Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 05.03.2025 – B 6 K 23.1063
Titel:

Kein Chancen-Aufenthaltsrecht bei wiederholter Täuschung über Identität und Staatsangehörigkeit

Normenketten:
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, § 60b Abs. 1 S. 1, § 104c Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Der Versagungsgrund des § 104c Abs. 1 S. 2 AufenthG verlangt eine doppelt qualifizierte Mitwirkungspflichtverletzung, weil mit Täuschung und Falschgabe zu einem nur besonders gravierende Mitwirkungspflichtverletzungen schädlich sind, und der Ausländer zum anderen "Wiederholungstäter" sein muss, sprich mindestens zweimal getäuscht oder Falschangaben gemacht haben müssen; die "bloße" – auch hartnäckige – Nichtmitwirkung kann bei der Identitätsklärung nicht nach § 104c Abs. 1 S. 2 AufenthG den Ausschluss vom Chancen-Aufenthaltsrecht nach sich ziehen. (Rn.37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der bloße Wille zur Eheschließung ist nicht ausreichend, um den Schutzbereich von Art. 6 GG zu eröffnen. (Rn.42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine auf jahrelanger Identitätstäuschung basierende langjährige Aufenthaltsdauer ist nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Aufenthalts zu begründen. (Rn.45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Chancen-Aufenthaltsrecht, Wiederholte Täuschung über Identität und Staatsangehörigkeit, Duldungszusatz für „Personen mit ungeklärter Identität“, Chancen-Aufenthaltserlaubnis, Duldung, Ausübung einer Erwerbstätigkeit, räumliche Beschränkung, Bhutan, ungeklärte Identität, Identitätstäuschung, falsche Angaben, Duldung für Personen mit ungeklärter Identität
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25889

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Chancen-Aufenthaltserlaubnis sowie einer Duldung im Rahmen derer ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattet wird. Zudem wendet er sich gegen eine seitens des Beklagten verfügte räumliche Beschränkung.
2
Der Kläger ist nach eigenen Angaben bhutanischer Staatsangehöriger mit nepalesischer Volks- und hinduistischer Religionszugehörigkeit. Er reiste seinen eigenen Angaben zufolge per Flugzeug über Frankfurt am Main illegal am 13.01.1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 02.02.1995 stellte der Kläger beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Am selben Tag wurde ihm eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt, die bis zum negativen bestandskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens am 03.05.1995 verlängert wurde. Mit Bescheid vom 10.04.1995 (Bl. 17ff. der Ausländerakte) lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab und drohte ihm die Abschiebung nach Bhutan an. Seit dem 03.06.1995 ist der Kläger vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Dem Kläger wurde am 15.01.1996 eine Duldung ausgestellt, die in der Folgezeit – zum Teil nach gerichtlichen Auseinandersetzungen – verlängert wurde.
3
Bislang hat der Kläger keine Dokumente aus seinem angegebenen Heimatland vorgelegt, die seine Angaben bestätigen könnten. Bereits am 20.02.1995 leitete die Ausländerbehörde der Stadt … ein sog. Passersatzpapierverfahren (PEP) ein, um den Kläger zu identifizieren (Bl. 15 der Ausländerakte). Am 16.12.1996 teilte die deutsche Botschaft in Neu-Delhi (Bl. 97f. der Ausländerakte) mit, dass der Kläger – laut den bhutanischen Behörden – kein bhutanischer Staatsangehöriger sei, denn er habe eine in Bhutan nicht verwendete Hausnummer („12“) angegeben. Darüber hinaus habe er keine Angaben zu den Stadtbezirken „Gewog“ und „Dzongkhag“ machen können bzw. nicht gewusst, worum es sich bei diesen Begriffen handele. Beim Ausfüllen des Fragenkatalogs habe der Kläger deutlich gezeigt, dass er keinerlei Kenntnisse von den Verhältnissen in Bhutan habe. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger in Wirklichkeit nepalesischer Staatsangehöriger sei. Am 15.10.1997 teilte die Regierung von Bhutan (Bl. 153 der Ausländerakte) der deutschen Botschaft in Neu-Delhi mit, dass für den Kläger kein Heimreiseschein ausgestellt werden könne, da er kein bhutanischer Staatsangehöriger sei.
4
Am 26.05.2004 wurde der Kläger von der Regierung von … zum Zwecke der Feststellung seiner Identität/Staatsangehörigkeit im Beisein einer Nepalesisch-Dolmetscherin befragt (Bl. 429ff. der Ausländerakte). Er beharrte darauf, bhutanischer Staatsangehöriger zu sein. Allerdings konnte er auch einfache Fragen über das vermeintliche Herkunftsland nicht beantworten. Darüber hinaus gelang es ihm nicht, Widersprüche und Ungereimtheiten über seine vorherigen Angaben zu Eltern, Geburtsdatum, Beruf und Schulbesuchen überzeugend aufzulösen. Am Ende der Befragung kam die Regierung von … zu dem Schluss, dass der Kläger wahre Angaben verschleiere und kein bhutanischer, sondern nepalesischer Staatsangehöriger sei.
5
Am 17.04.2006 teilte der vormalige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit (Bl. 480 der Ausländerakte), dass sich letzterer am 07.04.2006 an die bhutanische Botschaft in Genf gewandt habe, um seine Identität/Staatsangehörigkeit bestätigen zu lassen, damit er anschließend einen Reisepass beantragen könne. In der Folgezeit zeigte das Landratsamt … den Kläger wegen illegalen Aufenthalts ohne gültigen Pass an (Schreiben vom 11.10.2006, Bl. 502f. der Ausländerakte). Im Rahmen seiner Vernehmung durch die Polizeiinspektion … am 19.12.2006 gab der Kläger an, Bhutaner zu sein, jedoch keinen Pass beibringen zu können (Bl. 514 der Ausländerakte). Er legte ein Schreiben des Honorarkonsuls des Königreichs Bhutan vom 10.09.2006 vor, aus dem hervorgeht, dass die Behörden des Staates Bhutan davon ausgehen, dass der Kläger kein Angehöriger des Königreichs Bhutan sei (Bl. 517 der Ausländerakte).
6
Mit Schreiben vom 22.01.2007 (Bl. 523ff. der Ausländerakte) teilte der Kläger mit, dass er bei der nepalesischen Botschaft einen Termin vereinbart habe, um einen Reisepass zu beantragen. Am selben Tag wandte sich der Kläger schriftlich an die nepalesische sowie die bhutanische Botschaft und bat jeweils um Hilfe bzw. Unterstützung bei der Beschaffung eines Heimreisescheins. Mit Blick auf die Integrationsvereinbarung der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006, im Rahmen derer ausländischen Staatsangehörigen, die faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integriert waren, eine Chance gegeben wurde, ein gesichertes Aufenthaltsrecht zu erreichen, fand am 06.02.2007 eine Vorsprache des Klägers beim Landratsamt … statt (Bl. 558 der Ausländerakte). Hierbei stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG (a.F.) und bestätigte, dass er sich um die Beschaffung von identitätsklärenden Dokumenten kümmern werde.
7
Einen ersten Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis stellte der Kläger am 21.08.2007 (Bl. 578 der Ausländerakte). Dieser wurde am 10.09.2007 genehmigt (Bl. 588 der Ausländerakte). Mit Schreiben vom 14.09.2007 nahm der Kläger seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG (a.F.) zurück, mit der Begründung, dass er keinen Reisepass vorlegen könne (Bl. 591 der Ausländerakte). Die Beschäftigungserlaubnis wurde am 02.01.2008 amtlich gestrichen (Bl. 597 der Ausländerakte). Nachdem das Landratsamt den Kläger wiederum auf seine Mitwirkungspflichten hinwies, wandte sich dieser am 09.08.2009 erneut schriftlich an die Botschaft zur Feststellung seiner Identität (Bl. 648 der Ausländerakte).
8
Am 13.08.2009 stellte der vormalige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers für diesen einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104a AufenthG (a.F.) sowie einer Beschäftigungserlaubnis, mit der Begründung, dass sich der Kläger seit Jahren um die Beschaffung eines Reisepasses kümmern würde. Mit Schreiben vom 20.08.2009 trug der vormalige Verfahrensbevollmächtigte zudem vor, dass Bhutan an seine Staatsangehörigen, die das Heimatland ohne Erlaubnis verlassen hätten, im Ausland keine Reisepässe ausstelle. Mit Schreiben vom 21.12.2009 wandte sich der damalige Rechtsanwalt an die ständige Vertretung des Königsreichs Bhutan in Genf zur Ausstellung eines Reisepasses (vgl. Bl. 650ff. der Ausländerakte).
9
Am 31.05.2010 leitete das Landratsamt … ein PEP-Verfahren hinsichtlich des Herkunftslandes Nepal ein (Bl. 776 der Ausländerakte). Da der Kläger inzwischen wiederholt auf einen Brief verwiesen hatte, den er von seinem Bruder aus Bhutan erhalten haben will, wurde er vom Landratsamt aufgefordert, mit diesem wieder in Verbindung zu treten und ihn zu bitten, an den Kläger Dokumente aus Bhutan zu übersenden, aus denen hervorgehe, dass der Kläger in Bhutan gelebt habe. In der Folgezeit teilte der Kläger lediglich mit, dass der Kontakt zum Bruder abgebrochen sei. Am 02.12.2010 wies die Zentrale Rückführungsstelle … darauf hin, dass der Kläger in einem Identifizierungsersuchen Angaben für Bhutan auf den Antragsformularen für Nepal getätigt habe. Dieses Ersuchen sei erwartungsgemäß von den nepalesischen Behörden nicht bearbeitet worden (Bl. 813 der Ausländerakte).
10
Am 17.02.2011 erhob der vormalige Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth, mit dem Antrag, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis und die Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu erteilen (Az. B 1 K 11.156). Der in diesem Zusammenhang gestellte Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 18.12.2014 abgelehnt (Bl. 1029ff. der Ausländerakte). Zur Begründung führte die Kammer aus, dass der Kläger durch ihm zurechenbares pflichtwidriges Handeln bzw. Unterlassen adäquat kausal die Ursache für das seiner Abschiebung oder freiwilligen Ausreise entgegenstehende Hindernis selbst gesetzt habe, weil er über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht bzw. falsche Angaben gemacht habe. Die Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 20.02.2015 abgewiesen (Bl. 1052ff. der Ausländerakte).
11
Der Kläger ging seit …2018 einer Beschäftigung in einem Pflegeheim in … nach. Mit Schreiben vom 07.01.2020 wurde der Kläger seitens des Landratsamtes … über seine Mitwirkungspflichten belehrt (Bl. 1127f. der Ausländerakte). Mit Schreiben vom 13.10.2021 teilte die Stadt … dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, ihm eine Duldung gemäß § 60b AufenthG auszustellen, da keine Nachweise über seine Identität/Staatsangehörigkeit vorliegen würden (Bl. 1171f. der Ausländerakte).
12
Mit Schreiben vom 12.11.2021 beantragte die damalige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 60d AufenthG (Bl. 1173f. der Ausländerakte). Insoweit trug sie vor, dass die Klärung der Identität/Staatsangehörigkeit nicht möglich sei. In der Folge wurde dem Kläger weiterhin eine Duldung gemäß § 60a AufenthG mit dem Zusatz „Beschäftigung erlaubt“ ausgestellt. Mit Schreiben vom 20.01.2022 belehrte die Stadt … den Kläger wiederum hinsichtlich seiner Passpflicht (Bl. 1189f. der Ausländerakte). Mit weiteren Schreiben vom 12.04.2022 und vom 12.08.2022 wurde der Kläger abermals auf die ihm gemäß § 60b AufenthG obliegenden Pflichten hingewiesen (Bl. 1197f., 1206f. der Ausländerakte).
13
Am 18.01.2023 übernahm die Regierung von … – Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) die ausländerrechtliche Zuständigkeit für den Kläger (Bl. 1209 der Ausländerakte). Am 24.01.2023 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass seine Eltern bereits verstorben seien, sodass ihm niemand im Heimatland helfen könne (Bl. 1213 der Ausländerakte).
14
Am 24.01.2023 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG (Bl. 1214 der Ausländerakte). Mit Schreiben vom 16.05.2023 (Bl. 1256 der Ausländerakte) teilte die ZAB dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, ihm aufgrund der Passlosigkeit eine Duldung gemäß § 60b AufenthG auszustellen (Bl. 1256f. der Ausländerakte). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sei nicht möglich, da derzeit von einer aktiven Täuschung bezüglich der Staatsangehörigkeit auszugehen sei.
15
Am 19.05.2023 teilte die Lebensgefährtin des Klägers mit, dass die bhutanische Vertretung in Genf nie auf die Gesuche des Klägers geantwortet habe (Bl. 1258 der Ausländerakte). Die nepalesische Vertretung habe ebenfalls keine Bestätigung der nepalesischen Staatsangehörigkeit ausstellen können und auch keine solche der nicht-nepalesischen Herkunft. Aus dem Familien- und Verwandtenkreis lebe leider niemand mehr in Bhutan. Die Beauftragung eines Anwalts sehe die Lebensgefährtin skeptisch – aufgrund der Kosten sowie aufgrund der schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit. Am 22.05.2023 teilte der Kläger mit, dass er versuchen werde, alle möglichen Schritte zu gehen, um seine Identität nachzuweisen (Bl. 1259 der Ausländerakte). Sein Heimatdorf existiere nicht mehr, seine Eltern seien verstorben und zu weiteren Verwandten oder Bekannten habe er keinen Kontakt. Er werde aber versuchen, in Bhutan einen Rechtsanwalt mit der Beschaffung einer Geburtsurkunde zu beauftragen.
16
Mit einem bei der ZAB am 31.05.2023 eingegangenen Schreiben trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass für ihn das Leben in Deutschland nicht einfach (gewesen) sei und dass es ihm in 27 Jahren nicht gelungen sei, seine Identität/Staatsangehörigkeit nachzuweisen (Bl. 1269 der Ausländerakte). Mit einem bei der ZAB am 13.10.2023 eingegangen Schreiben machte der Kläger geltend, dass alle Bemühungen seinerseits nicht erfolgreich gewesen seien; die Rechtsanwälte hätten ihm nicht geholfen und er könne keine Dokumente aus seinem Heimatland vorlegen (Bl. 1294ff. der Ausländerakte). Als Anhang sendete der Kläger eine E-Mail des bhutanischen Honorargeneralkonsuls, im Rahmen derer ihm mitgeteilt wurde, dass er einen Nachweis über seine Staatsangehörigkeit vorlegen müsse, damit für ihn ein Reisepass ausgestellt werden könne.
17
Mit Bescheid der ZAB vom 08.11.2023 wurde dem Kläger eine Duldung mit dem Zusatz nach § 60b AufenthG „für Personen mit ungeklärter Identität“ ausgestellt (Ziffer I). Es wurde festgestellt, dass die Beschäftigungserlaubnis für die Tätigkeit als Pflegehelfer hiermit erloschen ist (Ziffer II). Der Antrag vom 12.11.2022 auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung gemäß § 60d AufenthG wurde abgelehnt (Ziffer III). Der Aufenthalt des Klägers wurde gemäß § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG räumlich auf das Stadtgebiet der Stadt … beschränkt (Ziffer IV). Weiter wurde die sofortige Vollziehung der räumlichen Beschränkung angeordnet (Ziffer IV, 1) und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 150,00 Euro angedroht (Ziffer IV, 2). Zudem wurde der Antrag des Klägers vom 24.01.2023 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG abgelehnt (Ziffer V). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Vielmehr habe er falsche Angaben getätigt bzw. über seine Identität/Staatsangehörigkeit getäuscht, so dass seine Identität bis heute nicht geklärt sei. Entgegen der Feststellung der zuständigen Behörden, dass der Kläger nicht bhutanischer, sondern nepalesischer Staatsangehöriger sei, beharre er darauf, bhutanischer Staatsangehöriger zu sein. Er sei allerdings im Rahmen der Befragung nicht in der Lage gewesen, korrekte Angaben zur Geographie und zu allgemein bekannten Gegebenheiten Bhutans zu machen. Obwohl der Kläger eine Geburtsurkunde oder einen Nachweis über seine Staatsbürgerschaft/Identität im Original über seinen Bruder hätte beschaffen können, mit dem er lange Zeit in Kontakt gestanden habe, habe er sich mehrmals an die Botschaft in Genf gewandt. Der Kläger habe jedoch seit 2007 gewusst, dass eine Botschaftsvorsprache ohne Nachweise über seine Staatsbürgerschaft beim jeweiligen Konsulat keinen Erfolg verspreche. Den beiden Briefen des vermeintlichen Bruders aus dem Jahr 1999 sei weder eine Absenderadresse zu entnehmen, noch erschließe sich der Korrespondenzzusammenhang. Auch sei fraglich, weshalb der Kontakt zum Bruder nach dem Jahr 1999 abgebrochen sei. Zudem habe der Antragteller gegenüber dem Bundesamt als Fluchtursache angegeben, dass er seit 1990 Mitglied der SUB gewesen sei und für die BPP Flugblätter verteilt habe. Die Richtigkeit dieses Vortrags unterstellt, überzeuge es nicht, wenn sich der Kläger, obwohl er früher in oppositionelle Gruppen eingebunden gewesen sein wolle, jetzt darauf berufe, keinerlei Bekannte in Bhutan mehr zu haben, die ihm bei der Beschaffung von Dokumenten behilflich sein könnten. Darüber hinaus habe der Kläger bei seiner Anhörung angegeben, dass er nach Deutschland gereist sei, da drei seiner Freunde hier lebten. Daher sei es nicht glaubhaft, dass er im Bundesgebiet keinen einzigen Landsmann kenne, über dessen Kontakte es möglich sei, eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Zudem hätte er einschlägige Vereine um Hilfe bitten können. In einem Schreiben des vormaligen Prozessbevollmächtigen des Klägers an das Verwaltungsgericht Bayreuth habe dieser erwähnt, dass sich der Kläger an die besuchte Schule gewandt habe, um eine Bescheinigung über den Schulbesuch zu erhalten. Auch diesbezüglich seien aber keinerlei Nachweise vorgelegt worden. Das PEP-Verfahren hinsichtlich des Herkunftslandes Nepal habe der Kläger von vornherein zielgerichtet sabotiert, da er gewusst habe, dass ein solcher Antrag nicht bearbeitet werden könne, wenn in einem Identifizierungsersuchen Angaben für Bhutan auf den Antragsformularen für Nepal getätigt würden.
18
Der Aufenthalt des Klägers werde gemäß § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG räumlich auf das Stadtgebiet der Stadt … beschränkt. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet werde seit Eintritt der Ausreisepflicht geduldet, da keine Reisedokumente vorliegen würden und seine Identität nicht geklärt sei. Das in seinem Fall bestehende Ausreisehindernis sei adäquat kausal auf sein Verhalten zurückzuführen. Eine ausnahmsweise Abweichung von der Sollanordnung des § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG sei vorliegend nicht geboten. Private Belange des Klägers, aufgrund derer er sich außerhalb der Stadt … uneingeschränkt im Bundesgebiet bewegen können müsse, seien nicht ersichtlich. Sofern dies gleichwohl im Einzelfall erforderlich sein sollte, könne eine Verlassenserlaubnis erteilt werden.
19
Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sei gemäß § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG abzulehnen, da der Kläger wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht bzw. über seine Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht und dadurch seine Abschiebung verhindert habe.
20
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.12.2023, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 08.12.2023 eingegangen, hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 08.11.2023 (Az. …) zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG zu erteilen sowie festzustellen, dass die Beschäftigungserlaubnis des Klägers für die Tätigkeit als Pflegehelfer beim Pflegeheim der … in … nicht erloschen ist.
21
Der weiterhin seitens des Klägers gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hinsichtlich Ziffer IV des angegriffenen Bescheids wurde mit Beschluss der Kammer vom 26.01.2024 (Az. B 6 S 23.1062) abgelehnt. Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
22
Zur Begründung der Klage führte die Klägerbevollmächtigte aus, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG zu Unrecht verweigert worden sei. Der Kläger lebe seit Januar 1995 in Deutschland und habe sich hier nichts zuschulden kommen lassen. Er sei sozial und wirtschaftlich vollkommen integriert. Seit ca. 1998 lebe er mit derselben deutschen Frau zusammen und habe zusammen mit dieser deren schwerbehindertes Kind bis zu dessen Tod im Jahr 2017 betreut. Dadurch habe der Kläger erhebliche pflegerische Kompetenzen erworben, was ihm auch seitens der behandelnden Ärzte bescheinigt worden sei. Nachdem die Mission des Klägers für den Sohn der Partnerin durch dessen Tod abgeschlossen gewesen sei, habe er kurz danach eine Stelle als Pflegehelfer angetreten. 2019 sei er dort in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen worden. Aus der sehr umfangreichen Ausländerakte ergebe sich, dass vorliegend sowohl behördlicherseits als auch von Seiten des Klägers ungewöhnlich viel zur Klärung der Staatsangehörigkeit unternommen worden sei und diese dennoch ungeklärt geblieben sei. Ein Beweis dafür, dass der Kläger vorsätzlich und aktiv über seine wahre Staatsangehörigkeit getäuscht habe, finde sich in der Akte nicht. Der Kläger und seine Lebensgefährtin hätten sich nachhaltig bemüht, einen Nachweis über die bhutanische Staatsangehörigkeit des Klägers zu erhalten. Es seien sämtliche für eine Hilfestellung in Betracht kommende Stellen kontaktiert worden, beispielsweise pro asyl, amnesty international, der Bürgermeister von …, der Landrat, der Honorarkonsul Bhutans sowie die … Niemand habe helfen können. Im Oktober 2023 habe die Lebensgefährtin des Klägers nochmals einen Versuch der Identitätsklärung durch Kontaktaufnahme mit dem bhutanischen Honorarkonsul unternommen. Insoweit wird der E-Mail-Verkehr aus Oktober 2023 sowie ein Schreiben an den Honorarkonsul vom 10.09.2006 vorgelegt. Da die Ausländerbehörde dem Kläger nahegelegt habe, einen Rechtsanwalt in Bhutan mit der Klärung seiner Identität zu beauftragen, habe sich die Partnerin des Klägers wegen Namhaftmachung eines geeigneten Rechtsanwalts an das Auswärtige Amt gewandt. Die Botschaft der BRD in Neu-Delhi habe mitgeteilt, dass im Königreich Bhutan nur ein sehr einfaches Rechtswesen bestehe, das mit dem Gerichtswesen in Deutschland nicht zu vergleichen sei. Offenbar gebe es dort kaum „richtige“ Rechtsanwälte, auf die das deutsche Berufsbild eines Rechtsanwalts zutreffe. Von einem Königreich mit einem derart schlichten Rechtswesen könne nicht erwartet werden, dass dort ein unserer Verwaltung vergleichbarer Verwaltungsapparat mit einem perfektionierten Meldewesen bestehe, über welches erforderlichenfalls auch eine Person identifiziert werden könne, die das Land vor ca. 30 Jahren verlassen habe. Auch sei in Rechnung zu stellen, dass das bhutanische Staatsangehörigkeitsrecht immer wieder von politischen Turbulenzen und revolutionären Bestrebungen zwischen verschiedenen Ethnien heimgesucht worden sei, wobei gerade auch das Verhältnis zwischen Bhutanern und Nepalesen Probleme hervorgerufen habe. Zudem würden Bhutaner, die das Land informell verließen, ihre bhutanische Staatsangehörigkeit verlieren. In Rechnung zu stellen sei auch, dass der Kläger für Feststellungen durch Interpol bereitwillig Fingerabdrücke abgegeben habe. Dies habe jedoch ebenso nichts ergeben.
23
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG stehe die ungeklärte Staatsangehörigkeit des Klägers nicht entgegen. In der Akte finde sich kein Beweis dafür, dass der Kläger vorsätzlich und aktiv über seine wahre Staatsangehörigkeit getäuscht habe. Eine derartige Täuschung wäre auch sinnlos, da dem Kläger aufgrund seines langjährigen integrierten Aufenthalts in Deutschland auch bei Offenlegung einer anderen als der bhutanischen Staatsangehörigkeit jederzeit der Weg in einen gesicherten Aufenthaltsstatus offenstünde. Zudem könne der Kläger, wenn er über entsprechende Papiere verfügen würde, auch jederzeit durch eine Eheschließung mit seiner langjährigen Lebensgefährtin eine Aufenthaltserlaubnis erlangen. Selbst wenn vom Vorwurf massiver Täuschung im Sinne von § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgegangen werden müsse, wäre dem Kläger dennoch eine Chancen-Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Bei § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG handele es sich um eine Ermessensvorschrift. Dem Ausländer könne die Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift in besonderen Fällen auch erteilt werden, wenn ihm eine Täuschung zur Last liege. Der beschriebene Lebensgang des Klägers im Rahmen seines 29-jährigen Aufenthalts mache hinreichend deutlich, dass es sich hier jedenfalls um einen außergewöhnlichen Fall handele und nur eine Ausübung des Ermessen zu seinen Gunsten den Gesamtumständen gerecht würde. Von der Rechtslage ganz abgesehen würde es zudem zu einem unvernünftigen Ergebnis führen, wenn man den 49-jährigen Kläger, der über jahrzehntelange Erfahrung in der Pflege verfüge, durch eine Reduzierung seines Aufenthaltsstatus auf eine Duldung nach § 60b AufenthG für immer von jeder weiteren Berufstätigkeit ausschließen würde. Angesichts des großen Mangels an Pflegekräften wäre dieses Ergebnis kaum zu vermitteln.
24
Mit Schriftsatz vom 19.03.2024 beantragt die Regierung von … für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
25
Zur Begründung wird auf die Gründe des Bescheids vom 08.11.2023 Bezug genommen. Als Inhaber einer Duldung mit dem Zusatz nach § 60b AufenthG unterliege der Kläger einem absoluten Erwerbstätigkeitsverbot kraft Gesetzes (§ 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG). Da der Kläger – wie im Bescheid ausgeführt und seitens des Gerichts zuletzt mit rechtskräftigem Beschluss vom 26.01.2024 – B 6 S 23.1062 (S. 15f.) bestätigt – wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht und über seine Identität bzw. Staatsangehörigkeit getäuscht und dadurch seine Abschiebung verhindert habe, habe der Titelerteilungsantrag gemäß § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG abgelehnt werden können. Der Beklagtenvertreter erklärte sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
26
Mit Schriftsatz vom 12.04.2024 trägt die Klägerbevollmächtigte ergänzend vor, dass die Aufrechterhaltung des angefochtenen Bescheids bei zutreffender Würdigung aller die Situation des Klägers kennzeichnenden Umstände zu einem derart unangemessenen Ergebnis führen würde, dass die dem Bescheid zugrundeliegende Ermessensentscheidung zu § 104c AufenthG als ermessenfehlerhaft beurteilt werden müsse. Der Kläger sei im Alter von 20 Jahren nach Deutschland gekommen. Kurz nach seiner Ankunft habe er eine deutsche Frau kennengelernt, die ein ein Jahr altes schwerst pflegebedürftiges Kind aus einer früheren Beziehung gehabt und versucht habe, für dieses alleine zu sorgen. Es habe sich eine Lebensgemeinschaft ergeben, die bis zum heutigen Tag bestehe. Der Kläger sei voll und ganz in die aufwendige Pflege des Kindes eingebunden gewesen, wobei aufgrund der Pflegeleistungen des Klägers zeitweise sogar von der Pflegekasse Rentenversicherungsbeiträge für ihn abgeführt worden seien. Der Pflegesohn des Klägers sei am …2017 im Alter von 24 Jahren verstorben. Circa drei Monate später, nämlich zum …2018, habe der Kläger dann eine Arbeitsstelle als Pflegehelfer in einem Altenheim des … angetreten. Zum …2019 sei er dort in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen worden. Dieses Arbeitsverhältnis sei durch eine entsprechende Arbeitserlaubnis der Behörde gedeckt gewesen. Die Arbeitserlaubnis für die Tätigkeit im Pflegeheim sei dem Kläger erstmals Anfang 2018 erteilt worden und dann jedenfalls bis zum 11.02.2023 immer wieder mit entsprechenden Duldungen in erforderlichem Maße erneuert worden. Daher habe der Kläger mit Fug und Recht darauf vertrauen dürfen, dass ihm die Arbeitserlaubnis für diesen Arbeitsplatz unter normalen Umständen auch erhalten bleibe und nicht nach über fünfjähriger Beschäftigung dann Ende 2023 auf einmal wieder entzogen werde. Die ungeklärte Identität des Klägers sei der Behörde seit sehr vielen Jahren bekannt. Der Kläger habe nicht damit rechnen müssen, dass man ihm seine Arbeitserlaubnis unter Berufung auf diesen seit langem bekannten Umstand wieder entziehen würde. Aufgrund seiner dauerhaften Verankerung in Deutschland würde er zwangsläufig bis zu seinem Lebensende dem deutschen Staat zur Last fallen. Daneben sei das Erwerbstätigkeitsverbot für den Kläger auch psychisch belastend. Die Möglichkeit, einem grundsätzlich ausreisepflichtigen Ausländer mit ungeklärter Identität eine Duldung zu erteilen, die jegliche Erwerbstätigkeit untersage, habe der Gesetzgeber geschaffen, um zu verhindern, dass derartige Ausländer in Deutschland Fuß fassten. Eine Anwendung dieser Vorschrift auf den Kläger könne diesen Zweck aber nicht erfüllen, weil er nach fast 30 Jahren Aufenthalt in Deutschland und fast ebenso langer Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Frau sowie langjährigem Arbeitsverhältnis bereits irreversibel Fuß gefasst habe und hier verankert sei.
27
Die Klägerbevollmächtigte beantragt hilfsweise,
dem Kläger eine Duldung ohne den Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ und mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit gestattet“ zu erteilen.
28
Weiter führt die Klägerbevollmächtigte aus, dass sich der Kläger während der langen Zeit seines Aufenthalts in Deutschland der Behörde niemals entzogen habe, weder räumlich noch durch Ignorierung einer Aufforderung zur Kontaktaufnahme. Im Gegenteil habe sich der Kläger – auch mit Unterstützung seiner deutschen Lebensgefährtin – immer darum bemüht, im Kontakt mit der Behörde absolut korrekt zu sein.
29
Mit Schriftsatz vom 30.04.2024 trägt der Beklagtenvertreter vor, dass dem Kläger zwar seitens der vormals zuständigen örtlichen Ausländerbehörde, der Stadt …, noch eine bis 11.02.2023 befristete Duldungsbescheinigung nach § 60a AufenthG ausgestellt gewesen sei, die die Vermerke „Identitätsangaben beruhen auf eigenen Angaben des Antragstellers“ und „Erwerbstätigkeit erlaubt“ enthalten habe. Wegen der nicht erfüllten Passpflicht wäre dem Kläger aber eigentlich schon zu diesem Zeitpunkt eine Duldung mit dem Zusatz nach § 60b AufenthG auszustellen gewesen. Die ZAB habe dem Kläger zunächst noch die Möglichkeit gegeben, seinen Mitwirkungspflichten zeitnah nachzukommen um auf diese Weise eine § 60b-Duldung noch abzuwenden. Durch entsprechende Rücksprachen und Belehrungen nach Zuständigkeitsübernahme sei ein seitens der vormals zuständigen örtlichen Ausländerbehörde möglicherweise gesetzter Anschein, die unzureichende Identitätsklärung würde dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, keinesfalls aufrechterhalten worden.
30
Mit Schriftsatz vom 28.01.2025 verzichtete die Klägerbevollmächtigte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
31
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte (auch im Verfahren B 6 S 23.1062) und den Inhalt der vorgelegten Behördenakte, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.

Entscheidungsgründe

32
Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
I.
33
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
34
1. Dem Kläger kommt ein Anspruch auf eine Chancen-Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c Abs. 1 AufenthG nicht zu. Ziffer V des Bescheids des Beklagten vom 08.11.2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
35
Nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nrn. 1, 1a und 4 sowie § 5 Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 31.10.2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat und er sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und nicht wegen einer Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, oder Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht, die nicht auf Jugendstrafe lauten, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG soll das Chancen-Aufenthaltsrecht allerdings versagt werden, wenn der Ausländer wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat und dadurch seine Abschiebung verhindert.
36
a) Voraussetzung für den Versagungsrund nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist ein aktives eigenverantwortliches Verhalten des Ausländers in der Vergangenheit, das weiterhin ursächlich für das derzeitige Abschiebehindernis ist (vgl. BT-Drs. 20/3717 S. 45; Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts vom 23. Dezember 2022 [BMI-Hinweise], S. 7). § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass die Abschiebung aus Gründen, die im Verantwortungsbereich des Ausländers liegen, nicht durchgeführt werden kann. Gründe, die den Vollzug ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert haben, sind unbeachtlich. Die Falschangabe oder Täuschung muss auch noch heute kausal für die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung sein (vgl. OVG LSA, B.v. 1.6.2023 – 2 M 49/23 – juris Rn. 13; B.v. 9.11.2021 – 2 M 79/21 – juris Rn. 16ff. zu § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).
37
Der Versagungsgrund des § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG verlangt eine doppelt qualifizierte Mitwirkungspflichtverletzung, weil mit Täuschung und Falschangabe zum einen nur besonders gravierende Mitwirkungspflichtverletzungen schädlich sind, und der Ausländer zum anderen „Wiederholungstäter“ sein muss, sprich mindestens zweimal getäuscht oder Falschangaben gemacht haben muss. Die „bloße“ – auch hartnäckige – Nichtmitwirkung kann bei der Identitätsklärung nicht nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG den Ausschluss vom Chancen-Aufenthaltsrecht nach sich ziehen (vgl. Röder in BeckOK, MigR, Stand: 01.07.2024, § 104c, Rn. 70f.; Dietz, NVwZ 2023, 15/16). Die Formulierung „wiederholt“ bezieht sich grammatikalisch nicht nur auf die Falschangaben, sondern auch auf die Täuschungsalternative. Begrifflich setzt eine Wiederholung voraus, dass der Ausländer mindestens zweimal getäuscht oder Falschangaben gemacht hat. Weiter impliziert der Begriff der Wiederholung, dass jemand etwas „erneut“ oder „nochmals“ tut. Nicht von § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG sind deshalb Fälle erfasst, in denen der Ausländer in derselben Situation, gewissermaßen im selben Atemzug mehrfach täuscht oder Falschangaben macht. Zwischen den beiden Täuschungshandlungen muss vielmehr eine echte Zäsur liegen, so dass etwa mehrere Täuschungshandlungen innerhalb desselben Vorsprachetermins den Versagungsgrund nicht erfüllen (vgl. Röder in BeckOK, MigR, Stand: 01.07.2024, § 104c, Rn. 74). Die erneute Täuschung muss sich nicht auf dasselbe Identitätsmerkmal wie die vorausgegangene Täuschung beziehen. Selbiges gilt bezüglich der wiederholten Falschangabe. Der Wiederholungsfall kann sich auch auf die Kombination einer Täuschung und einer Falschangabe beziehen. Während Bezugspunkt der Täuschung die Identität bzw. Staatsangehörigkeit sein muss, kann sich die Falschangabe auch auf sonstige abschiebungsrelevante Umstände beziehen. In § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG findet sich kein Anhalt für eine Beschränkung auf Täuschungen und Falschangaben gegenüber den für den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes zuständigen Behörden. Täuschungsadressat kann deshalb grundsätzlich auch das Bundesamt oder eine andere Behörde sein. Tatbestandmäßig wird die Falschangabe allerdings erst, wenn die Angaben dann auch Eingang in das aufenthaltsrechtliche Verfahren finden und dort die Abschiebung verhindern (vgl. Röder in BeckOK, MigR, Stand: 01.07.2024, § 104c, Rn. 75ff.).
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Eine Täuschung über die Staatsangehörigkeit liegt vor, wenn der Ausländer selbst und bewusst eine andere Staatsangehörigkeit angibt, als er tatsächlich besitzt, trotz der Frage nach allen Staatsangehörigkeiten eine Staatsangehörigkeit verschweigt oder unrichtig angibt, keine Staatsangehörigkeit zu besitzen. Im ersten Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Falschangaben bewusst gemacht werden, weil es außerhalb der Lebenserfahrung liegt, dass jemand seine eigene Staatsangehörigkeit nicht kennt. Im zweiten Fall muss, um eine Täuschungshandlung anzunehmen, feststehen, dass der Ausländer zum einen weiß, dass er alle Staatsangehörigkeiten und nicht nur eine anzugeben hat, und zum anderen, dass ihm das Vorhandensein einer oder mehrerer zusätzlicher Staatsangehörigkeiten bekannt ist. Im dritten Fall liegt keine Täuschungshandlung in Fällen vor, in denen zwar eine Staatsangehörigkeit vorliegt, sich ein Ausländer aber als staatenlos bezeichnet, weil kein Staatsangehörigkeitsstaat ihn trotz der abweichenden Rechtslage als eigenen Staatsangehörigen in Anspruch nimmt (sogenannte faktische Staatenlosigkeit) (vgl. Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts v. 23.12.2022, S. 6).
39
Für die Annahme einer Täuschung ist es nicht erforderlich, dass die Behörde die richtigen Daten kennt. Es genügt, dass feststeht, dass die vom Ausländer selbst gemachten Angaben falsch sind. Letzteres ist vor allem der Fall, wenn der Ausländer einander widersprechende Angaben gemacht hat (vgl. Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts v. 23.12.2022, S. 7).
40
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger wiederholt über seine Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht bzw. insoweit vorsätzlich falsche Angaben getätigt. So ist bereits dem rechtskräftigen Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 20.02.2015 – B 1 K 11.156 (Bl. 1052ff. der Ausländerakte) zu entnehmen, dass der Kläger im Rahmen seiner Bundesamtsanhörung unstimmige Angaben gemacht und sodann gegenüber den Ausländerbehörden abweichende Angaben traf. So hat er unterschiedliche Angaben zum Beruf seines Vaters gemacht (Bauer bzw. Geschäftsmann) und seine vollständige Heimatanschrift in der Form, wie sie in Bhutan Verwendung findet, nicht angeben können bzw. wollen, insbesondere hat er als Hausnummer wiederholt die „12“ genannt, die jedoch in Bhutan (auch nach Angaben der deutschen Botschaft vom 16.12.1996, Bl. 97 der Ausländerakte) nicht verwendet wird. Zudem waren dem Kläger die Begriffe „Gewog“ und „Dzongkhag“ (Verwaltungseinheiten), die als wesentliche Bestandteile einer bhutanischen Adresse jedem Bhutaner bekannt sein müssen, nicht bekannt. Ferner hat er während des Verfahrens zur Passbeschaffung die sog. Citizenship Identity Number nicht richtig angegeben bzw. angeben wollen. Bereits mit Schreiben vom 15.12.1997 teilte die deutsche Botschaft in Neu-Delhi der damals zuständigen Ausländerbehörde mit, dass die Regierung Bhutans nach Überprüfung festgestellt hat, dass es sich beim Kläger nicht um einen Staatsangehörigen Bhutans handelt. Weiter wurde ausgeführt, dass sich damit die Befürchtung der Botschaft bestätigt habe, dass es sich „wie in eigentlich allen Fällen um Staatsbürger des Königreichs Nepal handeln dürfte“ (Bl. 152 der Ausländerakte). Auch die zum Zwecke der Feststellung der Identität im Beisein einer Nepalesisch-Dolmetscherin durchgeführte Befragung hat ergeben, dass der Kläger höchstwahrscheinlich kein bhutanischer Staatsangehöriger ist (Bl. 429f. der Ausländerakte).
41
Selbst wenn man in den vorgenannten bewusst unzutreffenden Angaben des Klägers gegenüber Bundesamt und Ausländerbehörde lediglich eine Täuschungshandlung über die Staatsangehörigkeit bzw. vorsätzliche Falschangaben zur Herkunft erblicken würde, liegt jedenfalls mit den vom ihm im Rahmen eines seitens des Landratsamtes … eingeleiteten Identifizierungsersuchens hinsichtlich des Herkunftslandes Nepal aktiv abermals getroffenen Falschangaben anlässlich eines unter dem 31.05.2010 ausgefüllten Fragenbogens eine neuerliche und damit wiederholte Täuschung über die Staatsangehörigkeit vor. So tätigte der Kläger wiederum Angaben für Bhutan auf den nepalesischen Antragsformularen, so dass das Ersuchen seitens der nepalesischen Behörden nicht bearbeitet wurde (Bl. 813ff. der Ausländerakte). Dies obgleich das bhutanische Honorarkonsulat schon zu diesem Zeitpunkt mehrfach mitgeteilt hatte, dass es sich beim Kläger nicht um einen bhutanischen Staatsangehörigen handelt (vgl. u.a. Schreiben vom 10.09.2006 – Bl. 517 der Ausländerakte und vom 29.09.2006 – Bl. 501 der Ausländerakte). Bereits angesichts des verstrichenen Zeitraums gegenüber den erstmaligen Angaben des Klägers gegenüber Bundesamt und Ausländerbehörde sowie den zwischenzeitlich mehrfach erfolgten Mitteilungen bhutanischer Stellen, wonach der Kläger kein bhutanischer Staatsangehöriger sei, liegt zwischen dem ersten Tatkomplex und der neuerlichen Täuschung über die Identität und den vorsätzlich getätigten Falschangaben über seine Herkunft eine echte Zäsur vor. Dass der Kläger insoweit vorsätzlich unzutreffende Angaben über seine Herkunft tätigte und zudem über seine Staatsangehörigkeit täuschte, ergibt sich aus einem Schreiben der deutschen Botschaft in Kathmandu an die Regierung von … – Zentrale Rückführungsstelle … vom 27.11.2011 (Bl. 976 der Ausländerakte), wonach Interpol Kathmandu nunmehr abschließend mitgeteilt habe, dass der Kläger an der von ihm angegebenen Anschrift nicht identifiziert werden konnte. Ausweislich der obigen Ausführungen ist für die Annahme einer Täuschung nicht erforderlich, dass die Behörde die richtigen Daten kennt. Vielmehr genügt, dass die vom Ausländer selbst gemachten Angaben – wie hier – falsch sind (vgl. dazu auch Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts v. 23.12.2022, S. 7).
42
b) Die vorsätzlich getätigten Falschangaben des Klägers sowie die Täuschung über seine Staatsangehörigkeit und Identität sind auch die alleinige Ursache dafür, dass die Abschiebung aktuell nicht durchgeführt werden kann. Ein anderer Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus der langjährigen nichtehelichen Beziehung des Klägers zu einer deutschen Staatsangehörigen. Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG schützt zwar nicht nur die schon bestehende Ehe, sondern auch die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen (vgl. BVerfG, B.v. 4.5.1971 – 1 BvR 636/68 – juris Rn. 29). Diese Eheschließungsfreiheit ist als Vorwirkung der Ehe ebenso vor Eingriffen geschützt. Um sich bezüglich der Eheschließung auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen zu können und eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung geltend machen zu können, muss die Eheschließung aber konkret absehbar sein, also unmittelbar bevorstehen, was vorliegend ersichtlich nicht der Fall ist. Der bloße Wille zur Eheschließung ist insoweit nicht ausreichend, um den Schutzbereich von Art. 6 GG zu eröffnen (vgl. OVG SH, B.v. 14.3.2023 – 4 MB 4/23 – juris Rn. 20).
43
Auch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich vorliegend kein Duldungsanspruch. Zwar umfasst der Schutz von Privat- und Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK grundsätzlich das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Auch nichteheliche Lebensgemeinschaften können eine „Familie“ im Sinne von Art. 8 EMRK bilden. Dies gilt insbesondere für Paare, die bereits verlobt sind. Ob eine kinderlose nichteheliche Beziehung unter Art. 8 EMRK fällt, ist je nach Dauer, Stabilität, Intensität, finanzieller Verflochtenheit etc. in jedem Einzelfall zu prüfen. Sollte die Beziehung nicht über das für ein „Familienleben“ erforderliche Ausmaß verfügen, kann sie immer noch dem Schutz des Privatlebens unterliegen (vgl. VG Schleswig, B.v. 19.1.2023 – 1 B 84/22 – juris Rn. 40).
44
Aus Art. 8 EMRK ergibt sich – ebenso wenig wie aus Art. 6 GG – indessen keine allgemeine Verpflichtung für die Konventionsstaaten, die Wahl des Aufenthaltsstaates durch Zuwanderer anzuerkennen und eine Familienzusammenführung zu ermöglichen. Grundsätzlich ist das Interesse eines Konventionsstaates, die Einreise und den Aufenthalt von ausländischen Personen auf seinem Gebiet zu kontrollieren, ein legitimes dringendes soziales Bedürfnis im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Allerdings sind – unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit – an die Rechtfertigung der in Rede stehenden aufenthaltsrechtlichen Maßnahme umso strengere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender und belastender sich die Maßnahme auf das Privat- bzw. Familienleben des Einzelnen (und ggf. seiner Familienangehörigen) auswirkt. So wiegt eine aufenthaltsbeendende Maßnahme umso schwerer, je länger sich die betroffene Person bereits im Aufenthaltsstaat aufhält und je besser sie in die dortige Gesellschaft und Kultur integriert bzw. „verwurzelt“ ist. Ein Anspruch auf Aufenthalt kommt zudem etwa dann in Betracht, wenn die Familie die Funktion einer Beistandsgemeinschaft erfüllt, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, wie beispielsweise im Fall der Trennung kleiner Kinder von ihren Eltern oder auch bei kranken und pflegebedürftigen Angehörigen (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2014 – 10 CE 14.650 – juris Rn. 6).
45
Es kann hier letztlich offenbleiben, ob der Kläger und seine deutsche Partnerin bereits unter den Schutz der Familie fallen oder lediglich dem Schutz des Privatlebens unterliegen, denn vorliegend ist bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht ersichtlich, dass eine Trennung des Klägers von seiner Lebenspartnerin zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung führen würde. Der Kläger und seine Partnerin haben keine (gemeinsamen) Kinder, die von einer Trennung betroffen wären. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger oder seine deutsche Partnerin auf gegenseitige Pflege oder sonstige unentbehrliche Beistandsleistungen angewiesen wären. Zwar wird auf ein jahrzehntelanges Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt verwiesen. Mit einigem Gewicht ist indessen zu berücksichtigen, dass die Beziehung offenkundig in vollem Bewusstsein der Illegalität des Aufenthalts des Klägers begründet, jedenfalls aber aufrechterhalten wurde. Ein auf jahrelanger Identitätstäuschung beruhender langwährender Aufenthalt ist nicht geeignet, ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Aufenthalts zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 9.4.2021 – 19 CE 20.599 – juris Rn. 12 m.w.N.).
46
Darüber hinaus stünde der Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK im vorliegenden Fall bereits entgegen, dass der Kläger keinerlei Aussicht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland hat. Die Duldung ist vor allem das Instrument, um noch laufende Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzusichern und zu garantieren, dass die behauptete Trennung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Erteilungsverfahrens nicht erfolgt. Ist ein Aufenthaltstitel auf Grundlage der geltend gemachten familiären Beziehungen nicht erreichbar, ist regelmäßig kein Raum für eine Duldung auf Grundlage der gleichen Erwägungen. Denn wenn sich etwa Art. 6 GG in seiner Ausprägung als wertentscheidende Grundsatznorm bei der Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht durchzusetzen vermag, wird auch kein dauerndes Abschiebungshindernis aus der Norm folgen. Mithilfe einer Duldung kann die Abschiebung grundsätzlich nur zeitweise ausgesetzt werden, ihr kommt nicht die Funktion eines vorbereitendenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1997 – 1 C 9/95 – juris Rn. 36; HessVGH, B.v. 3.11.2023 – 3 B 745/23 – juris Rn. 23).
47
Im Falle des Klägers liegen infolge der ungeklärten Identität und Staatsangehörigkeit sowie der Nichterfüllung der Passpflicht bereits die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vor (§ 5 Abs. 1 Nrn. 1a und 4 AufenthG). Auch die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gemäß §§ 27ff. AufenthG sind nicht erfüllt, da der Kläger mangels Eheschließung mit seiner deutschen Lebenspartnerin nicht dem Personenkreis des § 28 Abs. 1 AufenthG oder des § 28 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 und 2 AufenthG angehört.
48
c) Mangels eines Duldungsanspruchs des Klägers ist somit das Kausalitätserfordernis des § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfüllt. Die Vorschrift sieht vor, dass die Aufenthaltserlaubnis bei Eingreifen des Ausschlusstatbestandes versagt werden „soll“. Mit der Ausgestaltung als Soll-Vorschrift hat der Gesetzgeber die Ermessensermächtigung ausdrücklich beschränkt und damit die Versagung des Aufenthaltstitels erleichtert. Dies hat zur Folge, dass die Aufenthaltserlaubnis in der Regel versagt werden muss und nur bei Vorliegen von atypischen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (sog. intendierte Ermessensentscheidung). Ob ein atypischer Fall vorliegt, der ausnahmsweise eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde erfordert, ist als Rechtsvoraussetzung gerichtlich voll überprüfbar. Wann ein atypischer Fall anzunehmen ist, ist nach dem Zweck des § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG – ein zurückliegendes Fehlverhalten des Ausländers nicht nachträglich durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu belohnen – zu bestimmen. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die das sonst ausschlaggebende Gewicht der Regelung beseitigen. Maßgebend ist somit, ob die bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG eingreifende Regelvermutung der missbräuchlich herbeigeführten und damit gescheiterten Integration widerlegt ist, weil im Einzelfall besondere Integrationsleistungen festzustellen sind, die dazu führen, dass den vorwerfbaren Verhaltensweisen, die zur Erfüllung der Voraussetzungen nach § 104c Abs. 1 Satz 2 AufenthG beigetragen haben, bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringes Gewicht zukommt (vgl. Zühlcke, HTK-AuslR, Stand: 31.01.2025, § 104c AufenthG, Rn. 193f.). Zwar verweist die Klägerbevollmächtigte auf das jahrelange Engagement des Klägers im Zusammenhang mit der Pflege des schwerbehindernden Sohns seiner Lebensgefährtin sowie nach dessen Tod im Jahr 2017 auf eine ca. fünfjährige Beschäftigung als Pflegehelfer, allerdings vermögen diese Integrationsleistungen den Makel der durch eine über Jahrzehnte betriebenen Identitätstäuschung, die wiederholt durch Falschangaben bewusst aufrechterhalten bzw. aktualisiert wurde, gescheiterten Integration nicht aufzuwiegen.
49
2. Die weiteren klägerischen Anträge, festzustellen, dass die Beschäftigungserlaubnis des Klägers für seine Tätigkeit als Pflegehelfer nicht erloschen ist sowie den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Duldung ohne den Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ und mit dem Zusatz „Erwerbstätigkeit gestattet“ zu erteilen, haben in der Sache ebenfalls keinen Erfolg.
50
Angesichts der Subsidiarität der Feststellungsklage sowie unter Berücksichtigung des klägerischen Rechtsschutzziels bestehen bereits Zweifel an der Statthaftigkeit der insoweit gestellten Anträge. Das Rechtsschutzziel des Klägers besteht nicht in der Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Duldung, weil er bereits über eine Duldung verfügt. Stattdessen besteht sein Rechtsschutzziel in der Aufhebung des Zusatzes „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ im Sinne von § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Bei diesem Zusatz handelt es sich um eine Nebenbestimmung zur Duldung (vgl. VGH BW, B.v. 16.8.2023 – 11 S 2717/22 – juris Rn. 10; OVG MW, B.v. 25.6.2024 – 2 O 202/24 OVG – juris Rn. 8, jeweils m.w.N.). Solange die Duldung mit dem belastenden rechtsgestaltenden Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ nach § 60b Abs. 1 AufenthG wirksam besteht und vollziehbar ist, steht diese der Gestattung einer Beschäftigung ohne weitere Voraussetzungen entgegen (§ 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG). Die Aufhebung der Nebenbestimmung ist mit der Anfechtungsklage geltend zu machen.
51
Da die Klägerbevollmächtigte jedoch auch die Aufhebung des Bescheids vom 08.11.2023 beantragt hat, erweist sich die Klage als zulässig. Ihr kommt in der Sache aber kein Erfolg zu, da der Bescheid des Beklagten auch hinsichtlich des Duldungszusatzes rechtmäßig ist und dieser den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
52
Die Voraussetzungen von § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG liegen vor. Nach § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer die Duldung im Sinne des § 60a als „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ erteilt, wenn die Abschiebung aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt oder er zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nicht vornimmt. Dem Ausländer ist die Bescheinigung über die Duldung nach § 60a Abs. 4 AufenthG mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ auszustellen (§ 60b Abs. 1 Satz 2 AufenthG).
53
Der Kläger ist seit 03.06.1995 vollziehbar zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Er ist zur Bemühung um eine Passbeschaffung verpflichtet. Nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenhG ist er aufgrund seiner Passlosigkeit verpflichtet, alle ihm unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen. Regelmäßig zumutbar ist es gemäß § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, in der den Bestimmungen des deutschen Passrechts entsprechenden Weise an der Ausstellung eines Passes mitzuwirken, nach § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bei Behörden des Herkunftsstaates persönlich vorzusprechen und nach § 60b Abs. 3 S. 1 Nr. 5 AufenthG, erneut um die Ausstellung des Passes oder Passersatzes im Rahmen des Zumutbaren nachzusuchen und die Handlungen nach den Nummern 1 bis 5 vorzunehmen, sofern auf Grund einer Änderung der Sach- und Rechtslage mit der Ausstellung des Passes oder Passersatzes durch die Behörden des Herkunftsstaates mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann und die Ausländerbehörde ihn zur erneuten Vornahme der Handlungen auffordert.
54
Der Kläger ist auf diese Pflichten gemäß § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG ordnungsgemäß hingewiesen worden. Zuletzt wurde er mit Schreiben der Stadt … vom 12.04.2022 (Bl. 1197ff. der Ausländerakte), vom 12.08.2022 (Bl. 1206ff. der Ausländerakte) sowie seitens der ZAB unter dem 16.05.2023 (Bl. 1256ff. der Ausländerakte) auf die ihm nach § 60b AufenthG obliegenden Pflichten hingewiesen. Gleichwohl hat er weder seine Passbeschaffungspflicht erfüllt noch gilt diese im Sinne von § 60b Abs. 3 Satz 3 AufenthG als erfüllt. Denn er hat nicht glaubhaft gemacht hat, dass er die ihm zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes vorgenommen hat. Vielmehr täuscht er ausweislich der obigen Ausführungen nach wie vor über seine Identität und Staatsangehörigkeit. Noch immer verbleibt er bei der Behauptung, bhutanischer Staatsangehöriger zu sein, obgleich dies von Seiten bhutanischer Stellen mehrfach zurückgewiesen wurde. Zu keiner Zeit hat er ausreichende Anstrengungen zur Identitätsklärung und Passbeschaffung unternommen. Ihm seitens der jeweils zuständigen Ausländerbehörden empfohlene Maßnahmen hat er nicht ergriffen. So verwies er zunächst unter Vorlage zweier Briefe, wobei die Absender-Adressen auf den Umschlägen jeweils herausgerissen waren (vgl. Bl. 892 der Ausländerakte), mit seinem damals vorgeblich in Bhutan lebenden Bruder in Kontakt zu stehen, gleichwohl legte er keine Nachweise vor, dass er versucht hätte, über seinen Bruder an eine bhutanische Geburtsurkunde zu gelangen. Ein früherer Bevollmächtigter des Klägers erklärte zwar, dass man sich zum Zwecke der Dokumentenbeschaffung an die vom Kläger besuchte Schule in Bhutan gewandt hätte, ein dahingehender Beleg wurde jedoch nicht vorgelegt. Schon im Rahmen seiner Bundesamtsanhörung verwies der Kläger darauf, in Bhutan parteipolitisch aktiv gewesen zu sein, gleichwohl wandte er sich auch nicht an ehemalige Parteikollegen, sondern erklärte in der Folge pauschal, dass er in Bhutan niemanden mehr habe. Soweit der Kläger anlässlich der Bundesamtsanhörung weiter behauptete, dass sein Vater in Bhutan ein Geschäft betrieben habe, ist es ebenso nicht erklärlich, weshalb nicht versucht wurde, über diesen Weg an identitätsklärende Dokumente zu gelangen. Mit bei der ZAB am 31.05.2023 eingegangenem Schreiben (Bl. 1269f. der Ausländerakte) erklärte der Kläger zwar, dass er versuchen werde, über einen Rechtsanwalt in Bhutan Dokumente zu erhalten, allerdings legte er dazu weder Nachweise vor noch teilte er den Verfahrensstand mit. Soweit die Klägerbevollmächtigte darauf verweist, dass sich der Kläger wiederholt und auch in jüngerer Vergangenheit mehrfach an den bhutanischen Honorarkonsul gewandt habe, ist darauf hinzuweisen, dass Aktionen, die von vornherein keinen Erfolg erwarten lassen, zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht genügen. Bereits mit Schreiben vom 16.12.1996 teilte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Neu-Delhi (Bl. 97 der Ausländerakte) mit, dass es sich beim Kläger nicht um einen Bhutaner handele. Dies wurde in der Folge mehrfach seitens des bhutanischen Honorarkonsulats bestätigt (vgl. u.a. Schreiben vom 10.09.2006 – Bl. 517 der Ausländerakte und vom 29.09.2006 – Bl. 501 der Ausländerakte). Zuletzt teilte der bhutanische Honorargeneralkonsul mit E-Mail vom 09.10.2023 (Bl. 1297 der Ausländerakte) mit, dass der Nachweis der bhutanischen Staatsangehörigkeit erbracht werden müsse. Der Kläger müsse diesen Nachweis erbringen. Wenn er in Bhutan geboren worden sei und seine Eltern die Staatsangehörigkeit Bhutans besäßen, seien seine Daten in Bhutan erfasst. Dass dies der Fall wäre, hat der Kläger jedoch weder in substantiierter Weise gegenüber dem bhutanischen Honorarkonsul noch gegenüber der Ausländerbehörde geltend gemacht. Vielmehr krankten seine wiederholten Anfragen bei bhutanischen Vertretungen an der mangelnden Vorlage identitätsklärender Dokumente bzw. konkreten/korrekten Angaben zu seiner Herkunft.
55
Nach den Ausführungen unter Ziffer I.1 ist die Täuschung des Klägers über seine Identität und Staatsangehörigkeit sowie seine fehlende bzw. unzureichende Mitwirkung vorliegend kausal dafür, dass die Abschiebung nicht vollzogen werden kann. Mithin braucht die jedenfalls höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage, ob § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG ein echtes Kausalitätserfordernis begründet, nicht entschieden zu werden (vgl. zum Meinungsstand Wittmann in: BeckOK, MigR, Stand: 01.07.2024, § 60b AufenthG, Rn. 28f.).
56
Die Erteilung der Duldung gemäß § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG stellt eine gebundene Entscheidung dar; der Beklagte ist zur Ausstellung einer Duldung mit dem Zusatz „Person mit ungeklärter Identität“ gesetzlich verpflichtet. Die seitens der Klägerbevollmächtigten vorgebrachten Vertrauensschutzerwägungen hinsichtlich einer in der Vergangenheit gestatteten Erwerbstätigkeit erweisen sich damit als unbehelflich.
57
3. Schließlich bleibt die erhobene Anfechtungsklage auch hinsichtlich der weiteren Regelungen des Bescheids der ZAB vom 08.11.2023 ohne Erfolg. Die unter Ziffer IV verfügte räumliche Beschränkung gemäß § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG sowie die hierauf bezogene Zwangsgeldandrohung unter Ziffer IV Satz 2 erweisen sich ebenfalls als rechtmäßig. Insoweit hält die Kammer an ihren Ausführungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (vgl. VG Bayreuth, B.v. 26.1.2024 – B 6 S 23.1062, S. 13ff.) fest, denen die Klägerseite im Hauptsacheverfahren nicht substantiiert entgegengetreten ist.
II.
58
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.