Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.09.2025 – 22 CS 25.1629, 22 AS 25.1634
Titel:

Anhörungsrügeverfahren, Aussetzung der Vollziehung, Verwaltungsgerichte, Entscheidungserhebliches Vorbringen, Rechtliches Gehör, Streitwertfestsetzung, Kostenentscheidung, Aufschiebende Wirkung, Beschwerdeverfahren, unrichtige Rechtsanwendung, Verwaltungsakt, Antragsgegner, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Beschwerdebegründung, Präsente Beweismittel, Nacherhebung, Rechtsmittelbegründung, Verfahrensbeteiligte, Anspruch auf rechtliches Gehör, Tatsachenvortrag

Schlagworte:
Anhörungsrüge, Rechtliches Gehör, Betriebsschließung, Prostitutionsgewerbe, Vollziehung, Beweismittel, Wirtschaftliche Existenz
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 06.08.2025 – 22 CS 25.1359
VG München, Beschluss vom 05.06.2025 – M 16 S 25.729
Fundstelle:
BeckRS 2025, 25633

Tenor

I. Die Verfahren 22 CS 25.1629 und 22 AS 25.1634 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
IV. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Die Verfahren 22 CS 25.1629 und 22 AS 25.1634 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2
Mit der Anhörungsrüge (22 CS 25.1629) gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs München vom 6. August 2025 (22 CS 25.1359) erstrebt die Antragstellerin die Fortführung des Beschwerdeverfahrens. Mit diesem Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 5. Juni 2025 zurückgewiesen.
3
Das Verwaltungsgericht hatte den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 24. November 2024 über die Versagung der Erlaubnis für das Prostitutionsgewerbe in D. mit Beschluss vom 5. Juni 2025 abgelehnt. Zur Begründung ihrer Beschwerde hatte die Antragstellerin vorgebracht, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung sei wegen unbilliger Härte geboten, insbesondere weil Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht ausgeschlossen werden könnten. Die Entscheidung beruhe auf einer Verletzung des Gebots der Waffengleichheit, weil der Antragstellerin die Akteneinsicht in Dokumente und Akten der Antragsgegnerin verwehrt worden sei. Damit sei das Recht der Antragstellerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die Antragsgegnerin bezwecke vorliegend nicht die Befriedigung bestandskräftiger Steuerforderungen, sondern die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Antragstellerin. Das Vorgehen der Finanzbehörde sei unzulässig, weil sie zunächst den Besteuerungssachverhalt hätte aufklären müssen und dann erst Schätzungsüberlegungen anstellen dürfte.
4
Im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. August 2025 finden sich Ausführungen zur fehlenden Glaubhaftmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Erlaubnis nach dem ProstSchG, zu den Schätzungsbescheiden und zur Betriebsuntersagung. Zudem wurde der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren Einsicht in die Behörden- und Gerichtsakten gewährt.
5
Ihre Anhörungsrüge begründet die Antragstellerin damit, dass das Gericht ihren Tatsachen- und Rechtsvortrag nicht zur Kenntnis genommen und seine Würdigung explizit auf vereinzelte Teile der Rechtsmittelbegründung unter Außerachtlassung präsenter Beweismittel beschränkt habe. Damit habe das Gericht den Vortrag der Antragstellerin, der sich mit dem angefochtenen Verwaltungsakt argumentativ auseinandersetze, weder zur Kenntnis genommen noch erwogen. Darüber hinaus habe das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte gestützt, die dem Vortrag der Antragstellerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht diametral zuwiderliefen und zu denen kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Es werde Akteneinsicht beantragt. Die angegriffene Entscheidung werde verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Sie lasse nicht erkennen, dass sich das Gericht mit dem Tatsachen- und Rechtsvortrag der Antragstellerseite auseinandergesetzt und diesen gewürdigt habe.
6
Zudem hat die Antragstellerin im Anhörungsrügeverfahren beantragt (22 AS 25.1634), die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 22. November 2024 über die Versagung der Erlaubnis für das Prostitutionsgewerbe in D. anzuordnen (§ 152a Abs. 6, § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vor einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren sei durch das öffentliche Interesse an der Vollziehung nicht gerechtfertigt. Es werde mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin den angefochtenen Verwaltungsakt am 21. August 2025 vollstreckt habe.
II.
7
1. Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
8
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat.
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Aus der Begründung der Anhörungsrüge wird nicht deutlich, welches Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 18. Juli 2025 der Senat in dem Beschluss vom 6. August 2025 nicht zur Kenntnis genommen haben und welche „präsenten Beweismittel“ er nicht berücksichtigt haben sollte.
10
Die Antragsgegnerin verweist zwar darauf, dass sich der der Senat nur mit einzelnen Teilen der Rechtsmittelbegründung auseinandergesetzt habe, legt aber nicht konkret dar, auf welches entscheidungserhebliche Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung sich dies bezieht. Der Vortrag der Antragstellerin beschränkt sich auf allgemeine Ausführungen zur Zulässigkeit und Begründetheit einer Anhörungsrüge.
11
Insoweit ist auf Folgendes hinzuweisen: Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B. v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 1.8.2022 – 22 AS 22.1270; B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.). Insbesondere schützt Art. 103 Abs. 1 GG nicht vor einer aus Sicht des Rügeberechtigten „unrichtigen“ Rechtsanwendung (vgl. BVerfG, B.v. 6.5.2010 – 1 BvR 96/10 – juris Rn. 28). Der Anspruch auf rechtliches Gehör vermittelt ferner keinen Schutz davor, dass ein Gericht aus Gründen des materiellen Rechts Parteivorbringen nicht weiter aufnimmt (vgl. BVerwG, B.v. 19.7.2017 – 8 C 8.17 – juris Rn. 3 m.w.N.); in seiner Entscheidung kann sich das Gericht auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2021 – 1 B 19.21 – juris Rn. 3). Ein Gehörsverstoß liegt nicht deshalb vor, wenn das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen prozessualer Darlegungspflichten unberücksichtigt lässt (BVerwG, B.v. 13.1.2009 – 9 B 64.08 – NVwZ 2009, 329). Gleiches gilt, wenn das Beschwerdegericht aus Gründen prozessualer Darlegungspflichten – wie vorliegend – allein das Vorbringen des Beschwerdeführers in den Blick nimmt (OVG Lüneburg, B.v. 15.1.2010 – 2 ME 2/10 – juris Rn. 5) und sich nicht umfassend mit der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung bzw. des Bescheides der Antragsgegnerin auseinandersetzt. Das Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich auch nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2021 – 8 B 57.20 – juris Rn. 6; B.v. 24.7.2018 – 8 B 46.17 – juris Rn. 11). Dies gilt erst recht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.
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Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
13
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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2. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (22 AS. 25.1634) hat keinen Erfolg.
15
Der von der Antragstellerin gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 22. November 2024 über die Versagung der Erlaubnis für das Prostitutionsgewerbe in D. anzuordnen, ist als Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Beschwerdeentscheidung für die Dauer des Anhörungsrügeverfahrens auszulegen, da bei erfolgreicher Anhörungsrüge das Beschwerdeverfahren fortgesetzt werden und über den ursprünglich beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entschieden werden müsste. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Antragstellerin ausdrücklich auf § 152a Abs. 6, § 149 Abs. 1 S. 2 VwGO verwiesen hat.
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Unabhängig davon, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sich durch die Entscheidung über die Anhörungsrüge erledigt hat, weil eine nach § 152a Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO angeordnete aufschiebende Wirkung einer Anhörungsrüge mit der Entscheidung über die Rüge endet (Guckelberger in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 152a VwGO Rn. 44), hatte der Antrag aber ohnehin keine Aussicht auf Erfolg. Denn die einstweilige Aussetzung der Vollziehung einer rechtskräftigen Entscheidung nach Erhebung einer Anhörungsrüge nach § 152a Abs. 6 i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt nur dann in Betracht, wenn die Anhörungsrüge mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird und ohne eine solche vorläufige Regelung der Antragsteller bzw. Kläger unzumutbar belastet würde (HessVGH, B.v. 28.11.2005 – 7 Q 2684/05 – juris Rn. 8). Dies ist jedenfalls dann nicht mehr der Fall, wenn feststeht, dass die Anhörungsrüge keinen Erfolg hat (NdsOVG, B.v. 21.1.2010 – 8 MC 11/10 – juris Rn. 1). Letzteres trifft hier aus den unter 1. genannten Gründen zu.
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Hinzu kommt, dass bei Erhebung der Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. August 2025 die im Bescheid vom 24. November 2024 angeordnete Betriebsschließung bereits vollzogen war. Die Antragstellerin hätte also richtigerweise eine Rückgängigmachung der Vollziehung beantragen müssen. Die Betriebsschließung wäre für die Dauer des Anhörungsrügeverfahrens nur dann vorläufig rückgängig zu machen gewesen, wenn die Antragstellerin dargelegt hätte, dass sie einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis nach dem ProstSchG hat. Ein solcher Anspruch besteht aus den im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. Juni 2025 angeführten Gründen, denen die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten ist, nicht.
18
Einer Kostenentscheidung ebenso wie einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die Kosten des Zwischenverfahrens nach § 152a Abs. 6 i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu den Kosten des Hauptverfahrens, d.h. des Verfahrens über die Anhörungsrüge, zählen und die Entscheidung somit keine eigenständige Kostenfolge auslöst (OVG LSA, B.v. 27.6.2012 – 1 M 64/12 – juris Rn. 2; SächsOVG, B.v. 15.9.2011 – 5 B 135/11 – juris Rn. 2 f.; NdsOVG, B.v. 21.1.2010 – 8 MC 11/10 – juris Rn. 2; HessVGH, B.v. 28.11.2005 – 7 Q 2684/05 – juris Rn. 12).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).