Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.09.2025 – 206 StRR 320/25
Titel:

Keine Bindungswirkung der die Gewerbsmäßigkeit begründenden Feststellungen bei einer Rechtsmittelbeschränkung auf die Rechtsfolge

Normenketten:
StGB § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
StPO § 318
Leitsatz:
Die Tatsachen, die das Regelbeispiel der "Gewerbsmäßigkeit" (§ 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB) begründen, nehmen - soweit sie nicht im Einzelfall doppeltrelevant sind – bei einer Rechtsmittelbeschränkung auf die Rechtsfolge an der Bindungswirkung nicht teil. Das Berufungsgericht hat daher hierzu eigene Feststellungen zu treffen. (Rn. 5) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Berufungsbeschränkung, Gewerbsmäßigkeit, Rechtsmittelbeschränkung, Bindungswirkung, Gewerbsmäßiges Handeln, eigene Feststellungen
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 13.05.2025 – 2 NBs 603 Js 109282/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 26085

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13. Mai 2025 aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Gründe

1
Die zulässige Revision erzielt einen zumindest vorläufigen Erfolg, da das angegriffene Urteil auf Grund des nachfolgend dargestellten Rechtsfehlers aufzuheben ist, § 349 Abs. 4 StPO.
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1. Der Angeklagte hat seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 10. Oktober 2024, mit dem er wegen Betruges in 89 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 4 Monaten verurteilt worden war, mit Verteidigerschriftsatz vom 25. Februar 2025 wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Zwar legte der Verteidiger nicht die gem. § 302 Abs. 2 StPO erforderliche „ausdrückliche Ermächtigung“ vor. Aus der im Beschränkungsschriftsatz enthaltenen Formulierung, nach der er – der Verteidiger – die Berufungsbeschränkung „auch namens meines Mandanten“ erkläre und in Zusammenschau mit der zugleich vorgelegten, vom Angeklagten persönlich unterschriebenen „Täter-Opfer-Ausgleichsvereinbarung“ sowie der im Schriftsatz vom 12. Dezember 2024 enthaltenen Ankündigung, die Berufung werde „gemäß noch zu treffender Absprache mit meinem Mandanten“ voraussichtlich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, da sich der Angeklagte in einem von ihm – dem Verteidiger – unterstützten „Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren“ befinde, besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der Berufungsbeschränkung eine entsprechende Vollmacht des Angeklagten zu Grunde lag, die auch mündlich erteilt werden konnte (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 516/02 –, juris, Rn. 3).
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2. Zwar begegnet die konkurrenzrechtliche Beurteilung der 89 Bestellungen als realkonkurrierende Einzeltaten rechtlichen Bedenken, da sie häufig am selben Tag vorgenommen wurden und schon aus diesem Grund jeweils eine natürliche Handlungseinheit in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 2 StR 98/23 –, juris); allerdings führt ein bloßer Subsumtionsfehler des Amtsgerichts nicht zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung (Schmitt/Köhler/Schmitt, Kommentar zur StPO, 68. Aufl., Rn. 17a zu § 318 m.w.N.).
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3. Das Landgericht hat demzufolge zu Recht den Schuldspruch und die diesem zu Grunde liegenden Feststellungen als bindend angesehen, § 327 StPO.
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4. Es hat allerdings verkannt, dass von der Bindungswirkung nicht die ausschließlich die Strafzumessung betreffenden Feststellungen umfasst sind. Das Landgericht hat die Feststellung des Amtsgerichts, wonach der Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt hat, als „bindend“ angenommen (UA S. 20) und deshalb (zunächst) für jede Tat den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB wegen gewerbsmäßigen Handelns angewandt. Es handelt sich bei § 263 Abs. 3 StGB aber um Regelbeispiele für das Vorliegen besonders schwerer Fälle, die zur Anwendung eines Strafrahmens veranlassen können. Sie betreffen demnach nicht die Schuldfrage, sondern lediglich den Rechtsfolgenausspruch. Nach gefestigter Rechtsprechung nehmen die entsprechenden Tatsachen, soweit sie nicht im Einzelfall doppeltrelevant sind – was hier nicht der Fall ist –, bei einer Rechtsmittelbeschränkung auf die Rechtsfolge an der Bindungswirkung nicht teil. Dies gilt insbesondere für die „Gewerbsmäßigkeit“ (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017, 1 StR 458/16, wistra 2018, 133-136; BayObLG, Beschluss vom 12. Juli 2021, 202 StRR 37/21, juris Rn. 7 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 2. April 2024, III-3 ORs 18/24, juris; vgl. auch Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl. 2025, § 327 Rn. 6 a.E. m.w.N).
6
5. Da das Landgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – keine diesbezüglichen eigenen Feststellungen getroffen hat, beruht die Annahme jeweils besonders schwerer Fälle des Betruges auf diesem Rechtsfehler. Zwar hat das Landgericht erkannt, dass es sich bei § 263 Abs. 3 StGB um Regelbeispiele handelt, von denen im Einzelfall abgewichen werden kann. Im Ausgangspunkt hat es sich aber auf die – nicht selbst festgestellte – „Gewerbsmäßigkeit“ gestützt.
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6. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die festgesetzten Einzelstrafen von jeweils 7 Monaten und damit auch die Gesamtstrafe auf dem Rechtsfehler beruhen. Zwar hat das Landgericht den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB auf Grund des erfolgten Täter-Opfer-Ausgleichs gem. §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB gemildert, womit die Strafuntergrenze wieder auf das gesetzliche Mindestmaß gesenkt wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 letzte Alt. StGB). Das angedrohte Höchstmaß lag in der landgerichtlichen Rechtsanwendung gem. § 49 Abs. 2 StGB jedoch bei 7 Jahren und 6 Monaten, während es ohne die Annahme eines besonders schweren Falles 3 Jahre und 9 Monate betragen hätte. Da sich die Einzelstrafen deutlich vom gesetzlichen Mindestmaß entfernen, kann der Senat nicht ausschließen, dass ihr Verhältnis zum vorgenannten Höchstmaß bei der Strafzumessung relevant war.
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Das Urteil war daher aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückzuverweisen, §§ 353 Abs. 1, 354 Abs. 2 S. 1, 349 Abs. 4 StPO. Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedurfte es nicht.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass bei Betrugsdelikten, bei denen die Geringwertigkeitsgrenze nur in geringem Umfang überstiegen wird, die Anwendung des erhöhten Strafrahmens des § 263 Abs. 3 StGB ohne das Hinzutreten besonderer Umstände in der Regel nicht zu rechtfertigen ist (BayObLG, Beschluss vom 20. Juni 2023, 207 StRR 157/23, BeckRS 2023, 21112, Rn. 8 m.w.N.). Vorliegend hat der Angeklagte 89-mal einen Betrugsschaden von jeweils 79 Euro verursacht. Der Senat bezweifelt, dass vorliegend die strafschärfenden Umstände, insbesondere die 12 Jahre zurückliegende Verurteilung zu einer Vollzugsstrafe wegen gleichgelagerter Taten, als solche „besonderen Umstände“ gewürdigt werden können.