Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.09.2025 – 6 ZB 24.1574
Titel:

Erschließungsbeitragsrecht, Anbaustraße, Anlagenbegriff, Natürliche Betrachtungsweise, Stichstraße, Aufklärungsrüge

Normenketten:
KAG Art. 5a
BauGB § 127 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 86 Abs. 1
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Anbaustraße, Anlagenbegriff, Natürliche Betrachtungsweise, Stichstraße, Aufklärungsrüge
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 09.04.2024 – M 28 K 22.4967
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25661

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. April 2024 – M 28 K 22.4967 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 27.060,00 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch
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Die beklagte Stadt zog die Klägerin mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 als Eigentümerin eines Anliegergrundstücks für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „Dukatenweg“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 27.060,00 € heran. Das nach erfolglosem Widerspruch angerufene Verwaltungsgericht hat die Klage gegen diesen Bescheid abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte habe die abgerechnete Erschließungsanlage zutreffend bestimmt. Diese sei rechtmäßig hergestellt worden, auch wenn sie teilweise hinter den Festsetzungen des Bebauungsplans zurückbleibe. Der angesetzte Erschließungsaufwand sei erforderlich. Die Anlage sei technisch ordnungsgemäß hergestellt worden.
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Die Zulassungsgründe, die von der Klägerin innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gegen das erstinstanzliche Urteil geltend gemacht worden sind und auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
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a) Nicht überzeugen können die Einwände der Klägerin gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe die abgerechnete Erschließungsanlage „Dukatenweg“ zutreffend bestimmt.
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Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BayVGH, U.v. 30.11.2016 – 6 B 15.1835 – juris Rn. 23; B.v. 5.2.2024 – 6 ZB 23.1545 – juris Rn. 9 m.w.N.) davon ausgegangen, dass sich die Frage, wie weit eine Straße als einzelne Erschließungsanlage (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) reicht und wo eine andere Verkehrsanlage beginnt, grundsätzlich nach dem Gesamteindruck beantwortet, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Straße als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder dem zeitlichen Ablauf von Planung und Bauausführung auszurichten, sondern, ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise, an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Straßenausstattung.
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Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht, gestützt auf die bei den Akten befindlichen Fotos, zu dem Ergebnis gelangt, dass die maßgebliche Erschließungsanlage durch den einheitlichen „L-förmig“ verlaufenden Straßenzug gebildet wird, der an der Südwestecke des Grundstücks FlNr. 484/2 beginnend etwa 100 m nach Norden führt, dann um eine 90°-Kurve nach Osten schwenkt und nach etwa 130 m in einem Wendehammer endet. Dazu gehört nach den gerichtlichen Feststellungen als unselbstständiger Bestandteil noch das kurze Teilstück „westlich von FlNr. 484/18“.
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Die mit dem Zulassungsantrag hiergegen vorgebrachten Einwände begründen keine ergebnisbezogenen Zweifel, denen in einem Berufungsverfahren nachzugehen wäre. Die 100-m-Regel, die das Verwaltungsgericht angesprochen und die Klägerin in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellt hat, kann für die Bewertung des „Ostteils“ (mit dem Wendehammer) nichts hergeben. Denn diese – richterrechtliche – Regel dient zur Beantwortung der Frage, ob eine Stichstraße (Sackgasse) schon eine selbstständige Anbaustraße bildet oder noch ein lediglich unselbstständiges Anhängsel und damit einen Bestandteil der (Haupt-)Straße, „von der sie abzweigt“. Grundsätzlich sind alle „abzweigenden Straßen“ als unselbstständig zu qualifizieren, die nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, d.h. (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn die Stichstraße bis zu 100 m lang und nicht abgeknickt ist oder sich verzweigt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 17.9.2020 – 6 ZB 20.1501 – juris Rn. 7; U.v. 14.12.2020 – 6 B 20.1619 – juris Rn. 20 m.w.N.). Der „Ostteil“ zweigt aber nicht von dem nach Norden verlaufenden Teilstück des Dukatenwegs ab. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr ausdrücklich und insoweit von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen festgestellt, dass es sich um einen einheitlichen, um eine 90°-Kurve geführten Straßenzug handelt, also gerade keine Hauptstraße mit abzweigender Stichstraße. Dass die östliche Teilstrecke nach der Kurve bis zum Wendehammer 130 m lang ist, ändert nichts an ihrer Zugehörigkeit zu einem einzigen (einheitlichen) L-förmigen Straßenzug. Dazu steht entgegen der Annahme der Klägerin nicht in Widerspruch, dass das Verwaltungsgericht den über 100 m langen „Südteil“ als eigene (weitere) selbstständige Erschließungsanlage eingestuft hat. Denn insoweit hat das Verwaltungsgericht ausschlaggebend darauf abgestellt, dass die beiden Erschließungsstraßen – durch eine dritte, nicht zum Anbau bestimmte Straße – voneinander getrennt sind (Rn. 19 des Urteils), also weder voneinander abzweigen noch eine durchgehende Erschließungsanlage bilden können. Auch insoweit kommt es also auf die 100-m-Regel nicht entscheidungserheblich an.
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b) Keinen Zweifeln begegnet die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Erschließungsanlage planungsrechtlich rechtmäßig hergestellt wurde, auch wenn sie im Kurvenbereich auf Höhe der Südwestecke des Anliegergrundstücks FlNr. 484/2 hinter den Festsetzungen des Bebauungsplans zurückbleibt. Das ist nach Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB unbeachtlich, weil die Planunterschreitung mit den Grundzügen der Planung – offenkundig – vereinbar ist. Den ausführlichen und überzeugenden Erwägungen im angegriffenen Urteil hält der Zulassungsantrag lediglich seine gegenteilige Bewertung entgegen. Der hinter den Festsetzungen zurückbleibende Kurvenausbau stellt aber ersichtlich weder die geplante Verkehrsfunktion in Frage noch gar ein Aliud gegenüber dem Bebauungsplan dar.
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den oben dargelegten Gründen auf der Grundlage der ständigen Senatsrechtsprechung ohne weiteres im Sinn des Verwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Ablauf des Vorverfahrens noch aus der Dauer für das Absetzen des Urteils.
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3. Die Berufung ist schließlich nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen der behaupteten Aufklärungsmängel zuzulassen. Die Klägerin rügt, das Urteil leide an einer unvollständigen Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil das Verwaltungsgericht die abgerechnete Anlage nicht in Augenschein genommen und kein Sachverständigengutachten zu den geltend gemachten Baumängeln an den Randsteinen eingeholt habe. Die behaupteten Verfahrensfehler sind bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt.
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Die Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese Feststellungen nach der maßgeblichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss grundsätzlich dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist. Hierfür ist ein Beweisantrag erforderlich, der förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen ist (BVerwG, B.v. 25.6.2012 – 7 BN 6.11 – juris Rn. 7). Wer die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl er – durch eine nach § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähige Person vertreten – in der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat, muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu bezeichnen, insbesondere substantiiert darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9 m.w.N; BayVGH, B.v. 14.3.2024 – 6 ZB 24.150 – juris Rn. 22).
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Diesen Darlegungsanforderungen ist die Klägerin nicht nachgekommen. Da ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls vom 9. April 2024 – im Nachgang zu seinen schriftsätzlich Beweisanregungen – keine entsprechenden förmlichen Beweisanträge (§ 86 Abs. 2 VwGO) gestellt hat, hätte dargetan werden müssen, warum sich dem Verwaltungsgericht nach seiner materiellen Rechtsauffassung eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Daran fehlt es. Das gilt insbesondere auch mit Blick auf die angeblich fehlerhaft gesetzten Randsteine. Denn selbst wenn der behauptete Baumangel vorliegen sollte, führt das nicht etwa automatisch zu einer Beitragsminderung, wie der vom Verwaltungsgericht zitierten Senatsrechtsprechung zu entnehmen ist (BayVGH, U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.192 – juris Rn. 24, vgl. auch Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 9 Rn. 14).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).