Titel:
Gewerbeuntersagung, Verwaltungsgerichte, Ratenzahlungsvereinbarung, Steuerrückstände, Vermögensauskunft, Maßgeblicher Zeitpunkt, Gewerberechtliche Zuverlässigkeit, Bescheiderlass, Zulassungsverfahren, Streitwertfestsetzung, Letzte Verwaltungsentscheidung, Steuerliche Erklärungspflichten, Ernstliche Zweifel, Unzuverlässigkeit, Selbständiger Gewerbetreibender, Rechtsmittelführer, Finanzamt, Kostenentscheidung, Ungeordnete Vermögensverhältnisse, Gewerbliche Tätigkeit
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Steuerrückstände, Vermögensverhältnisse, Verhältnismäßigkeit, ultima ratio, Berufungszulassung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 23.07.2024 – M 16 K 23.3727
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25637
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. Juli 2024 – M 16 K 23.3727 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 25.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 22. Juni 2023 weiter.
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Mit diesem Bescheid wurde dem Kläger die selbständige Ausübung des Gewerbes „Wartung von Computern (gebraucht); Wartung von Computern (neu); Verkauf von Computern (neu); Wartung von Telefonen und/oder Mobiltelefonen und/oder Zubehör; An- und Verkauf von Computern (gebraucht)“ als selbständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt. Zur Begründung berief sich die Beklagte im Wesentlichen auf Steuerrückstände des Klägers beim Finanzamt in Höhe von 123.672,32 €. Zudem habe der Kläger ab dem 1. Quartal 2022 keine Umsatzsteuervoranmeldungen und für die Veranlagungszeiträume ab 2017 keine Umsatz- und Gewerbesteuererklärungen mehr abgegeben. Bei der Stadtkasse bestünden Forderungen in Höhe von 4.386,33 € gegen ihn. Freiwillige Zahlungen seien an die Stadtkasse nicht und an das Finanzamt nicht in erheblicher Höhe geleistet worden. Ratenzahlungsvereinbarungen lägen weder mit der Stadtkasse noch mit dem Finanzamt vor. Zudem belegten 22 Eintragungen jeweils mit dem Vermerk „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ im Schuldnerverzeichnis, dass sich der Kläger in ungeordneten Vermögensverhältnissen befinde und nicht nur leistungsunfähig, sondern auch leistungsunwillig sei.
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Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 22. Juni 2023 Klage zum Verwaltungsgericht München, die mit Urteil vom 23. Juli 2024, dem Kläger persönlich zugestellt am 2. August 2024, abgewiesen wurde.
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Mit am 2. September 2024 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom gleichen Tag hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt. Er hat diesen Antrag mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2024 begründet. Er macht neben den anderen in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründen in erster Linie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO hinreichend dargelegt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gesichtspunkte sprächen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.). Daran fehlt es vorliegend.
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Bezüglich der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass er bei Bescheiderlass erhebliche Steuerrückstände beim Finanzamt gehabt habe und nach keinem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeite. Eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt habe nicht bestanden. Zudem sei er seinen steuerlichen Erklärungspflichten nicht nachgekommen. Unabhängig davon rechtfertige sich die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers allein aufgrund der Vielzahl von Eintragungen im Schuldnerverzeichnis wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft im Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Der Kläger sei freiwillig nicht bereit, seine ihm im Vollstreckungsverfahren obliegende Pflicht, seinen Gläubigern den notwendigen Überblick über seine Vermögensverhältnisse zu verschaffen, zu erfüllen. Sein Vortrag, die den Eintragungen zugrundeliegenden Forderungen seien teilweise bereits bezahlt, die Steuerrückstände beruhten auf Schätzungen und würden sich nach Abgabe der Steuererklärung wesentlich reduzieren, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Die Forderungen seien aber teilweise erst nach Bescheiderlass getilgt und Anträge auf Ratenzahlungsvereinbarungen erst nach Bescheiderlass gestellt worden.
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Demgegenüber bringt der Kläger im Zulassungsverfahren vor, dass er gewerberechtlich zuverlässig sei. Durch die verfahrensgegenständlichen Verbindlichkeiten bei der Staatskasse sowie die Eintragungen im Vollstreckungsportal trete die notwendige Gefährdung von Rechtsgütern nicht ein. Die Untersagung setze eine Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten voraus. Bereits deshalb sei die Gewerbeuntersagung rechtswidrig. Sie sei jedenfalls unverhältnismäßig. Die Gewerbeuntersagung sei auch nicht ultima ratio gewesen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Prognose vorliegend positiv ausfalle. Der Kläger zahle wöchentlich 500 €, um die Verbindlichkeiten beim Finanzamt zu tilgen. Für die den Eintragungen im Schuldnerregister zugrundliegenden Verbindlichkeiten bestünden Ratenzahlungsvereinbarungen; einige seien bereits beglichen.
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Dieses Vorbringen genügt den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
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1.1 Soweit der Kläger vorträgt, die Gewerbeuntersagung sei rechtswidrig, weil durch die verfahrensgegenständlichen Verbindlichkeiten bei der Staatskasse und aufgrund der Eintragungen im Vollstreckungsportal die notwendige Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten nicht eintrete, trifft dies nicht zu. Die von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand wie z.B. durch die unberechtigte Vorenthaltung von Steuern gefährdet ist (BayVGH, B.v. 7.11.2024 – 22 ZB 24.1528 – juris Rn. 13; Brüning in Pielow, BeckOK GewO, Stand 1.12.2024, § 35 Rn. 35). Dass der Kläger nach wie vor erhebliche Rückstände bei der Stadtkasse und beim Finanzamt hat, bestreitet er im Rahmen seines Zulassungsvorbringens nicht. Er verweist lediglich auf eine – in der Sache an sich begrüßenswerte – wöchentliche Tilgung von 500 € der Verbindlichkeiten beim Finanzamt, ohne darzulegen, in welchem Umfang dies schon zur Reduzierung des Rückstands in Höhe von 123.672,32 € (Stand Juni 2023) geführt hat bzw. in welcher Höhe der derzeitige Rückstand besteht. Im Übrigen erfolgte eine etwaige Rückstandsminderung nach dem Bescheiderlass als maßgeblichem Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Klägers (s.u. 1.2).
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1.2 Auch der Einwand des Klägers, dass die Gewerbeuntersagung in seinem Fall nicht die ultima ratio gewesen sei, führt nicht zur Zulassung der Berufung. Der Kläger hat im Zulassungsverfahren nicht aufgezeigt, dass eine mildere, gleich geeignete Maßnahme als die Gewerbeuntersagung zur Verfügung gestanden hätte, um künftig das Entstehen von Steuer- und Gebührenrückständen zu vermeiden. Eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Finanzamt bestand vor Bescheiderlass nicht, seinen steuerlichen Erklärungspflichten ist der Kläger über Jahre hinweg nicht nachgekommen. Auch setzt sich der Kläger mit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Untersagungsbescheides ankomme, nicht auseinander. Erst nach dem Erlass des Bescheides zugunsten des Gewerbetreibenden eingetretene Umstände führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Gewerbeuntersagung. Sie sind vielmehr in einem Wiedergestattungsverfahren zu berücksichtigen (BayVGH, B.v. 3.8.2023 – 22 ZB 22.2032 – juris Rn. 16 m.w.N.).
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1.3 Soweit sich der Kläger auf die Unverhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung beruft, ist darauf hinzuweisen, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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2. Zu den weiter angeführten Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 5 VwGO enthält die Zulassungsbegründung keine weiteren Ausführungen, so dass sich ein Eingehen auf deren Vorliegen erübrigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2025.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).