediglich ca. die Hälfte bezahlt hat, ist bereits nicht nachvollziehbar, dass der Bedienstete des Beklagten dennoch erwartete, dass nicht nur die Teilzahlung dem Mahngericht mitgeteilt werden würde, sondern dass der Mahnantrag hinsichtlich des gesamten Betrags zurückgezogen werden würde. Darüber hinaus ist aber jedenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt, warum der Bedienstete des Beklagten, der eine entsprechende Erkundigung beim Mahngericht offensichtlich für erforderlich hielt, erst einen Tag nach Ablauf der Frist, am 29.01.2025, beim Mahngericht nachgefragt hat. Hätte er einen Tag früher, am 28.01.2025, das Mahngericht kontaktiert, hätte er den Einspruch noch rechtzeitig einlegen können.
8
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).