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OLG München, Hinweisbeschluss v. 29.07.2025 – 3 U 3157/24 e
Titel:

Darlegungslast bei Rückforderung von Online-Spielverlusten

Normenketten:
GlüStV 2012 § 4 Abs. 4
ZPO § 138 Abs. 3, § 287
Leitsätze:
1. Verlangt ein Teilnehmer an Online-Glücksspielen Rückzahlung von Spielverlusten gegen einen Veranstalter, der über keine Lizenz nach dem Glücksspielstaatsvertrag verfügt, muss er darlegen und beweisen, dass er die Spielvorgänge im Geltungsbereich des Glückspielvertrages vorgenommen hat. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der in Anspruch genommene Veranstalter trägt auch dann nicht die sekundäre Darlegungs- und Beweislast, wenn er über umfassende Login-Daten aus der Vergangenheit verfügt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bleibt unklar, wann und wo welche Spieleinsätze getätigt wurden, ist wegen Fehlens einer objektiv verwertbaren Grundlage eine Schätzung der Höhe des Rückzahlungsanspruchs gem. § 287 ZPO nicht möglich. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aktivlegitimation, Darlegungs und Beweislast, Europarechtswidrigkeit, Sportwetten, Umfang, Schätzungsgrundlage, Spielteilnahme im Ausland
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 08.08.2024 – 29 O 13516/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26141

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 08.08.2024, Az. 29 O 13516/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 24.747,52 € festzusetzen
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29.08.2025.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um Ansprüche des Klägers auf Rückzahlung von Spielverlusten im Zusammenhang mit Online Glücksspielen.
2
Der Kläger nahm im Zeitraum vom 08.11.2013 bis 12.01.2023 an Online Poker, Online Casino Spielen und Online Sportwetten auf einer von der Beklagten bis zum 19.04.2023 betriebenen, deutschsprachigen Internetseite ... teil. Die Beklagte, die ihren Sitz auf Malta hat, verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum zwar über eine maltesische Glücksspiellizenz, nicht aber über eine Erlaubnis im Sinne des § 4 des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV), um in Deutschland Glücksspiel zu betreiben. Der Kläger tätigte in diesem Zeitraum unter seinem Nutzernamen ... (E-Mail-Adresse: ...) zahlreiche Transaktionen.
3
Der Kläger nahm nicht nur von Deutschland aus an den Online-Glücksspielen teil.
4
Das Landgericht München I hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch aus Bereicherungsrecht oder aus dem Recht der unerlaubten Handlung scheitere – unabhängig von der im Streit stehenden Aktivlegitimation des Klägers – daran, dass nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehe, in welchem Umfang der Kläger im Geltungsbereich des GlüStV an den Angeboten der Beklagten teilgenommen habe. Die Darlegungs- und Beweislast trage die Klagepartei und es sei nicht feststellbar, dass diese ausschließlich an Orten, an denen das von der Beklagten offerierte Glücksspiel verboten sei, gespielt habe.
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Gegen das klageabweisende Endurteil, das dem Klägervertreter am 12.08.2024 zugestellt wurde, richtet sich die am 10.09.2024 beim Oberlandesgericht München eingegangene und mit Schriftsatz vom 07.11.2024 innerhalb verlängerter Frist begründete Berufung der Klagepartei. Der Kläger behauptet, er habe überwiegend von seinem Wohnsitz in M. aus gespielt; im Rahmen der Spieltätigkeit in Bosnien/Herzegowina sei nur ein Verlust in Höhe von 195,10 € eingetreten, der in Abzug zu bringen sei.
II.
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Die Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist.
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Das Landgericht München I hat die Klage zu Recht abgewiesen und einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der geleisteten Einsätze zutreffend verneint. Auf das erstinstanzliche Urteil wird Bezug genommen. Auch unter Berücksichtigung der Berufung ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Der Umfang der Beteiligung des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägers an Online Glücksspielen der Beklagten im Geltungsbereich des Glücksspielstaatsvertrags 2012 ist nicht feststellbar. Mangels Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 besteht daher – unabhängig von der Aktivlegitimation und einer etwaigen Europarechtswidrigkeit – kein Rückzahlungsanspruch des Klägers. Im Einzelnen:
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1. Im Ausgangspunkt gilt der Grundsatz, nach der jede Partei, die sich auf eine Rechtsfolge beruft, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt. In bestimmten Fällen ist es indes Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung der darlegungspflichtigen Partei das einfache Bestreiten der anderen Partei. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (BGH, Urt. v. 08.03.2021, VI ZR 505/19 Rn. 26).
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Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urt. v. 08.03.2021, VI ZR 505/19 Rn. 27). Der Beweispflichtige muss daher solche Umstände nicht in vollem Umfang darlegen und beweisen, die nicht in seiner Sphäre liegen und deren vollständige Kenntnis bei ihm infolgedessen nicht erwartet werden kann, während der Prozessgegner über sie ohne weiteres verfügt (BVerfG, Beschluss vom 06.10.1999, 1 BvR 2110/93, juris Rn. 39). Eine zivilprozessuale Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei vermögen allerdings nur die speziellen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder eine Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO zu begründen.
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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Kläger der ihm obliegenden Darlegungslast für den jeweiligen Ort der Spielteilnahme, den Zeitraum sowie den Umfang der Teilnahme nicht nachgekommen, weshalb bereits der Anwendungsbereich des GlüStV nicht eröffnet ist.
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Nachdem der Kläger zunächst pauschal vorgetragen hatte, ausschließlich von seiner Wohnung aus in M. gespielt zu haben, hat die Beklagte unter Vorlage von Login Daten für einen Teil des streitgegenständlichen Zeitraums (Anlage B 9) und damit unter Angabe von konkreten Anhaltspunkten für die Teilnahme des Klägers an Spielen im Ausland bestritten, dass der Kläger sämtliche Spielvorgänge im örtlichen Anwendungsbereich des Glücksspielstaatsvertrags vorgenommen habe. Ein gem. § 138 Abs. 4 ZPO zulässiges Bestreiten liegt somit vor, zumal die vom Kläger behauptete Tatsache, sämtliche Spiele von der Wohnung in M. aus vorgenommen zu haben, nicht Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Beklagten war. Der Kläger relativierte sodann seine ursprüngliche Behauptung und räumte ein, auch außerhalb des Anwendungsbereichs des GlüStV gespielt zu haben, nämlich während mehrerer Auslandsaufenthalte in Bosnien/Herzegowina (unter Angabe des Zeitraums und Höhe des Spielverlusts dort) und in Ländern, die er auf dem Weg dorthin durchquert hatte. In diesem Zusammenhang wurden auch Spielteilnahmen von der Schweiz aus genannt. Wie der Kläger aber Aufenthalte in der Schweiz geographisch plausibel mit Fahrten von München nach Bosnien/Herzegowina in Verbindung bringen will, ist nicht nachvollziehbar. Aufenthalte in der Schweiz lassen sich somit weder zeitlich noch örtlich mit den vom Kläger benannten Aufenthalten in Bosnien/Herzegowina bzw. den Weg dorthin in Einklang bringen, weshalb jedenfalls Unklarheit zum Zeitpunkt und Umfang der Spielteilnahme des Klägers von der Schweiz aus besteht. Auch unter Berücksichtigung der Berufung hat der Kläger somit nicht schlüssig vorgetragen, in welchem Umfang und wann er Spieleinsätze im Geltungsbereich des Glücksspielvertrags getätigt hat. Er ist damit der ihm obliegenden primären Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen.
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Entgegen den Ausführungen in der Berufung trifft die Beklagtenpartei bezüglich des Spielverhaltens des Klägers im Ausland auch keine sekundäre Darlegungs- und Beweislast. Erkenntnisse zu den hier im Streit stehenden Tatsachen, nämlich wo der Kläger sich in der Vergangenheit wie lange aufgehalten hat und welche Spieleinsätze er in welchem Umfang vom Ausland getätigt hat, liegen vielmehr in der Sphäre des Klägers. Zwar besteht die Möglichkeit für die Beklagtenpartei umfassende Login Daten aus der Vergangenheit vorzulegen, jedoch begründet allein diese Möglichkeit der Beklagtenpartei noch keine sekundäre Darlegungslast dieser. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Kläger insoweit keine Angaben machen kann, was vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Im Übrigen ergäbe sich aus der Vorlage von Login Daten nicht zwangsläufig eine zuverlässige Aussage über den Aufenthaltsort des Klägers, sondern nur ein gewichtiges Indiz hierfür.
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3. Entgegen den Ausführungen in der Berufung ist auch keine Schätzung der Höhe des Rückzahlungsanspruchs möglich. Zunächst ist fraglich, ob § 287 ZPO, der sich auf die Schadensermittlung und Höhe der Forderung bezieht, überhaupt greift, wenn es – wie hier – um den Anwendungsbereich einer Norm geht. Jedenfalls fehlt es aber an einer objektiv verwertbaren Schätzungsgrundlage, da unklar ist, wann und wo welche Spieleinsätze getätigt wurden und daher der relevante Anteil sowie Zeitraum an ausländischem Spielverhalten völlig offen bleiben. Die Behauptung der Klagepartei, dass sie zu 99 Prozent von Deutschland aus gespielt habe, ist jedenfalls keine ausreichende Grundlage und eine hier daher nur mögliche Schätzung ins Blaue hinein ist nicht zulässig. Das Landgericht hat deshalb die Klage berechtigt abgewiesen.
III.
14
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).