Titel:
Immissionsschutzrechtliches Einschreiten gegen Rinderstall
Normenketten:
BImSchG § 24
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
Leitsätze:
1. Bezieht sich das Vorbringen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hinsichtlich einer Tatsachenfeststellung auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung, kommt eine Zulassung der Berufung nicht schon dann in Betracht, wenn die bloße Möglichkeit einer abweichenden Sachverhaltswürdigung und dem folgend einer abweichenden rechtlichen Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht besteht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen Denkgesetze verstoßen (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO), wenn es nach Meinung des Rechtsmittelführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abstand eines Rinderstalls zur Wohnbebauung, Kaltluftentstehungsgebiet, richterliche Überzeugungsbildung, Immissionsschutzrechtliche Anordnung, Geruchsimmissionen, Mindestabstand zu Wohnhaus, Tatsachenwürdigung, Verstoß gegen Denkgesetze
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 15.02.2024 – RN 7 K 19.2530
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25636
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Februar 2024 – RN 7 K 19.2530 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin verfolgt mit ihrem Zulassungsantrag ihre in erster Instanz erfolglose Klage weiter, die darauf gerichtet war, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 6. November 2018 zur Neuverbescheidung ihres Antrags auf Erlass einer immissionsschutzrechtlichen Anordnung gegen den Beigeladenen bezüglich seiner Rinderstallung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
2
Mit dem Bescheid vom 6. November 2018 hat das Landratsamt den Antrag der Klägerin auf immissionsschutzrechtliches Einschreiten gemäß § 24 BImSchG abgelehnt, weil sie keinen Anspruch habe, da es bereits an schädlichen Umwelteinwirkungen fehle.
3
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 15. Februar 2024, dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 3. Juli 2024, abgewiesen.
4
Mit ihrem fristgerecht (1.8.2024) eingegangenen und begründeten (3.9.2024) Antrag auf Zulassung der Berufung hat die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sowie besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache geltend gemacht.
5
Der Beklagte und der Beigeladene sind dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
6
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
7
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung der Klägerin, auf deren Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht ergibt, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung gegeben sind.
8
1. Die Klägerin macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, die jedoch nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt sind.
9
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit der Entscheidung gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
10
1.1 Die Klägerin begründet die geltend gemachten ernstlichen Zweifel damit, dass das Verwaltungsgericht keine besonderen Umstände annehme, aufgrund derer die Klägerin trotz Einhaltung des in den Arbeitspapieren des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ vorgesehenen Mindestabstandes zwischen der Rinderstallung des Beigeladenen und ihrem Wohnhaus unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt sei. Dabei finde keine Berücksichtigung, dass der Abstand „auf Kante genäht“ sei. Gänzlich falsch sei die Interpretation der Aussage eines Vertreters des Beklagten, dass „vieles dafür spreche“, dass hangaufwärts wegen der Bewaldung der Fläche kein Kaltluftentstehungsgebiet vorliege. Dies habe der Vertreter des Beklagten so nicht behauptet. Bei bewaldeten Flächen könne allenfalls tendenziell weniger Kaltluft entstehen. Bei Nachtzeit sowie wolkenlosem Himmel könne diese dagegen auch bei bewaldeten Flächen auftreten.
11
Zusätzlich gehe das Verwaltungsgericht mit keinem Wort auf die hochproblematische Oberflächenentwässerung und die festgestellte Geruchsentwicklung ein. Auch und gerade in Zusammenschau mit den Geruchsbelästigungen durch die Oberflächenentwässerung hätte das Verwaltungsgericht besondere Umstände annehmen müssen, dass die Klägerin trotz Einhaltung des Mindestabstandes unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt sei.
12
1.2 Dazu hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Klägerin durch die Rinderstallung keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt sei, weil unter Berücksichtigung der Arbeitspapiere des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ der erforderliche Mindestabstand zum Wohnhaus der Klägerin (mindestens 55,3 m bei den ermittelten 176 Großvieheinheiten) eingehalten und somit von keinen unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen auszugehen sei. Es lägen auch keine besonderen Umstände vor, die trotz Einhaltung des Mindestabstands dafür sprächen, dass die Klägerin unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt sei. Es sei auch nicht von einem geringeren Abstand auszugehen, weil vieles dafür spreche, dass hangaufwärts kein Kaltluftentstehungsgebiet vorliege, da sich westlich des Beigeladenengrundstücks ein Wald befinde. In der mündlichen Verhandlung habe der Beklagtenvertreter in nachvollziehbarer Weise erläutert, weshalb kein Kaltluftentstehungsgebiet in der näheren Umgebung zur Rinderstallung und zum Wohnhaus der Klägerin bestehe. Insbesondere sei ausgeführt worden, dass unter Berücksichtigung der VDI-RL 3787 Kaltluft nur unter besonderen Gegebenheiten entstehe. Kaltluftabflüsse entstünden demnach zur Nachtzeit bei niedriger Windgeschwindigkeit und wolkenlosem Himmel. Bei bewaldeten Flächen entstehe tendenziell weniger Kaltluft.
13
Darüber hinaus enthalte die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. September 2014 für die Erweiterung der Rinderstallung Nebenbestimmungen mit emissionsmindernden Maßnahmen. Hiernach sei der Beigeladene verpflichtet, das anfallende Stallabwasser der bestehenden Güllegrube zuzuleiten sowie das anfallende Oberflächen- und Niederschlagswasser entsprechend den Bauvorlagen und nicht auf Nachbargrundstücke abzuleiten. Schließlich sei untersucht worden, ob das Ableiten des Oberflächenwassers Auswirkungen auf die Geruchsbeeinträchtigung am klägerischen Anwesen haben könnte. Im Rahmen eines Tekturverfahrens seien vom Beigeladenen Nachweise zum Oberflächenwasser gefordert worden, da u.a. das Regenrückhaltebecken vergrößert werden solle.
14
1.3 Mit ihrem Vorbringen hat die Klägerin weder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Gerichtes noch einen tragenden Rechtssatz mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass durch den Abstand des Wohnhauses der Klägerin von der Rinderstallung des Beigeladenen sichergestellt ist, dass das Wohnhaus der Klägerin keinen unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt ist. Die Berechnung des Mindestabstandes greift die Klägerin nicht an. Sie wendet sich allein gegen die vom Verwaltungsgericht nicht angenommenen, ihrer Ansicht nach aber vorhandenen besonderen Umstände. Insoweit legt sie aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dar. Die Würdigung der Angaben des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht dahingehend, vieles spreche dafür, dass hangaufwärts kein Kaltluftentstehungsgebiet vorhanden sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Einen Fehler in der Überzeugungsbildung des Gerichts zum Vorhandensein eines Kaltluftentstehungsgebiets hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Bezieht sich das Vorbringen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel – wie hier – hinsichtlich einer Tatsachenfeststellung auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung, kommt eine Zulassung der Berufung nicht schon dann in Betracht, wenn die bloße Möglichkeit einer abweichenden Sachverhaltswürdigung und dem folgend einer abweichenden rechtlichen Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht besteht (OVG Bremen, B.v. 26.7.2024 – 1 LA 450/21 – juris Rn. 20; NdsOVG, B.v. 18.6.2024 – 10 LA 10/24 – juris Rn. 8 m.w.N.). Die Freiheit richterlicher Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) findet ihre Grenzen im anzuwendenden Recht und dessen Auslegung sowie in Bestimmungen, die den Vorgang der Überzeugungsbildung leiten (BVerwG, U.v. 22.5.2019 – 1 C 11.18 – juris Rn. 27). Eine Sachverhalts- oder Beweiswürdigung kann deshalb nur erfolgreich angegriffen werden bei der Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Rechtsmittelführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (BVerwG, B.v. 14.7.2010 – 10 B 7.10 – juris Rn. 4). Allein mit dem Vortrag der Klägerin, die Aussage des Verwaltungsgerichts zu den Kaltluftentstehungsgebieten sei spekulativ, lässt sich daher der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel nicht darlegen. Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Sachverhaltswürdigung auf die Angaben des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, wonach bei bewaldeten Flächen tendenziell weniger Kaltluft entstehe, und auf die Feststellungen beim Ortstermin, wonach hangaufwärts Wald vorhanden sei, gestützt. Zudem hat es darauf Bezug genommen, dass Kaltluftentstehungsgebiete von bestimmten meteorologischen Bedingungen abhängen. Wenn die Klägerin unter Bezugnahme auf die Äußerungen des Vertreters des Beklagten vorbringt, es könne dennoch Kaltluft entstehen, so fehlt es an jeglicher Darlegung, dass die hierfür erforderlichen Bedingungen im fraglichen Bereich derart häufig auftreten, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts „schlechthin unmöglich“ ist.
15
Auch wenn man das Vorbringen der Klägerin auch ohne entsprechende Bezeichnung als Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verstehen wollte, hätte sie damit keinen Erfolg. Denn dann gälte gleichermaßen, dass eine Zulassung der Berufung nur in Betracht käme, wenn das Verwaltungsgericht einen schlechthin unmöglichen Schluss gezogen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 14.7.2010 – 10 B 7.10 – juris Rn. 4).
16
Die Behauptung der Klägerin, das Verwaltungsgericht sei mit keinem Wort auf die problematische Oberflächenentwässerungssituation eingegangen, trifft schon nicht zu. Die entsprechenden Ausführungen hierzu finden sich im Urteil auf S. 10 und S. 11. Zudem ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht, inwieweit die Niederschlags- bzw. Oberflächenentwässerung auf dem Grundstück des Beigeladenen zu den Geruchsbeeinträchtigungen am klägerischen Grundstück beitragen sollte. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, hat der Beklagte mit der Forderung nach einer Tekturplanung für die Oberflächenentwässerung entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um insoweit Abhilfe zu schaffen.
17
2. Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat die Klägerin bereits nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügend dargelegt.
18
Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes sind konkrete entscheidungserhebliche tatsächliche bzw. rechtliche Fragen in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu benennen. Es muss ausgeführt werden, bei welchen Fragen und aus welchen Gründen die Rechtssache besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist. Die Darlegung besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten muss verdeutlichen, weshalb der Sachverhalt besonders unübersichtlich und/oder besonders schwierig zu ermitteln ist (vgl. zum Ganzen Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 68 ff.).
19
Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen zu den Kaltluftentstehungsgebieten und zur nur knappen Einhaltung des Mindestabstands und bringt vor, dass „das Gericht zentralen Fragen und Argumenten nicht nur hinreichend sogar unzureichend nachgegangen“ sei. Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten hat sie damit nicht aufgezeigt, weil sie nicht darlegt, dass die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet und sich wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt.
20
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen der Klägerin aufzuerlegen, da dieser einen Antrag gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 19.2 i.V.m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.
21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).