Titel:
Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils auf einen Mitgesellschafter nach Kündigung
Normenketten:
LugÜ 2007 § 26, § 64
GmbHG § 34
BGB § 319
ZPO § 356, § 431
Leitsätze:
1. Eine Satzungsregelung, wonach die verbleibenden Gesellschafter einer GmbH nach Ausscheiden eines Mitgesellschafters die Übertragung des betreffenden Geschäftsanteils an die verbleibenden Gesellschafter oder an Dritte beschließen können, kann ein aufschiebend bedingtes Abtretungsangebot an den von den übrigen Gesellschaftern im Beschluss benannten Vertragspartner enthalten. (Rn. 20)
2. In einem solchen Fall ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln, wer Schuldner der Abfindung in Form des Kaufpreises sein soll. (Rn. 26 – 28)
1. Es ergibt sich die Zuständigkeit bereits aus Art. 26 Abs. 1 LugÜ 2007, wenn der Beklagte sich in der Berufungsinstanz auf das Verfahren eingelassen hat, ohne die erstinstanzlich erhobene Rüge der internationalen Zuständigkeit weiterzuverfolgen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einziehungsbeschluss kann bereits mit der Bekanntgabe wirksam sein, ohne das es auf die Leistung der Abfindung ankommt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei entsprechender Satzungsregelung schuldet für die einem Ausschließungsbeschluss folgende Verwertung des Geschäftsanteils im Wege der Übertragung an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten nicht die Gesellschaft, sondern der Erwerber die Abfindung in Form des Kaufpreises. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Klage ist insgesamt als derzeit unbegründet abzuweisen, wenn der beweispflichtige Kläger eine streitige rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung einem Schiedsgutachten übertragen ist, nicht durch die Vorlage eines solchen Schiedsgutachtens nachweist. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einziehung, Abfindungsanspruch, Schiedsgutachten, Zuständigkeit, rügelose Einlassung, Abfindungsschuldner, Gesellschaftsanteil, Wirksamkeit
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 02.09.2022 – 13 O 4383/21
Fundstellen:
LSK 2025, 2595
BeckRS 2025, 2595
NJW-RR 2025, 551
NZG 2025, 364
Tenor
1. Die Berufung des Klägers [richtig: der Klägerinnen] gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 02.09.2022, Az. 13 O 4383/21, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als derzeit nicht begründet abgewiesen wird.
2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die beiden Klägerinnen haben gemeinschaftlich einen GmbH-Geschäftsanteil geerbt. Nach ihrem Ausscheiden aus der GmbH aufgrund einer außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund verlangen sie vom einzigen Mitgesellschafter den in der Satzung vorgesehenen Abfindungsbetrag. Die Satzung sieht als mögliche Reaktion auf das Ausscheiden vor, dass die verbleibenden Gesellschafter die Übertragung des betroffenen Geschäftsanteils an einen der Gesellschafter oder an Dritte beschließen können. Der Beklagte traf einen Beschluss, wonach die Erbengemeinschaft ihren Geschäftsanteil an ihn abtrete und er die Abtretung annehme. Im Anschluss wurde die Abtretung notariell beurkundet, wobei der Fremdgeschäftsführer der GmbH „für bzw. an Stelle der Erbengemeinschaft“ handelte. Der in der Schweiz wohnende Beklagte hat nur erstinstanzlich die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gerügt. Er ist der Ansicht, er sei nicht passivlegitimiert; der Abfindungsanspruch richte sich nämlich gegen die Gesellschaft. Außerdem sei die Klage zumindest derzeit nicht begründet, weil die Klägerinnen entsprechend den Satzungsbestimmungen ein Schiedsgutachten zur Abfindungshöhe beauftragen müssten.
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Die Klägerinnen verlangen vom Beklagten als Mitgesellschafter einen Abfindungsbetrag nach ihrem Ausscheiden aus einer GmbH. Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstands wird das angefochtene Urteil des Landgerichts in Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend ist auszuführen, dass in dem Kündigungsschreiben der Klägerinnen vom 18.06.2018 eine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund und (nur) hilfsweise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde.
3
Das Landgericht hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Es hat – soweit in der Berufungsinstanz von Belang – zur Begründung ausgeführt, dass sich die örtliche und internationale Zuständigkeit aus § 22 ZPO ergebe. Der Feststellungsantrag, dass der Beklagte mit der Pflicht, das Abfindungsentgelt der Klägerinnen festzustellen im Verzug sei, sei mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Der Leistungsantrag auf Zahlung einer Abfindung sei zulässig, aber unbegründet, weil der Beklagte nicht passivlegitimiert sei; der Abfindungsanspruch richte sich nicht gegen den verbliebenen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft. Ergänzend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass ein Anspruch aufgrund der Schiedsgutachtervereinbarung nicht fällig sei.
4
Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer Berufung. Darin vertiefen sie den erstinstanzlichen Vortrag und verweisen insbesondere auf den Jahresabschluss der […] GmbH zum 31.12.2017. Sie sind weiterhin der Auffassung, dass der Beklagte passivlegitimiert sei.
5
Die Klägerinnen haben die Anträge (auch) in der Berufungsinstanz mehrfach geändert und zuletzt schriftsätzlich folgende Anträge angekündigt:
Das Urteil des Landgerichts München II vom 02.09.2022 (13 O 4383/21) wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen 250.000,00 Euro zu zahlen zuzüglich 2% Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 50.000,00 Euro seit dem 19.06.2019, seit dem 19.06.2020, seit dem 19.06.2021, seit dem 19.06.2022 und seit dem 19.06.2023.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, für die Klägerinnen 1.796,66 Euro an Herrn RA […] in […] zu zahlen, verzinst mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2021.
6
Hilfsweise wird beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, den Klägerinnen 179.314,00 Euro zu zahlen zzgl. 2% Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 35.862,80 Euro seit dem 19.06.2019, seit dem 19.06.2020, seit dem 19.06.2021, seit dem 19.06.2022 und seit dem 19.06.2023.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, für die Klägerinnen 1.541,05 Euro an Herrn RA […] in […] zu zahlen, verzinst mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2021.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.12.2024 hat der Klägervertreter nur den Hilfsantrag zur Entscheidung gestellt.
die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das aus seiner Sicht zutreffende landgerichtliche Urteil.
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Der Senat hat am 19.12.2024 mündlich verhandelt.
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Ergänzend werden sämtliche Schriftsätze der Parteien sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in Bezug genommen.
11
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zwar scheitert die Klage nicht an der Passivlegitimation. Sie ist aber wegen der Schiedsgutachterabrede lediglich als derzeit nicht begründet abzuweisen – mit entsprechend eingeschränkter Rechtskraft.
12
1. Es ist nur über die zuletzt gestellten Anträge zu entscheiden. Soweit die Klägerinnen seit dem Schriftsatz vom 12.08.2024 (Bl. 115 d. A.) den vom Landgericht abgewiesenen Feststellungsantrag nicht weiter verfolgen, ist von einer teilweisen Berufungsrücknahme (§ 516 ZPO) auszugehen. Die der Höhe nach changierende Anspruchstellung zur Leistungsklage ist nach § 264 ZPO auch in der Berufungsinstanz jederzeit zulässig. Eine ggf. zur zuletzt erfolgten Absenkung des Leistungsantrags erforderliche Zustimmung gemäß § 269 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte konkludent erteilt, indem er sich im Termin zur mündlichen Verhandlung vollumfänglich auf die zuletzt gestellten Anträge eingelassen und kein Sachurteil hinsichtlich der ursprünglichen als Hauptantrag angekündigten höheren Leistungsklage gefordert hat (vgl. BAG NJW 2019, 3101 Rn. 20; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 264 Rn. 4a).
13
2. Die auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte (BGH NJW 2003, 426 m.w. N.) liegt vor. Die internationale Zuständigkeit bemisst sich im Rechtsstreit nach dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (ABl. 2009 L 147 S. 5, ber. 2009 L 147 S. 44, 2011 L 115 S. 31 und 2014 L 18 S. 70; im Folgenden: „LugÜ 2007“), zuletzt geändert durch Änderungsübereinkommen vom 03.03.2017 (ABl. L 57 S. 63), welches gem. Art. 64 Abs. 2 Buchst. a) LugÜ 2007, Art. 73 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) vorrangig anzuwenden ist. Vorliegend ergibt sich die Zuständigkeit bereits aus Art. 26 Abs. 1 LugÜ 2007, nachdem der Beklagte sich in der Berufungsinstanz auf das Verfahren eingelassen hat, ohne die erstinstanzlich erhobene Rüge der internationalen Zuständigkeit weiterzuverfolgen (BGH NJW 2007, 3501 Rn. 16; GRUR 2018, 1246 Rn. 27; MüKoZPO/Gottwald, 6. Aufl. 2022, Brüssel Ia-VO Art. 26 Rn. 7; Geimer/Schütze EurZivilVerfR/Geimer, 4. Aufl. 2020, EuGVVO Art. 26 Rn. 65).
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3. Die Klägerinnen sind gem. § 2039 Satz 1, § 2041 Satz 1 BGB für die erhobene Klage auf Leistung an alle Erben – dieses Klageziel gewinnt der Senat durch Auslegung des Antrags – aktivlegitimiert.
15
4. In Abweichung zum Landgericht geht der Senat davon aus, dass der Beklagte hinsichtlich des streitgegenständlichen in der Satzung der […] GmbH (Anlage B 1) geregelten Vergütungsanspruchs der Klägerinnen für die erfolgte Anteilsübertragung passivlegitimiert ist.
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4.1. Vorliegend erfolgte keine Einziehung der klägerischen Gesellschaftsanteile im Sinne des § 34 GmbHG. Vielmehr hat der Beklagte in der Gesellschafterversammlung vom 19.12.2018 beschlossen, dass die Anteile an ihn selbst abgetreten werden. Die Anteilsübertragung erfolgte damit gem. § 10 Abs. 5 der Satzung in Verbindung mit der notariellen Urkunde des Notars H. vom 30.01.2019 (Anlage zum Schriftsatz vom 01.10.2024).
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Die Satzung regelt ausdrücklich, dass eine Einziehung von Geschäftsanteilen zulässig ist (§ 10 Abs. 1) und definiert in § 10 Abs. 2 die Fallgruppen, in denen eine Einziehung zulässig ist. Parallel – und mit Blick auf § 10 Abs. 2 Buchst. e) überlappend dazu – wird die Einziehung auch gem. § 11 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 2 als mögliche Reaktion auf die Ausübung des den Gesellschaftern eingeräumten ordentlichen Kündigungsrechts geregelt. Jeweils finden sich Bestimmungen zu einer alternativen Reaktion der Gesellschafter bei Eintritt einer „Einziehungslage“ (vgl. § 10 Abs. 5, § 11 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1).
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Die Klägerinnen haben unstreitig nicht eine ordentliche, sondern eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen, die als solche akzeptiert wurde. Die Reaktionsmöglichkeiten des Beklagten als verbleibendem Gesellschafter ergeben sich mithin nicht aus § 11, sondern aus § 10 Abs. 2 Buchst. d) in Verbindung mit Abs. 5 der Satzung. Darin ist ausdrücklich geregelt, dass die verbleibenden Gesellschafter u. a. die Übertragung des betroffenen Geschäftsanteils an die verbleibenden Gesellschafter oder an Dritte beschließen können. Bei diesem Beschluss waren die Klägerinnen als „betroffene Gesellschafter“ gem. § 10 Abs. 6 Halbsatz 1 der Satzung vom Stimmrecht ausgeschlossen. Diesen Weg hat der Beklagte erkennbar eingeschlagen.
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Die Rechtsfolgen des Beschlusses werden in der Satzung nicht mit aller Klarheit ausgesprochen. In Abgrenzung zur Formulierung in § 11 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 (“ist der Kündigende verpflichtet, seinen Geschäftsanteil … abzutreten“) und in Zusammenschau damit, dass „[i]m Falle der Abtretung“ der Beschluss gem. § 10 Abs. 8 Satz 2 der Satzung „mit Zugang an den betroffenen Gesellschafter wirksam“ wird, ergibt sich jedoch im Wege der Auslegung, dass nicht nur eine schuldrechtlich wirkende Übertragungspflicht, sondern – soweit wie möglich – eine unmittelbar dinglich wirkende Abtretung vereinbart werden sollte.
20
Die rechtstechnische Umsetzung dieses Regelungszwecks ist auf mehrerlei Weise denkbar: Angedacht werden kann insbesondere, dass die Gründungsgesellschafter im Wege dieser Satzungsbestimmung ihre jeweiligen Mitgesellschafter vorsorglich unwiderruflich zum Abschluss des Abtretungsvertrags in ihrem Namen unter Befreiung vom Verbot des § 181 BGB bevollmächtigt haben, dass sie ihnen eine unwiderrufliche Ermächtigung im Sinne des § 185 Abs. 1 BGB zum Abschluss eines dinglichen Übertragungsvertrags eingeräumt haben oder dass sie bereits bei Vereinbarung der gesellschaftsvertraglichen Übertragungsbestimmung ein aufschiebend bedingtes Angebot zum Abschluss des dinglichen Abtretungsvertrags mit dem von den übrigen Gesellschaftern im Beschluss vorzusehenden Vertragspartner abgegeben haben. Dem Regelungsziel am nächsten liegt die letztgenannte Auslegung, von der der Senat ausgeht (siehe zu einem vergleichbaren Fall BGH NZG 2003, 871 [872]).
21
Die Bindung von nachfolgenden Gesellschaftern, die nicht als Gründungsgesellschafter bei der Satzungserrichtung zugestimmt haben, ist streitig. Unter Zugrundelegung der Auffassung des BGH (a.a.O.) ergibt sie sich dadurch, dass es [sich] auch bei der bedingten Abtretungserklärung um eine korporative Bestimmung handelt. Doch auch bei Einnahme der Gegenansicht (siehe zur Diskussion die Nachw. bei BeckOGK/Tiling/Poelzig, 1.9.2024, GmbHG § 34 Rn. 192.2) ergäbe sich vorliegend kein Zweifel an der Bindung der Klägerinnen, weil sie als Erbinnen kraft Gesamtrechtsnachfolge umfassend in die Rechtsposition des Gründungsgesellschafters eingerückt sind.
22
Anhaltspunkte dafür, dass das Wirksamwerden der Abtretung von der Zahlung des Abfindungsentgelts abhängig sein soll, bietet die Satzung nicht. Im Gegenteil bestimmt § 10 Abs. 8 Satz 2, dass der „Einziehungsbeschluss“ bei einer Übertragung des Geschäftsanteils an Mitgesellschafter oder Dritte mit Zugang an den betroffenen Gesellschafter wirksam wird. Dass dies nicht unbillig ist, zeigt die Rechtsprechung des BGH, wonach die Wirksamkeit eines Einziehungsbeschusses bzw. eines Ausschließungsurteils nicht erst mit der Leistung der Abfindung eintritt (BGH NZG 2012, 259 Rn. 8 ff. für den Einziehungsbeschluss; BGH NJW 2023, 3164 Rn. 22 ff. für das Ausschließungsurteil; aber schon zuvor hielt der BGH eine satzungsmäßige unbedingte Abtretung für zulässig: BGH NJW 1983, 2880; siehe auch Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl. 2023, § 34 Rn. 107).
23
Der Zugang des Beschlusses vom 19.12.2018, der weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wurde, bewirkte damit kraft Bedingungseintritts das Wirksamwerden des Angebots der Klägerinnen zur Abtretung des von ihnen ererbten Geschäftsanteils an den Beklagten. Dieses Angebot hat der Beklagte spätestens in der notariellen Urkunde vom 30.01.2019 angenommen. Die erforderliche notarielle Form der Anteilsübertragung ist durch die Beurkundung der Satzung bzw. die notarielle Urkunde vom 30.01.2019 gewahrt (§ 15 Abs. 3 GmbHG, § 128 BGB).
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4.2. Auch wenn im Regelungszusammenhang des § 10 Abs. 5 der Satzung ein ausdrücklicher Verweis auf § 12 der Satzung fehlt, ist offenkundig, dass eine Vergütung des ausscheidenden Gesellschafters dem Grunde nach vereinbart wurde – anderes wäre auch sittenwidrig. Der Anspruch ergibt sich jedenfalls aus § 12 Abs. 2, der die vorliegende Fallgestaltung unschwer als einen der „übrigen Fälle des Ausscheidens eines Gesellschafters“ umfasst.
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4.3. Der Beklagte ist als Empfänger des Geschäftsanteils richtiger Adressat des Anspruchs auf Entgelt.
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Zwar ist der Hinweis des Beklagten, dass primär die Gesellschaft die Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters nach Einziehungsbeschluss gemäß § 34 GmbHG schuldet, zutreffend. Hingegen hat der BGH mehrfach entschieden, dass für die einem Ausschließungsbeschluss folgende Verwertung des Geschäftsanteils im Wege der Übertragung an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten nicht die Gesellschaft, sondern der Erwerber die Abfindung in Form des Kaufpreises schulde (BGH NJW 1983, 2880 [2881]; NJW 2011, 2294 Rn. 20; NZG 2020, 1067 Rn. 32). Nach überzeugender Literaturansicht kommt es entscheidend darauf an, was die Parteien des Gesellschaftsvertrags privatautonom vereinbart haben (Habersack/Casper/Löbbe/Ulmer/Habersack, 3. Aufl. 2020, GmbHG § 34 Rn. 124); freilich wird auch insoweit anerkannt, dass ohne ausdrückliche Regelung grundsätzlich der Abtretungsempfänger hafte.
27
Die Auslegung der Satzung ergibt, dass der Beklagte als Übertragungsempfänger eine Abfindungsvergütung in Gemäßheit des § 12 der Satzung schuldet. Zwar beinhaltet die Satzung in den §§ 10 und 12 keine ausdrückliche Bestimmung über den Schuldner des Entgelts bei einer Beschlussfassung nach § 10 Abs. 5 der Satzung. Jedoch geht aus dem Regelungszusammenhang zur Überzeugung des Senats hervor, dass die Satzungsgeber eine Abfindungsleistung durch den Erwerber vorgesehen haben. Der Erwerb durch Mitgesellschafter oder Dritte sollte gerade nicht das Kapital der Gesellschaft belasten, wie § 10 Abs. 8 Satz 1 und 2 sowie § 10 Abs. 5 Halbsatz 2 offenbaren (siehe erneut die o. g. BGH-Entscheidungen).
28
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass sie schutzwürdige Interessen des ausscheidenden Gesellschafters außer Betracht lasse. Insbesondere erfordert nicht sein Schutz vor dem Aufdrängen möglicherweise nicht zahlungskräftiger Schuldner ein abweichendes Vertragsverständnis. Zum einen ist der Gesellschafter (oder vorliegend sein Gesamtrechtsvorgänger) wissentlich diese Regelung eingegangen, die der unbeeinträchtigten Fortsetzung der Gesellschaft dient und bei umgekehrter Sachlage auch zu seinen Gunsten gewirkt hätte. Zum andern sind die Gesellschafter im Verhältnis zueinander durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebunden, die eine wissentliche Benachteiligung des ausscheidenden Gesellschafters verbietet (vgl. den Rechtsgedanken bei BGH NZG 2012, 259 Rn. 21; NZG 2016, 742 Rn. 22). Ohnehin verfängt der Aspekt nicht bei einem Erwerb wie vorliegend durch den alleinigen Mitgesellschafter; diesen hat sich der betroffene Gesellschafter bzw. sein Gesamtrechtsvorgänger als Vertragspartner ausgesucht und er haftet letztlich mit seinen Geschäftsanteilen an der GmbH.
29
Die Frage einer etwaigen subsidiären Haftung der Mitgesellschafter bei Verletzung ihrer Treuepflicht (so offenbar BeckNotar-HdB/Mayer/Weiler, 8. Aufl. 2024, § 22. Rn. 140 unter Hinweis auf die vorzitierten BGH-Entscheidungen) oder zusätzlich der Gesellschaft (offen gelassen von BGH NJW 1983, 2880; dafür offenbar MüKoGmbHG/Strohn Rn. 219; BeckOGK/Tiling/Poelzig, 01.09.2024, GmbHG § 34; dagegen Habersack/ Casper/Löbbe/Ulmer/Habersack, 3. Aufl. 2020, GmbHG § 34 Rn. 124), braucht im vorliegenden Rechtsstreit nicht näher betrachtet zu werden.
30
Soweit der Beklagte schließlich auf das Urteil des OLG Celle v. 28.08.2002 (9 U 29/02, BeckRS 2002, 11499) hinweist, verfängt das nicht: Anders als im dort entschiedenen Fall wurde das Wahlrecht (Einziehung oder Übertragung des Geschäftsanteils) vorliegend ausgeübt. Mit Wahl der Anteilsübertragung steht nach dem Vorstehenden fest, dass der Beklagte die satzungsmäßige Vergütung schuldet.
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5. Der Anspruch ist jedoch noch nicht fällig. Die Klage ist damit als derzeit unbegründet abzuweisen.
32
Eine Klage ist insgesamt als derzeit unbegründet abzuweisen, wenn der beweispflichtige Kläger eine streitige rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung einem Schiedsgutachten übertragen ist, nicht durch die Vorlage eines solchen Schiedsgutachtens nachweist (BGH NJW 2021, 1593 Rn. 33; NJW-RR 1988, 1405). So liegt der Fall hier.
33
5.1. Gem. § 12 Abs. 4 der Satzung soll der Wert des Geschäftsanteils durch einen Schiedsgutachter festgestellt werden, wenn sich die Beteiligten nicht über den Wert einigen.
34
5.2. Die erforderliche Feststellung der Höhe des Abfindungsguthabens kann nicht ausnahmsweise analog § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB durch das Gericht vorgenommen werden. Zwar ist § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB auf ein Schiedsgutachten entsprechend anwendbar, wenn es sich um ein Schiedsgutachten im engeren Sinn handelt, der Schiedsgutachter also eine Tatsache ohne eigenen Ermessensspielraum feststellen soll (BGH NJW-RR 2014, 492 Tz. 34f.; Erman/Hager, BGB, 17. Aufl. 2023, § 319 Rn 7). Jedoch liegen die Voraussetzungen nicht vor. Die Bestimmung des Werts des Geschäftsanteils wäre einem Wirtschaftsprüfer grundsätzlich möglich, so dass § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Fall 1 BGB nicht einschlägig ist. Es ist überdies nicht ersichtlich, dass es keinen Wirtschaftsprüfer gäbe, der die Bestimmung – bei einem entsprechenden Auftrag – vornehmen wollte, so dass auch § 319 Abs. 2, 2. Halbsatz Fall 2 BGB nicht greift.
35
5.3. Die Berufung des Beklagten auf die Schiedsgutachterabrede ist nicht rechtsmissbräuchlich.
36
5.3.1. Weder hat der Beklagte die Erstellung des Schiedsgutachtens treuwidrig verhindert. Es ist nämlich, wie sich unschwer aus § 12 Abs. 4 Satz 2 der Satzung ergibt, (auch) den Klägerinnen möglich, das satzungsmäßig vorgesehene Verfahren zur Bestellung des Schiedsgutachters durch Antrag an die IHK anzustoßen. Dass dies den Klägerinnen vorliegend unmöglich gewesen wäre, ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich.
37
5.3.2. Noch liegt das Ergebnis der gutachterlich zu entscheidenden Frage von vornherein auf der Hand, sodass die Berufung auf die Schiedsabrede sich als schikanös erweisen würde. Hierauf hat der Senat die Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.12.2024 in Ergänzung des vorläufigen Hinweises des Berichterstatters in der Ladungsverfügung vom 27.09.2024 (Bl. 117/118 d. A.) hingewiesen.
38
Allenfalls im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 der Satzung (Buchwertbestimmung) könnte man daran denken, dass es einer schiedsgutachterlichen Feststellung an sich nicht bedarf, wenn sich der Buchwert leicht aus den Geschäftsunterlagen ableiten lassen können sollte. Jedoch ist § 12 Abs. 1 der Satzung nicht einschlägig. Dieser umfasst lediglich abschließend aufgezählte Fallgestaltungen, die nicht einen Anspruch auf Ersatz des gemeinen Werts, sondern nur auf Ersatz des Buchwerts auslösen. Erfasst sind Fallgestaltungen, in denen die Abfindung letztlich nur Dritten zugute käme (§ 10 Abs. 2 Buchst. a) und b), das zwangsweise Ausscheiden des Gesellschafters aus wichtigem Grund gerechtfertigt ist (§ 10 Abs. 2 Buchst. c) oder der Gesellschafter aus freien Stücken ausscheidet (§ 10 Abs. 2 Buchst. e). Die – vorliegend unstreitige – Kündigung des Gesellschafters aus wichtigem Grund gem. § 10 Abs. 2 Buchst. d) ist hiervon aber nicht erfasst, sodass es bei der Auffangregelung des § 12 Abs. 2 für die „übrigen Fälle“ verbleibt.
39
Maßgeblich ist danach der „rechtskräftig festgestellte[…] vermögenssteuerliche[…] Wert […] (derzeit gemeiner Wert), ermittelt nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren)“. Problematisch ist insoweit, dass im Zeitpunkt der Vereinbarung der Satzung das in Bezug genommene vermögenssteuerliche Festsetzungsverfahren bereits seit Jahren nicht mehr vollzogen wurde. Im Rahmen der gebotenen (ergänzenden) Auslegung dieser körperschaftlichen Bestimmung anhand objektiver Umstände (BGH GmbHR 2012, 92 Rn. 8 u. 13) gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass die Parteien in Kenntnis dieses Umstandes die eigenständige Anwendung des Stuttgarter Verfahrens in der letzten gesetzlich geregelten Fassung von 2003 durch den Schiedsgutachter vereinbart hätten (vgl. auch Seitz, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 274). Offensichtlich ist, dass eine am gemeinen Wert i. S. d. § 9 BewG orientierte Wertfestsetzung beabsichtigt wurde und dass die Ermittlung aus Praktikabilitätsgründen anhand eines schematisierten und vereinfachten Verfahrens erfolgen sollte, das erfahrungsgemäß hinter dem Verkehrswert zurückbleibende Abfindungswerte produziert. Auch wenn Bedenken gegen die Tauglichkeit des Stuttgarter Verfahrens für die Bewertung von Geschäftsanteilen an Kapitalgesellschaften geltend gemacht werden (BVerfG NJW 2007, 573 Rn. 173 ff.) und seine Wahl durch einen Sachverständigen in Ermangelung einer entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Bestimmung womöglich nicht methodengerecht wäre, muss davon ausgegangen werden, dass die Satzungsgeber genau dieses Verfahren zur Anwendung bringen wollten. Bedenken gegen die rechtliche Wirksamkeit der Vereinbarung ergeben sich vor dem Maßstab des § 138 BGB nicht (vgl. Seitz, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 274, 270, 272). Freilich wird der Schiedsgutachter ggf. zu prüfen haben, ob eine Anpassung des so ermittelten Anteilswerts wegen eines im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 19.12.2018 eingetretenen Missverhältnisses zum Verkehrswert des Geschäftsanteils nach der Rechtsprechung des BGH zur ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmen ist (H. P. Westermann/Seibt in: Scholz, GmbHG, 13. Auflage 2022/2024/2025, § 34 GmbHG, Rn. 79; Seitz, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 274). Das Ergebnis der schiedsgutachterlichen Tätigkeit liegt mithin nicht offen zu Tage, sodass die Berufung auf die Schiedsklausel nicht rechtsmissbräuchlich ist.
40
5.4. Den Klägerinnen war nicht Frist zur Beibringung des Schiedsgutachtens zu setzen.
41
Es liegt im Ermessen des Tatgerichts, von einer sofortigen Abweisung „als zur Zeit unbegründet“ abzusehen und zunächst entsprechend den §§ 356, 431 ZPO eine Frist zu setzen (BGH NJW 2021, 1593 Rn. 33; NJW-RR 1988, 1405; Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 1029 Rn. 5; a. A. OLG Düsseldorf NJW-RR 1986, 1061).
42
Eine solche Fristsetzung wäre vorliegend nicht sachgerecht. Die Klägerinnen hätten das Schiedsgutachten vorprozessual einholen können und müssen. Auf diese Weise hätte der Beklagte eine informierte Entscheidung treffen können, ob er sich trotz der schiedsgutachterlichen Feststellungen noch auf einen Prozess und die damit einhergehenden Kostenrisiken einlässt. Diese informierte Entscheidung haben die Klägerinnen dem Beklagten vorenthalten, indem sie ohne vorherige Beauftragung eines Gutachters Klage einreichten. Daher ist es sachgerecht, den Klägerinnen und nicht auch dem Beklagten die aus der verfrühten Klage resultierenden Kostenrisiken aufzubürden, indem die Klage ohne weitere Fristsetzung als derzeit unbegründet abgewiesen wird. Hinzu kommt, dass durch eine Fristsetzung in der Berufungsinstanz den Parteien in diesem wesentlichen Prozessgegenstand eine Tatsacheninstanz abgeschnitten würde. Die Klägerinnen werden dadurch nicht unzumutbar in ihren Rechten beeinträchtigt. Sie können das Schiedsgutachten ungeachtet des Ausgangs dieses Verfahrens nachholen und ggf. daraufhin nochmals Klage erheben.
43
6. Mangels fälligen Hauptsacheanspruchs besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.
44
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
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8. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
46
9. Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.