Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 27.03.2025 – B 2 K 23.25
Titel:

Erweiterung eines Discountmarktes

Normenkette:
BauNVO § 11 Abs. 3
Leitsätze:
1. § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO geht in einer typisierenden Betrachtungsweise davon aus, dass bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit einer Geschossfläche von mehr als 1.200 m² Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung, insbesondere auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr und auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich dieser Betriebe eintreten können. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO gilt die – widerlegbare – Vermutung des Satzes 3 nicht, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1.200 m² Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1.200 m² Geschossfläche nicht vorliegen. Für Betriebe oberhalb der Größe von 1.200 m² ist der Bauantragsteller darlegungsbelastet für das Fehlen der Auswirkungen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Ortsteilen, die über keinen zentralen Versorgungsbereich verfügen – zB in Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre – kann eine städtebaulich integrierte Lage auch in einem baulich verdichteten Siedlungszusammenhang mit wesentlichen Wohnanteilen liegen. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
großflächiger Einzelhandel, keine Widerlegung der Regelvermutung, städtebauliche Atypik, Großflächiger Einzelhandel, Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans, Gewerbegebiet, Regelvermutung, Darlegungslast, Städtebauliche Atypik, Städtebauliche Integration
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25870

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung eines Discountmarktes auf dem Grundstück Fl.-Nr. … der Gemarkung … Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet West“, der als Art der baulichen Nutzung „GE“ festsetzt. Ein im Rahmen des vorliegenden Baugenehmigungsverfahrens von der Klägerin angestoßenes Bauleitplanverfahren zur Änderung dieser Festsetzung in „Sondergebiet“ wurde nicht weiterbetrieben.
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Auf dem Baugrundstück waren mit Bescheid vom 12.05.2009 (Az. …) drei Verkaufsflächen genehmigt worden (A …-Markt: 778,55 m², B …-Markt 399,78 m², C …-Werksverkauf 88,21 m²). Nach Aufgabe des B …-Marktes will die Klägerin dessen Fläche als Fläche für den A …-Markt nutzen.
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Mit Bauantrag vom 23.08.2021 beantragte die Klägerin die baurechtliche Genehmigung zur Erweiterung eines Discounters. Die Gemeinde … erteilte ihr Einvernehmen mit Beschluss vom 19.10.2021.
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Die Klägerin wurde zu einer beabsichtigten Ablehnung des Bauantrags angehört. Sie legte eine Auswirkungsanalyse vom 20.01.2022 vor, um die Annahmen des Landratsamts zu widerlegen. Nach Beurteilung durch die Höhere Landesplanungsbehörde wurde der Klägerin mitgeteilt, dass das Vorhaben weiterhin planungsrechtlich nicht zulässig sei. Ihr Prozessbevollmächtigter wies mit Schreiben vom 11.07.2022 darauf hin, dass bereits ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb vorliege, weil die drei Geschäfte A …-, B …-Markt und C …-Werksverkauf zusammenzurechnen seien.
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Mit Bescheid vom 20.12.2022 wurde der Bauantrag abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass durch das Vorhaben ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb entstehe mit nicht nur unwesentlicher städtebaulicher Auswirkung. Die Verkaufsfläche des Discounters überschreite 800 m². Das Vorhaben wirke sich durch die Geschossfläche von mehr als 1.200 m² gemäß der Regelvermutung des § 11 Abs. 3 BauNVO auf die Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich aus. Es bedürfe der Festsetzung eines Sondergebiets. Zudem stehe das Vorhaben dem Ziel des LEP entgegen. Gemäß LEP-Ziel 5.3.2 gehe es insbesondere darum, Flächen an einem städtebaulich integrierten Standort auszuweisen. Auch liege nicht bereits eine Großflächigkeit im Bestand vor, weil eine Zusammenrechnung der Verkaufsflächen nicht stattfinde. Dies sei von der Landesplanungsbehörde mit Schreiben vom 29.08.2022 bestätigt worden.
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Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.01.2023, eingegangen bei Gericht am 13.01.2023, erhob die Klägerin Klage gegen den Bescheid. Die bereits vorhandene Einzelhandelsnutzung im „Gewerbepark“ würde schon jetzt den Eindruck eines Einkaufszentrums bzw. eines Sondergebiets „Großflächiger Einzelhandel“ vermitteln. Der D …-Markt und der E … seien großflächig. Auch das bestehende Gebäude der Klägerin stelle bereits für sich einen großflächigen Einzelhandelsstandort dar: der A …-Markt habe eine Verkaufsfläche von 833 m², der ehemalige B …-Markt eine Verkaufsfläche von 430 m² und der C …-Markt eine Verkaufsfläche von 103 m². Die Verkaufsfläche sei daher insgesamt schon über 1.300 m². Selbst bei isolierter Betrachtung des A …-Lebensmittelmarkts wäre die Schwelle der Großflächigkeit von 800 m² bereits überschritten, weil zur Verkaufsfläche alle von Kunden betretbare Bereiche, in denen die Waren angeboten werden, Kassenzonen, Pack- und Entsorgungszonen sowie der Windfang mit zu berücksichtigen seien. Der genehmigte A …-Markt habe bereits eine maßgebliche Verkaufsfläche von 833 m². Der Beklagte gehe zu Unrecht von 1.771 m² Verkaufsfläche aus. Da es vorliegend nur um eine Verschiebung eines bereits bestehenden großflächigen Einzelhandelsbetriebs gehe, hätte der Beklagte im Rahmen einer zu treffenden Prognoseentscheidung über schädliche Auswirkungen i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO berücksichtigen müssen, dass sich die Einzelhandelsstruktur und der Wettbewerb auf diesen großflächigen Einzelhandelsbetrieb bereits eingestellt hätten. Zudem sei die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO widerlegbar. Die Vermutung werde hier bereits durch die Baugenehmigung vom 12.05.2009 widerlegt, mit der die Geschossfläche von über 1.200 m² genehmigt wurde. Zudem widerlege die vorgelegte Auswirkungsanalyse die Vermutung.
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Im Plangebiet sei bereits zum Teil großflächiger Einzelhandel vorhanden. Zudem würden die im Bestand vorhandenen Einzelhandelsnutzungen den Eindruck eines Einkaufszentrums bzw. eines Sondergebiets „Großflächiger Einzelhandel“ vermitteln. Es gebe kein produzierendes Gewerbe.
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Die Klageseite ergänzte ihren Vortrag mit Schreiben vom 27.02.2025: der Hinweis auf das Ziel 5.3.2 im LEP durch die Höhere Landesplanungsbehörde gehe an der Sache vorbei, weil sich diese Ziffer auf Flächenausweisungen im Rahmen einer Bauleitplanung beziehe, um die es hier aber nicht gehe. Vor Ort befinde sich u.a. ein großflächiger D …-Lebensmittel- und Getränkemarkt sowie ein großflächiger E …-Discount-Markt. Der Einzelhandelsstandort „Gewerbegebiet“ diene der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung von … Der Bebauungsplan sehe die Anbindung zum nächstgelegenen Wohngebiet über einen Geh- und Radweg ausdrücklich vor, der auch tatsächlich erstellt wurde. Die Gemeinde … biete ihren BürgerInnen sogar ein „BürgerMobil“. Durch die Zulassung großflächiger Einzelhandelsbetriebe im Rahmen ihrer Bauleitplanung habe die Gemeinde faktisch nachgewiesen, dass geeignete städtebaulich integrierte Standorte aufgrund der topografischen Gegebenheiten in anderen Lagen der Gemeinde nicht vorlägen (Ziel 5.3.2 Satz 2 Spiegelstrich 2 LEP). Das IMS der Obersten Baubehörde vom 19.08.2002 sei längst überholt und auf der Homepage auch gar nicht mehr abrufbar. Es sei zur überkommenden Rechtsprechung des Bundeverwaltungsgerichts zur Festlegung der Großflächigkeitsschwelle auf 700 m² ergangen. Zudem sei von einem atypischen Fall auszugehen, weshalb es auf einen städtebaulich integrierten Standort nicht ankomme. Bei dem verfahrensgegenständlichen „Gewerbegebiet“ handele es sich im Übrigen um ein faktisches Sondergebiet mit großflächigen Einzelhandelsbetrieben, so dass wohl ein Zielabweichungsverfahren nach § 4 Abs. 1 BayLplG geboten wäre. Zudem wurde auf die geplante Neufassung des § 11 Abs. 3 BauNVO verwiesen. Durch die vorgeschlagene Ergänzung habe die Bundesregierung auf die im Bereich des Lebensmittelhandels bestehenden Besonderheiten reagiert. Durch die Anforderungen der Kunden würden für den Lebensmitteleinzelhandel mit Nahversorgungsfunktion höhere Flächenbedarfe resultieren, die keine negativen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche haben. Den erhöhten Kundenanforderungen wolle die Klägerin mit der Verkaufsflächenerweiterung gerecht werden. Die reflexartigen Bedenken der Behörde, wonach bei einer Überschreitung der Großflächtigkeitsschwelle „automatisch“ negative Auswirkungen zu erwarten sind, würden sich verbieten. Das Bundesbauministerium habe erkannt, dass im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels die bisherige Systematik der Vermutungsregel nicht mehr sachgerecht sei. Umso mehr müsse es der Klägerin ermöglicht werden, sich zu erweitern, zumal mit der Verkaufsflächenerweiterung keine Flächenausweisung i.S.d. Ziels 5.3.2 LEP bzw. eine bauliche Vergrößerung des vorhandenen Verkaufsgebäudes verbunden sei.
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Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 20.12.2022 aufzuheben und des Beklagten zur verpflichten, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für die Erweiterung des bestehenden Discount-Marktes auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … ( …, …) zu erteilen.
Hilfsweise: Den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung des bestehenden Discount-Marktes auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … ( …, …) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Klägerseite auf eine bereits genehmigte Verkaufsfläche von 833 m² des A …-Marktes komme. Die Schwelle zur Großflächigkeit werde im Bestand des A …-Marktes nicht überschritten. Die Auswirkungsanalyse könne die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht widerlegen. Nach Stellungnahme der Höheren Landesplanungsbehörde könne eine Widerlegung der Regelvermutung allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Standort städtebaulich integriert sei. Auf ein Schreiben der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 19.08.2022 werde verwiesen. Ein städtebaulich integrierter Standort liege nicht vor.
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Der Bebauungsplan lege die Art der baulichen Nutzung fest. Zudem befänden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans auch ein produzierendes Gewerbe, ein Autohof, ein Schrottplatz und mehrere Lagerhallen. Vom Gesamteindruck eines Einkaufszentrums oder eines Sondergebiets „Großflächiger Einzelhandel“ könne keine Rede sein. Nur der E … überschreite mit seiner Verkaufsfläche die 800 m²-Schwelle um ca. 30 m³. Hieraus könne die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung herleiten.
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Am 20.02.2025 ergänzte die Beklagte ihre Ausführungen unter Vorlage einer aktuellen Stellungnahme der Höheren Landesplanungsbehörde. Diese führt aus, dass der Standort nicht das Kriterium der „Lage in der Gemeinde“ (Ziel 5.3.2 LEP) erfülle; die fußläufige Entfernung vom Vorhabenstandort bis zum Beginn der nächstgelegenen Wohnbebauung, die sich in östlicher Richtung befinde, betrage rund 750 m, so dass von einem anteiligen fußläufigen Einzugsbereich nicht ausgegangen werden könne. Der Standort im Gewerbegebiet sei westlich der A., an das sich in östlicher Richtung ein weiteres Gewerbegebiet anschließe bevor die Wohnbebauung beginne. Es liege daher keine Lage innerhalb eines baulich verdichteten Siedlungszusammenhangs mit wesentlichen Wohnanteilen oder direkt angrenzend vor. Auch sei keine ortsübliche Anbindung an den ÖPNV gegeben. Die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 BauNVO werde durch das vorgelegte Gutachten nicht widerlegt. Das Gutachten stelle unter Punkt 3 „Mikrostandortanalyse“ selbst fest: „Der Vorhabenstandort…ist aus städtebaulicher Sicht in Summer aller Faktoren… nicht als städtebaulich integriert im Sinne des LEP einzustufen“. Auf das IMS der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 19.08.2002 wurde verwiesen, wonach die Möglichkeit die Regelvermutung zu widerlegen, bei Einzelhandels-Vorhaben an nicht städtebaulich integrierten Standorten nicht eröffnet sei.
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Am 16.12.2024 führte die beauftragte Richterin einen Augenschein durch. Auf das Protokoll des Ortstermins wird verwiesen.
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Im Rahmen des Augenscheins verzichteten die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung. Im Hinblick auf noch zu wechselnde Schriftsätze wurde mit den Beteiligten vereinbart nicht vor Ende Februar 2025 zu entscheiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

I.
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Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig, aber unbegründet.
18
Der Bescheid vom 20.12.2022 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung, weil die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) nicht vorliegen. Dem Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Für das Bauvorhaben – „Erweiterung eines Discountmarktes“ durch Nutzungsänderung von vorhandenem Gebäude – ergibt sich der Prüfungsmaßstab aus Art. 60 BayBO, weil gemäß Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 BayBO das geplante Vorhaben einen Sonderbau darstellt.
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Das Vorhaben verstößt gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften.
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1. Für den Vorhabenstandort besteht der qualifizierte Bebauungsplan „Gewerbegebiet West“ vom 10.09.2000, der als Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet (GE) festsetzt. Grundsätzlich zulässig sind darin Gewerbebetriebe aller Art (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Baunutzungsverordnung – BauNVO). Der Bebauungsplan ist wirksam, er ist insbesondere nicht dadurch funktionslos geworden, weil sich südlich vom Vorhabenstandort ein D …- und ein E …-Markt befinden, die nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerseite beide die Schwelle der Großflächigkeit überschreiten. Diese Schwelle setzt das Bundesverwaltungsgericht bei einer Verkaufsfläche von über 800 m² an (BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 10.04 – juris). Die Klägerseite verweist darauf, dass der E …-Discountmarkt eine Verkaufsfläche von 830 m² aufweist und der D …-Markt entgegen der genehmigten getrennten Verkaufsflächen für Lebensmittel und für Getränke in der Realität eine einzige Verkaufsfläche hat.
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Für die Annahme der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans gelten strenge Anforderungen; Bebauungspläne werden nur in äußerst seltenen Fällen funktionslos. Die Annahme der Funktionslosigkeit eines Bebauungsplanes setzt voraus, dass bei einer Gesamtbetrachtung die Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht mehr in der Lage sind, die städtebauliche Entwicklung zu steuern (BVerwG, B.v. 11.12.2000 – 4 BN 58/00 –; OVG Lüneburg, U.v. 16.11.2004 -9 KN 249/03 – mwN – jeweils juris).
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Die Beklagtenvertreter weisen darauf hin, dass sich der genehmigte Zustand des D …-Marktes durch bauaufsichtliches Einschreiten herstellen ließe. Der Umstand, dass der E …-Markt die Verkaufsflächengröße von 800 m² um 30 m³ überschreitet, führt für sich noch nicht zur Funktionslosigkeit des Bebauungsplans, der das gesamte Gewerbegebiet westlich der A. umfasst. Die Festsetzungen sind weiterhin in der Lage die städtebauliche Lage im Geltungsbereich zu ordnen. Andere Gründe für eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans wurden weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.
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2. Das Vorhaben der Klägerin widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung, weil ihm § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO entgegensteht. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO sind großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Solche – in Satz 2 der Vorschrift beispielhaft bezeichneten – Auswirkungen sind gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche – wie hier nach der Erweiterung deutlich – 1.200 m² überschreitet. § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO geht dabei in einer typisierenden Betrachtungsweise davon aus, dass bei großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit einer Geschossfläche von mehr als 1.200 m² Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung, insbesondere auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr und auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich dieser Betriebe eintreten können (vgl. BayVGH, B.v. 30.03.2020 – 9 ZB 18.1849; B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.177 – juris Rn. 23). Die Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO kann allerdings widerlegt werden gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO. Danach gilt die Regel des Satzes 3 nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bei mehr als 1.200 m² Geschossfläche nicht vorliegen; dabei sind in Bezug auf die in Satz 2 bezeichneten Auswirkungen insbesondere die Gliederung und die Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen.
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a. Durch das Vorhaben wird erstmals die Schwelle zur Großflächigkeit von 800 m² Verkaufsfläche überschritten.
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Die vorgelegten Planunterlagen aus den Jahren 2009 und 2021 sehen im Bestand für den A …-Markt eine Verkaufsfläche von 797,21 m² vor (778,55 m² Innenraumfläche und jeweils 9,33 m² für Ein- und Ausgangsbereiche). Weitere Flächen, die in die Verkaufsflächenberechnung mit einzubeziehen wären, wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
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Die Verkaufsfläche beläuft sich nach den vorgelegten Planungen künftig auf 1.212,05 m² (Innenraum 1.193,39 m² und jeweils 9,33 m² für Ein- und Ausgangsbereiche; die Flächenangaben variieren in den Planunterlagen unwesentlich). Da die Verkaufsfläche damit größer als 800 m² ist, ist die Schwelle zur Großflächigkeit – deutlich – überschritten (BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 10.04 – juris).
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Die Ausführungen der Klägerseite zur Annahme, die beantragte Erweiterung überschreite gerade nicht erstmalig die Schwelle der Großflächigkeit, gehen fehl.
28
Die Klägerseite führt hierzu zum einen aus, dass eine Verkaufsflächenaddition stattfinden müsse, weil eine großflächige Einzelhandelsagglomeration vorliege. Gemeint dürfte damit eine Zusammenrechnung der Verkaufsflächen des A …-Markts mit den in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen E …- und D …-Märkten sein wegen der Annahme eines faktischen Einkaufszentrums. Ein solches kann angenommen werden, wenn ein Mindestmaß an äußerlich in Erscheinung tretender gemeinsamer Organisation und Kooperation besteht, durch die eine Ansammlung mehrerer Betriebe zu einem planvollgewachsenen und aufeinander bezogenen Ganzen wird (BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 4 C 16.87). Hiervon kann vorliegend keine Rede sein, dies wurde im Ortstermin deutlich. Die in gegenseitiger Konkurrenz stehenden drei Märkte teilen sich nicht einmal die Parkplätze und stehen auch sonst in keinem Zusammenhang.
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Zum anderen führt die Klägerseite aus, dass die drei als Einzelmärkte genehmigten Flächen des ehemaligen B …-Markts, des A …-Markts und des urspl. als C …-Werksverkauf, jetzt als Filiale der F …versicherung genutzten Gebäudeteils, als faktisches Einkaufszentrum bzw. als Haupt- und Nebenbetriebe anzusehen seien. Aus den Unterlagen zur Baugenehmigung von 2009 ergibt sich jedoch diese einheitliche Betrachtung gerade nicht, vielmehr reduzierte die Klägerseite damals die Verkaufsfläche des A …-Marktes auf unter 800 m² um Großflächigkeit zu vermeiden. Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit eine gemeinsame Organisation und Kooperation der drei Märkte bestanden haben sollte. Alles was die drei Märkte aus maßgeblicher Kundensicht verband war neben der Situierung in einem Gebäude die Zufahrts- und Parkplatzsituation. Dies genügt aber nicht, um die drei Flächen als faktisches Einkaufszentrum anzusehen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker, 156. EL September 2024, BauNVO § 11 Rn. 50a).
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Es liegt auch kein Hauptbetrieb (A …-Markt) mit zwei Nebenbetrieben (B …-Markt und C …-Werksverkauf) vor, deren Flächen zusammenzurechnen wären. Hierfür bedürfte es eines räumlichen und betrieblich-funktionalen Zusammenhangs; das Hauptsortiment müsste durch Rand- oder Nebensortimente untergeordneter Bedeutung abgerundet werden (BVerwG, U.v. 24.11.2005 – 4 C 14.04 – juris). Der räumliche Zusammenhang liegt zwar aufgrund der Situierung innerhalb eines Gebäudes vor, jedoch konnten die drei Märkte unabhängig voneinander betrieben werden (eigene Eingänge, Lagerräume und Personalräume etc.), so dass diesem Aspekt das Gewicht genommen wird. Der B …-Markt und der C …-Werksverkauf waren in der Verkaufsfläche kleiner als der A …-Markt, von einer untergeordneten Bedeutung kann angesichts ihrer Flächengröße jedoch nicht ausgegangen werden (B …-Markt: 399,78 m², C …-Werksverkauf: 88,21 m², A …-Markt 797,21 m²). Maßgeblich gegen eine Zusammenrechnung spricht insbesondere der Umstand, dass aus Verbrauchersicht, das heterogene Sortiment eines B …-Marktes, das nach allgemeiner Lebenserfahrung neben Deko- und Partyartikeln i.d.R. auch Textilien, Schreibwaren, Spielzeug und Lebensmittel umfasst, das Sortiment eines A …-Markts nicht abrundet, sondern vielmehr danebensteht, teilweise auch in Konkurrenz tritt. Eine Funktionseinheit kann hier nicht angenommen werden. Auch der urspl. C …-Werksverkauf ist keine „abrundende Nebenleistung“ im Hinblick auf den A …-Markt. Der Werksverkauf steht im Zusammenhang mit der im Industriegebiet West von … gelegenen Zentrale des Betriebs und vertrieb die Ware direkt vom Händler.
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Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 21.02.2023 vorträgt, der bisherige A …-Markt verfüge bereits über eine Verkaufsfläche, folgt das Gericht dem nicht. Aus den genehmigten Planunterlagen aus dem Jahr 2009 ergibt sich eine Verkaufsfläche von 778,55 m² sowie je 9,33 m² für den Ein- und Ausgangsbereich, in der Summe also 797,21 m².
32
Selbst wenn man aber mit der Klägerseite annehmen wollte, dass aufgrund einer erforderlichen Zusammenrechnung bereits bisher eine Großflächigkeit bestanden habe – wovon das Gericht gerade nicht ausgeht – dann läge mit dem Sortiment des B …-Marktes bereits ein großer Anteil nicht nahversorgungsrelevanten Sortiments vor. Eine entsprechende Baugenehmigung wäre schon deshalb vermutlich rechtswidrig gewesen. Zudem würde eine solche „Vorbelastung“ keine Anhaltspunkte für die Widerlegung der Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO treffen, das geplante Vorhaben wäre daher auch in diesem Fall anhand des § 11 Abs. 3 BauNVO zu beurteilen, unabhängig davon, ob bereits zuvor Großflächigkeit vorlag und die Regelvermutung eingriff (vgl. BVerwG, B.v. 29.11.2005 – 4 B 72/05 – juris; VGH Mannheim, U.v. 13.7.2004 – 5 S 1205/03 – VBlBW 2005, 67; U.v. 12.8.2005 – 5 S 2363/04 – VBlBW 2006, 106; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker, 156. EL September 2024, BauNVO § 11 Rn. 53e; s.u.).
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b. Der geplante großflächige Einzelhandelsbetrieb hat nach der Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO schädliche Auswirkungen i.S.d. § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO. Die Regelvermutung greift ein, weil das Vorhaben 1.200 m² Geschossfläche überschreitet. Die Geschossfläche nach § 20 Abs. 3 BauNVO ist nach den Außenmaßen des Gebäudes in allen Vollgeschossen zu ermitteln. Es handelt sich vorliegend um ein einstöckiges Gebäude, dessen Außenmaße durch das geplante Vorhaben nicht verändert werden. Für die geplante Erweiterung des A …-Markts ergibt sich eine Geschossfläche von 1.656,45 m² (Hauptraum: 69,55m*23,45m = 1.630,95 m² plus Anlieferung). Daher ist i.S. einer typisierenden Betrachtungsweise ohne besondere Prüfung von Auswirkungen i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO auszugehen.
34
c. Nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO gilt die – widerlegbare – Vermutung des Satzes 3 nicht, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1.200 m² Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1.200 m² Geschossfläche nicht vorliegen. Bei dieser Prüfung sind insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen. Für Betriebe oberhalb der Größe von 1.200 m² ist der Bauantragsteller darlegungsbelastet für das Fehlen der Auswirkungen (BVerwG, U.v. 24.11.2005, 4 C 10.04 – juris).
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Die Prüfung der Atypik und der Auswirkungen erfolgt in zwei Schritten. Das Gericht folgt dabei den Ausführungen aus dem Leitfaden der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz (Leitfaden zum Umgang mit § 11 Abs. 3 BauNVO in Bezug auf Betriebe des Lebensmitteleinzelhandels vom 28.09.2017; im Folgenden: Leitfaden), der als sachverständig begründete fachliche Einschätzung im Rahmen seines in Nr. 1.2 beschriebenen Anwendungsbereichs als Orientierungshilfe bei der Handhabung des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO herangezogen wird (vgl. VGH B-W, U.v. 27.03.2018 – 3 S 201/17 – juris).
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In einem ersten Schritt erfordert die Widerlegung der Vermutungsregel, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte die Annahme gerechtfertigt erscheint, im betreffenden Fall handele es sich um ein Vorhaben, das aufgrund seines Betriebstyps oder der besonderen städtebaulichen Situation nicht zu dem Vorhabenstyp gerechnet werden kann, den der Verordnungsgeber dem § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zugrunde gelegt hat. Erst wenn die Vermutungsregel wegen des Vorliegens einer atypischen Fallgestaltung nicht eingreift, ist in einem zweiten Schritt im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls aufzuklären, ob der zur Genehmigung gestellte großflächige Einzelhandelsbetrieb gleichwohl im Einzelfall mit Auswirkungen der in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO genannten Art verbunden sein wird. Gelingt der Nachweis der städtebaulichen oder betrieblichen Atypik nicht, erübrigt und verbietet sich die Prüfung der Auswirkungen im Einzelfalls. Die Widerlegung der Regelvermutung kann damit zunächst nur über einen vorherigen Nachweis einer betrieblichen oder städtebaulichen Atypik erfolgen (BVerwG, B.v. 9.7.2002 – 4 B 14/02 – juris). Soweit die Klägerin sich zum Nachweis der Atypik auf die von ihr in Auftrag gegebene „Auswirkungsanalyse“ vom 20.01.2022 beruft, verkennt sie die Systematik des § 11 Abs. 3 Sätze 2 ff BauNVO. Der „Auswirkungsanalyse“ sind keine tragfähigen Anhaltspunkte für eine Atypik zu entnehmen.
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aa. Grundsätzlich nimmt die Rechtsprechung für Betriebe des Lebensmittelhandels – unabhängig davon, ob es sich um einen Vollsortimenter oder einen Discounter handelt – keine betriebliche Atypik an (vgl. hierzu Leitfaden, S. 8; VGH B-W, U.v. 12.07.2006 – 3 S 1726/05 – juris, Leitsatz). Aus dem von der Klägerseite vorgetragenen Umstand, die Einzelhandelsstruktur und der Wettbewerb hätten sich bereits auf den großflächigen Einzelhandelsbetrieb eingestellt, weil sich am Sortiment nichts ändern, sondern vielmehr nur die Präsentation des Warenangebots kundenfreundlicher gestaltet werde, ergibt sich nichts Anderes. Maßgeblich für die planungsrechtliche Beurteilung ist das Gesamtvorhaben in seiner geänderten (erweiterten) Gestalt. Gerade wenn durch die umstrittene Erweiterung in städtebaulicher Hinsicht ein „qualitativer Sprung“ eintritt, weil der Einzelhandelsbetrieb dadurch (erstmals) großflächig wird, verbietet sich die Betrachtungsweise der Klägerin. Ansonsten würde ein Einzelhandelsbetrieb, bei dem, würde er sogleich in seiner geänderten (erweiterten) Gestalt errichtet, keine atypische Situation gegeben sei, dadurch begünstigt, dass er „scheibchenweise“ verwirklicht und dabei mit einer Verkaufsfläche begonnen werde, bei der sich mangels Großflächigkeit die Frage städtebaulicher und/oder raumordnerischer Auswirkungen gar nicht stellt (BVerwG, B.v. 29.11.2005 – 4 B 72/05 – juris; VGH Mannheim, U.v. 13.7.2004 – 5 S 1205/03 – VBlBW 2005, 67; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Söfker, 156. EL September 2024, BauNVO § 11 Rn. 53e). Selbst wenn man mit der Klägerseite eine bereits bestehende, die Regelvermutung auslösende Verkaufs- und Geschossfläche im Bestand annehmen wollte – was das Gericht gerade nicht annimmt (s.o.) – hätte dies keinen Einfluss auf die Bewertung (vgl. VGH Mannheim, U.v. 12.8.2005 – 5 S 2363/04 – VBlBW 2006, 106).
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bb. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Lebensmitteleinzelhandels für die Sicherung einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung sind von großflächigen Lebensmitteleinzelhandelsbetrieben in größeren Gemeinden und Ortsteilen auch oberhalb der Regelvermutungsgrenze von 1.200 m² Geschossfläche aufgrund einer Einzelfallprüfung dann nicht zwingend negative Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung und den Verkehr anzunehmen, wenn der Flächenanteil für nicht nahversorgungsrelevante Sortimente weniger als 10 v.H. der Verkaufsfläche beträgt und der Standort verbrauchernah, hinsichtlich des induzierten Verkehrsaufkommens „verträglich“ sowie städtebaulich integriert ist (Leitfaden, S. 9).
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Städtebaulich integrierte Lebensmittelmärkte sind für die Wohnbevölkerung gut erreichbar und sichern mit ihren nahversorgungsrelevanten Hauptsortimenten die verbrauchernahe Grundversorgung der Bevölkerung. Um einen städtebaulich integrierten Standort kann es sich insbesondere bei folgenden Konstellationen handeln (Leitfaden S. 9 f):
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Die Lage eines Vorhabenstandorts innerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs kann ein gewichtiges Indiz für eine städtebauliche Atypik sein.
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Eine städtebaulich integrierte Lage kann insbesondere auch dann vorliegen, wenn sie räumlich an einen zentralen Versorgungsbereich angrenzt und diesen funktional ergänzt.
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In Ortsteilen, die über keinen zentralen Versorgungsbereich verfügen – bspw. In Großwohnsiedlungen der 1960 und 1970er Jahre – kann eine städtebaulich integrierte Lage auch in einem baulich verdichteten Siedlungszusammenhang mit wesentlichen Wohnanteilen liegen.
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Dem Vorhaben fehlt es am Merkmal des städtebaulich integrierten Standorts. Keines der von der Bauministerkonferenz genannten Indizien ist gegeben. Der Lebensmittelmarkt weist keinen räumlichen Bezug zu einer Wohnbebauung von wesentlichem Ausmaß im fußläufigen Bereich auf, zieht aufgrund der Entfernung zum Ortsrand allenfalls untergeordnet fußläufigen Kundenverkehr an und würde im Wesentlichen mit Kraftfahrzeugen angesteuert werden. Um von der nächsten Wohnbebauung, die rund 750 m entfernt liegt, zum Vorhabenstandort zu gelangen, muss der Kunde entlang der Bundesstraße B … am „Gewerbebiet West“ vorbei und die Autobahn A. (auf einer Brücke) überqueren. Entlang der Bundesstraße befindet sich – wie von der Klägerseite vorgetragen – zwar ein Geh- und Radweg. Dennoch geht das Gericht – mit der klägerischen Auswirkungsanalyse (S. 30) – nach den Erkenntnissen des Augenscheins und unter Berücksichtigung der beschriebenen ländlichen Gegebenheiten nicht von einem nennenswerten fußläufigen Einzugsbereich aus. Auch ist der Standort mit dem ÖPNV nicht zu erreichen. Die Klägerin verweist zwar darauf, dass es ein BürgerMobil gebe. Dieses kann jedoch nicht als Ersatz für einen regelmäßig verkehrenden ÖPNV angesehen werden. Das BürgerMobil holt nach Ankündigung – laut Gemeindeblatt spätestens einen Tag im Voraus – die Mitfahrenden ab und bringt sie zur gewünschten Adresse innerhalb des Gemeindegebiets. Die Gemeinde, in deren Gebiet das Vorhaben geplant ist, hat nur etwa 4.500 Einwohner (S. 6 der Auswirkungsanalyse), das Vorhaben mit 1.656,45 m² Geschossfläche übersteigt den Schwellenwert der Regelvermutung hingegen deutlich. Die Bauministerkonferenz führt hierzu aus, dass je deutlicher die Regelgrenze von 1.200 m² Geschossfläche überschritten wird, die Vermutungsregelung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zum Tragen kommt (Leitfaden, S. 7), zumal es sich um eine eher kleine Gemeinde handelt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass das Konzept des Vorhabens nicht nur auf die Versorgung der Standortgemeinde abzielt. Vielmehr sollen auch Kunden aus weiteren Gemeinden angesprochen werden. Die Auswirkungsanalyse prognostiziert ein relevantes Kaufkraftvolumen von 17,2 Mio EUR in der Kernzone I (=Gemeinde … und …) und von 21,5 Mio relevantes Kaufkraftvolumens aus Kernzone II (=Nachbargemeinden) (S. 26). Eine Unterversorgung der Gemeinde ist nicht ersichtlich. Die klägerische „Auswirkungsanalyse“ geht dementsprechend selbst davon aus, dass der Vorhabenstandort nicht städtebaulich integriert sei (S. 14 der Auswirkungsanalyse). Irrelevant für die Bewertung ist der Umstand, dass … derzeit in zentraler Lage kaum über nahversorgungsrelevanten Handel verfügt. Es gibt dort lediglich noch einen Bäcker. Sinn und Zweck des § 11 Abs. 3 BauNVO ist jedoch nicht nur die Sicherung des Erhalts, sondern auch die Sicherung der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche (BVerwG, U.v. 17.12.2009, 4 C 2.08 – juris Rn. 8). Bei dem Vorhaben handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um ein Musterbeispiel eines vom Gesetzgeber angedachten Vorhabens nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, das in einem Kern- oder Sondergebiet zulässig sein kann, nicht jedoch in einem Gewerbegebiet.
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Unter Berücksichtigung der Gliederung und der Größe der Gemeinde, der Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und des Warenangebots des Betriebssind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO widerlegt ist.
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d. Soweit die Klägerin auf den Gesetzesentwurf vom 04.09.2024 „Gesetz zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung“ und die darin geplante Änderung der BauNVO hinweist, hat dies keine Auswirkungen auf die Einschätzung des Gerichts. Denn auch die geplante Änderung des § 11 Abs. 3 BauNVO setzt zum einen Voraus, dass der Standort städtebaulich integriert ist (Referentenentwurf S. 132), was er gerade nicht ist. Zum anderen scheitert die geplante Änderung derzeit wegen des Auseinanderbrechens der Ampelkoalition an der Diskontinuität. Das Gericht legt seiner Entscheidung nur in Kraft getretene Gesetze zu Grunde.
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e. Da dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, hat auch der auf Neuverbescheidung gerichtete Hilfsantrag keinen Erfolg.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.