Titel:
Erfolgloser Eilantrag einer deutsch-verheirateten Nigerianerin gegen eine Abschiebungsandrohung nach Nigeria wegen Einreise mit erschlichenem Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2, Abs. 5 S. 1, § 123 Abs. 1, Abs. 3, § 166
AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 2, § 27 Abs. 3 S. 2, § 50 Abs. 1, § 54 Abs. 2 Nr. 8, Nr. 10, § 59 Abs. 1, § 81 Abs. 3, Abs. 4
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 3, Nr. 5
GG Art. 6
GRCh Art. 7, Art. 24
EMRK Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die Anwendung von § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durch den Besitz eines Aufenthaltstitels oder durch einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Aufenthaltstitel vermittelt wird. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG iVm § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auf von deutschen Behörden ausgestellte Schengen-Visa lässt sich mit dem Wortlaut und der Systematik dieser Bestimmungen nicht vereinbaren. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es besteht grundsätzlich ein erhebliches Interesse daran, eine Besserstellung desjenigen Ausländers zu vermeiden, der unerlaubt eingereist ist und sich nunmehr unter Verweis auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen hier lebenden Angehörigen in Deutschland aufhält, gegenüber demjenigen Ausländer, der erst die familiäre Einheit mit seinen Angehörigen im Bundesgebiet herstellen will und sich hierzu dem regulären Visumverfahren unterzieht. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Verfahrensduldung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers setzt voraus, dass die Aussetzung seiner Abschiebung geboten ist, weil keine Zweifel am Anspruch auf Titelerteilung bestehen bzw. – wenn der Ausländerbehörde in Bezug auf die Titelerteilung ein Ermessen eröffnet ist – keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können. (Rn. 76) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung, Duldungsanspruch wegen Eheschließung mit deutschem Staatsangehörigen vor Einreise (verneint), Ausweisungsinteressen, Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens (bejaht), einstweiliger Rechtsschutz, Abschiebungsandrohung, Nigeria, deutsch-verheiratet, Untertauchen, Schengen-Visum, Fiktionswirkung, Erlaubnisfiktion, Ausreisepflicht, Ausreisefrist, Abschiebungsverbote, Rückführungsrichtlinie, Visumsverfahren, eheliche Lebensgemeinschaft, Familiennachzug, vorübergehende Trennung, schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, vorsätzlich begangene Straftat, migrationspolitische Interessen, Verfahrensduldung, Befristungsentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25892
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 23.12.2024 wird abgelehnt.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung des Antragsgegners.
2
Die Antragstellerin ist nigerianische Staatsangehörige und reiste laut Ausländerzentralregister erstmalig am 27.04.2003 in das Bundesgebiet ein. Am 30.04.2003 stellte sie unter den Personalien …, …, geb. … in …Uganda, einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Mit Bescheid vom 16.05.2003 (Bl. 27ff. der Ausländerakte) lehnte das Bundesamt den Asylantrag vollumfänglich ab und drohte der Antragstellerin die Abschiebung nach Uganda unter Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat an. Die seitens der Antragstellerin am 02.06.2003 erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 10.09.2003 (Az. B 6 K 03.30267) als offensichtlich unbegründet abgewiesen (Bl. 52ff. der Ausländerakte). Die Entscheidung wurde am 27.10.2003 unanfechtbar. Ab dem 08.12.2003 war die Antragstellerin unbekannten Aufenthalts.
3
Am 31.03.2004 teilte ein bevollmächtigter Rechtsanwalt der Ausländerbehörde schriftlich mit (Bl. 76 der Ausländerakte), dass die Antragstellerin bislang über ihre wahre Identität getäuscht habe und diese nunmehr offenlegen wolle. Am 13.12.2004 wurde seitens der Ausländerbehörde der Stadt … Zuzug von unbekannt gemeldet und der Antragstellerin eine Duldung ausgestellt.
4
Am 03.12.2004 wurde die Antragstellerin beim Versuch der Einreise nach Großbritannien mit gefälschtem Reisepass aufgegriffen und nach Frankreich zurückgewiesen (Bl. 141ff. der Ausländerakte). Einen geplanten Termin zur Beantragung eines nigerianischen Heimreisescheins am 18.01.2005 nahm sie nicht wahr (Bl. 154 der Ausländerakte) und war auch in der Folgezeit für behördliche Maßnahmen regelmäßig nicht greifbar. Die Duldung der Antragstellerin wurde jedoch fortwährend zunächst bis zum 31.12.2006 verlängert, da die Abschiebung aufgrund fehlender Passdokumente nicht möglich war. Mit Bescheid der Stadt … vom 13.09.2006 (Bl. 202ff. der Ausländerakte) wurde der Antragstellerin die zwangsweise Vorführung zur Passersatzpapier-Beantragung angedroht.
5
Im Rahmen einer Anhörung am 27.09.2006 konnte die nigerianische Staatsangehörigkeit der Antragstellerin durch die nigerianische Botschaft bestätigt werden. Am 18.10.2006 wurde die Antragstellerin wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 10,00 Euro verurteilt (Az. AG …, Az. …; Bl. 237 der Ausländerakte). Am 05.03.2007 war die Antragstellerin erneut unbekannten Aufenthalts. Eigentlich war zu diesem Zeitpunkt die freiwillige Ausreise der Antragstellerin mittels Heimreiseschein vorgesehen. Der Flug wurde jedoch storniert, auch der bevollmächtigte Rechtsanwalt hatte keinen Kontakt mehr zur Antragstellerin (Bl. 258, 268 der Ausländerakte). Die Antragstellerin wurde im INPOL und SIS zur Personenfahndung ausgeschrieben.
6
Am 14.08.2007 erreichte die deutschen Behörden ein Dublin-Ersuchen seitens des Mitgliedstaates Irland (Bl. 277 der Ausländerakte). Eine Überstellung konnte jedoch nicht erfolgen, da die Antragstellerin auch in Irland untertauchte (Bl. 283 der Ausländerakte).
7
Am 17.12.2008 teilte das Bundesamt der zuständigen Ausländerbehörde mit, dass die Antragstellerin am 19.12.2008 im Rahmen des Dublin-Verfahrens von Shannon nach Berlin-Schönefeld überstellt werden soll (Bl. 290 der Ausländerakte). Zur Sicherung der Abschiebung beantragte die Ausländerbehörde am 18.12.2008 Abschiebehaft für die Dauer von drei Monaten, die mit Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 19.12.2008 (Bl. 342ff. der Ausländerakte) angeordnet wurde.
8
Am 12.02.2009 ließ die Antragstellerin über einen Rechtsanwalt mitteilen, dass sie seit …2008 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei. Die Ehe sei in Irland geschlossen worden. Es wurde gleichzeitig ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Das Verfahren zur Passersatzpapierbeschaffung wurde daraufhin zunächst ausgesetzt.
9
Am 18.02.2009 stellte die Antragstellerin einen Asylfolgeantrag, diesmal unter den Personalien …, geb. … in …, Staatsangehörigkeit nigerianisch (Bl. 385 der Ausländerakte). In der Anhörung am 25.02.2009 (Bl. 402ff. der Ausländerakte) gab sie unter anderem an, bereits seit 2008 im Besitz eines nigerianischen Reisepasses zu sein, welcher sich aber bei ihrer Schwester in Irland befinde. Mit Beschluss vom 18.03.2009 ordnete das Amtsgericht Eisenhüttenstadt Abschiebehaft für weitere drei Monate gegen die Antragstellerin an (Bl. 425ff. der Ausländerakte).
10
Mit Bescheid vom 19.03.2009 wurde Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahren abgelehnt und die mit Bescheid vom 16.05.2003 erlassene Abschiebungsandrohung insoweit aufgehoben, als dort die Abschiebung nach Uganda angedroht wurde (Bl. 432ff. der Ausländerakte) Der Bescheid ist seit dem 07.04.2009 bestandskräftig (Bl. 571 der Ausländerakte). Am 08.04.2009 ordnete die Ausländerbehörde der Stadt … die unverzügliche Entlassung aus der Abschiebehaft an, da die Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen nachgewiesen werden konnte (Bl. 550 der Ausländerakte). Der Antragstellerin wurden erneut Duldungen bis zum 30.11.2009 ausgestellt. Mit Bescheid vom 07.09.2009 wurde die Antragstellerin wiederum aufgefordert, sich einen nigerianischen Reisepass über die nigerianische Botschaft zu beschaffen (Bl. 765ff. der Ausländerakte). Ab mindestens 30.11.2009 war die Antragstellerin erneut untergetaucht und wurde in der Folge wieder in den Fahndungssystemen ausgeschrieben. Am 03.05.2011 meldete die Zentrale Ausländerbehörde … Wiederzuzug aus dem Ausland. Zuvor stellte die Antragstellerin am 28.04.2011 erneut einen Asylfolgeantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.05.2011 abgelehnt wurde (Bl. 867ff. der Ausländerakte). Die dagegen seitens der Antragstellerin am 25.05.2011 erhobene Klage wurde mit Urteil des VG Bayreuth vom 01.03.2012 (Az. B 3 K 11.30125) abgewiesen. Die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides trat am 30.05.2012 ein. Im Rahmen der gerichtlichen Anhörung gab die Antragstellerin an, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann niemals bestanden habe (Bl. 907 der Ausländerakte). Am 08.12.2012 erfolgte eine Anzeigenerstattung durch die Stadt … wegen des Verdachts der Scheinehe (Bl. 909 der Ausländerakte). Mit Verfügung vom 17.04.2013 (Az. …*) sah die Staatsanwaltschaft … gemäß § 154 Abs. 1 StPO von Verfolgung ab (Bl. 964 der Ausländerakte). Mit weiterer Verfügung vom 15.07.2013 wurde das Ermittlungsverfahren (Az. …*) gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Bl. 974 der Ausländerakte).
11
Mit Bescheid vom 15.02.2013 wurde die Antragstellerin erneut aufgefordert, sich einen nigerianischen Reisepass zu beschaffen (Bl. 952ff. der Ausländerakte). Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 06.03.2014 (Az. …*) wurde die am …2003 vor dem Standesamt in …Irland geschlossene Ehe der Antragstellerin mit dem deutschen Staatsangehörigen … geschieden (Bl. 1011ff. der Ausländerakte).
12
Am 20.03.2014 stellte die Antragstellerin einen weiteren Asylfolgeantrag. Unter dem 31.08.2015 beantragte ein Bevollmächtigter der Antragstellerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25b AufenthG und übermittelte Zertifikate über den bestandenen Test „Leben in Deutschland“ sowie über das Erreichen des Sprachniveaus A2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 23.01.2017 wurde der neuerliche Asylfolgeantrag der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt (Bl. 1077ff. der Ausländerakte); zudem wurde ihr die Abschiebung nach Nigeria unter Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise von einer Woche ab Bekanntgabe der Entscheidung angedroht. Im Rahmen ihrer Anhörung vom 07.10.2016 gab die Antragstellerin an, in Irland jemanden damit beauftragt zu haben, ihren Reisepass zu zerstören. Der erhobene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13.02.2017 (Az. B 4 S 17.30327) abgelehnt (Bl. 815ff. der Ausländerakte). Die seitens der Antragstellerin gegen die ablehnende Entscheidung im Asylfolgeverfahren erhobene Klage wurde mit Urteil vom 19.07.2017 (Az. B 4 K 17.30328) abgewiesen (Bl. 1104ff. der Ausländerakte).
13
Mit Schreiben vom 04.03.2021 bestätigte die nigerianische Botschaft Berlin, dass die Antragstellerin dort einen Reisepass beantragt hat (Bl. 1160 der Ausländerakte). Der Antragstellerin wurde in der Folge ein nigerianischer Reisepass, gültig vom 02.11.2021 bis 01.11.2026, auf die Personalien …, …, geb. … in …, nigerianisch, ausgestellt. Am 13.01.2022 reiste die Antragstellerin freiwillig nach Nigeria aus. Am 27.03.2024 reiste die Antragstellerin mit einem norwegischen Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte, gültig vom 10.03.2024 bis 09.04.2024, erneut in das Bundesgebiet ein.
14
Seit dem …2022 ist die Antragstellerin mit dem deutschen Staatsangehörigen … verheiratet (Bl. 1260 der Ausländerakte). Beide halten sich derzeit unter derselben Anschrift in … auf. Am 19.07.2022 beantragte die Antragstellerin bei der deutschen Botschaft in Abuja/Nigeria ein Visum zur Wiedereinreise, welches mit Entscheidung vom 10.10.2022 abgelehnt wurde. Zudem beantragte die Antragstellerin am 27.06.2023 ein Visum zum Zwecke des „Besuchs von Freunden und Familie“ bei der Schweizer Botschaft in Abuja/Nigeria. Dieses wurde wegen fehlender Rückkehrbereitschaft am 29.06.2023 abgelehnt (Bl. 1227 der Ausländerakte). Wiederum am 16.02.2024 beantragte die Antragstellerin ein C-Visum für kurzfristige Aufenthalte bei der norwegischen Botschaft in Accra/Ghana, welches am 29.02.2024 bewilligt wurde.
15
Seit dem 25.03.2023 ist die Antragstellerin in das Terminvergabesystem für ein Ehegattennachzugvisum bei der deutschen Botschaft in Lagos/Nigeria eingetragen (Bl. 1239 der Ausländerakte). Ausweislich der Ein- und Ausreisestempel in ihrem Reisepass reiste die Antragstellerin am 26.03.2024 aus Nigeria aus und am 27.03.2024 über den Flughafen Frankfurt am Main direkt in das Bundesgebiet ein. Am 02.04.2024 ging bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes … ein Schreiben einer Bevollmächtigten der Antragstellerin ein, mit welchem sie unter Vollmachtvorlage Akteneinsicht sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug oder hilfsweise die Erteilung einer Duldung beantragte (Bl. 1213f. der Ausländerakte).
16
Mit Anhörungsschreiben vom 10.04.2024 (Bl. 1235f. der Ausländerakte) teilte die Ausländerbehörde des Landratsamts … der Antragstellerbevollmächtigten mit, dass beabsichtigt sei, die gestellten Anträge abzulehnen, die Antragstellerin zur Ausreise aufzufordern und im Falle der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Nigeria anzudrohen. Mit Schriftsatz vom 15.04.2024 führte die Antragstellerbevollmächtigte aus, dass die Ehe zwischen der Antragstellerin und ihrem deutschen Ehemann rechtsgültig sei. Sie habe sich in das Terminvergabesystem der deutschen Botschaft in Lagos eintragen lassen, jedoch habe sie bislang noch keinen Antrag stellen können. Dies sei frühestens in einem halben Jahr möglich. Daher sei mit einer weiteren ungewissen Zeit der Trennung der Eheleute zu rechnen. Dies sei unzumutbar, weshalb der Antragstellerin der weitere Aufenthalt bis zur Nennung des Termins zur Beantragung des Visums zu „gestatten“ sei. Eine entsprechende E-Mail der deutschen Botschaft Lagos war dem Schriftsatz beigefügt (Bl. 1239 der Ausländerakte). Mit weiterem Schriftsatz vom 13.06.2024 bat die Antragstellerbevollmächtigte bis auf weiteres von einer Anzeigenerstattung abzusehen. Die Antragstellerin wisse, dass ihr eine Aufenthaltserlaubnis nur nach vorheriger Ausreise und Wiedereinreise mit einem Visum erteilt werden könne. Mit weiterem Schriftsatz vom 09.09.2024 bestreitet die Antragstellerbevollmächtigte Falschangaben der Antragstellerin im Rahmen des Visumverfahrens zur Erlangung des norwegischen Besuchsvisums.
17
Am 14.10.2024 informierte das Jobcenter die zuständige Ausländerbehörde, dass die Antragstellerin dort Leistungen beantragt habe.
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Mit E-Mail vom 20.10.2024 wandte sich die Antragstellerin im Wege der Eingabe an den Bayerischen Landtag. Zur Eingabe wurde seitens des Landratsamtes … am 30.10.2024 Stellung bezogen. Ebenfalls am 30.10.2024 erstattete der Antragsgegner Anzeige gegen die Antragstellerin wegen unerlaubter Einreise/unerlaubten Aufenthalts sowie Falschangaben im Visumverfahren zur Erlangung des norwegischen Besuchsvisums (Bl. 1266 der Ausländerakte). Das Ermittlungsverfahren wird bei der Staatsanwaltschaft … unter dem Az. … geführt (Bl. 1295 der Ausländerakte).
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Mit Bescheid vom 12.12.2024 lehnte das Landratsamt … die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 1) sowie auf die hilfsweise begehrte Duldung (Ziffer 2) ab und forderte die Antragstellerin auf, das Bundesgebiet bis spätestens 15.01.2025 (Ziffer 3) zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde der Antragstellerin die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 4). Darüber hinaus wurde das für den Fall einer Abschiebung hervorgerufene Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf ein Jahr beginnend mit dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 5).
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bereits deswegen abzulehnen gewesen sei, da im Falle der Antragstellerin ein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestehe. Die Antragstellerin sei am 27.03.2024 über den Luftweg direkt aus Nigeria kommend in das Bundesgebiet eingereist. Hierzu habe sie zuvor über die norwegische Botschaft in Accra/Ghana ein C-Visum für kurzfristige Aufenthalte beantragt. Nach Auskunft der norwegischen Botschaft in Accra vom 04.07.2023 sei dieses Visum auf der Basis einer Einladung einer norwegischen Firma namens „…“ ausgestellt worden. Eine Einreise nach Norwegen sei jedoch zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Vielmehr sei die Antragstellerin am 26.03.2024 aus Nigeria ausgereist und am 27.03.2024 direkt am Flughafen Frankfurt am Main gelandet. Nur wenige Tage später am 02.04.2024 habe sie über ihre Bevollmächtigte einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Es erscheine wenig glaubhaft, dass die Antragstellerin jemals einen Kurzaufenthalt in Norwegen beabsichtigt habe. Die Antragstellerin sei zum Zeitpunkt der Visumbeantragung bereits mit ihrem deutschen Ehemann verheiratet gewesen. Dass ein Visum zur Wiedereinreise am 10.10.2022 von der deutschen Botschaft in Abuja/Nigeria und ein Visum für Besuchszwecke von der Schweizerischen Botschaft Abuja am 29.06.2023 zuvor abgelehnt worden seien, zeige deutlich, dass die Antragstellerin nach ihrer freiwilligen Ausreise nach Nigeria am 19.01.2022 sofort wieder nach Europa habe zurückkehren wollen. Laut Mitteilung der deutschen Botschaft in Lagos habe sich die Antragstellerin bereits am 25.03.2023 auf die Terminwarteliste für den Familiennachzug setzen lassen. Da sie die langen Wartezeiten auf einen Termin zur Antragstellung nicht habe abwarten wollen, habe sie einen anderen Weg der Einreise gewählt und unter einem Vorwand ein Visum für kurzfristige Aufenthalte bei den norwegischen Behörden beantragt. Damit liege ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG vor. Auch sei die Antragstellerin ausweislich der Auskunft der norwegischen Botschaft in Accra vom 31.10.2024 über die Folgen falscher sowie unvollständiger Angaben belehrt worden.
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Darüber hinaus liege bei der Antragstellerin ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG vor. Zwar sei sie mit einem durch falsche Angaben erwirkten, gültigen Schengen-Visum erlaubt in das Bundesgebiet eingereist, jedoch sei das Visum seit dem 09.04.2024 abgelaufen. Der seitens ihrer Bevollmächtigten am 02.04.2024 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entfalte nicht die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG, weshalb sich die Antragstellerin seit dem 10.04.2024 ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel und damit unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte. Spätestens nach Erhalt des Anhörungsschreibens vom 10.04.2024 sei ihr dieser Umstand auch bewusst gewesen. Darüber hinaus habe die Antragstellerin gegenüber der norwegischen Auslandsvertretung falsche Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht. Angesichts der erfolgten Belehrungen seien diese Angaben vorsätzlich falsch getätigt worden.
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Im Hinblick auf die bisherige ausländerrechtliche Vita der Antragstellerin sei auf der Grundlage einer einzelfallbezogenen Gefährdungsprognose unweigerlich mit weiteren Rechtsverstößen zu rechnen. Hieran ändere auch die Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen nichts, denn bereits in der Vergangenheit sei die Antragstellerin mit einem Deutschen verheiratet gewesen, was jedoch ihr Verhältnis zum deutschen Rechtsstaat nicht zum Positiven beeinflusst habe. Vielmehr habe sich diese Ehe im Nachgang als Scheinehe herausgestellt.
23
Darüber hinaus fehle es an der Regelerteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Antragstellerin hätte vor ihrer Einreise einen Antrag auf Erteilung eines Visums mit dem beabsichtigten Aufenthaltszweck stellen müssen, in welchem sie hätte angeben müssen, dass sie auf Dauer in Deutschland leben wolle. Eine Ausnahme von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG räume das Aufenthaltsgesetz in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur in den Fällen ein, in denen die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt seien oder auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar sei, das Visumverfahren nachzuholen. Ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Ehegattennachzug stehe der Antragstellerin nicht zu, denn sie erfülle nicht die Regelerteilungsvoraussetzung „kein Ausweisungsinteresse“. Die Erteilung/Einholung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise gemäß § 39 AufenthV komme ebenfalls nicht in Betracht, da keiner der in den Nrn. 1 bis 7 genannten Sachverhalte erfüllt sei. Es sei der Antragstellerin auch nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls unzumutbar, das Visumverfahren nachzuholen. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei als Ausnahmebestimmung prinzipiell eng auszulegen und nach der Gesetzesbegründung solle die Durchführung des Visumverfahrens auch in „Anspruchsfällen“ die Regel bleiben. Durch die Nachholung des Visumverfahrens würden im Fall der Antragstellerin weder das Wohl eines minderjährigen Kindes noch gesundheitliche Aspekte beeinträchtigt. Auch sonstige humanitäre Gründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass die Antragstellerin mit dieser Entscheidung veranlasst werde, wieder in ihr Heimatland zurückzukehren, begründe keinen außergewöhnlichen Umstand. Sie sei mit einem befristeten Touristenvisum in das Bundesgebiet eingereist und es sei ihr erlaubt gewesen, sich innerhalb des genehmigten Zeitraums frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten – also auch der Bundesrepublik Deutschland – zu bewegen. Sie habe aber nicht vornherein auf einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet vertrauen können. Hinsichtlich der Trennungsdauer während des Visumverfahrens könnten die Eheleute auf die Möglichkeit gegenseitiger Besuchsaufenthalte verwiesen werden. Die mit der Ausreise verbundenen Kosten und evtl. sonstigen Unannehmlichkeiten seien ausschließlich dem Verhalten der Antragstellerin zuzuschreiben. Besonders die Tatsache, dass sich die Antragstellerin bereits in den Jahren von 2003 bis 2022 auf Basis einer illegalen Einreise im Bundesgebiet aufgehalten habe und dabei Unsummen an Steuergeldern an diese verschwendet worden seien, hebe das Erfordernis an einer geregelten Einreise im Visumverfahren nochmals auf eine ganz andere Ebene.
24
Aus den vorgenannten Gründen sei auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Erteilung einer Duldung abzulehnen. Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG seien nicht ersichtlich.
25
Das gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegen die Antragstellerin zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot werde vorliegend auf ein Jahr befristet. Schützenswerte familiäre Bindungen lägen hinsichtlich des deutschen Ehegatten vor. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von einem Jahr erscheine angemessen und trete darüber hinaus nur im Falle der Abschiebung ein.
26
Der Bescheid vom 12.12.2024 wurde der vormaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am selben Tag elektronisch übersandt.
27
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 23.12.2024, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, hat die Antragstellerin Klage erhoben (B 6 K 24.1293) und beantragt,
den Bescheid vom 12.12.2024 in den Ziffern 1 bis 5 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin – wie beantragt – eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, hilfsweise den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden sowie hilfsweise der Antragstellerin bis zur Entscheidung über den Antrag eine Duldung zu erteilen.
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Darüber hinaus beantragte die Antragstellerbevollmächtigte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
29
Zudem wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Antragstellerbevollmächtigten beantragt.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragstellerin über ein A1-Sprachzertifikat verfüge. Ihr Ehemann werde am 30.12.2024 wieder mit der Arbeit beginnen, so dass der Lebensunterhalt gesichert sei. Auch lägen die Voraussetzungen für die Heilung des Visumverstoßes vor. Der Ehemann der Antragstellerin habe am 30.05.2024 einen Unfall erlitten und im Rollstuhl sitzen müssen, deshalb sei kurzfristig zur Überbrückung ein Antrag beim Jobcenter gestellt worden. Selbst wenn die Antragstellerin ausreisen wolle, sei ihr dies durch die zwischenzeitlich erstattete Anzeige der Ausländerbehörde vor der strafrechtlichen Klärung unmöglich, da ansonsten kein Visum erteilt werden könnte. Die Antragstellerin habe keine falschen Angaben bei der norwegischen Botschaft getätigt. Selbst wenn, könne eine Anzeige in Deutschland hierauf nicht gestützt werden. Die Antragstellerin habe angegeben, dass sie verheiratet sei. Dass der Familienname … nicht aus Nigeria stammen könne, liege nahe. Der angegriffene Bescheid zeige jeden asyl- und ausländerrechtlichen Fehler der Antragstellerin – ob vermeintlich oder real – aus Sicht der Ausländerbehörde, ob in Frankreich, Irland oder Deutschland begangen, seit dem Jahr 2003 auf. Die Antragstellerin sei niemals strafrechtlich verurteilt worden. Selbst wenn, dürften die Strafen inzwischen nach dem BZRG verjährt sein. Die Antragstellerin sei im Oktober 2022 freiwillig ausgereist. Auch wenn eine solche Vorgehensweise üblich sei, stelle sich die Frage, ob vorliegend nicht ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung vorliege. Betroffen sei insoweit das Recht auf Vergessenwerden. Einschlägig seien Art. 17 sowie Art. 19 DSGVO.
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Mit Schriftsatz vom 09.01.2025 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Landratsamt … im Bescheid vom 12.12.2024 nicht verkannt habe, dass es Umstände gebe, unter denen auf die Nachholung des Visumverfahrens verzichtet werden könne. Soweit von Antragstellerseite angemerkt werde, dass es der Antragstellerin aufgrund des derzeit laufenden Ermittlungsverfahrens unmöglich sei ein Einreisevisum zu erhalten, sei anzumerken, dass die Entscheidung der deutschen Auslandsvertretung über den gestellten Visumantrag nicht vorweggenommen werden könne. Zudem sei es dem Verhalten der Antragstellerin zuzuschreiben, dass sie gegen die geltenden Einreisebestimmungen verstoßen habe. Die Antragstellerbevollmächtige versuche der Antragstellerin noch aufgrund deren Fehlverhaltens einen Vorteil zu verschaffen. Selbst wenn die Antragstellerin keine Falschangaben bei der Beantragung des norwegischen Besuchsvisums getätigt habe; hätte es ihr gleichwohl oblegen, das Bundesgebiet rechtzeitig vor Ablauf des norwegischen Visums zu verlassen. Mit dem Vorbringen, dass der norwegischen Botschaft bereits aufgrund des Familiennamens „…“ hätte klar sein müssen, dass die Antragstellerin mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, versuche die Antragstellerbevollmächtigte das Fehlverhalten der Antragstellerin herunterzuspielen. Die Antragstellerin habe im Visumantrag gegenüber den norwegischen Behörden schlichtweg einen anderen als den tatsächlich erstrebten Einreisezweck angegeben. Dies sei Fakt und nicht von der Hand zu weisen. Die Ausländerbehörde habe im Rahmen der Amtsermittlungspflicht den Sachverhalt eigenständig und so sorgfältig wie möglich aufzuklären (Art. 24 BayVwVfG). Hierzu gehöre neben der Tatsache, dass ein aktueller BZR-Auszug keine Einträge aufweise (Bl. 1281-1286 der Ausländerakte) jedoch auch der gesamte bisherige ausländerrechtliche Werdegang der Antragstellerin. Die Antragstellerin sei erst am 19.01.2022 freiwillig nach Nigeria ausgereist. Die Fristen für eine Löschung der Daten seien daher noch lange nicht abgelaufen (vgl. § 18 AZRG-DV). Darüber hinaus gelte grundsätzlich, dass Datenschutz nicht zum Täterschutz werden dürfe. Letztendlich könne nicht nachvollzogen werden, welchen Zweck die Antragstellerbevollmächtigte mit dem Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung verfolge.
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Auf Anfrage des Gerichts teilte die Visastelle des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Lagos mit E-Mail vom 03.02.2025 mit, dass die Antragstellerin am 28.11.2024 um 9.00 Uhr einen Termin zur Visumbeantragung gehabt hätte, zu dem sie nicht erschienen sei. Mit weiteren E-Mails vom 04.02.2025 und 14.02.2025 wurde ausgeführt, dass die Wartezeit für einen Termin zur Beantragung eines Visums zum Zweck der Familienzusammenführung in etwa drei Jahre betrage und sich eine Bearbeitungsdauer von durchschnittlich einem Jahr anschließe. Dies sei zurückzuführen auf die schwierige Urkundenlage und die häufige Notwendigkeit eines Urkundenüberprüfungsverfahrens.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
35
1. Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Infolgedessen scheidet auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO aus.
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2. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
37
a) Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 12.12.2024 erlassene Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des Bescheids), die mit der in Ziffer 3 des gegenständlichen Bescheides verfügten Ausreisefrist einen einheitlichen, belastenden Verwaltungsakt bildet, der kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG) sofort vollziehbar ist.
38
Der Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung steht nicht entgegen, dass der am 02.04.2024 beim Antragsgegner eingegangene Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat.
39
Die vorläufige Sicherung des Aufenthaltsrechts während des anhängigen Verwaltungs- und auch Gerichtsverfahrens um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat dann in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erfolgen, wenn der Antrag auf Erteilung dieses Titels zum Entstehen einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG geführt hat und diese durch die Verbescheidung des Antrags wieder erloschen ist. Löste der Behördenantrag eine solche Fiktionswirkung nicht aus, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen zu erstreben (VGH BW, B.v. 18.4.2024 – 11 S 236/24 – juris Rn. 10 m.w.N.).
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Vorliegend ist keine Fiktionswirkung eingetreten. Für die Anwendung der Absätze 3 und 4 des § 81 AufenthG ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durch den Besitz eines Aufenthaltstitels oder durch einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Aufenthaltstitel vermittelt wird. Denn die Absätze 3 und 4 des § 81 AufenthG, die die Wirkungen eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels regeln, stehen in einem sich ausschließenden Alternativverhältnis. Gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gilt der Aufenthalt derjenigen Ausländer, die sich rechtmäßig ohne Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, nach der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt und bei verspäteter Antragstellung nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als geduldet. Ihr Aufenthaltsstatus wird als weiterbestehend fingiert, bis die Ausländerbehörde über ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entschieden hat (Erlaubnisfiktion). Von der Regelung des § 81 Abs. 4 AufenthG werden Ausländer erfasst, die sich bereits mit einem Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In diesen Fällen gilt der Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Erteilungs- oder Verlängerungsantrag als fortbestehend (Fortgeltungsfiktion) (BVerwG, U.v. 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris Rn. 15).
41
Nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG knüpft die Fiktionswirkung an den Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des Aufenthaltsgesetzes an. Fiktionsfähig nach dieser Bestimmung sind mithin grundsätzlich alle in § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG genannten Aufenthaltstitel. Hierzu zählt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auch ein Schengen-Visum; dass dessen Erteilungsvoraussetzungen, Inhalt und Dauer unionsrechtlich abschließend geregelt sind, sperrt nicht dessen Einordnung als nationaler Aufenthaltstitel für unionsrechtlich nicht geregelte Fragen des nationalen Rechts. § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bestimmt indes einschränkend, dass die Fortgeltungsfiktion nicht für ein „Visum nach § 6 Absatz 1“ AufenthG – also insbesondere ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG – gilt. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auf von deutschen Behörden ausgestellte Schengen-Visa lässt sich mit dem Wortlaut und der Systematik dieser Bestimmungen nicht vereinbaren (vgl. dazu ausführlich BVerwG, U.v. 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris Rn. 16ff.). Denn die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG unter Verweis auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG genannten Schengen-Visa werden nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. L 243 S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2019/1155 vom 20. Juni 2019 (ABl. L 188 S. 25), erteilt, also nach dem einheitlichen, in allen Schengen-Staaten gleich anwendbarem Regime des Schengen-Rechts. Bereits die Rechtsnatur des Schengen-Visums, das durch eine begrenzte Geltungsdauer und eingeschränkte Zwecksetzung sowie durch eine unionsweit einheitliche Ausgestaltung charakterisiert ist, steht der Annahme einer fiktiven Fortgeltung als Schengen-Visum entgegen. Aber auch eine Fortgeltung als nationales Aufenthaltsrecht widerspräche der aufenthaltsrechtlichen Konzeption, wonach Aufenthaltstitel für einen Daueraufenthalt grundsätzlich vor der Einreise beantragt werden müssen. Nach der Regelungskonzeption in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG ist ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen. Es wird lediglich die Erhaltung eines aufenthaltsrechtlichen Status, nicht aber die Herbeiführung eines neuen Aufenthaltsstatus ermöglicht (BVerwG, U.v. 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris Rn. 21f.).
42
Die Einordnung eines durch einen Drittstaat ausgestellten Schengen-Visums als Aufenthaltstitel im Sinne (auch) des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG durch das nationale Recht sperrt den Rückgriff auf § 81 Abs. 3 AufenthG auch unabhängig davon, ob bereits bei der Ausstellung des Schengen-Visums und seiner Nutzung ein Daueraufenthalt beabsichtigt war, mithin unionsrechtlich Gründe für die Annullierung oder Aufhebung des Visums im Sinne des Art. 34 Visakodex vorlagen und die Einreise mit dem formell gültigen, nicht annullierten oder aufgehobenen Schengen-Visum materiell rechtswidrig war (BVerwG, U.v. 19.11.2019 – 1 C 22/18 – juris Rn. 24).
43
Nach alledem ist die Sicherung des Aufenthalts der Antragstellerin für die Dauer des Verfahrens um die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegenüber dem Antragsgegner im Wege eines Antrags nach § 123 VwGO zu verfolgen, gerichtet darauf, dem Antragsgegner aufzugeben, dass eine Abschiebung vor dem unanfechtbaren Abschluss des Verfahrens zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht erfolgen darf (vgl. VGH BW, B.v. 25.7.2023 – 11 S 985/22 – juris Rn. 2). Dies hindert die Antragstellerin jedoch nicht daran – wie seitens ihrer Bevollmächtigten ausdrücklich beantragt – um einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die sie belastende Abschiebungsandrohung nachzusuchen. Hierbei handelt es sich um ein von der Sicherung des geführten Titelerteilungsverfahrens zu unterscheidendes Begehren. Während im Verfahren nach § 123 VwGO im Wesentlichen zu prüfen ist, ob der Antragstellerin voraussichtlich ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht, ist Prüfungsgegenstand des hier verfolgten Begehrens die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, die im Rahmen des § 123 VwGO nicht geprüft würde (vgl. VGH BW, B.v. 18.4.2024 – 11 S 236/24 – juris Rn. 13).
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b) Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist jedoch nicht begründet. Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung eines belastenden Verwaltungsakts und dem Interesse der Antragstellerin, vorläufig von den Vollzugsfolgen verschont zu bleiben, geht hier zulasten der Antragstellerin aus. Ihr Interesse, sich jedenfalls bis zum bestandskräftigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, überwiegt nicht das Interesse des Gemeinweisens an einer früheren Ausreise der Antragstellerin. Nach summarischer Prüfung entsprechen die Ziffern 3 und 4 des Bescheides des Landratsamtes … vom 12.12.2024 dem geltenden Recht.
45
Die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung, gegen deren formelle Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG. Sie stellt sich nach summarischer Prüfung auch als materiell rechtmäßig dar.
46
Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen, wenn keine Abschiebungsverbote vorliegen und der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Belange noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Voraussetzung für den Erlass der Abschiebungsandrohung ist, dass der Ausländer ausreisepflichtig ist; auf die Vollziehbarkeit kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. VGH BW, B.v. 29.4.2013 – 11 S 581/13 – juris Rn. 21 m.w.N.).
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aa) Die Antragstellerin ist ausreisepflichtig. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht u.a. durch Recht der Europäischen Union etwas anderes bestimmt ist. Die Antragstellerin ist weder im Besitz eines Aufenthaltstitels (ihr Schengen-Visum ist bereits seit 09.04.2024 abgelaufen) noch gilt ihr Aufenthalt infolge der Beantragung eines solchen gemäß § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG als erlaubt (s.o.).
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bb) Rechtliche Bedenken gegen die Setzung der verfügten Frist zur freiwilligen Ausreise sind nicht vorgetragen. Mit dem Gebot einer nach Tagen zu bestimmenden Ausreisefrist ist eine datumsmäßige Fixierung jedenfalls dann zu vereinbaren, wenn die Ausreisepflicht – wie hier – kraft Gesetzes vollziehbar ist (BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 19/14 – juris Rn. 26; OVG Schleswig, B.v. 14.3.2017 – 4 MB 13/17 – juris Rn. 6). Die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung enthält zudem die regelmäßig erforderliche Zielstaatsbezeichnung (Nigeria), vgl. § 59 Abs. 2 AufenthG.
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cc) Zudem liegen nach summarischer Prüfung keine Abschiebungsverbote vor. Seit der Neufassung des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54) ist dies – abgesehen von der hier nicht einschlägigen Ausnahme in § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG – als Voraussetzung für eine Abschiebungsandrohung normiert. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 20/9463, S. 44 f.) dient die Änderung der Umsetzung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie bei Vorliegen von Abschiebungshindernissen. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in mehreren Verfahren mit Verweis auf Art. 5 Buchst. a bis c der Rückführungsrichtlinie entschieden, dass bei Vorliegen der dort aufgeführten Gründe für ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (Kindeswohl, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand) keine Rückkehrentscheidung und somit keine Abschiebungsandrohung erlassen werden dürfe. Dies habe zur Folge, dass eine Rückkehrentscheidung weder bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen, sprich Abschiebungsverboten, noch bei den oben genannten drei Fallgruppen von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergehen dürfe.
50
Die familiäre Situation der Antragstellerin steht der Abschiebungsandrohung nach summarischer Prüfung nicht entgegen. Ein diesbezügliches Abschiebungshindernis könnte vorliegend allenfalls aus Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK sowie Art. 7 und 24 EU-GR-Charta abzuleiten sein. Die sich hieraus ergebenden Schutzwirkungen sind jedoch nicht absolut und führen nicht automatisch zur rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung der Antragstellerin. Hierzu gelangte man nur dann, wenn das Interesse der Antragstellerin und ihres deutschen Ehemanns, im Bundesgebiet gemeinsam eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen, dasjenige der Allgemeinheit an der Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet überwiegen würde (vgl. VGH BW, B.v. 18.4.2024 – 11 S 236/24 – juris Rn. 37). Dies ist nach Aktenlage und dem Vortrag der Antragstellerseite im gerichtlichen Verfahren nicht anzunehmen. Im Gegenteil dürfte dem Aufenthaltsbeendigungsinteresse der Allgemeinheit deutlich größeres Gewicht zuzumessen sein.
51
Art. 6 GG gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerwG, U.v. 8.12.2022 – 1 C 8.21 – juris Rn. 20 m.w.N.). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörden und die Gerichte, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerwG, U.v. 8.12.2022 – 1 C 8.21 – juris Rn. 20). Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren eines Ausländers dessen familiäre Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu würdigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (stRspr. des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts; vgl. etwa BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 45; BVerwG, U.v. 8.12.2022 – 1 C 8.21 – juris Rn. 20). Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit der Familienmitglieder (vgl. VGH BW, B.v. 16.8.2023 – 11 S 2717/22 – juris Rn. 19).
52
Um ein rechtliches Abschiebungshindernis annehmen zu können, genügt somit nicht allein der Umstand der Eheschließung. Es kommt maßgeblich darauf an, ob dem Ausländer zuzumuten ist, die eheliche Gemeinschaft zu unterbrechen. Denn es ist auch zu berücksichtigen, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK grundsätzlich vereinbar ist, den Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2021 – 10 BV 21.1821 – juris Rn. 37 m.w.N.). Das Visumverfahren ist von elementarer Bedeutung als Steuerungsinstrument für die Zuwanderung in das Bundesgebiet (BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 17/09 – juris Rn. 19). Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 47 m.w.N.).
53
Gemessen an diesen Grundsätzen und unter Würdigung der konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Einzelfalls sowie des antragstellerischen Vorbringens stehen weder Art. 6 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK und auch nicht Art. 7 und 24 EU-GR-Charta einer Abschiebung der Antragstellerin entgegen.
54
Die Kammer würdigt zunächst, dass die Antragstellerin seit ihrer Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 27.03.2024 unter der Anschrift ihres deutschen Ehemannes gemeldet ist. Zum darüber hinausgehenden tatsächlichen Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft der Antragstellerin zu ihrem deutschen Gatten hat sich die Antragstellerseite nicht verhalten. Dem Interesse der Antragstellerin und ihres deutschen Ehemanns, ihre etwaige Beziehung mit gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet zu führen, misst die Kammer aber kein solches Gewicht zu, dass es einer Rückführung der Antragstellerin nach Nigeria entgegenstünde. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin nach ihrer Heirat in Nigeria am …2022 nach über einjähriger räumlicher Trennung von ihrem Ehemann dazu entschlossen hat, unter bewusster Umgehung des Visumverfahrens am 27.03.2024 erneut in das Bundesgebiet einzureisen, vorgeblich um hier die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann im Bundesgebiet (wieder-)aufzunehmen. Die Ehe wurde in Nigeria nur wenige Tage nach der freiwilligen Ausreise der Antragstellerin am 13.01.2022 geschlossen und nachdem letztere zuvor im Zeitraum von 27.04.2003 (Ersteinreise in das Bundesgebiet) bis zu ihrer Ausreise am 13.01.2022 über 19 Jahre hinweg erfolglos versuchte ein Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland zu erlangen und ihre vollziehbare Ausreisepflicht über Jahrzehnte hinweg ignorierte. Zwar mag es sein, dass den Ehegatten die Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Nigeria nicht zumutbar ist, weil der Ehemann die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Kammer berücksichtigt aber auch, dass die Antragstellerseite wenig Belastbares zur tatsächlichen Verbundenheit der Ehegatten vorgetragen – etwa durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des deutschen Ehemanns – bzw. näher dargelegt hat. Dabei ist in die Würdigung einzustellen, dass die Ehegatten offenbar über ein Jahr ihrer bisherigen Ehezeit ohne regelmäßigen persönlichen Kontakt zueinander verbracht haben.
55
Den Privatinteressen der Antragstellerin und ihres Ehemannes stehen seitens des Gemeinwesens erhebliche einwanderungspolitische Interessen gegenüber, den Aufenthalt der vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellerin im Bundesgebiet zeitnah zu beenden und sie auf die Durchführung eines Visumverfahrens zu verweisen.
56
Die Antragstellerin hätte mit Blick auf den von ihr beabsichtigten Daueraufenthalt vor ihrer Wiedereinreise zunächst ein Visumverfahren durchlaufen müssen. Wie bereits ausgeführt, ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines für den begehrten Aufenthaltstitel erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/96 – juris Rn. 6). Das Visumverfahren dient dem öffentlichen Interesse an einer verfahrensrechtlichen Sicherung, dass die Einwanderung von Drittstaatsangehörigen mit den Vorgaben des Aufenthaltsrechts in Einklang steht. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) zu überprüfen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 47; B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/08 – juris Rn. 13).
57
Umstände, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass die Antragstellerin einen Aufenthaltstitel ausnahmsweise vom Inland aus beantragen darf, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Voraussetzungen hierfür nach § 39 Satz 1 Nr. 3 AufenthV sind schon deshalb nicht gegeben, weil der Antragstellerin wegen des Bestehens von Ausweisungsinteressen kein strikter gesetzlicher Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zukommt (dazu näher unten) und überdies die Voraussetzungen dieses Anspruchs infolge der Eheschließung am …2022 nicht „nach der Einreise“ (am 27.03.2024) entstanden sind. Ebenso wenig ist hier die Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 AufenthV einschlägig, da die Antragstellerin nach Aktenlage schon nicht nach § 60a AufenthG geduldet ist. Es besteht danach ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass die Antragstellerin wieder ausreist und das Visumverfahren nachholt.
58
Von Verfassungs wegen erforderlich ist es allerdings, eine gültige Prognose darüber anzustellen, ob die Verweisung der Antragstellerin auf die Nachholung des Visumverfahrens vom Ausland aus eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung für diese und ihren deutschen Ehemann zur Folge hat (vgl. BVerfG, B.v. 2.11.2023 – 2 BvR 441/23 – juris Rn. 24; B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 51ff.). Die Fachgerichte können von einer solchen Prognose lediglich absehen, wenn es im konkreten Fall mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG vereinbar ist, dem Ausländer und seinem Ehepartner die eheliche Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer zu verwehren, etwa weil die Familiengemeinschaft auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in zumutbarer Weise gelebt werden kann oder weil die dauerhafte Trennung der Familie ausnahmsweise zumutbar ist (vgl. BVerfG, B.v. 2.11.2023 – 2 BvR 441/23 – juris Rn. 24; B.v. 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 – juris Rn. 48; B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 52).
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Für die Annahme, dass eine Trennung nicht dauerhaft sei, ist auch eine belastbare Prognose zu der Frage erforderlich, ob der Ausländer das Visumverfahren mit Erfolg durchlaufen wird. Allein der Umstand, dass im Grundsatz die Erteilung eines Visums generell in Betracht kommt, reicht dafür nicht hin. Insbesondere dann, wenn die Erteilung eines Visums an hohe tatbestandliche Hürden gebunden oder der Auslandsvertretung ein Ermessen eingeräumt ist, ergeben sich Unwägbarkeiten für den Ausländer. Diese verringern die Wahrscheinlichkeit, dass ihm auch tatsächlich in absehbarer Zeit ein Visum erteilt wird, und müssen daher Eingang in die anzustellende Prognose finden (vgl. BVerfG, B.v. 2.11.2023 – 2 BvR 441/23 – juris Rn. 25; B.v. 22.12.2021 – 2 BvR 1432/21 – juris Rn. 49ff.). Gleiches gilt für eine eventuell fehlende Mitwirkung des Betroffenen im Visumverfahren (BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 59). Denn die tatsächliche Dauer des Visumverfahrens hängt entscheidend von der Mitwirkung des Ausländers ab. Eine fehlende Mitwirkung kann daher auch längere Wartezeiten rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2023 – 19 CE 22.2647 – juris Rn. 10).
60
Ob die mit einer Nachholung des Visumverfahrens einhergehende Trennung der Antragstellerin von ihrem deutschen Ehemann dauerhafter Natur sein oder lediglich einen kurzen Zeitraum in Anspruch nehmen wird, lässt sich hier nur schwer prognostizieren (vgl. Dietz, NVwZ-Extra 6/2022, S. 1/9). Die Prüfung des Visumantrags sowie die Entscheidung hierüber obliegt allein der deutschen Auslandsvertretung (vgl. § 71 Abs. 2 AufenthG), hier dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Lagos. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften, § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG.
61
Eine Trennungszeit von Eheleuten von 30 Monaten stellt nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine unzumutbar lange Zeitdauer dar (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2023 – 19 CE 22.2647 – juris Rn. 15). Zumal die Antragstellerin keine minderjährigen Kinder hat und auch eine notwendige dauerhafte Pflege des Ehepartners weder vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht worden ist. Die Antragstellerin kann das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot durch eine freiwillige Ausreise vermeiden und den Kontakt zu ihrem Ehemann während der Trennungszeit über Besuche oder (moderne) Kommunikationsmittel sicherstellen. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Ehe in Kenntnis des fehlenden Aufenthaltsrechts der Antragstellerin nur wenige Tage nach ihrer freiwilligen Ausreise nach jahrzehntelangem Aufenthalt im Bundesgebiet trotz die längste Zeit bestehender vollziehbarer Ausreisepflicht geschlossen wurde. Wegen der Gründung familiärer Beziehungen auf aufenthaltsrechtlich ungesicherter Basis konnten die Eheleute nicht schutzwürdig darauf vertrauen, eine familiäre Lebensgemeinschaft werde sich ohne gewisse verfahrensrechtliche Anstrengungen und Problemstellungen allein dadurch herstellen lassen, dass durch die Wiedereinreise der Antragstellerin in das Bundesgebiet Fakten geschaffen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2023 – 19 CE 22.2647 – juris Rn. 15).
62
Laut der gerichtlicherseits eingeholten Auskunft der Visastelle des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Lagos beträgt die Wartezeit auf einen Termin zur Visumbeantragung der Kategorie Familienzusammenführung derzeit ungefähr drei Jahre. Die Bearbeitungsdauer für ein Visum zur Familienzusammenführung beläuft sich im Durchschnitt auf ein Jahr. Zurückzuführen sei dies auf die schwierige Urkundenlage und die häufige Notwendigkeit eines Urkundenüberprüfungsverfahrens.
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Zudem ist offen, ob die Antragstellerin das Visumverfahren auch mit Erfolg durchlaufen wird. Der Erteilung des begehrten Visums könnte das Vorliegen von Ausweisungsinteressen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehen. Unter einem Ausweisungsinteresse in diesem Sinne ist ein Tatbestand zu verstehen, der in § 54 AufenthG definiert ist. Insoweit ist keine hypothetische Ausweisungsprüfung in der Weise vorzunehmen, dass festzustellen wäre, ob eine Ausweisung der Antragstellerin rechtmäßig wäre. Es spielt demnach keine Rolle, ob ein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG besteht (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2016 – 10 AS 16.1602 – juris Rn. 22; VGH BW, U.v. 19.4.2017 – 11 S 1967/16 – juris Rn. 23f.). Allerdings begründet die Erfüllung eines Tatbestands des § 54 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG nicht in jedem Fall ein Ausweisungsinteresse. Dies ergibt sich daraus, dass § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG jeweils auf § 53 Abs. 1 AufenthG Bezug nehmen. Letzterer erfordert, dass der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls dann, wenn ohne vernünftige Zweifel versteht, dass keine Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, ein Ausweisungsinteresse nicht mehr anzunehmen ist (BayVGH, B.v. 26.8.2016 – 10 AS 16.1602 – juris Rn. 11). Auch allein generalpräventive Gründe können ein Ausweisungsinteresse begründen. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall eines Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn. 16).
64
Im Fall der Antragstellerin dürfte ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG gegeben sein. Ein solches Interesse liegt unter anderem vor, wenn der Ausländer in einem Verfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde. Dass die Pflicht, den Ausländer auf die Rechtsfolgen „solcher Handlungen“ hinzuweisen, – im Unterschied zu der bis zum 31.12.2015 geltenden und unverändert übernommenen (BT-Drs. 18/4097, 52) Vorgängerregelung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 allein in Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b aufgeführt ist, ist einem redaktionellen Versehen zuzuschreiben (vgl. VGH BW, B.v. 5.4.2023 – 12 S 1936/22 – BeckRS 2023, 8292 Rn. 15; OVG LSA, B.v. 10.10.2016 – 2 O 26/16 – BeckRS 2016, 53879 Rn. 13; OVG NW, B.v. 18.12.2019 – 18 A 1974/17 – juris Rn. 15ff.). Es spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG im Fall der Antragstellerin vorliegen. Sie hat ersichtlich falsche Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht, da mit einem solchen Visum nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 lediglich ein Aufenthalt von maximal 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen zulässig ist, während die Antragstellerin tatsächlich einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet geplant hat, was sich bereits daraus ergibt, dass sie wenige Tage nach ihrer Ankunft im Bundesgebiet am 27.03.2024 über ihre Bevollmächtigte am 02.04.2024 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug beantragte und überdies nach Ablauf der Geltungsdauer des Visums in der Bundesrepublik Deutschland verblieb. Hinzu kommt, dass der Antragstellerin nach Auskunft der norwegischen Botschaft vom 03.07.2023 das Schengen-Visum auf der Basis einer Einladung einer norwegischen Firma namens „…“ ausgestellt worden ist (Bl. 1257 der Ausländerakte), während sie tatsächlich am 27.03.2024 über den Luftweg direkt aus Nigeria kommend in das Bundesgebiet eingereist ist. Auch wurde die Antragstellerin seitens der norwegischen Botschaft auf die Rechtsfolgen falscher sowie unvollständiger Angaben hingewiesen (vgl. Auskunft der norwegischen Botschaft vom 31.10.2024, Bl. 1294 der Ausländerakte).
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Darüber hinaus dürfte ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG bestehen. Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Ein Rechtsverstoß ist demnach immer dann beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9/94 – juris Rn. 20, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23/03 – juris Rn. 19 ff., B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 21.11.2022 – 19 ZB 22.1612 – juris Rn. 9; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris, B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6, B.v. 17.5.2017 – 19 CS 17.37 – juris Rn. 5, B.v. 15.12.2013 – 10 B 03.1725 – juris Rn. 16 m.w.N.). Bei Straftaten, die nur durch einen Ausländer begangen werden können, gilt insoweit nichts Anderes. Darüber hinaus knüpft der Wortlaut des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG nicht an eine Verurteilung oder sonstige Sanktionierung an, so dass es entgegen der Auffassung der Antragstellerbevollmächtigten nicht notwendig ist, dass der Verstoß tatsächlich geahndet worden ist (BVerwG, U.v. 17.6.1998 – 1 C 27.96 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 10 ZB 19.990 – juris Rn. 6). Selbst wenn die Antragstellerin nicht „unerlaubt“ im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist ist und damit nicht gegen den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG verstoßen haben sollte, weil sie mit einem Schengen-Visum in das Bundesgebiet eingereist ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2010 – 1 C 17.09 – juris Rn. 19). Gemäß § 95 Abs. 6 AufenthG steht in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich. Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass der Unrechtsgehalt einer Einreise mit einem erschlichenen Schengen-Visum genauso schwer wiegt wie bei einer Einreise ohne Aufenthaltstitel, so dass es sich in beiden Fällen grundsätzlich um nicht geringfügige Rechtsverstöße im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG handelt (vgl. OVG LSA, B.v. 21.11.2019 – 2 M 113/19 – juris Rn. 23; HmbOVG, B.v. 19.9.2013 – 3 Bs 226/13 – juris Rn. 12). Vorliegend spricht alles dafür, dass sich die Antragstellerin nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 6 AufenthG strafbar gemacht hat, da sie mit einem Schengen-Visum eingereist ist, welches sie durch unrichtige bzw. unvollständige Angaben erschlichen hat.
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Soweit die Antragstellerbevollmächtigte hinsichtlich der während des ersten Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet begangenen insbesondere aufenthaltsrechtlichen Verstöße unter Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung und das „Recht auf Vergessenwerden“ wohl einen Verbrauch bzw. eine mangelnde Aktualität der diesbezüglichen Ausweisungsinteressen geltend macht, kann sie damit nicht durchdringen. Die Ausländerbehörde verwies zur Begründung der Ausweisungsinteressen auf aktuelle Rechtsverstöße der Antragstellerin, die ihr den neuerlichen Aufenthalt im Bundesgebiet erst ermöglichten. Die Annahme des Landratsamtes, dass in Zusammenschau mit dem Fehlverhalten der Antragstellerin während ihres ersten langjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik infolge ihres neuerlichen Fehlverhaltens, insbesondere der bewussten Umgehung des Visumverfahrens zum Ehegattennachzug durch Erlangung eines Schengen-Visums mittels falscher bzw. unvollständiger Angaben, im Falle der Antragstellerin sogar eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich zukünftig zu erwartender, insbesondere aufenthaltsrechtlicher, Rechtsverstöße besteht, ist nicht zu beanstanden.
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Sollte die Auslandsvertretung ein aktuelles Ausweisungsinteresse bejahen, wird sie voraussichtlich weiter prüfen, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt. Sollte im Ergebnis eine Atypik nicht festgestellt werden können, wäre gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu prüfen, ob von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden kann.
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Ob die skizzierte Prüfung zugunsten oder zulasten der Antragstellerin ausgehen wird, vermag die Kammer nicht verlässlich vorherzusagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Visumverfahren binnen eines Zeitraums von drei bis vier Jahren mit einer Visumerteilung abgeschlossen sein wird. Dies erscheint aber nicht zwingend. Vielmehr ist es ebenso möglich, dass das begehrte Visum versagt und die Antragstellerin hiergegen um Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Berlin, ggf. unter Ausschöpfung des Rechtswegs, nachsuchen muss, dessen Ausgang ungewiss wäre. Diese Unwägbarkeiten lässt die Kammer dahingehend in ihre Prognose einfließen, dass mit der Nachholung des Visumverfahrens jedenfalls mittelfristig eine dauerhafte räumliche Trennung der Ehegatten einhergehen kann.
69
Allerdings hat es die Antragstellerin selbst in der Hand, die Belastungen, die mit der Nachholung des Visumverfahrens für ihre Ehe verbunden sind, deutlich abzumildern. So bleibt es ihr unbenommen, freiwillig auszureisen und auf diese Weise die Verwirklichung des in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids für den Fall der Abschiebung für die Dauer von einem Jahr angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots abzuwenden. Auch besteht die Möglichkeit, dass der Ehepartner die Antragstellerin in Nigeria besucht und sie darüber hinaus über moderne Kommunikationsmittel Kontakt halten.
70
Die den privaten Interessen der Antragstellerin und ihres deutschen Ehemanns gegenüberstehenden migrationspolitischen Interessen der Allgemeinheit sieht die Kammer im vorliegenden Fall als besonders gewichtig an. Denn die Antragstellerin hat das Erfordernis des Visumverfahrens bewusst umgangen. Einen inzwischen erhaltenen Termin beim deutschen Generalkonsulat in Lagos zur Visumbeantragung am 24.11.2024 hat sie unentschuldigt verstreichen lassen. Vielmehr entschied sie sich bereits im Frühjahr 2024 bewusst dafür, die Terminvergabe durch die deutsche Auslandsvertretung nicht abzuwarten, sondern stattdessen ihre Einreise in das Bundesgebiet mittels eines über andere Auslandsvertretungen begehrten und schließlich unter falschen bzw. unvollständigen Angaben erlangten Schengen-Visums zu ermöglichen. Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass nach der Grundkonzeption des Aufenthaltsgesetzes die Prüfung, ob der beabsichtigten Einreise eines visumspflichtigen Ausländers Ausweisungsinteressen entgegenstehen, im Visumverfahren vom Ausland aus und nicht erst im Inland zu erfolgen hat. Liegen Ausweisungsinteressen vor, ist die Einreise vielmehr durch Versagung des Visums mit der entsprechenden Eintragung in die Visadatei und das Visa-Informationssystem von vornherein zu verhindern (vgl. BVerwG, U.v. 25.5.2023 – 1 C 6.22 – juris Rn. 20). Des Weiteren besteht grundsätzlich ein erhebliches Interesse daran, eine Besserstellung desjenigen Ausländers zu vermeiden, der unerlaubt eingereist ist und sich nunmehr unter Verweis auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen hier lebenden Angehörigen in Deutschland aufhält, gegenüber demjenigen Ausländer, der erst die familiäre Einheit mit seinen Angehörigen im Bundesgebiet herstellen will und sich hierzu dem regulären Visumverfahren unterzieht (vgl. VGH BW, B.v. 18.4.2024 – 11 S 236/24 – juris Rn. 59).
71
Neben diese migrationspolitischen Interessen treten sicherheitsrelevante Belange, die ebenfalls den Privatinteressen der Antragstellerin und ihres Ehemanns entgegenstehen. So hat die Antragstellerin bereits während ihres ersten Aufenthalts im Bundesgebiet fortwährend gegen ihre ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten verstoßen, sich jahrelang insbesondere unerlaubt ohne Pass im Bundesgebiet aufgehalten und sich überdies behördlichen Maßnahmen durch ständiges Untertauchen entzogen. Dass infolge der zwischenzeitlichen freiwilligen Ausreise der Antragstellerin aus dem Bundesgebiet und ihrer wenige Tage später in Nigeria erfolgen Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen eine Zäsur stattgefunden hätte, die sie künftig von derartigen Verstößen abhalten wird, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil lässt die bewusste Missachtung bzw. Umgehung des Visumserfordernisses zum Familiennachzug erkennen, dass die Antragstellerin nach wie vor in alten Verhaltensmustern verhaftet ist.
72
Nach alledem lässt sich ein erhebliches, aktuelles öffentliches Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet feststellen.
73
In Würdigung der dargestellten Ausgangslage misst die Kammer dem verfassungs-, konventions- und unionsrechtlich geschütztem Interesse der Antragstellerin und ihres deutschen Ehemanns, ihre eheliche Beziehung im Bundesgebiet fortzuführen, kein solches Gewicht zu, dass dieses sich gegen die aufgezeigten, schwerwiegenden Interessen des Gemeinwesens durchsetzt. Dabei lässt die Kammer in die Gewichtung der sich gegenüberstehenden Interessen maßgeblich einfließen, dass die Antragstellerin nichts Substantiiertes zu ihrer tatsächlichen Verbundenheit mit ihrem Ehemann vorgetragen und sie es selbst in der Hand hat, die Zeit der Nachholung des Visumverfahrens familienfreundlich zu überbrücken, wodurch die hiermit verbundenen Belastungen der Ehe deutlich abgemildert werden können. Demgegenüber misst die Kammer vorliegend der bewussten Umgehung des Visumverfahrens ein deutliches Gewicht bei. Hierdurch ist dem Staat die Möglichkeit genommen worden, vom Ausland aus einzuschätzen, welche Gefahren aktuell von der Antragstellerin ausgehen und ob sie gegenüber den verfassungs-, konventions- und unionsrechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin und ihres Ehemanns überwiegen.
74
Dass nach alledem der Abschiebung die familiären Bindungen entgegenstehen könnten (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) ist nicht ersichtlich.
75
c) Einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin schon nicht gestellt. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es insoweit auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO) fehlen würde.
76
Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner könnte nur auf eine sog. Verfahrensduldung gerichtet sein. Diese leitet sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ab und dient der Sicherung des Verbleibs eines Ausländers im Bundesgebiet bis zum bestandskräftigen Abschluss eines von ihm bei der Ausländerbehörde betriebenen Titelerteilungsverfahrens. Die Verfahrensduldung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers setzt allerdings voraus, dass die Aussetzung seiner Abschiebung geboten ist, weil keine Zweifel am Anspruch auf Titelerteilung bestehen bzw. – wenn der Ausländerbehörde in Bezug auf die Titelerteilung ein Ermessen eröffnet ist – keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können (vgl. VGH BW, B.v. 18.4.2024 – 11 S 236/24 – juris Rn. 74 m.w.N.).
77
Der Antragstellerin dürfte mit Blick auf das noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kein Anspruch auf eine Verfahrensduldung gegen den Antragsgegner zustehen.
78
Wie bereits ausgeführt spricht einiges dafür, dass einem Titelerteilungsanspruch der Antragstellerin ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a, Nr. 10 AufenthG entgegensteht. Dass der Fall der Antragstellerin durch eine Atypik geprägt wäre, die es gemäß § 5 AufenthG („in der Regel“) ermöglicht, von der Nichterfüllung der allgemeinen Titelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise abzusehen, hat sie – insbesondere mit Blick auf ihre familiären Bindungen im Bundesgebiet – nicht dargelegt; das Vorliegen eines solchen Falles ist nach Aktenlage eher unwahrscheinlich. Soweit § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG dem Antragsgegner die Möglichkeit eröffnet, im Ermessenswege von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, genügt dies als Grundlage für eine Verfahrensduldung ebenfalls nicht. Denn mit Blick auf die wiederholten ausländerrechtlichen Verstöße der Antragstellerin bestehen im vorliegenden Fall tragfähige Ermessensgesichtspunkte, die es rechtfertigen können, das behördliche Ermessen auch zum Nachteil der Antragstellerin auszuüben. Bereits dies schließt eine Verfahrensduldung aus.
79
Darüber hinaus steht einem Titelerteilungsanspruch entgegen, dass die Antragstellerin nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Wie oben dargestellt kommt eine Titeleinholung vom Inland aus auf der Grundlage von § 39 Satz 1 Nr. 3 oder Nr. 5 AufenthV nicht in Betracht. Soweit von den Voraussetzungen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abgesehen werden kann, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 AufenthG), ist letzteres hier gerade nicht der Fall (s.o.). Da die Kammer im Falle der Antragstellerin die Nachholung des Visumverfahrens für zumutbar hält, kommt auch ein Absehen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 AufenthG hier nicht in Betracht.
80
d) Soweit sich darüber hinaus ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen das in Ziffer 5 des gegenständlichen Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot als statthaft erweist (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG), stellt sich dieser ebenfalls als unbegründet dar. Zwar legt der Wortlaut des Bescheidstenors nahe, dass die Behörde hier von einem kraft Gesetzes eintretenden Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgegangen ist, obgleich dieses nach dem seit 21.08.2019 geltenden § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzuordnen ist. Allerdings ist in der unzweifelhaft getroffenen Befristungsentscheidung der konstitutive Erlass des Verbots zu sehen (BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 16.21 – juris Rn. 50). Die Bemessung der Frist, die nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine behördliche Ermessensentscheidung und daher nur in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich überprüfbar ist, lässt keine Ermessensfehler erkennen; solche wurden im Übrigen auch nicht geltend gemacht.
81
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen, wonach die Antragstellerin als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.