Titel:
Türkei, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, zulässiges Folgeverfahren, Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, Offensichtlichkeitsausspruch kraft Gesetzes, Homosexualität, Blutfehde, geplante Konversion zum Christentum, katholischer Glauben, inländische Aufenthaltsalternative für Homosexuelle bejaht, Sicherung des Existenzminimums am Ort des internen Schutzes, psychische Erkrankung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 3e
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8
AsylG § 36 Abs. 4
AsylG § 71
AsylG § 77 Abs. 3
AufenthG § 60a Abs. 2c S. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Schlagworte:
Türkei, Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, zulässiges Folgeverfahren, Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, Offensichtlichkeitsausspruch kraft Gesetzes, Homosexualität, Blutfehde, geplante Konversion zum Christentum, katholischer Glauben, inländische Aufenthaltsalternative für Homosexuelle bejaht, Sicherung des Existenzminimums am Ort des internen Schutzes, psychische Erkrankung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25915
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug der Androhung der Abschiebung in die Türkei infolge der Ablehnung seines Asylfolgeantrages durch die Antragsgegnerin als offensichtlich unbegründet.
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Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Ein erster Asylantrag wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts A* … vom … … 2024 (Az.: … * * …*) rechtskräftig abgelehnt.
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Am 17. Juli 2025 stellte der Antragsteller einen Antrag Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung seines Folgeantrags brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor: Es gehe um eine Blutfehde. Auf das Haus seiner Familie sei geschossen worden. Sein Vater sei entführt worden. Er, der Antragsteller, sei bedroht worden. Das habe ihn psychisch schwer belastet. Er sei depressiv. Außerdem sei er homosexuell. Er habe dies im Erstverfahren nicht vorgetragen, weil er Angst gehabt habe, missverstanden zu werden. Er habe seine Sexualität in seinem Heimatland nicht offen ausleben können. Er habe seine Homosexualität verheimlicht. Bei einer Rückkehr befürchte er wegen der Blutfehde umgebracht zu werden. Weiter sei seine Religion offiziell der Islam, aber er habe sich mit dem Christentum beschäftigt und plane, den katholischen Glauben anzunehmen.
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Mit Bescheid vom 12. September 2025 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für die Antragsgegnerin den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5).
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Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien vorliegend gegeben. Aufgrund des neuerlichen Sachvortrags zur homosexuellen Orientierung könne der Vortrag des Antragstellers bei objektiver Beurteilung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung beitragen. Es sei kein grobes Verschulden, dass der Antragsteller seine Homosexualität im Erstverfahren aus Angst und Scham nicht vorgebracht habe. Das Vorbringen zur Blutfehde könne nicht zu einem weiteren Asylverfahrens führen, da die Blutfehde bereits im vorigen Asylverfahren vorgebracht und gewürdigt worden sei. Das Vorbringen ändere nichts an den Feststellungen im Asylerstverfahren, in dem die Möglichkeit des internen Schutzes aufgezeigt worden sei. Soweit der Antragsteller erstmals bekannt gegeben habe, eine Konversion zum katholischen Christentum zu planen, genüge dies nicht.
6
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Der Antragsteller habe nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass er in der Türkei eine Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten habe. Auch wenn man sein betreffendes Vorbringen als wahr akzeptiere, sei alleine in diesem Sachverhalt keine ausreichende Grundlage für eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr in seinem Heimatland ersichtlich. In Großstädten (Istanbul, Izmir, Ankara) und an der Südküste sei es in bestimmten Bereichen möglich, die Homosexualität zu zeigen. Der pauschale Hinweis auf Diskriminierungen im Herkunftsland sei nicht ausreichend. Dass Diskriminierungen gegen den Antragsteller infolge seiner Homosexualität von ihrer Art, Intensität und Kumulation her einen echten Vertreibungsdruck durch Schaffung einer ausweglosen Lage erzeugt hätten und damit asylrechtlich das für die er Schutzgewährung zu fordernde Maß an Schwere erreicht hätten, könne aus seinem Vortrag nicht ausreichend gewonnen werden. Angegebene Drohungen seien nicht in die Tat umgesetzt worden. In der Gesamtschau seiner Ausführungen zu seinen Aktivitäten und seiner Rolle in der LGBTIQ+-Community oder Szene, könne eine vermeintlich federführende, aktive und herausgehobene Position, die eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr in der Türkei auszulösen vermöge, nicht erkannt werden. Der Antragsteller erachte im Übrigen seine Homosexualität selbst nicht als die hauptsächliche Gefahr in der Türkei, sondern die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Blutrache. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. In der Türkei gebe es Sozialleistungen für Bedürftige. Freiwillig in die Türkei Zurückkehrende könnten im Rahmen der Rückkehrprogramme finanzielle Hilfe erhalten. Eine Gefährdung des Existenzminimums des Antragstellers sei nicht zu erblicken. Er könne trotz seiner psychischen Probleme einer Erwerbstätigkeit nachgehen und so seine Existenz sichern. Er habe auch in Deutschland gearbeitet. Außerdem könnten die in der Türkei noch lebenden Verwandten ihn unterstützen. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbote sei nicht ersichtlich. Eine Behandlung psychischer Erkrankungen sei auch in der Türkei möglich. Der Gesundheitszustand des Antragstellers würde auch kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis begründen. Das Attest vom 11. Juli 2025 habe festgestellt, dass keine Eigen- oder Fremdgefährdung und keine handlungsbestimmende Suizidalität beim Antragsteller vorliege.
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Mit Schriftsatz vom 18. September 2025 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 25.34548 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Sofortverfahren:
1. Die vorläufige Aussetzung meiner Abschiebung.
2. Die Erlaubnis, bis zur Entscheidung des Gerichts in Deutschland zu bleiben.
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Zur Begründung brachte er im Wesentlichen vor:
- Lebensgefahr: Blutrache und konkrete Gewaltandrohungen bestünden.
- Gesundheitliche Risiken: Auch wenn er derzeit keine medizinische oder psychologische Behandlung in Deutschland erhalte, würde eine Abschiebung seine Gesundheit erheblich gefährden.
- Gefährdung aufgrund seiner sexuellen Orientierung: Er sei LGBT-Person. In der Türkei drohten ihm zusätzlich wegen seiner sexuellen Orientierung Diskriminierung, Verfolgung und physische Gewalt.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 19. September 2025, den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der des Klageverfahrens W 8 K 25.34548) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag, der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids zu verstehen ist (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO), hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
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Der Antrag ist zulässig.
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Der Antrag ist gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8, § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO statthaft, soweit er sich gegen die gemäß § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung wendet. Des Weiteren wurden Sofortantrag und Klage innerhalb der Wochenfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 189 ff. – juris Rn. 99).
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Das Gericht darf sich dabei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht auf eine summarische Prüfung beschränken, wenn dem Antragsteller im Falle der Versagung einstweiligen Rechtsschutzes bereits eine endgültige Verletzung seiner Rechte droht und insoweit auch Grundrechtspositionen von Gewicht in Rede stehen (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris m.w.N.). Insoweit fordert der effektive Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen darf, sondern die Frage der Offensichtlichkeit – wenn es sie bejahen will – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine summarische Prüfung hinausgehen muss (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris; B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21). Das Verwaltungsgericht muss dabei überprüfen, ob das Bundesamt aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, ferner, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21 m.w.N.). Des Weiteren darf die Verneinung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sowie relevanter inlandsbezogener Abschiebungshindernisse gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG keinen ernstlichen Zweifel unterliegen.
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Bei der Prüfung bleiben von den Beteiligten nicht angegebene und nicht gerichtsbekannte Tatsachen und Beweismittel gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG unberücksichtigt (BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris). Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 AsylG im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie dort nicht angegebene Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2 AsylG kann das Gericht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG unberücksichtigt lassen, wenn anderenfalls die Entscheidung verzögert würde.
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Gemessen an diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, Abschiebungsverbote zugunsten des Antragstellers nicht festzustellen und die Abschiebung in die Türkei anzudrohen, keinen ernstlichen Zweifeln.
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Das Gericht folgt hierbei den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 3 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, Stand: Januar 2024; vgl. ebenso BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2024).
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Ergänzend wird lediglich Folgendes ausgeführt:
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Asylantrag als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG abgelehnt wurde. Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 1. Alt. AsylG ist in der vorliegenden Fallkonstellation vom Gesetzgeber vorgegeben. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag – immer – als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn – wie hier – der Ausländer gemäß § 71 AsylG einen Folgeantrag gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Da das Bundesamt vorliegend in die Prüfung eingestiegen ist und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt hat – und damit keine Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig ausgesprochen –, ist der Ausspruch der offensichtlichen Unbegründetheit mit der Konsequenz der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung zwingende gesetzliche Folge einer Ablehnung des Asylfolgeantrags als in der Sache unbegründet (vgl. VG Augsburg, B.v. 13.6.2024 – Au 9 K 24.30493, Au 9 S 24.30494 – juris Rn. 47; B.v. 11.4.2024 – Au 5 S 24.30322, Au 5 K 24.30321 – juris Rn. 23; vgl. auch VG Hamburg, B.v. 11.4.2024 – 10 AE 1473/24 – juris Rn. 14). Eine zusätzliche gesteigerte, offensichtliche Aussichtslosigkeit des Vorbringens ist hingegen nicht erforderlich (Heusch in BeckOK AuslR, 45. Ed. 1.7.2025, § 30 AsylG, Rn. 45 m.w.N.; vgl. a.A. noch VG Würzburg, B.v. 5.6.2024 – W 8 S 24.30857 – juris Rn. 20).
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Nach der neuen Regelung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist ein einfach unbegründeter Asylfolgeantrag kraft Gesetzes zwingend immer als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Die Antragsgegnerin hat hier kein Ermessen, auch wenn die Schutzgewährung nur knapp scheitert, der Asylantrag der Sache nach also nicht offensichtlich unbegründet ist. Insoweit sieht das Rückführungsverbesserungsgesetz nunmehr eine gebundene Ablehnung als offensichtlich unbegründet verbindlich vor. Die Verfassung lässt nach Art. 16a Abs. 4 Satz 3 GG ausdrücklich auch die Möglichkeit zu, dass bestimmte Fallgestaltungen als offensichtlich unbegründet „gelten“ (Fiktion bzw. unwiderlegbare Vermutung). Die Verfassung ermächtigt dadurch den Gesetzgeber gerade, auch solche Fallgestaltungen wie offensichtlich unbegründete Fälle zu behandeln, in denen die Individualinteressen des Asylsuchenden den Interessen des Staates gegenüberstünden, welche im gleichen Maße wie andere Fallgestaltungen rechtfertigten, das vorläufige Bleiberecht schon vor einer bestandskräftigen Entscheidung über den Asylantrag zu beenden. Weitere Voraussetzungen müssen dafür nicht erfüllt sein. Auch die Gesetzbegründung deutet auf eine bewusste Entscheidung hin, die Ablehnung eines zulässigen, aber unbegründeten Folgeantrags als offensichtlich unbegründet zwingend und ohne weitere materielle Voraussetzungen auszugestalten. Ein gegenläufiges Verständnis würde die vom Rückführungsverbesserungsgesetz intendierte Verfahrensbeschleunigung konterkarieren. Auch unionsrechtlich ist nichts anderes gefordert. Es genügt, wenn sich die Antragsgegnerin intensiv genug nicht nur mit dem neuen Vorbringen, sondern auch mit sämtlichen potentiellen asylerheblichen Tatsachen auseinandergesetzt hat (vgl. Waldvogel, Asylfolgeanträge nach dem Rückführungsverbesserungsgesetz, NVwZ 2024, 1887, 1889 f. m.w.N. auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
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An der einfachen Unbegründetheit des Folgeantrags nach § 70 Abs. 1 AsylG – soweit dieser zulässig ist – bestehen keine ernstlichen Zweifel, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf internationalen Schutz und auf Anerkennung als Asylberechtigter hat und auch die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungsverboten nicht vorliegen, so dass die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden sind.
25
Das Vorbringen des Antragstellers führt nicht zur Gewährung internationalen Schutzes.
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Zunächst ist anzumerken, dass die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid, auf den Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 3 AsylG), zu Recht darauf hingewiesen hat, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens nur im Hinblick auf die nunmehr vorgebrachte sexuelle Orientierung des Antragstellers vorliegen.
27
Demgegenüber ist das Vorbringen des Antragstellers zur fortbestehenden Blutfehde und drohenden Blutrache nicht geeignet ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, weil sich der Antragsteller weiterhin auf die Möglichkeit des internen Schutzes gemäß § 3d AsylG und § 3e AsylG verweisen lassen muss. Denn die Gewährung internationalen Schutzes scheitert jedenfalls schon daran, dass der Antragsteller auf Aufenthaltsalternativen in der Türkei gemäß § 3e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG zu verweisen ist. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich etwaigen Bedrohungen und Übergriffen im Rahmen der Blutfehde zu entziehen, indem er sich innerhalb der Türkei an einem anderen Ort als seinem Heimatort niederlässt. Insofern sind keine relevanten Gesichtspunkte ersichtlich, die nunmehr eine andere Beurteilung rechtfertigen würden als im Erstverfahren. Insoweit kann ergänzend auf die diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2024 (Az.: AN 4 K 24.31619) Bezug genommen werden.
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Soweit der Antragsteller Kontakte zum Christentum, konkret zum katholischen Glauben, anführt und angibt, eine Konversion vom Islam zum Christentum zu planen, genügt diese vage Absicht in der Zukunft offenkundig nicht, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung beizutragen. Aber selbst bei angenommener – hier aber nicht gegebener – vollzogener Konversion erschließt sich aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht, inwieweit ihm deshalb konkret eine staatliche Verfolgung oder eine ernsthafte Gefahr bei einer Rückkehr in die Türkei landesweit mit erheblicher Wahrscheinlichkeit drohen sollte. Insoweit kann auf die betreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden.
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Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid weiter zutreffend die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeverfahren) bejaht, soweit sich das neue Vorbringen des Antragstellers auf seine sexuelle Orientierung bezieht. Insofern ist das Folgeverfahren gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG zulässig, aber unbegründet.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich im Vorbringen des Antragstellers schon gewisse Ungereimtheiten finden. Der Schwerpunkt seines Vorbringens bezog sich auf die schon im Erstverfahren relevante Blutfehde, die er selbst als seinen Fluchtgrund und sein wesentliches Abschiebungshindernis angab und nicht die Homosexualität. Des Weiteren brachte er bei seiner Anhörung am 17. Juli 2025 zunächst vor, niemand wisse von seiner Homosexualität. Bei einer weiteren Anhörung am 27. August 2025 erklärte der Antragsteller indes widersprüchlich, er habe seine Homosexualität immer verstecken müssen. Weil er einen Freund gehabt habe und seine Familie davon erfahren habe, habe ihn seine Familie bedroht, auch seine Bekannten. Auf Nachfrage räumte er jedoch kurz darauf ein, dass keiner von seiner Familie davon wisse. Keiner wisse von seiner Homosexualität. Auch von seinen Bekannten wisse es keiner. Nur diejenigen, mit denen er eine Beziehung gehabt habe. Zur Erklärung gab er an, er habe niemanden berichtet, dass er homosexuell sei. Er habe mit seiner Familie allgemein über das Thema gesprochen. Daraufhin habe sie gesagt, wenn es so wäre, dann würden sie ihn töten. Er selber habe aber nicht an Aktivitäten der LGPT-Community in der Türkei teilgenommen, weil er Angst gehabt habe. Er habe sich nicht selber preisgeben wollen. In der Türkei habe er heimlich eine dreijährige Beziehung zu einem Mann gehabt. Er habe auch Drohungen bekommen, weil er schwul sei. Auf Nachfrage räumte er jedoch ein, er sei nicht wegen seiner Homosexualität bedroht worden, sondern wegen seiner Blutrache. In Deutschland habe er an einer Veranstaltung teilgenommen und sich bei einem Verein registrieren lassen. Vier Monate habe er in Deutschland eine Beziehung zu einem Mann gehabt. Die Angaben des Antragsteller zum Ausleben seiner Homosexualität sind trotz der zweimaligen Anhörung im Folgeverfahren insgesamt dürftig. Wird aber die sexuelle Orientierung in Deutschland trotz aller Freiheiten nicht oder kaum ausgelebt, stellt sich die Frage, ob die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung in das Herkunftsland berechtigt ist, weil und soweit ein weitergehendes Ausleben der sexuellen Orientierung auch bei einer Rückkehr ohnehin nicht zu erwarten ist (vgl. VG Berlin, B.v. 28.8.2025 – 35 L 335/25 A – jurs LS 1 und Rn. 29 ff., 36).
31
Der Antragsteller hat selbst bei Wahrunterstellung seiner Homosexualität und dem identitätsprägenden Bedürfnis, diese offen Auszuleben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf subsidiären Schutz.
32
Zwar stellt Homosexualität nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund dar. Homosexuelle bilden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer deutlich abgrenzbaren sexuellen Identität eine bestimmte soziale Gruppe (EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C-201/12 – juris Rn. 48).
33
Der Antragsteller ist jedoch wegen seiner Homosexualität weder vorverfolgt im Sinne von Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ausgereist, noch besteht bei einer Rückkehr eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungswahrscheinlichkeit.
34
Der Antragsteller war vor seiner Ausreise keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt.
35
Insbesondere kann er sich nicht darauf berufen, dass in der Türkei eine Gruppenverfolgung von Homosexuellen herrschen würde. Insgesamt erreicht die in der Türkei zweifelsfrei vorhandene Diskriminierung von Homosexuellen nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch angesichts der Anzahl der Eingriffshandlungen in ihrer landesweiten Eingriffs- oder Verfolgungsdichte nicht das für eine Gruppenverfolgung notwendige Ausmaß (vgl. dazu auch VG Trier, U.v. 5.6.2025 – 9 K 3106/24.TR – Milo UA S. 8 ff.; VG Düsseldorf. U.v. 11.10.2024 – 26 K 39074/22.A – juris Rn. 44).
36
Denn Homosexualität ist seit der Gründung der Türkischen Republik im Jahr 1923 einerseits legal (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 301). Sexuelle Handlungen und Beziehungen zwischen Personen des gleichen Geschlechts sind in der Türkei nicht strafbar. Homosexuelle Handlungen werden im türkischen Strafgesetzbuch nicht aufgeführt. Andererseits verbietet die Gesetzgebung auch nicht ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation Türkei, SOGI: Situation von LGPTIQ-Personen, Stand: 10/2024, S. 1). Allerdings werden Gesetze oder Generalklauseln über öffentliche Moral und Ordnung in ihre Auslegung gegen LGBT-Personen eingesetzt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, vom 20.5.2024, S. 15). Die Diskriminierung von LGBT-Personen ist weit verbreitet – auch von institutioneller Seite –, insbesondere beim Zugang zu Wohnraum und Beschäftigung (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, vom 20.5.2024, S. 15). Es gibt offensichtlich eine Toleranz der Behörden gegenüber Einschüchterungs- und Gewalthandlungen gegen lesbische, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Personen. Ebenso ist die politische Rhetorik gegen homosexuelle Gruppierungen gerichtet. Die Gesetze schützen nicht explizit vor Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechteridentität. Während LGPT-Personen in fast allen Bereichen arbeiteten, sind sie in der sozialen Realität nicht sichtbar (vgl. Accord, Anfragebeantwortung zur Türkei: Aktuelle Situation offen schwul lebender Männer vom 5.4.2023 sowie Anfragebeantwortung zu Türkei: Lage von LGPTIQ*Personen vom 27.6.2024). Bei Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung werden Homosexuelle häufig vom sozialen und beruflichen Umfeld ausgegrenzt oder belästigt und nicht selten Opfer von Gewalt und Diskriminierung (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, vom 20.5.2024, S. 15). Die weit verbreitete Diskriminierung ist für die Betroffenen ein großes Hindernis beim Zugang zu Beschäftigung. Sie sind oft gezwungen ihre Identität zu verbergen, um das Risiko von Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Die Geheimhaltung scheint im öffentlichen Sektor unvermeidlich, im Gegensatz zum privaten Sektor (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 304 f.). Es gibt Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz. Allgemein kommt es auch immer wieder zu körperlicher und verbaler Gewalt gegenüber LGPT-Personen Das europäische Parlament hat sich aufgrund der Diskriminierung und feindlichen Äußerungen gegen der LGPT-Community besorgt geäußert. Seit 2015 ist in Istanbul die Pride-Parade verboten. Die Pride-Parade am 30. Juni 2024 in Istanbul wurde etwa verboten bzw. gewaltsam aufgelöst (vgl. BAMF Briefing Notes vom 8.7.2024). Trotzdem haben im Juni 2024 mehrere hundert Personen an einem Pride-Marsch teilgenommen. Teilnehmende sind vorübergehend festgenommen worden. Genauso gab es vorübergehende Festnahmen bei Razzien in Bezirken des Stadtgebiets von Istanbul und Izmir (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation Türkei, SOGI: Situation von LGPTIQ-Personen, Stand: 10/2024, S. 4 ff.). Kundgebungen von Gruppen sexueller Minderheiten und Veranstaltungen von LGPT-Organisationen werden mit Verweis auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Gefährdung der Versammlungsteilnehmenden regelmäßig und systematisch verboten bzw. gewaltsam unterbunden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 302 und 304; Österreichische Botschaft Ankara, Asylländerbericht 2024, April 2025, S. 51 ff.). Nicht hingegen Gegendemonstrationen. Es gibt Gesetzesbestrebungen die Förderung von LGPT-Rechten unter Strafe zu stellen (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 301 bis 311 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
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In Großstädten wie Ankara, Izmir, Adana und Istanbul, wo die LGPT-Gemeinschaft am besten organisiert ist, sowie in einigen Gegenden an der südlichen Küste ist es in bestimmten Bereichen möglich, die eigene Homosexualität zu zeigen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, vom 20.5.2024, S. 15). Ansonsten ist Akzeptanz von LGPT-Personen und gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der türkischen Gesellschaft, insbesondere in ländlichen Gebieten gering. Bei Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung werden Homosexuelle, vor allem aber Transsexuelle, häufig von ihrem sozialen beruflichen Umfeld ausgegrenzt oder belästigt und nicht selten Opfer von Gewalt und Diskriminierung. Das spiegelt sich auch in der Arbeit der Behörden und vor allem der Polizei wider. Opfer von LGPTfeindlicher Gewalt wenden sich oft nicht an die Polizei, da sie weitere Diskriminierungen befürchten und wenig Vertrauen in die türkische Justiz haben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 306; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation Türkei, SOGI: Situation von LGPTIQ-Personen, Stand: 10/2024, S. 10).
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Auf der Grundlage der vorstehenden, in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel konnte das Gericht nicht zur Überzeugungsgewissheit gelangen, dass für den Antragsteller wegen seiner Homosexualität bei einer Rückkehr in die Türkei eine flüchtlingsrechtliche relevante Verfolgungsgefahr oder sonst ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besteht. Zweifelsohne muss er bei einem offenen Umgang mit seiner Homosexualität mit vielfacher gesellschaftlicher und gegebenenfalls auch institutioneller Diskriminierung rechnen. Jedoch ist er jedenfalls auf eine inländische Fluchtalternative in Großstädten wie Istanbul, Izmir, Ankara oder an der Südküste zu verweisen. Dort ist es in bestimmten Bereichen möglich, Homosexualität offen zu zeigen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, vom 20.5.2024, S. 15).
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Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten wird, dass die vorgenannten inländische Fluchtalternative nicht bestehe, weil einzelne Stadtteile keinen Teil des Zielstaates im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG darstellten, da der verfolgungssichere Ort eine hinreichende Größe aufweisen müsse, um nachhaltige Sicherheit zu verheißen und eine Lebensgrundlage zu gewährleisten, weil der Betreffende zu einer weitreichenden eingeschränkten örtlichen Zurückhaltung gezwungen würde und auch hinsichtlich des Mietniveaus nicht zu erwarten sei, dass er dort sein Existenzminimum sichern könne, ist dem nicht zu folgen (so aber VG Köln, U.v. 2.6.2025 – 22 K 7125/23.A – juris Rn. 53 ff.; U.v. 19.5.2025 – 22 K 6422/23.A – juris Rn. 86 ff.). Denn der Begriff des Landesteils in § 3e AsylG ist nicht legal definiert. Auch wenn es üblich ist, bei der Subsumtion an vorhandene geopolitische Untergliederungen – wie etwa an einzelne Regionen oder Provinzen – anzuknüpfen, ist eine solche Anknüpfung nicht zwingend. Entscheidend ist vielmehr, dass das der dem Betroffenen faktisch als verfolgungssicherer Ort zur Verfügung bestehende Bereich eine hinreichende Größe aufweist, um eine nachhaltige Sicherheit zu bieten und eine Lebensgrundlage zu gewährleisten. Einzelne verfolgungssichere Dörfer oder Verwaltungseinheiten ähnlicher Größe dürften deshalb nicht ausreichend sein, weil und soweit die notwendige Stabilität der Sicherheitslage nicht gewährleistet wäre bzw. eine auf einige wenige Straßenzüge beschränkte dauerhafte Niederlassung nicht zumutbar sein dürfte (Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 22. Ed., Stand: 1.8.2025, § 3e AsylG Rn. 16 f.). Relevant ist alleine, dass es ein Landesteil gibt, in dem keine Verfolgung bzw. keine ernstliche Gefahr droht (vgl. Kluth in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 45. Ed., Stand: 1.10.2024, § 3e AsylG Rn. 2). Um einen internen Schutz zu bejahen muss der Asylsuchende zusammengefasst im betreffenden Gebiet vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden sicher sein, legal dorthin reisen und sich aufhalten dürfen und es muss vernünftigerweise erwartet werden können, dass er sich dort niederlässt, weil sein wirtschaftliches Existenzminimum ohne Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewährleistet werden kann. Es genügt, wenn die inländische Fluchtalternative, also der betreffende Landesteil eine solche Größe hat, dass der Betroffene sich dort eine den örtlichen Verhältnissen entsprechende, wenn auch nur bescheidene, den Anforderungen von Art. 3 EMRK und Art. 4 GrCh genügende Lebensgrundlage aufbauen kann. Für die Zumutbarkeit der Niederlassung ist die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz am Ort des internen Schutzes relevant. Über das Niveau des Art. 3 EMRK hinausgehende Anforderungen sind keine notwendigen Voraussetzungen für die Bejahung der Zumutbarkeit. Es genügt, wenn das Existenzminimum dort gewährleistet ist (vgl. Bergmann/Dollinger in Bergmann/Dienelt, AuslR, 15. Aufl. 2025, § 3e AsylG, Rn. 3 ff.).
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Ausgehend davon hat das Gericht keine ernstlichen Zweifel, dass der Antragsteller sich am Ort des möglichen internen Schutzes in der Türkei sein Existenzminimum, wenn auch auf niedrigem Niveau („Brot, Bett, Seife“) sichern kann. Gerade auch, wenn die möglichen Stadtviertel in den oben genannten Großstädten oder Gegenden an der Südküste in Touristenbereichen mit eventuellem höherem Mietniveau liegen, bieten sich für den Antragsteller – auch mit seinen Erfahrungen aus seinem Aufenthalt und seiner Erwerbstätigkeit in Deutschland – weitergehende Erwerbschancen, ohne dauerhaft obdachlos oder erwerbslos zu werden, zumal er am Platz des internen Schutzes auch von Gleichgesinnten der LGBT-Community umgeben ist, die ihm ihrerseits mit Rat und Tat zur Seite stehen können. Die Größe der für den Antragsteller in der Türkei zur Verfügung stehenden Gebiete ist auch im Vergleich zur Gesamtfläche und Gesamtbevölkerung der Türkei nicht unbedeutend. Es geht dabei nicht nur um ein einzelnes „Ghetto“, weil angesichts der verschiedenen geographischen Bereiche noch ein akzeptabel großer Raum verbleibt, in dem Homosexuelle entsprechen ihrer sexuellen Orientierung leben und sich entfalten können, ohne dass ihre Menschenwürde verletzt wird (vgl. VG Düsseldorf. U.v. 11.10.2024 – 26 K 39074/22.A – juris Rn. 46).
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Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es dem Antragsteller wegen der gesellschaftlichen Diskriminierung in der Türkei auch in Großstädten wie Ankara, Istanbul oder Izmir usw. sicher nicht leicht fallen wird, Zugang zu Wohnraum und Beschäftigung zu finden, wenn er seine Homosexualität offen lebt. Jedoch ist er bei der Arbeit nicht auf eine Arbeitsstelle im öffentlichen Dienst angewiesen, sondern kann auf Beschäftigungsverhältnisse im toleranteren Privatsektor zurückgreifen, wobei auch einfache Arbeiten oder Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft zumutbar sind. Laut den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 304; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation Türkei, SOGI: Situation von LGPTIQ-Personen, Stand: 10/2024, S. 7; Accord, Anfragebeantwortung zur Türkei: Aktuelle Situation offen schwul lebender Männer vom 5.4.2023, S. 7 f) können zwischen 17% und 27% der LGBT-Beschäftigen im Privatsektor offen ihre Identität leben (vgl. VG Düsseldorf. U.v. 11.10.2024 – 26 K 39074/22.A – juris Rn. 49). Darüber hinaus kann der Antragsteller bei einer freiwilligen Ausreise auch bereits von Deutschland aus Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung und einem Arbeitsplatz über das ZIRF-Counselling in Anspruch nehmen (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/countries/turkey). Mithin wäre es dem Antragsteller selbst ohne weitere familiäre Unterstützung möglich und zumutbar, sich in Ankara, Istanbul oder Izmir oder an der Südküste eine wirtschaftliche und soziale Existenz aufzubauen, ohne seine homosexuelle Identität dafür verheimlichen zu müssen (so auch VG Würzburg, U.v. 24.2.2025 – W 7 K 24.32372 – UA S. 8 ff., 12; VG Düsseldorf. U.v. 11.10.2024 – 26 K 39074/22.A – juris Rn. 44 ff.).
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Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich – wie schon in der Vergangenheit – eine Arbeit zu suchen, um sich jedenfalls das Existenzminimum – gegebenenfalls mit oder ohne Unterstützung seiner Familie sowie gegebenenfalls durch Inanspruchnahme sozialen Hilfen und Rückkehr- und Integrationshilfen – am Ort des möglichen internen Schutzes in der Türkei zu sichern.
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Des Weiteren bestehen im Rahmen des Sofortverfahrens auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Feststellung in Nr. 4 des angefochtenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Soweit der Antragsteller psychische Probleme geltend macht, hat er keine qualifizierte Bescheinigung gemäß § 60 Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG vorgelegt. Zudem gab der Antragsteller in seiner Antrags- und Klagebegründung ausdrücklich an, dass er aktuell nicht in Behandlung sei. Folglich bleibt es bei der Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Abgesehen davon ist auch in der Türkei die Behandlung psychisch Erkrankter möglich und für den Antragsteller erreichbar (vgl. nur BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 6.8.2025, S. 347 f.).
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Ernstliche Zweifel bestehen weiter nicht an der Rechtmäßigkeit der auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG gestützten Abschiebungsandrohung. Insbesondere rechtfertigt sein Verweis auf seine psychischen gesundheitlichen Probleme – nach den vorstehenden Ausführungen – auch nicht die Annahme eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses, wie auch die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt hat. Eine Abschiebung ist deshalb nicht unverhältnismäßig.
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Bedenken bestehen schließlich auch nicht im Hinblick auf die Ausreisefrist von einer Woche, die das Bundesamt in Nr. 5 des angefochtenen Bescheids entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 36 Abs. 1 AsylG gesetzt hat. Die Antragsgegnerin hat eine Ersatzregelung für den Fall getroffen, dass innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt wird.
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Nach alledem hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg.
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Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.